Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 41



127 III 41

7. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 24. November 2000
i.S. X. gegen Einwohnergemeinde Unterbözberg und Obergericht des Kantons
Aargau (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG; Legitimation zur
staatsrechtlichen Beschwerde (Art. 88 OG).

    Als Prozessvoraussetzung muss die Betreibung im Zeitpunkt des
Urteils über die Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG noch hängig
sein. Wird sie im Verlaufe des Verfahrens zurückgezogen, darf über
das Feststellungsbegehren nicht mehr materiell entschieden werden. Mit
dem Rückzug der Betreibung durch den Gläubiger entfällt daher auch die
Legitimation des Schuldners zur staatsrechtlichen Beschwerde gegen einen
kantonal letztinstanzlichen Entscheid, mit dem auf eine Feststellungsklage
nach Art. 85a SchKG nicht eingetreten worden ist (E. 2 und 4).

Sachverhalt

    A.- Die Einwohnergemeinde Unterbözberg betrieb X. mit Zahlungsbefehl
Nr. 0 des Betreibungsamtes Habsburg für eine "Akontorechnung
Kanalisationsanschlussgebühren für-Gebäude Nr. 0 Unterbözberg vom
1. November 1996" in der Höhe von Fr. 34'825.50. Nachdem der Schuldner
Rechtsvorschlag erhoben hatte, klagte er beim Bezirksgericht Brugg
gegen die Gläubigerin gemäss Art. 85a SchKG auf Feststellung, dass die
fragliche Schuld nicht bestehe, daher die Betreibung Habsburg Nr. 0
aufzuheben und der Eintrag im Betreibungsregister zu löschen sei. Mit
Schreiben vom 12. März 1998 zog die Beklagte die Betreibung zurück,
worauf das Bezirksgericht am 7. Juli 1998 diesen Rückzug feststellte und
die Klage im Übrigen abwies. Das Obergericht des Kantons Aargau trat auf
Appellation des Klägers hin mit Entscheid vom 29. Juni 2000 auf die Klage
mangels Feststellungsinteresses nicht ein.

    B.- Mit Eingabe vom 15. September 2000 führt der Kläger
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung von Art. 9 BV mit dem Antrag,
den obergerichtlichen Entscheid aufzuheben. Es ist keine Vernehmlassung
eingeholt worden.

    Das Bundesgericht tritt auf die staatsrechtliche Beschwerde nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Das Bundesgericht überprüft von Amtes wegen und mit freier
Kognition, ob auf die staatsrechtliche Beschwerde eingetreten werden kann
(BGE 119 Ia 321 E. 2 S. 324 mit Hinweis; 124 I 11 E. 1 S. 13).

    b) Nach der Rechtsprechung zu Art. 88 OG muss der Beschwerdeführer
ein aktuelles praktisches Interesse an der Aufhebung des angefochtenen
Entscheides beziehungsweise an der Überprüfung der von ihm erhobenen
Rügen haben, damit auf die Beschwerde eingetreten werden kann (BGE 114
Ia 88 E. 5b S. 90; 116 Ia 149 E. 2a S. 150, 359 E. 2a S. 363; 118 Ia 46
E. 3c S. 53 f.). An diesem fehlt es insbesondere, wenn der Nachteil auch
bei Gutheissung der Beschwerde nicht mehr behoben werden kann (BGE 116
II 721 E. 6 S. 729).

    Im vorliegenden Fall ist ein aktuelles praktisches Interesse an der
Beschwerde dann zu bejahen, wenn das Obergericht nach einer allfälligen
Gutheissung der staatsrechtlichen Beschwerde und der Aufhebung des
angefochtenen Entscheides auf die Klage eintreten und diese materiell
behandeln könnte, falls sich die Appellation als begründet erwiese. In
diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Feststellungsklage nach
Art. 85a SchKG überhaupt noch materiell behandelt werden kann, nachdem die
ihr zugrunde liegende Betreibung durch die Beschwerdegegnerin zurückgezogen
worden ist.

