Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 421



127 III 421

71. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. Juni 2001
i.S. Swica Gesundheitsorganisation gegen Herz-Klinik Bodensee am Weinberg
AG (Berufung) Regeste

    Rückforderung von angeblich zu viel bezahlten Behandlungskosten.

    Es liegt eine Zivilrechtsstreitigkeit vermögensrechtlicher Natur
gemäss Art. 45 ff. OG vor (E. 1d).

    Bei Streitigkeiten zwischen einer Versicherungseinrichtung und einer
Klinik ist Art. 47 VAG nicht anwendbar (E. 2).

    Auswirkungen des zwischen der Klinik und dem Kantonalverband
thurgauischer Krankenkassen abgeschlossenen Tarifvertrages, der die
Grundversicherung betrifft, nicht aber die Zusatzversicherten erfasst
(E. 3b). Die Krankenkasse hat die Rechnungen vorbehaltlos beglichen,
weshalb ein allfälliger Anspruch auf Rückerstattung nicht vertraglicher
Natur ist (E. 3c).

    Die einjährige Verjährungsfrist (Art. 67 OR) zur Rückforderung der
beglichenen Rechnungen hat mit deren Zahlung begonnen (E. 4b).

Sachverhalt

    Am 23. September 1999 klagte die SWICA Gesundheitsorganisation
gegen die Herz-Klinik Bodensee am Weinberg AG auf Rückerstattung von
Fr. 98'372.55 nebst Zins für 1996 und 1997 bezahlte Behandlungskosten. Das
Verwaltungsgericht des Kantons Thurgau wies am 1. November 2000 die
Klage ab.

    Mit Eingabe vom 5. Februar 2001 hat die Klägerin beim Bundesgericht
Berufung eingelegt mit dem Antrag, das angefochtene Urteil sei aufzuheben
und die Sache zur neuen Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Das
Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                   Auszug aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- d) Obwohl der Versicherungsvertrag ausschliesslich zwischen der
Klägerin und den jeweiligen Patienten und der Behandlungsvertrag zwischen
der Beklagten und den jeweiligen Patienten besteht, hat die Beklagte die
beanstandeten Rechnungen direkt der Klägerin geschickt. Teils ist die
Klägerin Adressatin der Rechnungen gewesen (wobei wohl die Patienten eine
Kopie erhalten haben), teils sind die Patienten Adressaten der Rechnung
gewesen, wobei die Klägerin eine Kopie erhalten hat. Welcher von beiden
Wegen im Einzelfall gewählt worden ist, scheint sich nach keinen Regeln
gerichtet zu haben, sondern wirkt zufällig. In beiden Fällen hat die
Klägerin die Rechnungen direkt der Beklagten bezahlt. Als sie später
festgestellt hat, dass einzelne Posten der Rechnungen aus ihrer Sicht
ungerechtfertigt sind, hat sie die Rückerstattung der zuviel bezahlten
Beträge verlangt. Die Parteien sind sich nicht einig, ob die Klägerin
die Rechnungen aus Zusatzversicherungsvertrag mit den Patienten, aus
Behandlungsvertrag zwischen der Beklagten und den Patienten bzw. einem
diesbezüglichen Schuldübernahmevertrag gemäss Art. 176 OR oder aus
einer besonderen vertraglichen Bindung zwischen Klägerin und Beklagten,
wie der Vereinbarung vom 1. April 1993, geleistet hat und ob die
geleisteten Beträge aus einer dieser vertraglichen Bindungen oder aus
ungerechtfertigter Bereicherung zurückgefordert werden. Für die Frage
der Berufungsfähigkeit spielt die Beantwortung dieser Fragen keine
Rolle. In jedem Fall handelt es sich um eine Zivilrechtsstreitigkeit
vermögensrechtlicher Natur, so dass die Berufung zulässig ist, sofern
der Streitwert Fr. 8'000.- erreicht (Art. 46 OG). Da dies ohne weiteres
der Fall ist, kann auf die form- und fristgerecht eingereichte Berufung
eingetreten werden.

Erwägung 2

    2.- Die Klägerin wirft der Vorinstanz vor, sie habe die
besonderen bundesrechtlichen Verfahrensvorschriften von Art. 47 des
Bundesgesetzes vom 23. Juni 1978 betreffend die Aufsicht über die privaten
Versicherungseinrichtungen (Versicherungsaufsichtsgesetz, VAG; SR 961.01),
namentlich hinsichtlich Sachverhaltsabklärung und Kostenpunkt verletzt.

