Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 538



127 III 538

91. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 18. September 2001
i.S. X. AG gegen A. (Berufung)

Regeste

    Verjährung von Ansprüchen aus unerlaubter Handlung (Art.  60 OR).

    Verjährungsfrist bei Ansprüchen aus unerlaubter Handlung, für die
das Strafrecht eine längere Verjährung vorsieht (Art. 60 Abs. 2 OR; E. 4b).

    Dauer der neuen Verjährungsfrist bei einer Unterbrechung i.S. von
Art. 135 OR (E. 4c).

Sachverhalt

    A. wurde am 23. April 1986 durch seinen Hausarzt notfallmässig
und gegen seinen Willen in das von der X. AG betriebene Sanatorium
Y. eingewiesen. Am 22. April 1996 betrieb A. die X. AG über einen Betrag
von 2 Mio. Franken als Schadenersatz und Genugtuung.

    Die X. AG reichte am 26. August 1999 beim Bezirksgericht Zürich Klage
ein und verlangte im Wesentlichen die Feststellung, dass A. aufgrund seiner
medizinischen Behandlung in der Zeit vom 23. April 1986 bis 20. Juni 1986
im Sanatorium Y. keinerlei Ansprüche gegen sie zuständen. Das Verfahren
wurde auf die Frage der Verjährung einer allfälligen Forderung des
Beklagten beschränkt.

    Mit Urteil vom 31. Mai 2000 hiess das Bezirksgericht Zürich die Klage
gut. Das Obergericht des Kantons Zürich hob mit Rückweisungsbeschluss
vom 25. April 2001 das Urteil des Bezirksgerichts Zürich auf und wies
die Sache zur Fortsetzung des Verfahrens und zu neuer Entscheidung
im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück. Das Obergericht kam
zum Schluss, für deliktische Ansprüche sei die Verjährung eingetreten.
Allfällige Ansprüche des Beklagten gegenüber der Klägerin aufgrund der
medizinischen Behandlung seien jedoch quasi-vertraglicher Natur und
dementsprechend noch nicht verjährt.

    Die Klägerin führt gegen diesen Rückweisungsbeschluss eidgenössische
Berufung und verlangt dessen Aufhebung sowie die Bestätigung des
erstinstanzlichen Urteils. Der Beklagte schliesst auf Abweisung der
Berufung. Eventualiter sei die Sache zur Ergänzung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht hebt den angefochtenen Entscheid auf und weist die
Sache gemäss Art. 64 OG an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Der Beklagte leitet seine Ansprüche gegen die Klägerin
aus unerlaubten Handlungen ab. Er macht namentlich geltend, mit der
medizinischen Zwangsbehandlung seien die Straftatbestände der schweren
Körperverletzung (Art. 122 StGB; Verfolgungsverjährung 10 Jahre),
der einfachen Körperverletzung (Art. 123 StGB; Verfolgungsverjährung
5 Jahre), der Nötigung (Art. 181 StGB; Verfolgungsverjährung 5 Jahre),
der Freiheitsberaubung (Art. 183 StGB; Verfolgungsverjährung 10 Jahre),
des Amtsmissbrauchs (Art. 312 StGB; Verfolgungsverjährung 10 Jahre)
und der Amtsanmassung (Art. 287 StGB; Verfolgungsverjährung 5 Jahre)
erfüllt worden. Die Vorinstanz hat die Verjährung allfälliger Forderungen
des Beklagten aus unerlaubter Handlung als eingetreten erachtet, was der
Beklagte in der Antwort beanstandet.

    a) Die Regelung der Haftung aus (widerrechtlicher) hoheitlicher
Amtsverrichtung kann grundsätzlich auch dann öffentlichrechtlich geregelt
werden, wenn die hoheitliche Tätigkeit an Private übertragen ist (BREHM,
Berner Kommentar, N. 12 zu Art. 61 OR; POUDRET, Commentaire de la loi
fédérale d'organisation judiciaire, Bern 1990, Bd. II, N. 2.3.34 zu Titre
II). Abgesehen von hier nicht in Betracht fallenden bundesrechtlichen
Verantwortlichkeitsregeln finden die Haftpflichtnormen der Art. 41 ff. OR
daher insoweit keine Anwendung,

als der Kanton eine Regelung tatsächlich getroffen hat. Die Vorinstanz hat
jedoch festgehalten, die Klägerin als juristische Person des Privatrechts
unterstehe dem kantonalen Haftungsgesetz nicht. Sie würde daher nach
den massgebenden kantonalen öffentlichrechtlichen Bestimmungen für
allfällige widerrechtliche Zwangsbehandlungen gegenüber dem Beklagten
auch dann nicht haften, wenn sie im Rahmen des ihr vom zuständigen
Kanton übertragenen Vollzugs einer fürsorgerischen Freiheitsentziehung
mit der Vornahme therapeutischer Massnahmen betraut worden wäre. Die
Klägerin kann daher nach den insoweit verbindlichen Feststellungen
der Vorinstanz ausschliesslich nach den allgemeinen Haftpflichtnormen
des Bundesprivatrechts in Anspruch genommen werden und ihre negative
Feststellungsklage ist gutzuheissen, sofern allfällige Forderungen des
Beklagten aus unerlaubter Handlung verjährt sind, wie die Vorinstanz
angenommen hat.

