Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 342



127 III 342

57. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. April 2001
i.S. M.T. gegen Ö.T. (Berufung) Regeste

    Art. 114 und 115 ZGB; Scheidung einer (zweiseitigen) Scheinehe.

    Eine zum Schein eingegangene Ehe kann nach Art. 114 ZGB geschieden
werden; der scheidungswillige Gatte darf auch Art. 115 ZGB anrufen
(E. 2). Der klagende Ehegatte kann Unzumutbarkeit im Sinne dieser
Bestimmung nicht allein mit Umständen begründen, aus denen hervorgeht,
dass er die Scheinehe heute nicht mehr eingehen würde (E. 3).

Sachverhalt

    M.T. und Ö.T. heirateten am 4. Juli 1997 in Zürich. Die Gattin
(M.T.) behauptet, als damals drogensüchtig gewesene Frau sei sie die
Ehe nur eingegangen, um mit den vom Gatten zugesicherten Fr. 30'000.-,
dem höchsten Angebot von mehreren Mitbewerbern, ihre Sucht finanzieren zu
können. Die Ehe sei von Beginn an nicht gelebt worden und der Gatte habe
mit deren Abschluss erreichen wollen, dass ihm eine Aufenthaltsbewilligung
erteilt werde. Ö.T. widerspricht dieser Darstellung und behauptet, er habe
sich erst Ende 1998 von seiner Gattin getrennt und liebe diese noch immer.

    M.T. legte gegen Ö.T. am 31. Mai 1999 Klage auf Scheidung, eventuell
auf Ungültigerklärung der Ehe ein. Auf das Eventualbegehren trat das
Bezirksgericht Zürich mit Urteil vom 11. April 2000 nicht ein. Die
Frage, ob die Ehe von beiden Parteien nur zum Schein eingegangen
worden sei, beurteilte das Gericht nicht und wies die auf Art. 115 ZGB
gestützte Scheidungsklage selbst für den Fall ab, dass die klägerischen
Sachverhaltsschilderungen zutreffen sollten. Auf Appellation der Klägerin
wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 13. November 2000
sowohl die Ungültigkeitsklage als auch die Scheidungsklage ab.

    Die Klägerin beantragt mit Berufung, das Urteil des Obergerichts
aufzuheben und die Ehe der Parteien unter Regelung der Nebenfolgen zu
scheiden; eventuell sei die Sache zur Durchführung eines Beweisverfahrens
über die relevanten Tatsachen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Den Antrag,
die Ehe ungültig zu erklären, hält sie vor Bundesgericht nicht aufrecht.
Dieses weist die Berufung der Klägerin ab, soweit es darauf eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Da sich der Beklagte der Scheidung bis heute widersetzt, kann
nach Ansicht des Obergerichts Art. 114 ZGB deshalb nicht greifen, weil die
Ehe erst seit dem 4. Juli 1997 besteht. Daher hat die Vorinstanz geprüft,
ob Art. 115 ZGB anwendbar ist, einen schwerwiegenden Grund im Sinne dieser
Bestimmung verneint und abschliessend erkannt, das Interesse des Beklagten
am Fortbestand der Ehe überwiege dasjenige der Klägerin an der Auflösung
vor Ablauf der Vierjahresfrist nach Art. 114 ZGB. Damit hat es zugleich
entschieden, eine Scheinehe könne grundsätzlich nach dieser Bestimmung
geschieden werden, lässt es doch ausdrücklich offen, ob vorliegendenfalls
die Ehe zum Schein geschlossen worden ist.