    Art. 47 Abs. 1 bis 3 VAG lauten wie folgt:
      "1 Privatrechtliche Streitigkeiten zwischen
      Versicherungseinrichtungen

    oder zwischen solchen und den Versicherten entscheidet der Richter.
      2 Für Streitigkeiten aus Zusatzversicherungen zur sozialen

    Krankenversicherung nach VVG sehen die Kantone ein einfaches und
rasches

    Verfahren vor, in dem der Richter den Sachverhalt von Amtes wegen

    feststellt und die Beweise nach freiem Ermessen würdigt.
      3 Bei Streitigkeiten im Sinne von Absatz 2 dürfen den Parteien keine

    Verfahrenskosten auferlegt werden; jedoch kann bei mutwilliger

    Prozessführung der Richter der fehlbaren Partei solche Kosten ganz oder

    teilweise auferlegen."

    Zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht kein
Versicherungsvertrag. Es ist zudem weder behauptet noch insbesondere
belegt worden, dass die Versicherungsnehmer ihre Ansprüche aus dem
Versicherungsvertrag schriftlich (vgl. Art. 165 OR) auf die Beklagte
übertragen hätten. Bei Übertragung wird der Dritte Anspruchsberechtigter,
nicht aber Vertragspartei, also nicht Versicherungsnehmer (vgl. dazu
ALFRED MAURER, Schweizerisches Privatversicherungsrecht, 3. Aufl., Bern
1995, S. 390). Entsprechend handelt es sich vorliegend nicht um eine
Streitigkeit aus Zusatzversicherung im Sinne von Art. 47 Abs. 2 und 3
VAG. Dies ergibt sich auch aus Art. 47 Abs. 1 VAG, wonach ausschliesslich
privatrechtliche Streitigkeiten zwischen Versicherungseinrichtungen oder
zwischen solchen und den Versicherten in den Geltungsbereich der Bestimmung
fallen. Bei den in Art. 47 Abs. 2 und 3 VAG im Zusammenhang mit dem
Erlass des Bundesgesetzes vom 18. März 1994 über die Krankenversicherung
(KVG; SR 832.10) eingefügten Verfahrenserleichterungen liess sich
der Gesetzgeber von den sozialpolitisch motivierten bundesrechtlichen
Bestimmungen im Bereich von Miete (Art. 274d OR), Pacht (Art. 301 OR)
und Arbeitsvertrag (Art. 343 OR) leiten (RAYMOND SPIRA, Die Rechtspflege
in der neuen Krankenversicherung, in: Soziale Sicherheit 1995 S. 258;
AB 1993 S 1095). Bei Streitigkeiten zwischen Versicherungseinrichtung
und Leistungsträgerin fehlt der sozialpolitische Grund für diese
Verfahrenserleichterungen. Aus dem Wortlaut und dem Zweck von Art. 47 VAG
ergibt sich demnach, dass diese Bestimmung auf den vorliegenden Streit
nicht anwendbar ist.

Erwägung 3

    3.- Die Klägerin leitet ihren Rückerstattungsanspruch sowohl
aus Vertrag als auch aus ungerechtfertigter Bereicherung ab.
Bereicherungsanspruch und vertraglicher Anspruch schliessen sich
indessen begrifflich aus, denn ein Vertrag gibt einen Rechtsgrund
ab, ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung setzt hingegen
voraus, dass kein Rechtsgrund vorliegt (BGE 126 III 119 E. 3b S. 121 mit
zahlreichen Hinweisen auch auf die Lehre; 114 II 152 E. 2d S. 159; 107 II
220). Rückerstattungsansprüche können nach der allgemeinen Unterscheidung
des Gesetzes wie andere Forderungen aus Vertrag, aus unerlaubter Handlung
oder aus ungerechtfertigter Bereicherung entstehen (BGE 114 II 152
S. 156). Solange ein Anspruch aus Vertrag geltend gemacht werden kann,
gilt nicht Bereicherungsrecht. Es ist deshalb zunächst zu prüfen, ob die
Klägerin aus Vertrag geleistet hat und, falls dies zutrifft, ob sie auch
aus Vertrag zurückfordern kann. Ein wesentlicher Unterschied zwischen
vertraglichen Ansprüchen und solchen aus ungerechtfertigter Bereicherung
besteht in den erheblich abweichenden Verjährungsregeln (Art. 127 und
128 OR bei Vertrag; Art. 67 OR bei ungerechtfertigter Bereicherung).

    a) Dass kein Vertragsverhältnis zwischen der Klägerin und der
Beklagten aus Zusatzversicherung besteht, wurde bereits dargelegt (oben
E. 2). Entsprechend kann die Klägerin ihren Rückerstattungsanspruch von
vornherein nicht aus dem Versicherungsvertrag ableiten.

