Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 365



127 III 365

61. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 30. Mai 2001
i.S. M. s.r.l. gegen B. AG (Berufung) Regeste

    Frachtvertrag; Übereinkommen über den Beförderungsvertrag im
internationalen Strassenverkehr (CMR; SR 0.741.611); Substanziierung
des Schadens.

    Anforderungen an die Substanziierung eines Totalschadens, wenn dieser
von der Gegenpartei bestritten wird (E. 2).

    Keine Verrechnung eines nach der CMR nicht ersatzfähigen mittelbaren
Schadens mit dem nach schweizerischem innerstaatlichem Recht zu
beurteilenden Frachtlohnanspruch (E. 3).

Sachverhalt

    Mit Vertrag vom 25. November 1996 kaufte die M.  s.r.l. (Klägerin)
von der A. AG eine gebrauchte Rollenoffsetanlage "MAN Rotoman C". Sie
betraute in der Folge die B. AG (Beklagte) mit dem Transport der
Anlage von X. nach Y. (Italien). Zu verladen war namentlich der zum
Kaufgegenstand gehörende, mindestens 5,25 Tonnen schwere Wassertauscher,
welcher im kantonalen Verfahren auch als "Kühlturm", "Kühlaggregat" oder
"Warmwassertauscher" bezeichnet wurde und sich auf dem Dach des Gebäudes
der A. AG befand. Um den strittigen Wassertauscher vom Dach zu heben und
zu verladen, befestigte die Beklagte ein Vierer-Kettengehänge eines Kranes
an vier Hängelaschen, welche am sog. Tropfenabscheider des Wassertauschers
- von der Klägerin auch Deckel genannt - angeschraubt waren. Beim Hochheben
des Wassertauschers rissen die Hängelaschen, da sie dem Gewicht nicht
standzuhalten vermochten. Der Wassertauscher fiel aus ca. 3 bis 4 Metern
auf das Dach und wurde dadurch beschädigt. Unter dem Tropfenabscheider,
im Innern des Wassertauschers, befanden sich vier weitere, kräftigere
Laschen, welche durch Entfernen des Tropfenabscheiders hätten freigelegt
werden können und für das Heben des Wassertauschers bestimmt gewesen wären.

    Da sich die Parteien nicht darüber einigen konnten, wer das
unsachgemässe Hochheben und damit die Beschädigung des Wassertauschers
zu verantworten hatte, machte die Klägerin gerichtlich einen
Schadenersatzanspruch von Lit. 82'210'000.- geltend, worauf die
Beklagte Widerklage auf Bezahlung des noch ausstehenden Frachtlohnes von
Fr. 16'925.- erhob. Das Handelsgericht des Kantons Zürich wies die Klage
mit Urteil vom 20. April 2000 ab und hiess die Widerklage im Umfang von
Fr. 15'005.- nebst Zins gut. Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung
der Klägerin weist das Bundesgericht ab.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- In rechtlicher Hinsicht ist unbestritten, dass auf die vorliegende
Streitigkeit grundsätzlich das Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über den
Beförderungsvertrag im internationalen Strassenverkehr (CMR; SR 0.741.611)
Anwendung findet. Die Vorinstanz wies die Klage ab, weil einerseits der
Klägerin ein Verschulden im Sinne von Art. 17 Ziff. 2 CMR vorzuwerfen sei
und sie anderseits ihren Schaden nicht substanziiert habe. Die Klägerin
ficht beide Begründungen als bundesrechtswidrig an.

Erwägung 2

    2.- In Bezug auf die Substanziierung des Schadens erwog die
Vorinstanz, die Vorbringen der Klägerin liessen trotz gerichtlicher
Substanziierungshinweise konkrete, zum Beweis verstellbare Behauptungen
über die Beschädigungen des Wassertauschers vermissen; ebenso fehlten
Angaben über die ausgeführten Arbeiten und die Kosten für den Ersatz
oder die Reparatur des Wassertauschers sowie für die Instandstellung der
gesamten Anlage. Die Klage sei deshalb mangels Substanziierung abzuweisen.