    a) Dem Reformgesetzgeber war das Problem der Scheinehe bekannt
und er sah mit Rücksicht auf das Ausländerrecht keine Notwendigkeit,
eine mit aArt. 120 Ziff. 4 ZGB (betreffend die sog. Bürgerrechtsehe)
vergleichbare Bestimmung einzuführen (Botschaft des Bundesrates über die
Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches vom 15. November 1995,
BBl 1996 I 77 Ziff. 224.21). Im Ständerat scheiterte der Antrag, mit
Art. 105 Ziff. 4 ZGB einen zusätzlichen Ungültigkeitsgrund zu schaffen,
"wenn die Ehe geschlossen wurde, um das Ausländerrecht zu umgehen" (AB
1996 S 753 ff.). Dem stimmte der Nationalrat zu (AB 1997 N 2671). Zwar
kann dem auf Grund einer Scheinehe in der Schweiz wohnenden Ausländer die
Aufenthaltsbewilligung entzogen werden (Art. 7 Abs. 2 ANAG [SR 142.20];
BGE 127 II 49 E. 4 S. 55 ff. mit Hinweisen; 123 II 49 E. 5c). Damit ist
aber unter dem Gesichtswinkel der Auflösung der Ehe noch nichts gewonnen.
Immerhin wollte der Gesetzgeber, dass eine Scheinehe geschieden werden
kann (AB 1996 S 754: Votum Küchler [Berichterstatter]; vgl. BBl 1996
I 92 Abs. 2 Ziff. 231.31), was voraussetzt, dass ein Ehepartner auf
Scheidung klagt (AB 1996 S 754: Voten Brunner und Béguin). An diesen
(jungen) gesetzgeberischen Willen ist das Bundesgericht gebunden (BGE
125 II 206 E. 4a a.E.; 124 III 350 E. 2b).

    Wohl ist Art. 114 ZGB entstehungsgeschichtlich im Zusammenhang mit
einer zerrütteten Ehe zu sehen. Weil der Gesetzgeber aber erreichen
wollte, dass die Geschichte der Ehe im Scheidungsprozess nicht dargelegt
und bewiesen werden muss, hat er Art. 114 ZGB so abgefasst, dass auf
die Qualität der Ehe, bzw. auf die Gründe für deren Verschlechterung
nicht eingegangen werden muss. Art. 114 ZGB stellt somit insofern einen
formalisierten Scheidungsgrund dar, als ein Getrenntleben von vier Jahren
auch gegen den Willen des Beklagten zur Scheidung berechtigt. Daher wird in
der Lehre überzeugend dargelegt, dass im Rahmen der Klage nach Art. 114 ZGB
beweismässig bloss zu klären ist, ab wann die Ehegatten getrennt leben,
damit über den Ablauf der Vierjahresfrist befunden werden kann; nur in
Ausnahmesituationen kann sich die Beweisfrage stellen, wann der Ehewille
erloschen ist (D. STECK, Die Scheidungsklagen [nArt. 114-117 ZGB], in:
Das neue Scheidungsrecht, S. 29 ff.; R. REUSSER, Die Scheidungsgründe
und die Ehetrennung, in: Vom alten zum neuen Scheidungsrecht, H. Hausheer
[Herausg.], Rz. 1.69 ff. und 1.75 f. S. 32 ff.; F. WERRO, Concubinage,
mariage et démariage, Rz. 521 ff. S. 118 f.; R. FANKHAUSER, in:
Praxiskommentar Scheidungsrecht, I. Schwenzer [Herausg.], N. 13 ff.,
19 ff. und 26 zu Art. 114 ZGB; SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen
Scheidungsrecht, N. 5 ff., 11 ff. und 18 zu Art. 114 ZGB; A. RUMO-JUNGO,
Die Scheidung auf Klage, in: AJP 1999 S. 1531 ff.; B. SCHNYDER, Supplement
1999, S. 45 f.).

    b) Nach dem Dargelegten kann bezüglich der Scheidung einer Scheinehe
nach Art. 114 ZGB nicht wie unter der Herrschaft von aArt. 142 ZGB
mit Rücksicht auf das Zerrüttungsprinzip argumentiert werden (BGE 121
III 149; dazu SCHNYDER, Rechtsprechungsbericht, in: ZBJV 133/1997 S.
39 f. und LÜCHINGER/GEISER, Basler Kommentar, ZGB Bd. I, N. 16 zu
aArt. 120 ZGB und N. 6 zu aArt. 142 ZGB). Eine Scheinehe kann nach
Art. 114 ZGB geschieden werden (S. FREI, Ehedauer/Ehescheidung - im
Spannungsfeld zu ausländerrechtlichen Vorschriften, in: Festschrift 125
Jahre Kassationsgericht des Kantons Zürich, S. 515 Mitte; R. RHINER, Die
Scheidungsvoraussetzungen nach revidiertem Schweizerischem Scheidungsrecht
[Art. 111-116 ZGB], Diss. Zürich 2001, S. 266 f.; vgl. BGE 126 I 165
E. 3a).

