Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 357



127 III 357

60. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 28. Juni 2001
i.S. A. gegen B. (Berufung) Regeste

    Haftung des Anwalts (Art. 398 Abs. 2 OR).

    Umfang der Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts (E. 1b und c).

    Verletzung der Sorgfaltspflicht wegen Verkennung der Rechtswirkungen
der gerichtlichen Genehmigung einer Ehescheidungskonvention gemäss Art. 158
Ziff. 5 aZGB (E. 3b-e).

    Obliegenheit des Geschädigten zur Schadensverhinderung: Frage im
konkreten Fall offen gelassen (E. 4a-c).

    Langes Zuwarten mit der Geltendmachung von Rechtsansprüchen innerhalb
der gesetzlichen Verjährungsfristen ist höchstens unter ganz besonderen
Umständen rechtsmissbräuchlich (E. 4c/bb).

Sachverhalt

    Am 9. Dezember 1986 wurde die am 11. September 1970 geschlossene
Ehe des Klägers geschieden. Der Beklagte, damaliger Rechtsbeistand des
Klägers, verfasste eine vom Kläger und dessen zu diesem Zeitpunkt nicht
mehr verbeiständeten Ehefrau am 16. September 1986 unterzeichnete, vom
Gericht alsdann genehmigte Ehescheidungskonvention. Diese enthielt unter
anderem unter den Ziffern 2 und 3 einen je hälftig auf Art. 151 und 152
aZGB abgestützten indexierten Unterhaltsbeitrag von monatlich Fr. 400.-
während acht Jahren ab Rechtskraft des Scheidungsurteils. Am selben Tag
unterzeichneten die Ehegatten eine ebenfalls vom Beklagten aufgesetzte
Erklärung, wonach die Ehefrau unwiderruflich und endgültig auf das
Inkasso der Unterhaltsbeiträge gemäss den Ziffern 2 und 3 der Konvention
verzichtete. Diese Erklärung wurde dem Gericht nicht zur Genehmigung
unterbreitet. Die Scheidungsparteien hatten ihren entsprechenden
Verzichtswillen und die Vereinbarung einer der Höhe nach noch unbestimmten
"Pro-Forma-Rente" in einer persönlichen Besprechung bereits am 8. September
1986 mit einer Handnotiz unterschriftlich bekräftigt. Der bis zu diesem
Zeitpunkt mandatierte Rechtsbeistand der Ehefrau hatte für sie zuvor
gegenüber dem Beklagten eine monatliche Unterhaltsrente von Fr. 500.-
während 10 Jahren ab Rechtskraft des Scheidungsurteils verlangt mit dem
Hinweis, dass im Streitfall eine weit höhere Rente geschuldet würde.

    Nachdem sie zuvor nie etwas verlangt hatte, betrieb die Ehefrau
den Kläger im Jahre 1995 für die Rente der letzten acht Jahre (soweit
nicht verjährt) in der Höhe von total Fr. 29'127.37. Der Kläger erhob
Rechtsvorschlag und liess sich wiederum vom Beklagten vertreten. Am
1. Februar 1995 wurde definitive Rechtsöffnung erteilt. Auf Appellation
des Klägers bestätigte der Appellationshof des Kantons Bern am 6. Juli
1995 den Rechtsöffnungsentscheid im Wesentlichen mit der Begründung,
die Zusatzvereinbarung mit Inkassoverzicht der Ehefrau des Klägers vom
16. September 1986 sei mangels gerichtlicher Genehmigung gemäss Art. 158
Ziff. 5 aZGB unbeachtlich, ein rechtsmissbräuchliches Verhalten derselben
wegen langen Zuwartens nicht gegeben. Am 20. Juli 1995 bezahlte der Kläger
den in Betreibung gesetzten Betrag.

    Mit Klage vom 5. Mai 1997 beantragte der Kläger, den Beklagten aus
Anwaltshaftung zur Zahlung eines gerichtlich zu bestimmenden, Fr. 33'000.-
übersteigenden Betrags nebst Zins zu verurteilen. Die Gerichtspräsidentin 6
des Gerichtskreises VIII Bern-Laupen wies die Klage am 21. September 1999
ab, ebenso auf Appellation des Klägers der Appellationshof des Kantons
Bern am 7. September 2000.