    b) Der Anspruch auf Schadenersatz oder Genugtuung verjährt in einem
Jahre von dem Tage hinweg, wo der Geschädigte Kenntnis vom Schaden und
von der Person des Ersatzpflichtigen erlangt hat, jedenfalls aber mit dem
Ablaufe von zehn Jahren, vom Tage der schädigenden Handlung an gerechnet
(Art. 60 Abs. 1 OR). Wird jedoch die Klage aus einer strafbaren Handlung
hergeleitet, für die das Strafrecht eine längere Verjährung vorschreibt,
so gilt diese auch für den Zivilanspruch (Art. 60 Abs. 2 OR). Dass der
Beklagte, der am 17. Juni 1986 aus der Klinik der Klägerin geflohen ist
und die Klägerin am 22. April 1996 betrieben hat, die Verjährungsfrist
von Art. 60 Abs. 1 OR eingehalten hätte, behauptet er nicht. Es kann sich
allein fragen, ob die Vorinstanz den Eintritt der Verjährung insoweit
zu Recht bejaht hat, als der Beklagte seine Ansprüche aus Straftaten
herleitet. Dabei ist zu Recht nicht bestritten, dass sich der zivil-
und der strafrechtliche Tatbestand auf dieselben Handlungen beziehen
müssen (BGE 122 III 5 E. 2c) und dass allfällige längere strafrechtliche
Verjährungsfristen vom Tage der (letzten) strafbaren Handlung an zu
laufen beginnen (BGE 112 II 172 E. II/2b S. 189; 111 II 429 E. 2d S. 441),
vorliegend spätestens am 17. Juni 1986. Für die vom Beklagten angeführten
Straftatbestände mit einer fünfjährigen Frist gemäss Art. 70 StGB ist
daher die Verjährung unbestritten eingetreten. Von den drei vom Beklagten
angeführten Straftatbeständen mit 10-jähriger Verjährungsfrist (Art. 122,
Art. 183 und Art. 312 StGB) bezieht sich nach den zutreffenden Erwägungen
im angefochtenen Urteil allein derjenige der schweren Körperverletzung
auf die medizinische Behandlung. Fraglich erscheint, ob nach den

Sachvorbringen des Beklagten die Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Die
Vorinstanz hat insofern jedoch festgehalten, dass die 10-jährige Frist
mit der Betreibung vom April 1996 unterbrochen worden ist. Sie hat
die Verjährung dennoch als eingetreten erachtet mit der Begründung,
die Delikte seien strafrechtlich verjährt, nachdem bis zum 17. Juni
1996 kein Strafverfahren eingeleitet worden sei, weshalb mit der
verjährungsunterbrechenden Handlung des Beklagten nurmehr eine einjährige
Verjährungsfrist begonnen habe.