    a) Gemäss Art. 25 Ziff. 1 CMR hat der Frachtführer bei Beschädigung
des Frachtgutes grundsätzlich den Betrag der Wertverminderung zu zahlen,
welche der Differenz zwischen dem Wert des Gutes bei der Übernahme
und dem Wert infolge der Beschädigung entspricht (HERBER/PIPER, CMR,
Internationales Strassentransportrecht, Kommentar, N. 2 zu Art. 25 CMR;
THUME, in: Thume [Hrsg.], Kommentar zur CMR, N. 4 zu Art. 25 CMR; GLÖCKNER,
Leitfaden zur CMR, 7. Aufl., N. 2 zu Art. 25 CMR). Dieser Schadensbegriff
stimmt mit dem im schweizerischen innerstaatlichen Recht gebräuchlichen
überein (dazu BGE 127 III 73 E. 4a S. 76 mit Hinweisen). Übersteigen die
Wiederherstellungskosten den ursprünglichen Wert des Gutes, wird auch
unter Herrschaft der CMR von einem Totalschaden ausgegangen, welcher dem
Verlust der Sache gleichzusetzen ist (HERBER/PIPER, aaO, N. 1 zu Art. 25
CMR; THUME, aaO, N. 66 zu Art. 17 CMR; GLÖCKNER, aaO, N. 1 zu Art. 25
CMR; zum identischen Begriff des Totalschadens im innerstaatlichen Recht
vgl. ALFRED KELLER, Haftpflicht im Privatrecht, Bd. II, 2. Aufl., S. 108;
OFTINGER/STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Bd. I, 5. Aufl., S. 368
Rz. 366). Diesfalls berechnet sich der Schadenersatz gemäss Art. 23
Ziff. 1 CMR nach dem Wert des Gutes am Ort und zur Zeit der Übernahme
zur Beförderung.

    b) Nach allgemeinen Grundsätzen hat die Schadenersatz beanspruchende
Partei den Schaden zu beweisen (THUME, aaO, N. 62 zu Art. 23 und N. 33 zu
Art. 25 CMR; GIEMULLA, in: Baumgärtel [Hrsg.], Handbuch der Beweislast im
Privatrecht, N. 2 zu Art. 23 CMR; für das innerstaatliche Recht vgl. Art. 8
ZGB und Art. 42 Abs. 1 OR). Wie weit die anspruchsbegründenden Tatsachen
dabei inhaltlich zu substanziieren sind, damit sie unter die massgeblichen
Bestimmungen des materiellen Rechts subsumiert werden können, bestimmt
das materielle Bundesrecht (BGE 123 III 183 E. 3e S. 188; BGE 108 II 337
E. 2 und 3). Die jeweiligen Anforderungen ergeben sich einerseits aus
den Tatbestandsmerkmalen der angerufenen Norm und anderseits aus dem
prozessualen Verhalten der Gegenpartei. Tatsachenbehauptungen müssen
dabei so konkret formuliert sein, dass ein substanziiertes Bestreiten
möglich ist oder der Gegenbeweis angetreten werden kann (vgl. BGE
117 II 113 E. 2; GULDENER, Schweizerisches Zivilprozessrecht, 3.
Aufl., S. 164). Bestreitet der Prozessgegner das an sich schlüssige
Vorbringen der behauptungsbelasteten Partei, kann diese gezwungen sein,
die rechtserheblichen Tatsachen nicht nur in den Grundzügen, sondern so
umfassend und klar darzulegen, dass darüber Beweis abgenommen werden kann
(BGE 108 II 337 E. 3 S. 341; JÜRGEN BRÖNNIMANN, Die Behauptungslast,
in: Leuenberger [Hrsg.], Der Beweis im Zivilprozess, S. 60). Wird
das Vorliegen eines vorerst nur pauschal behaupteten Schadens vom
Prozessgegner bestritten, hat der Ansprecher deshalb die einzelnen
konkreten Tatsachen vorzutragen, welche Grundlage für die Qualifizierung
einer Vermögenseinbusse als rechtlich relevanter Schaden bilden (JÜRGEN
BRÖNNIMANN, Die Behauptungs- und Substanzierungslast im schweizerischen
Zivilprozessrecht, Diss. Bern 1989, S. 149 f.).

    c) Die Klägerin macht geltend, sie habe einen neuen Wassertauscher
herstellen und installieren lassen, was ihr Kosten von Lit. 82'210'000.-
verursacht habe. Ob diese Schadensberechnung den in der CMR niedergelegten
Grundsätzen entspricht, ist fraglich (vgl. Art. 23 Ziff. 1 und 2 CMR),
kann jedoch offen bleiben. Denn die Vorbringen der Klägerin setzen
einen Totalschaden voraus, welcher somit zunächst substanziiert
darzutun war. Ein Totalschaden wurde von der Klägerin zwar pauschal
behauptet, von der Beklagten aber bestritten. Die Klägerin stellt nicht
in Abrede, dass sie es im kantonalen Verfahren trotz gerichtlicher
Substanziierungshinweise versäumt hat, die konkreten Beschädigungen bzw.
Defekte des transportierten Wassertauschers zu beschreiben. Wenn die
Klägerin davon ausgeht, dass sie dazu auch nicht verpflichtet war,
verkennt sie die bundesrechtlichen Anforderungen an die Substanziierung
des Schadens. Jedenfalls nachdem die Beklagte das Vorliegen eines
Totalschadens bestritten hatte, wäre die Klägerin gehalten gewesen,
ihre vorerst pauschale Behauptung in Einzeltatsachen zu zergliedern und
darzulegen, aufgrund welcher konkreten Beschädigungen der Wassertauscher
irreparabel war oder inwiefern die Reparaturkosten dessen Wert überstiegen
(vgl. THUME, aaO, N. 62 zu Art. 23 CMR). Diese Angaben waren nicht nur
Voraussetzung für die Subsumtion der klägerischen Vorbringen unter den
Begriff des Totalschadens, sondern auch für ein substanziiertes Bestreiten
durch die Beklagte und die beweismässige Abklärung des Sachverhaltes
(vgl. BGE 108 II 337 E. 3 S. 341).

    Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung genügt zur
Substanziierung des Schadens nicht, dass der strittige Wassertauscher
von der Beklagten hätte besichtigt werden können, liefe dies doch
darauf hinaus, der Beklagten bundesrechtswidrig die Beweislast
für das Nichtbestehen des Schadens aufzuerlegen. Ebenso fehl geht
sodann der Hinweis der Klägerin auf eine gerichtliche Expertise,
denn das kantonale Recht kann zur Verhinderung von unzulässigen
Ausforschungsbeweisen vorschreiben, dass die Tatsachen, welche durch
eine beantragte Beweismassnahme bewiesen werden sollen, genannt werden
(FRANK/STRÄULI/MESSMER, Kommentar zur zürcherischen Zivilprozessordnung,
3. Aufl., N. 5 zu § 113 ZPO). Es verstösst daher nicht gegen Bundesrecht,
wenn eine rechtsgenügliche Substanziierung des geltend gemachten Anspruchs
vor der Durchführung einer Beweismassnahme verlangt und eine Ergänzung
der Substanziierung aufgrund des Beweisverfahrens nicht mehr zugelassen
wird (BGE 108 II 337 E. 3 S. 341/2; BRÖNNIMANN, Die Behauptungslast, aaO,
S. 64/5).

    Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn
sie den Schadenersatzanspruch der Klägerin mangels rechtsgenüglicher
Substanziierung abgewiesen hat. Damit erübrigt sich eine Prüfung der
weiteren Haftungsvoraussetzungen.

Erwägung 3

    3.- Die Vorinstanz hiess die Widerklage der Beklagten auf Bezahlung
des restlichen Frachtlohnes im Umfang von Fr. 15'005.- nebst Zins gut. Die
Klägerin wendet sich unter Hinweis auf BGE 124 III 423 gegen die Bezahlung
der Honorarforderung der Beklagten, da der ihr neben dem unmittelbaren
Schaden am Wassertauscher entstandene mittelbare Schaden - die Klägerin
verweist namentlich auf die während des Ausfalls der Rollenoffsetanlage
laufenden Leasingzinsen - den restlichen Honoraranspruch der Beklagten bei
weitem übersteige. Die Klägerin vertritt die Auffassung, dass sie ihren
weiteren Schaden mit dem Frachtlohnanspruch der Beklagten verrechnen kann.

    a) Wie die Vorinstanz zutreffend darlegte, regelt die CMR den
Anspruch des Frachtführers auf den Frachtlohn nicht, weshalb insofern
schweizerisches innerstaatliches Recht anzuwenden ist (Art. 117 IPRG;
HERBER/PIPER, aaO, N. 26 der Vorbemerkungen zu Art. 1 CMR). Die Anwendung
nationalen Rechts darf jedoch nicht dazu führen, dass die zwingenden
Regelungen der CMR unterlaufen werden (vgl. Art. 41 CMR), wäre doch
dadurch das Ziel der einheitlichen Rechtsanwendung in den Vertragsstaaten
in Frage gestellt (dazu HERBER/PIPER, aaO, N. 12 der Vorbemerkungen zu
Art. 1 CMR). Aus diesem Grund kann die von der Klägerin geltend gemachte
Verrechnung von vornherein nur erfolgen, wenn der von ihr zur Verrechnung
gestellte Schadenersatzanspruch nach der CMR überhaupt Bestand hat.

    b) Die Klägerin will Verluste, welche sie durch den Stillstand der
Rollenoffsetanlage erlitten hat, mit dem restlichen Frachtlohnanspruch der
Beklagten verrechnen. Gerade solche mittelbare Schäden - im Schrifttum
ausdrücklich genannt werden entgangener Gewinn und Verdienstausfall -
sind nach der CMR jedoch nicht zu entschädigen (HERBER/PIPER, aaO,
N. 4 zu Art. 23 und N. 5 zu Art. 25 CMR; THUME/SELTMANN, in: Thume,
aaO, N. 3 f. zu Art. 23 CMR; GLÖCKNER, aaO, N. 4 zu Art. 23 und N. 5 zu
Art. 25 CMR). Diese sind somit auch nicht über den Umweg der Verrechnung
mit dem nach schweizerischem innerstaatlichem Recht zu beurteilenden
Frachtlohnanspruch ersatzfähig. Eine Verrechnung des restlichen
Frachtlohnes mit den von der Klägerin ins Feld geführten Ansprüchen ist
deshalb ausgeschlossen.