    Der Kläger gelangt mit Berufung an das Bundesgericht mit dem Antrag,
den Beklagten zur Zahlung von Fr. 35'404.55 nebst Zins zu 5% seit
4. November 1996 zu verurteilen. Der Beklagte schliesst auf Abweisung
des Rechtsmittels.

    Das Bundesgericht heisst die Berufung des Klägers teilweise gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Das Rechtsverhältnis der Parteien unterliegt dem Recht des
einfachen Auftrags gemäss Art. 394 ff. OR, wovon sowohl sie wie auch
die kantonalen Gerichte zutreffend ausgegangen sind (vgl. BGE 117 II 563
E. 2a).

    b) Als Beauftragter schuldet der Anwalt Sorgfalt und Treue und wird
daher seinem Auftraggeber ersatzpflichtig, wenn er ihn durch unsorgfältige
oder treuwidrige Besorgung des Auftrags schädigt (BGE 119 II 456 E. 2,
249 E. 3b). Er hat jedoch nicht für den Erfolg seiner Tätigkeit Gewähr
zu leisten, sondern für das kunstgerechte Tätigwerden (BGE 117 II 563
E. 2a). Dabei trägt der Anwalt nicht die Verantwortung für die spezifischen
Risiken, die mit der Bildung und Durchsetzung einer Rechtsauffassung an
sich verbunden sind. Er übt insofern eine risikogeneigte Tätigkeit aus,
der auch haftpflichtrechtlich Rechnung zu tragen ist. Namentlich gilt
zu berücksichtigen, dass er nicht für jede Massnahme oder Unterlassung
einzustehen hat, welche aus nachträglicher Betrachtung den Schaden bewirkt
oder vermieden hätte. Nach wie vor haben die Parteien das Prozessrisiko
zu tragen, das sie nicht über die Verantwortlichkeit des Anwalts verlagern
können.

    c) Art. 398 Abs. 1 OR verweist für das Mass der Sorgfalt des
Beauftragten auf dasjenige des Arbeitnehmers im Arbeitsverhältnis
(Art. 321e Abs. 2 OR), wobei diese Verweisung dahingehend zu verstehen
ist, dass der Beauftragte zwar nicht für die gleiche - weniger strikte -
Sorgfalt wie der Arbeitnehmer, jedoch nach der gleichen Regel haftet. Der
Sorgfaltsmassstab richtet sich daher nach den Fähigkeiten, Fachkenntnissen
und Eigenschaften des Beauftragten, die der Auftraggeber gekannt hat oder
hätte kennen müssen. Ob eine Verletzung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten
vorliegt, ist stets anhand des konkreten Falls zu prüfen. Dabei liegt
der Wertungsgrat zwischen vertretbarem und unvertretbarem Vorgehen im
Spannungsfeld zwischen der gefahrgeneigten Tätigkeit des Anwalts und
seiner obrigkeitlich bekräftigten Fachkunde.

    d) Als Ausfluss der Treuepflicht obliegt dem Anwalt insbesondere,
seinen Mandanten über die Schwierigkeit und die Risiken der
Geschäftsbesorgung umfassend aufzuklären, damit dieser sich über das
von ihm zu tragende Risiko bewusst werde (vgl. statt Aller: FELLMANN,
Berner Kommentar, N. 412 zu Art. 398 OR).

Erwägung 2

    2.- a) Der Kläger bringt im Wesentlichen vor, der Appellationshof
habe Art. 398 OR falsch ausgelegt, indem er von der Gültigkeit der
Verzichtserklärung vom 16. September 1986 ausgegangen sei und damit eine
Verletzung der Sorgfaltspflicht des Beklagten verneint habe.