Erwägung 4

    4.- a) Nach den Marginalien des Gesetzes handeln Art. 85 und Art. 85a
SchKG von der richterlichen Aufhebung oder Einstellung der Betreibung,
wobei Art. 85 SchKG jene im summarischen, Art. 85a SchKG hingegen die im
beschleunigten Verfahren durchzuführende Einstellung bzw. Aufhebung regelt.
Gemäss Art. 85a Abs. 2 SchKG erfolgt die Aufhebung oder Einstellung,
sofern die Klage gutgeheissen wird. Aufgrund des Wortlautes von Art. 85a
Abs. 2 SchKG und der Marginalien zu Art. 85 und 85a SchKG steht ausser
Frage, dass die Aufhebung bzw. Einstellung der Betreibung Hauptziel
der Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG bildet, auch wenn sie
eine Doppelnatur aufweist, d.h. nebst der Aufhebung oder Einstellung
der Betreibung in materiellrechtlicher Hinsicht auf Feststellung der
Nichtschuld bzw. Stundung lautet (zur Doppelnatur: BGE 125 III 149 E. 2c
S. 151).

    b) Zu keinem anderen Ergebnis führen die Materialien zu Art. 85a
SchKG: Aus der Botschaft des Bundesrates vom 8. Mai 1991 über die Änderung
des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs ergibt sich klar,
welches das Verhältnis zwischen der betreibungsrechtlichen und der
materiellrechtlichen Wirkung der Klage ist: "Obwohl aus materiellem Recht
geklagt wird, dient die Klage (...) ebensosehr auch rein verfahrensmässigen
Zwecken, die zugleich das Feststellungsinteresse definieren. Klagen kann -
wie gemäss Art. 85 SchKG - nur der Betriebene, d.h. klagen hat nur einen
Sinn, solange eine Betreibung vorliegt, die überhaupt noch eingestellt
oder aufgehoben werden könnte" (BBl 1991 III 70).

    c) Die Auslegung der Bestimmung und die Materialien führen zum
Schluss, dass eine hängige Betreibung Prozessvoraussetzung für die
Klage nach Art. 85a SchKG bildet. Nur wer betrieben ist, hat ein
Feststellungsinteresse. Als Prozessvoraussetzung aber muss dieses
Interesse im Zeitpunkt des Urteils noch gegeben sein (statt vieler:
GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3. Aufl., 1979, S. 229). Wird
die Betreibung im Verlaufe des Verfahrens zurückgezogen, so fällt es
dahin und es darf danach kein Urteil über das Feststellungsbegehren mehr
ergehen. Auf die Feststellungsklage nach Art. 85a SchKG kann somit nicht
mehr eingetreten werden, nachdem die Betreibung zurückgezogen worden ist
(gl.M. AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts,
6. Aufl., Bern 1997, § 20, Rz. 22; vgl. auch BRÖNNIMANN, Neuerungen bei
ausgewählten Klagen des SchKG, in: ZSR 115/1996 I S. 218, bb; derselbe,
Zur Klage nach Art. 85a SchKG, in: AJP 1996 S. 1397; vgl. auch: WALDER,
Rechtsbehelfe im schweizerischen Bundesgesetz über Schuldbetreibung
und Konkurs, in: Festschrift für Hideo Nakamura: zum 70. Geburtstag
am 2. März 1996, Tokyo, 1996, S. 648; a.M. BEAT BARTHOLD, Die Geltung
des Gerichtsstandes des Betreibungsortes gemäss Art. 85a SchKG im
Anwendungsbereich des Lugano-Übereinkommens, in: AJP 1997 S. 1351/1354
Fn. 28, und zwar insofern, als in diesem Fall seiner Ansicht nach die
Klage abzuweisen ist).

    d) In der Literatur wird indes verschiedentlich auch die Auffassung
vertreten, die Klage sei trotz Wegfalls der Betreibung an die Hand
zu nehmen: WALDER (Kollisionen von Rechtsbehelfen, in: Meier/Siehr
[Hrsg.], Festschrift für Anton Heini zum 65. Geburtstag, Zürich 1995,
S. 506 f.) hält dafür, dass auf die Klage einzutreten sei, wenn das
Feststellungsinteresse auf andere Weise als durch die eingeleitete
Betreibung dokumentiert werde; er setzt jedoch nicht auseinander, worum
es sich dabei handeln könnte. Soweit damit das Einsichtsrecht Dritter in
das Betreibungsregister gemeint ist (Art. 8a SchKG), vermag dieses ein
Rechtsschutzinteresse an der Klage nach Art. 85a SchKG nicht zu begründen
(BGE 125 III 149 E. 2d S. 153 f.). Das trifft im Übrigen bei einem Rückzug
der Betreibung erst recht zu, zumal eine zurückgezogene Betreibung Dritten
von Gesetzes wegen nicht mehr bekannt gegeben werden darf (Art. 8a Abs. 3
lit. c SchKG).