    b) Die Klägerin stützt ihren Anspruch zudem auf die Vereinbarung
zwischen den Krankenkassen und der Beklagten. Am 1. April 1993 haben die
Beklagte und der Kantonalverband thurgauischer Krankenkassen (KTK), wozu
auch die Klägerin gehört, tatsächlich eine Vereinbarung über die Behandlung
der Versicherten und die Leistungen der Versicherer (Tarifvertrag)
getroffen und in Art. 8 vereinbart, dass die Rechnungsstellung durch
die Klinik an die zuständigen Kassen erfolgt (System des Tiers payant;
Art. 42 Abs. 2 KVG). Am 20. Juni 1994 hat der KTK diese Vereinbarung
auf Ende 1995 gekündigt. Am 26. März 1996 hat der Regierungsrat
des Kantons Thurgau den Tarifvertrag auf Begehren der Beklagten um
ein Jahr bis Ende 1996 verlängert. Mit vorsorglicher Massnahme vom
7. Februar 1997 hat der Regierungspräsident des Kantons Thurgau ab
1. Januar 1997 den Tarifvertrag weiterhin für anwendbar erklärt.
Für die infrage stehende Zeit ist demnach der genannte Tarifvertrag
anwendbar. Es handelt sich allerdings um eine Vereinbarung, die sich
auf Art. 43 KVG stützt und ausschliesslich die allgemeine Abteilung
und damit die Grundversicherung betrifft (so ausdrücklich Ziffer 2
der Vereinbarung). Deshalb konnte sie der Regierungsrat gestützt auf
Art. 47 KVG auch verlängern, worauf er auf Seite 2 seines Entscheids
ausdrücklich hinwies. Zusatzversicherte sind aus diesem Grund von der
Vereinbarung nicht erfasst. Die Klägerin hat deshalb nicht gestützt auf
diese Vereinbarung geleistet und kann daher ihren Rückforderungsanspruch
ebenso wenig auf diese Vereinbarung stützen. Dies bedeutet unter anderem,
dass auf den vorliegenden Fall die öffentlich-rechtlichen Überlegungen des
Bundesgerichts zum Rückforderungsrecht bzw. der Rückforderungspflicht der
Krankenversicherungen bei zu Unrecht in Rechnung gestellten Leistungen
sowie zur Verjährung derartiger Ansprüche entgegen der Auffassung der
Klägerin nicht zur Anwendung gelangen (vgl. dazu BGE 103 V 145 E. 4 S.
152).

    c) Die Klägerin stützt sich weiter auf den Behandlungsvertrag (Auftrag)
zwischen der Beklagten und den Patienten und macht geltend, sie habe
die Schuld aus diesem Vertrag im Rahmen der Kostengutsprache übernommen
und beglichen. Soweit die Forderung unberechtigt sei, fordere sie die
Vergütung aus dem von ihr übernommenen Behandlungsvertrag wieder zurück.

    aa) Durch die Annahme eines Auftrags verpflichtet sich der
Beauftragte, die ihm übertragenen Dienste vertragsgemäss zu besorgen und
der Auftraggeber verpflichtet sich, die vereinbarte oder übliche Vergütung
zu leisten (Art. 394 OR). Was die Höhe der Vergütung anbelangt, scheinen
sich die Parteien darin einig zu sein, dass sie den erwähnten Tarifvertrag,
obwohl nicht anwendbar, als Verrechnungsgrundlage anerkennen wollen,
wobei bei der Behandlung in der halbprivaten und privaten Abteilung
für die ärztlichen Leistungen ein Zuschlag von 50% bzw. 100% auf den
Referenztaxpunkten erhoben wird. Weshalb die Parteien diese Regelung für
zusatzversicherte Patienten anerkennen, ist allerdings aus den Unterlagen
nicht ersichtlich.