    b) Im Zeitpunkt des Abschlusses der Scheidungskonvention (16. September
1986) war Art. 23 Abs. 2 aAHVG (SR 831.10) noch in Kraft, wonach die
Ehefrau nach dem Tod ihres geschiedenen Ehemannes der Witwe gleichgestellt
war, sofern der Mann ihr gegenüber zu Unterhaltszahlungen verpflichtet war
und die Ehe mindestens zehn Jahre gedauert hatte. Der Appellationshof hielt
fest, es habe der damaligen Scheidungspraxis im Kanton Bern entsprochen, in
der Scheidungskonvention jeweils eine "Pro-Forma-Rente" von geringem Betrag
und geringer Dauer festzulegen, um den Anspruch der geschiedenen Frau auf
Witwenrente zu sichern, obwohl diese keine Unterhaltsbeiträge beanspruchte
oder ihr keine solche zustanden. Im Gegenzug habe die Ehefrau gegenüber
dem Ehemann jeweils eine separate Verzichtserklärung auf die Rente
abgegeben. Dabei sei weder üblich gewesen, eine solche Verzichtserklärung
auf Unterhaltsbeiträge dem Gericht zur Genehmigung vorzulegen, noch hätte
das Gericht eine entsprechende Genehmigung aus naheliegenden Gründen
je erteilt. Es sei darüber hinaus in Anbetracht der damals herrschenden
Vorstellungen über die Gültigkeit der Verzichtserklärung auch nicht üblich
gewesen, den Verzicht nach der Scheidung bestätigen zu lassen.

    c) Der Appellationshof stellte verbindlich fest, der Beklagte sei
zweifelsfrei von der Gültigkeit der Verzichtserklärung ausgegangen. Im
Folgenden gilt es zunächst zu prüfen, ob der Beklagte damit seine
anwaltlichen Sorgfaltspflichten verletzt hat.

Erwägung 3

    3.- a) Der Appellationshof erwog im angefochtenen Urteil, das vom
Beklagten gewählte Vorgehen sei aufgrund von Art. 23 Abs. 2 aAHVG im
Kanton Bern üblich und durchaus praxiskonform gewesen. Diese Praxis
sei auch dem Vorsitzenden (des Appellationshofs) aus eigener Erfahrung
als damaligem Präsidenten eines Zivilamtsgerichts bekannt. Weder er
selbst noch die in erster Instanz befragten Zeugen (eine seinerzeitige
Präsidentin des Zivilamtsgerichts Bern sowie ein bernischer Anwalt) noch
der Beklagte hätten damals je an der Gültigkeit der Verzichtserklärung
gezweifelt. Daher spiele auch keine Rolle, dass der Beklagte nicht -
wie üblich - nur eine symbolische Minimalrente, sondern eine weit höhere
und längere Unterhaltsrente in die Scheidungskonvention aufgenommen habe.

    b) Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden.

    Durch die gerichtliche Genehmigung gemäss Art. 158 Ziff. 5 aZGB wird
der Inhalt der Ehescheidungskonvention zum vollwertigen Bestandteil des
Scheidungsurteils und teilt dessen rechtliches Schicksal (seit BGE 60
II 80 E. 1 und 169 S. 170 konstante bundesgerichtliche Rechtsprechung,
so zuletzt: BGE 119 II 297 E. 3 und 3b; vgl. auch BGE 121 III 393 E. 5b,
sowie die herrschende Lehre: vgl. statt Vieler: BÜHLER/SPÜHLER, Berner
Kommentar, N. 172 zu Art. 158 aZGB). Die Ehescheidungskonvention verliert
damit - anders als der Prozessvergleich - ihren schuldrechtlichen
Charakter (BGE 119 II 297 E. 3; 105 II 166 E. 1 S. 169; 60 II 80
E. 1). Dies bedeutet nach ständiger Rechtsprechung zu Art. 158 Ziff. 5
aZGB, dass die vor der Scheidung abgeschlossenen Vereinbarungen über die
Nebenfolgen der Scheidung bei fehlender gerichtlicher Genehmigung keine
Rechtswirkungen entfalten und folglich auch gegenüber den Parteien ihre
bis dahin bestehende Verbindlichkeit verlieren, und zwar unabhängig
davon, ob sie den disponiblen oder den nicht disponiblen Teil der
scheidungsrechtlichen Auseinandersetzung betreffen (BGE 119 II 297 E. 3b;
102 II 65 E. 2). Die gerichtliche Genehmigung der von den Parteien
geschlossenen Scheidungskonvention ist daher Gültigkeitserfordernis.
Alle von der Genehmigung nicht erfassten Abreden sind ungültig, und zwar
unbesehen darum, ob dabei ein Mehr oder ein Weniger im Vergleich zu den
genehmigten Abreden vereinbart worden ist.