    DANIEL STAEHELIN (Neuerungen im Bereich des Zahlungsbefehls, des
Rechtsvorschlags, der Rechtsöffnung und der Einstellung der Betreibung,
Referat an der Tagung vom 4. April 1995 des Schweizerischen Institutes
für Verwaltungskurse der Hochschule St. Gallen zum Thema: Das revidierte
Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz [SchKG]) behauptet, dass die
Feststellungsklage mit dem Dahinfallen der Betreibung nicht gegenstandslos
werde, ohne allerdings seine Ansicht auch nur ansatzweise zu begründen.

    Nach BODMER (Basler Kommentar, SchKG I, S. 841, N. 15 zu
Art. 85a SchKG) sollte die Klage aus Gründen der Prozessökonomie
und zur Vermeidung unnötigen Leerlaufs auch nach dem Dahinfallen der
Betreibung materiell beurteilt werden. Im gleichen Sinne äussert sich
LUCA TENCHIO, (Feststellungsklagen und Feststellungsprozess nach Art. 85a
SchKG, Diss. Zürich 1999, S. 102), wobei es nach diesem Autor für den
Betriebenen nicht annehmbar ist, dass der Gläubiger trotz Rückzugs der
Betreibung seinen Anspruch erneut durchsetzen kann; dem Gläubiger sei
indessen zuzumuten, gleichzeitig mit dem Rückzug der Betreibung die Klage
anzuerkennen, gleichsam als Beweis dafür, dass der Rückzug der Betreibung
nicht prozesstaktisch motiviert gewesen sei. Damit wird jedoch übersehen,
dass Einstellung bzw. Aufhebung der hängigen Betreibung Hauptziel der Klage
bildet und dass bei fehlender Prozessvoraussetzung des Betriebenseins
auf die Klage nicht mehr eingetreten werden kann. Im Übrigen dürfte
ein Gläubiger, der die Aussichtslosigkeit seiner Forderung einsieht und
deshalb das Betreibungsverfahren nicht weiterverfolgt, auch erkennen,
dass die fragliche Forderung nicht besteht (BGE 120 II 20 E. 3d/bb S. 27),
so dass weitere Betreibungen oder andere Massnahmen in aller Regel nicht
zu befürchten sind. Stellte er allerdings ein neues Betreibungsbegehren
für die nämliche Forderung, nachdem er eine frühere Betreibung angesichts
der vom Schuldner eingereichten Feststellungsklage gemäss Art. 85a SchKG
zurückgezogen hat, so wäre allenfalls zu prüfen, ob die neue Betreibung
wegen Rechtsmissbrauchs nicht zuzulassen wäre (BGE 115 III 18).

    JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN (Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, I, 4. Aufl., Zürich 1997, S. 395 N. 10 zu Art. 85a SchKG)
schliesslich erachten die in diesem Entscheid vertretene Auffassung
als sinnwidrig; weder der Kläger des Anerkennungsprozesses, der eine
Betreibung zurückziehe, noch der Beklagte des Aberkennungsprozesses,
der ein Gleiches tue, könne auf diese Weise der materiellen Rechtskraft
des zu erwartenden Urteils entgehen. Auch diese Auffassung vermag indes
nicht zu überzeugen. Im Gegensatz zur Klage nach Art. 85a SchKG bezwecken
weder die Aberkennungsklage noch die Anerkennungsklage die Aufhebung
bzw. die Einstellung der Betreibung, weshalb diese Klagen auch nicht
ohne weiteres mit jener nach Art. 85a SchKG verglichen werden können
(vgl. dazu: JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, aaO, N. 17 zu Art. 83 SchKG;
Art. 79 Abs. 1 SchKG). Sodann sind diese Autoren der Ansicht, dass eine
vorläufige Einstellung der Betreibung nicht mehr verfügt werden kann,
wenn der Gläubiger nicht innert der Frist des Art. 116 Abs. 1 SchKG
das Verwertungsbegehren stellt, und dass auf die Feststellungsklage
diesfalls mangels Rechtsschutzinteresses nicht mehr einzutreten ist
(JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, aaO, N. 28 zu Art. 85a SchKG). Es ist daher
nicht einzusehen, weshalb der Klage bei einem Rückzug der Betreibung
nicht erst recht das gleiche Los beschieden sein sollte, zumal auch in
diesem Fall die Betreibung nicht mehr eingestellt werden kann und somit
jegliches Rechtsschutzinteresse entfällt.