    bb) Von den Patienten wird erwartet, dass sie die Arzt- oder
Spitalrechnung im Rahmen ihrer Möglichkeiten prüfen und anschliessend
begleichen. Damit ist der Vertrag erfüllt. Wer also mehr geleistet hat, als
geschuldet, kann den Differenzbetrag allenfalls wegen ungerechtfertigter
Bereicherung zurückfordern (BGE 107 II 220 E. 3 S. 221). So behandelt
die Rechtsprechung z.B. die Rückforderung von zuviel bezahlten Darlehens-
oder Pachtzinsen stets als Bereicherungsanspruch und nicht als Forderung
aus Darlehens- oder Pachtvertrag (BGE 64 II 132 E. 4 S. 136; 52 II 228
S. 232). Im Hinblick auf eine zu Unrecht bezogene Versicherungsleistung
hat das Bundesgericht ausgeführt, die Rückforderung ergebe sich nicht aus
Vertrag, sondern aus ungerechtfertigter Bereicherung (BGE 42 II 674 E. 2a
S. 680). Gleich verhält es sich bei Rückforderungen aus nichtigen Verträgen
(BGE 106 Ib 412 E. 1b S. 414; 110 II 335) oder bei Rückforderungen aus
künftigem Vertragsschluss, welcher nicht zustande kam (BGE 119 II 20). Auch
in diesen Fällen entstehen Bereicherungsansprüche. Auf der anderen
Seite hat die jüngere Rechtsprechung erkannt, dass bei Vertragsrücktritt
das Vertragsverhältnis in ein Liquidationsverhältnis umgewandelt werde
und die Rückleistungspflicht daher vertraglicher Natur sei (BGE 114 II
152). Ebenso verhält es sich, wenn eine Gewinnbeteiligung vereinbart
wird, an welche Akontozahlungen geleistet werden. Sofern sich bei der
definitiven Abrechnung über die Gewinnbeteiligung ein Negativsaldo ergibt,
kann dieser aus Vertrag zurückgefordert werden (BGE 126 III 119). Wird
aber der Vertrag bedingungslos erfüllt, bleibt es nach wie vor dabei, dass
ein allfälliger Anspruch auf Rückerstattung nicht vertraglicher Natur ist.

    cc) Die Beklagte hat der Klägerin direkt oder in Kopie Rechnung
gestellt, weil sie aus dem Behandlungsvertrag Leistungen erbracht hat
und dafür hat bezahlt werden wollen. Die Klägerin hat die Rechnungen
in der Folge beglichen und die Beklagte hat die Zahlungen seitens
der Klägerin akzeptiert. Es ist deshalb nicht ausgeschlossen, dass
die Klägerin im Rahmen der Kostengutschrift in das Auftragsverhältnis
eingetreten ist und die Schuld erfüllt hat (Art. 176 OR). Geht man von
dieser Annahme aus, dann gelten für die Klägerin dieselben Grundsätze
wie für die Patienten selber. Sie hat die Rechnungen nach Erhalt zu
prüfen. Begleicht sie die Rechnungen, erfüllt sie den Behandlungsvertrag,
so dass allfällige Rückforderungsansprüche nicht mehr vertraglicher Natur
sind. Hat sie das Bedürfnis, sich eine spätere Kontrolle und definitive
Abrechnung vorzubehalten, muss sie dies im Sinne einer Abänderung des
Behandlungsvertrages mit der Gläubigerin entsprechend vereinbaren. In
diesem Fall wäre der Vertrag mit der provisorischen Begleichung noch
nicht abschliessend erfüllt, so dass nach der Schlussabrechnung
eine Rückforderung aus Vertrag möglich wäre. Die Klägerin hat die
Rechnungen aber vorbehaltlos beglichen. Selbst wenn demnach von einem
Schuldübernahmevertrag ausgegangen werden müsste, ergäbe sich ein
allfälliger Rückerstattungsanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung.

Erwägung 4

    4.- b) Gemäss Art. 67 OR verjährt der Bereicherungsanspruch mit
Ablauf eines Jahres, nachdem der Verletzte von seinem Anspruch Kenntnis
erhalten hat, in jedem Fall aber mit Ablauf von zehn Jahren seit der
Entstehung des Anspruchs. Kenntnisnahme liegt vor, wenn der Gläubiger
genügende Unterlagen und genügenden Anlass zur gerichtlichen Geltendmachung
tatsächlich hat (BGE 63 II 252 E. 3 S. 259; 82 II 411 E. 9 S. 428; STEPHEN
V. BERTI, Basler Kommentar, N. 4 zu Art. 67 OR). Da die erforderlichen
Informationen zum Erkennen der nach Auffassung der Klägerin überhöhten
Rechnungen diesen selbst entnommen werden können, hat die einjährige
Verjährungsfrist zum Rückfordern der beglichenen Rechnungen mit deren
Zahlung begonnen. Die Rechnungen stammen aus den Jahren 1996 und 1997,
und sie sind auch in dieser Zeit beglichen worden. Bei Einreichung
der Klage am 23. September 1999, aber auch bereits im Zeitpunkt der
Verjährungsverzichtserklärung der Beklagten ("soweit diese nicht bereits
eingetreten ist") vom 24. August 1999 war die einjährige relative
Verjährungsfrist bereits abgelaufen.