    c) Um rechtsverbindlich zu sein, hätte die Verzichtserklärung erst nach
Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils abgegeben oder zumindest
bestätigt werden müssen (BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 166
zu Art. 158 aZGB). Insoweit stösst der Kläger mit seiner Auffassung
ins Leere, wenn er fordert, der Beklagte hätte die nachträgliche
Bestätigung des Verzichts durch Androhung einer Appellation erzwingen
können. Abgesehen davon hätte auf eine Appellation des Klägers mangels
Rechtsschutzinteresses nicht eingetreten werden können, da seine Anträge
im Scheidungsurteil vollumfänglich gutgeheissen worden sind. Die für die
Parteien unvorhergesehene Verschiebung des Urteilszeitpunktes konnte
somit entgegen der Auffassung des Klägers keinerlei Einfluss auf die
Ungültigkeit der Verzichtserklärung haben. Ausserdem wäre der Beklagte
mangels rechtlicher Mittel zur Durchsetzung dieser Handlung objektiv
ohnehin nicht zu verpflichten gewesen, da die Abgabe einer solchen
Verzichtsbestätigung allein vom Willen und der Bereitschaft der Ehefrau
des Klägers abhing.

    d) Es handelt sich hierbei um von Lehre und Praxis einheitlich
vertretenes, klares und damit nicht interpretationsbedürftiges
Recht, dessen Kenntnis zu den Sorgfaltspflichten der Anwälte gehört
(vgl. FELLMANN, Berner Kommentar, N. 409 zu Art. 398 OR). Soweit der
Beklagte diese klare Rechtslage zu Inhalt, Form und Rechtswirkungen
einer Scheidungskonvention verkannte, ist entgegen der Auffassung des
Appellationshofes von einer pflichtwidrigen Unkenntnis klaren Rechts
seitens des Beklagten im Zeitpunkt der Errichtung von Scheidungskonvention
und Verzichtserklärung auszugehen. Von diesem Vorwurf kann er sich nicht
dadurch befreien, dass zu jener Zeit selbst Richterinnen und Richter
sowie zahlreiche Anwälte des Kantons Bern aufgrund einer langjährigen
Übung auf die Rechtsverbindlichkeit einer entsprechenden, vor Erlass
des Scheidungsurteils erteilten Verzichtserklärung vertrauten. Nach dem
Grundsatz error iuris nocet schützt die subjektive Unkenntnis des Rechts
oder ein Vertrauen auf die Rechtsgültigkeit nicht vor den entsprechenden
Rechtsfolgen. Die Missachtung klaren Bundesrechts lässt sich mit
dem Hinweis auf eine abweichende kantonale Übung nicht rechtfertigen
(FELLMANN, Berner Kommentar, N. 359 f. zu Art. 398 OR, m.w.H.). Für die
Frage einer Sorgfaltspflichtverletzung ist hingegen unerheblich, dass
der Beklagte eine Rente von monatlich Fr. 400.- während acht Jahren in
der Ehescheidungskonvention an Stelle der gemäss "Berner Praxis" üblichen
einmaligen Fr. 1'000.- oder der symbolischen Fr. 100.- monatlich während
eines Jahres festsetzte. Dieses Vorgehen entgegen der "Berner Praxis"
hat lediglich Auswirkungen auf die Schadenshöhe.

    e) Gemäss den verbindlichen Feststellungen des Appellationshofs
sicherte der Beklagte dem Kläger zu, er werde die Rente nicht bezahlen
müssen. Insoweit erübrigt sich zu prüfen, ob der Beklagte sich seiner
Verantwortung durch hinreichende Aufklärung des Klägers über die
rechtliche Ungültigkeit der Verzichtserklärung hätte entziehen und
damit das entsprechende Risiko auf ihn übertragen können. Der Beklagte
hat jedenfalls mangels Aufklärung seine anwaltlichen Sorgfaltspflichten
verletzt.