    Art. 114 ZGB ist gemäss seinem klaren und verbindlichen Wortlaut
(BGE 126 III 49 E. 2d S. 54) auf das Getrenntleben ausgerichtet. Diese
Norm kann somit nicht nur auf eine Ehe angewendet werden, die zwecks
Begründung einer echten Lebensgemeinschaft eingegangen wurde, sondern
auch auf eine Scheinehe. Daraus sind zwei Schlüsse zu ziehen: Erstens
muss eine solche Ehe auch nach Art. 115 ZGB als subsidiäre Bestimmung
aufgelöst werden können (FANKHAUSER, aaO, N. 4 zu Art. 114 ZGB; FREI,
aaO, S. 515 f.). Zweitens hat das Obergericht nicht Bundesrecht verletzt,
indem es die Frage, ob die Ehe zum Schein eingegangen wurde, offen gelassen
hat. Denn die Art. 114 und 115 ZGB sind so oder anders anzuwenden, weshalb
der Rückweisungsantrag der Klägerin (Art. 64 Abs. 1 OG), der sich offenbar
nur auf die Durchführung eines Beweisverfahrens über das Vorliegen einer
Scheinehe bezieht, abzuweisen ist.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht hält fest, eine Ehe könne nur ausnahmsweise nach
Art. 115 ZGB geschieden werden. In der Literatur werde von einem Notventil,
bzw. von einem Notausstieg gesprochen; auch nach der Rechtsprechung gelte
ein strenger Massstab. Der Gesetzgeber habe den schwerwiegenden Grund
nicht konkretisiert; dieser sei von der Gerichtspraxis gemäss Art. 4 ZGB
nach Ermessen zu ermitteln. Im konkreten Fall führt die Vorinstanz aus,
auch wenn man vom Sachverhalt ausginge, wie ihn die Klägerin schildere,
könne ihr das Abwarten der Vierjahresfrist zugemutet werden. Das Andauern
der von ihr von Anfang an nicht gewollten und bloss zwecks Beschaffung
von Geld für die Finanzierung ihrer Drogensucht eingegangenen Ehe sei
zumutbar. Ein schwerwiegender Grund im Sinne von Art. 115 ZGB könne auch
nicht in angeblichen Drohungen aus dem Umfeld des Beklagten erblickt
werden. Die Klägerin habe den Grund, den sie dafür anführt, dass ihr das
Weiterbestehen der Ehe dem rechtlichen Bande nach nicht zugemutet werden
könne, selber gesetzt. Sie könne somit aus dem Umstand, die Ehe nicht ihrem
Zweck entsprechend begründet zu haben, nichts für sich ableiten; sie habe
von Anfang an gewusst, dass das Interesse des Beklagten am Fortbestand
der Ehe das ihre an der Auflösung vor Ablauf der Vierjahresfrist nach
Art. 114 ZGB überwiege.

    a) Das Bundesgericht hat in zwei Urteilen zum Anwendungsbereich des
gegenüber Art. 114 ZGB subsidiären Scheidungsanspruches von Art. 115 ZGB
Stellung bezogen. Ob ein schwerwiegender Grund im Sinne dieser Bestimmung
gegeben ist oder ob dem klagenden Gatten das Abwarten der Vierjahresfrist
nach Art. 114 ZGB zugemutet werden kann, beurteilt der Richter nach Recht
und Billigkeit (Art. 4 ZGB; BGE 127 III 129 E. 3 S. 132 ff.; 126 III 404
E. 4 S. 407 ff.).

    b) Die Klägerin rügt zunächst, sie sei angesichts ihrer Drogensucht
zum Zeitpunkt des Eheschlusses nicht urteilsfähig gewesen. Die Vorinstanz
hätte berücksichtigen müssen, dass sie gar nicht in der Lage gewesen sei,
vernünftig zu handeln. Es sei notorisch, dass Drogensüchtige nicht fähig
seien, einsichtsgemäss zu handeln, und dass sie zu jedem Mittel greifen
würden, um ihre Drogensucht finanzieren zu können.