    c) Die Regel von Art. 60 Abs. 2 OR soll die zivilrechtliche
Verjährung mit der strafrechtlichen harmonisieren. Es wäre stossend,
wenn der Täter zwar noch bestraft werden könnte, die Wiedergutmachung
des zugefügten Schadens aber nicht mehr verlangt werden dürfte (BGE
122 III 225 E. 5 mit Hinweisen). Diesem Sinn und Zweck entspräche, die
Verjährungseinrede im Zivilrecht dann gelten zu lassen, wenn neben der
zivilrechtlichen auch die strafrechtliche Verjährung eingetreten ist. In
der Lehre wird daher die Ansicht vertreten, dass Art. 60 Abs. 2 OR nur
die absolute Frist verlängere und die Unterbrechung der Verjährung
gemäss Art. 135 OR nur eine der zivilrechtlichen, nicht eine der
längeren strafrechtlichen Dauer entsprechende neue Verjährungsfrist in
Gang setze (vgl. SPIRO, Die Begrenzung privater Rechte durch Verjährungs-,
Verwirkungs- und Fatalfristen, Bd. I, Bern 1975, S. 199 ff., S. 206/207;
OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. II/1, Zürich
1987, S. 115 N. 384). Das Bundesgericht hat diese, dem Sinn und Zweck
von Art. 60 Abs. 2 OR wohl am besten entsprechende, mit dem Wortlaut
der Bestimmung jedoch nur schwer zu vereinbarende Auslegung von Art. 60
Abs. 2 OR abgelehnt und erkannt, dass durch die Unterbrechung im Sinne
von Art. 137 OR eine neue Verjährungsfrist mit der ursprünglichen,
strafrechtlichen Dauer zu laufen beginnt (BGE 111 II 429 E. 2d S. 441;
97 II 136 E. 3a; STARK, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 2. Aufl.,
Zürich 1988, N. 1121, S. 238). Die im Ergebnis von den beiden Vorinstanzen
übernommene Lehrmeinung vermöchte zwar eine vom Gesetzeszweck nicht
gedeckte Privilegierung der Geschädigten und eine entsprechende Belastung
der durch angebliche strafbare Handlungen belangten Haftpflichtigen zu
verhindern, namentlich wenn die strafrechtliche Verjährungsfrist wie im
vorliegenden Fall sehr lang ist und daher auch allfällige Beweismittel
kaum mehr greifbar sein dürften (vgl. SPIRO, aaO, S. 201). Da sich die
verschiedentlich bestätigte Auslegung von Art. 60 Abs. 2 OR aber jedenfalls
im Rahmen vertretbarer Auslegung hält und mit dem Wortlaut besser

zu vereinbaren ist, vermögen die beachtlichen Gründe für eine dem
Sinn der besonderen Verjährung besser entsprechende Auslegung das
Rechtssicherheitsinteresse nicht aufzuwiegen.

    d) Es ist daher an der mehrmals bestätigten Auslegung festzuhalten,
dass die Unterbrechung der Verjährung im Sinne von Art. 135 OR eine
neue Frist in Höhe der ursprünglichen längeren Dauer auslöst, sofern die
Forderung aus einer strafbaren Handlung abgeleitet wird, für die Art. 70
StGB eine längere Verjährungsfrist vorsieht. Dies gilt jedenfalls solange,
als die verjährungsunterbrechende Handlung im Sinne von Art. 135 OR noch
vor Eintritt der strafrechtlichen Verfolgungsverjährung erfolgt. In
diesem Falle verlängert sich die zivilrechtliche Verjährungsfrist um
die volle ursprüngliche Dauer unabhängig davon, ob die strafrechtliche
Verfolgungsverjährung während des Laufes der neuen Frist eintritt. Der
Schuldner weiss in diesem Fall, dass gegen ihn Ansprüche erhoben
werden und kann nicht nur entsprechende Beweise sichern, sondern -
wie der vorliegende Fall zeigt - die Rechtslage mit einer negativen
Feststellungsklage klären. Dagegen würde es wohl zu weit führen,
erst nach Ablauf der strafrechtlichen Verjährungsfrist vorgenommenen
verjährungsunterbrechenden Handlungen dieselbe Wirkung beizumessen. Ob
jedoch Unterbrechungshandlungen im Sinne von Art. 135 OR nach Eintritt
der strafrechtlichen Verjährung eine weitere Frist nur noch gemäss Art. 60
Abs. 1 OR in Gang setzen, braucht im vorliegenden Fall nicht abschliessend
erörtert zu werden. Der Beklagte hat mit der Betreibung vom 22. April
1996 die Verjährung für Forderungen aus der Zwangstherapie während seines
Klinikaufenthalts vom 23. April bis 17. Juni 1986 unterbrochen. Da er
insoweit eine nach Art. 135 OR erforderliche Handlung vor Eintritt einer
allfälligen 10-jährigen strafrechtlichen Verfolgungsverjährung vorgenommen
hat, läuft eine weitere 10-jährige Frist bis zum 22. April 2006.

    e) Die Vorinstanz hat die Tragweite von Art. 60 Abs. 2 OR verkannt,
indem sie die Verjährung auch für etwaige unerlaubte Handlungen
als eingetreten ansah, für welche das Strafrecht eine 10-jährige
Verfolgungsverjährung vorsieht. Sie hat allerdings ebenso wenig wie
die erste Instanz geprüft, ob nach den Sachvorbringen des Beklagten
überhaupt ein Straftatbestand in Betracht fällt, für den die 10-jährige
strafrechtliche Verjährungsfrist gilt. Da insoweit die tatsächlichen
Feststellungen über die massgebenden prozessualen Sachvorbringen des
Beklagten fehlen, kann die negative Feststellungsklage der Klägerin nicht
ohne Ergänzung beurteilt werden.