Erwägung 4

    4.- a) Der Beklagte bringt zu seiner Entlastung sinngemäss vor,
der Kläger habe durch die Weigerung, eine Rückforderungsklage anhängig
zu machen, seine Obliegenheit zur Schadensverhinderung verletzt.

    b) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Appellationshofs
hatte der Beklagte dem Kläger eine staatsrechtliche Beschwerde oder mit
"besseren Chancen" eine Rückforderungsklage im Sinne von Art. 86 SchKG
vorgeschlagen. Der Beklagte war jedoch nicht bereit, für die gesamten
Kostenfolgen eines weiteren Verfahrens aufzukommen, wie der Kläger dies
forderte. Er bot ihm aber an, die staatsrechtliche Beschwerde auf seine
Kosten zu verfassen, wenn der Kläger die Gerichtskosten übernehme. Mit
Schreiben vom 7. August 1995 hatte der Beklagte ohne entsprechenden Auftrag
bereits den Anwalt der geschiedenen Frau des Klägers angefragt, ob er
im Hinblick auf die Rückforderungsklage auf einen Aussöhnungsversuch
verzichte. In der Folge wurden in dieser Angelegenheit jedoch keine
weiteren rechtlichen Schritte unternommen.

    c) Mangels Rechtserheblichkeit kann hier offen bleiben, ob die
Weigerung des Klägers, auf seine Kosten einen weiteren Prozess zu führen,
eine Verletzung seiner Schadensminderungsobliegenheit darstellt. Denn
einer staatsrechtlichen Beschwerde gegen den Rechtsöffnungsentscheid wäre
mit Sicherheit, einer Rückforderungsklage mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit kein Erfolg beschieden gewesen. Angesichts der
offensichtlichen Ungültigkeit der Verzichtserklärung hätte der Kläger
sich in einer Rückforderungsklage einzig auf Art. 2 Abs. 2 ZGB berufen
und geltend machen können, die Ehefrau handle widersprüchlich oder sie
habe in Folge langen Zuwartens die Rentenansprüche verwirkt.

    aa) Die Annahme eines widersprüchlichen Verhaltens im Zeitpunkt der
Verzichtserklärung stünde jedoch der völligen Ungültigkeit derselben
mangels richterlicher Genehmigung diametral entgegen und liefe auf
eine sachlich nicht gerechtfertigte Abschwächung der Rechtsfolgen von
Art. 158 Ziff. 5 aZGB hinaus, wonach diejenige Scheidungspartei geschützt
werden soll, die in Folge der noch bestehenden Ehe und der besonderen
Situation im Scheidungsprozess zu unbilligen Zugeständnissen gezwungen
werden kann (vgl. BGE 119 II 297 E. 3b; 107 II 10 S. 13; 102 II 65 E. 2;
BÜHLER/SPÜHLER, Berner Kommentar, N. 158 zu Art. 158 aZGB). An eine
missbräuchliche Rechtsausübung zufolge eines venire contra factum proprium
wäre höchstens zu denken, wenn die Ehefrau den Kläger im Zeitpunkt der
Verzichtserklärung in Kenntnis der Ungültigkeit des Verzichts über ihren
wahren Willen absichtlich getäuscht hätte, und der Kläger die rechtliche
Unwirksamkeit des Verzichts weder kannte noch hätte kennen müssen
(vgl. MERZ, Berner Kommentar, N. 561 zu Art. 2 ZGB). Da aber gerade der
Kläger anwaltlich verbeiständet war, kann von einem rechtsmissbräuchlichen
Verhalten auch in diesem Fall nicht die Rede sein.