    Vorab muss der Klägerin entgegen gehalten werden, dass an die
Urteilsfähigkeit bezüglich der Konsequenzen des Eheschlusses nur
beschränkte Anforderungen gestellt werden dürfen (BGE 109 II 273 E. 2-4)
und dass derjenigen Partei, die die Ehe willentlich zum Schein eingegangen
ist, das Abwarten der Vierjahresfrist in der Regel zugemutet werden kann
(FREI, aaO, S. 516 oben).

    Selbst wenn das Bundesgericht von sich aus darauf abstellen
kann (BGE 98 II 211 E. 4a Abs. 1 a.E.; vgl. 117 II 321 E. 2), dass
drogensüchtige Menschen zwecks Finanzierung ihrer Sucht oft in die
Beschaffungskriminalität und in die Prostitution getrieben werden, ist
damit noch nicht erstellt, dass die Klägerin die Bedeutung des Eheschlusses
nicht erkennen konnte. Die Klägerin macht im Wesentlichen bloss geltend,
sie habe ihre Meinung zu ihrem damaligen Verhalten geändert, was für
sich allein nicht genügen kann. Sie begründet auch nicht überzeugend,
weshalb sie die Scheidungsklage erst fast zwei Jahre nach Eheschluss
erhoben hat. In dem von der Klägerin Dargelegten hat das Obergericht
ohne Verletzung von Bundesrecht keinen schwerwiegenden Grund im Sinne
von Art. 115 ZGB erblickt.

    c) Die Klägerin wendet gegen die Zumutbarkeit weiter ein, solange
die Scheinehe fortbestehe, könne sie nicht ruhigen Gewissens eine neue
Partnerschaft eingehen oder gar eine therapeutisch begrüssenswerte Ehe
schliessen.

    Es mag zutreffen, dass die Klägerin mit Rücksicht darauf, dass die
Ehe bis zum Ablauf der Vierjahresfrist andauert, gewisse Nachteile zu
tragen hat. Jedoch ist weder behauptet noch festgestellt (Art. 63 Abs. 2
OG), dass das rechtliche Band die Klägerin in therapeutisch nachteiliger
Hinsicht eingeschränkt hat. Indem die Klägerin bloss allgemein ausführt,
sie werde in der Suche eines Partners behindert, bringt sie nur vor,
was jeder Scheidungswillige geltend machen kann, der die Vierjahresfrist
von Art. 114 ZGB nicht abwarten will.

    d) Schliesslich macht die Klägerin geltend, für sie sei die Fortsetzung
der bloss registerrechtlich existierenden Ehe auch unzumutbar, weil
schon ihr Name sie tagtäglich an den begangenen Fehler erinnere; die
sofortige Scheidung würde einen Schlussstrich setzen und ihr einen
Neuanfang ermöglichen.

    Auch ein solches Bedürfnis nach neuer Regelung der Lebensverhältnisse
kommt bei Scheidungen oft vor und vermag noch keinen schwerwiegenden Grund
abzugeben. Aus derartigen Überlegungen auf Unzumutbarkeit zu schliessen
hiesse, die Anforderungen von Art. 115 ZGB verwässern mit der Folge,
dass das Anwendungsverhältnis zwischen Art. 114 und 115 ZGB auf den Kopf
gestellt würde. Der Beklagte wendet zu Recht ein, dass der Klägerin, die
angeblich bloss eine registerrechtliche Ehe eingehen wollte, zugemutet
werden kann, die Vierjahresfrist abzuwarten, zumal sie im privaten Verkehr
ihren angestammten Namen brauchen könne und die Vierjahresfrist schon
bald ablaufe. Die Klägerin übersieht, dass aus ihrer missbräuchlichen
Eheschliessung allein kein Unzumutbarkeitsgrund im Sinne von Art. 115
ZGB abgeleitet werden kann (RHINER, aaO, S. 320 lit. a Mitte).