    bb) Von missbräuchlicher Geltendmachung von Forderungsansprüchen
wegen Verwirkung kann innerhalb der gesetzlichen Verjährungsfristen im
Allgemeinen nur die Rede sein, wenn weitere, ganz besondere Umstände
hinzutreten, die das Zuwarten als Verstoss gegen Treu und Glauben
erscheinen lassen (vgl. BGE 116 II 428 E. 2; 94 II 37 E. 6b-c). Derartige
Umstände sind vorliegend nicht ersichtlich. Dem Gläubiger steht frei,
in welchem Zeitpunkt innerhalb der Verjährungsfristen er seinen
Anspruch geltend machen will, und es geht nicht an, die gesetzlichen
Verjährungsfristen auf dem Umweg über Art. 2 Abs. 2 ZGB zu verkürzen
(BGE 116 II 428 E. 2; 94 II 37 E. 6b und c; so auch: MERZ, Berner
Kommentar, N. 513 zu Art. 2 ZGB). Das muss erst recht gelten, wenn es
sich um eine relativ kurze - wie in casu fünfjährige - Verjährungsfrist
handelt. Das Bundesgericht hat einen Untergang von Rechten wegen langen
Zuwartens stets mit grosser Zurückhaltung und nur in Fällen angenommen,
in denen die Rechtsausübung mit der früheren Untätigkeit in unvereinbarem
Widerspruch stand. Dabei handelt es sich vorwiegend um Abwehr- und
Unterlassungsansprüche im Bereich des Persönlichkeits-, Wettbewerbs- und
Immaterialgüterrechts, für die gerade keine gesetzlichen Verjährungs-
oder Verwirkungsfristen vorgesehen sind, und bei denen der Berechtigte
eine Rechtsverletzung während langer Zeit widerspruchslos hingenommen
hat (vgl. BGE 117 II 575 E. 4 f.; 94 II 37 E. 6c; 85 II 120 E. 9; 79 II
305 E. 2a; ausführlich dazu: MERZ, Berner Kommentar, N. 515 bis N. 539
zu Art. 2 ZGB).

    d) Der Kläger hat daher seine Obliegenheit zur Schadensverhinderung
nicht verletzt, so dass sich der Beklagte nicht entlasten kann.

Erwägung 5

    5.- a) Zu den weiteren Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs
gegenüber dem beauftragten Anwalt gehören gemäss Art. 398 Abs. 2 i.V. mit
Art. 97 OR der Nachweis eines Schadens sowie der objektiven Zurechnung. Dem
Kläger obliegt somit der Beweis des Kausalzusammenhangs zwischen dem
haftungsbegründenden Ereignis - der Sorgfaltspflichtsverletzung -
und dem geltend gemachten Schaden. Dabei ist zu fragen, wie die Dinge
ihren Lauf genommen und wie insbesondere das Vermögen des Mandanten
sich entwickelt hätten, wenn der Anwalt die Pflichtverletzung nicht
begangen hätte. Demgegenüber obliegt dem Beklagten ein allfälliger
Exkulpationsbeweis.

    b) Das angefochtene Urteil enthält zur Frage des Schadens und der
objektiven Zurechnung keine Angaben. Die Streitsache ist daher zur weiteren
Abklärung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückweisen. Dabei wird der
Appellationshof - sofern entsprechende Behauptungen und Beweisanträge
prozesskonform aufgestellt worden sind - die Frage klären müssen,
ob die Ehe des Klägers auch mit einem geringeren oder überhaupt keinem
Unterhaltsbeitrag auf dem Weg der Konventionalscheidung hätte geschieden
werden können, weil die geschiedene Frau des Klägers beispielsweise
ohnehin über genügend Mittel oder eine anderweitige Abfindung verfügte,
oder ob das Gericht die Scheidungskonvention bei Vereinbarung einer weit
tieferen Unterhaltsrente nicht genehmigt hätte, wie der Beklagte in der
Berufungsantwort erneut vorbringt. Nach den verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen des Appellationshofs hatten sich der Kläger und seine
Ehefrau bereits anlässlich einer persönlichen Besprechung am 8. September
1986 auf die Vereinbarung einer der Höhe nach noch unbestimmten
"Pro-Forma-Rente" mit entsprechendem Verzicht geeinigt. Der Beklagte hätte
daher zu beweisen, dass das Gericht die Scheidungskonvention ohne oder
mit nur geringer Rente nicht genehmigt hätte, so dass der Kläger das
(teilweise) verwirklichte Risiko der Rentenzahlung ohnehin zu tragen
hatte, weil eine für ihn günstigere Alternative zur getroffenen Lösung
nicht möglich gewesen wäre. In diesem Fall hätte der Kläger keinen
Schaden erlitten.