Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 337



127 III 337

56. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Mai 2001
i.S. R. u. Mitb. gegen O.-Stiftung und Nebenintervenienten (Berufung)
Regeste

    Zweck der Stiftung gemäss Art. 80 ff. ZGB.

    Ein wirtschaftlicher Stiftungszweck ist zulässig (E.  2).

Sachverhalt

    A.- Am 16. April 1985 errichtete der 1995 verstorbene
O. die O.-Stiftung mit Sitz in X.; sie bezweckt gemäss Art. 2a der
Stiftungsurkunde die Erhaltung und Förderung des O.-Konzerns (nachfolgend
Konzern) als Familienunternehmen, ferner die Gewährung von Beiträgen zur
beruflichen Aus- und Weiterbildung von begabten Jugendlichen sowie deren
Förderung im Allgemeinen (Art. 2b), die Ausschüttung von Beiträgen an die
wissenschaftliche Forschung (Art. 2c), schliesslich die Fürsorge für die
Arbeitnehmer des Konzerns sowie für ihre Angehörigen und Hinterbliebenen
durch Gewährung von Unterstützung in Fällen von Alter, Tod, Krankheit,
Unfall, Invalidität, Arbeitslosigkeit und unverschuldeten Notlagen
(Art. 2e recte d).

    B.- Am 5. September 1997 klagten R., die Witwe von O.  sowie C. und
T. (nachfolgend Kläger) beim Kantonsgericht des Kantons Zug gegen die
O.-Stiftung (nachfolgend Beklagte) mit den Begehren, es sei festzustellen,
dass der Teilzweck gemäss Art. 2a der Stiftungsurkunde seit der
Gründung nichtig sei, und es sei Art. 2a aus der Stiftungsurkunde
zu streichen. Die Beklagte beantragte kostenfällige Abweisung der
Klage. J., E. und G. unterstützten als Nebenintervenienten den Antrag
der Beklagten. Am 27. Januar 1999 wies die angerufene Instanz die Klage
ab. Die von den Klägern gegen dieses Urteil erhobene kantonale Berufung
wies das Obergericht des Kantons Zug mit Urteil vom 21. November 2000 ab
und bestätigte den erstinstanzlichen Entscheid.

    C.- Gegen das obergerichtliche Urteil haben die Kläger Berufung beim
Bundesgericht eingereicht mit den Anträgen, das Urteil der Vorinstanz
sei aufzuheben und die Klage gutzuheissen; eventuell sei die Sache
zur Vervollständigung der Sachverhaltsfeststellungen an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Die Beklagte und das Obergericht beantragen Abweisung
der Berufung; die Nebenintervenienten E. und G. haben sich der Eingabe
der Beklagten angeschlossen. J. hat sich nicht vernehmen lassen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab und bestätigt den angefochtenen
Entscheid.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Zur Begründung ihres Standpunktes machen die Kläger einmal
geltend, der Stiftungszweck gemäss Art. 2a der Stiftungsurkunde sei rein
wirtschaftlich und deshalb rechtswidrig. Eine Unternehmensstiftung sei
jedenfalls dann unzulässig, wenn der von ihr geführte oder über eine
Holdinggesellschaft kontrollierte Betrieb keine idealen Ziele verfolge,
und wenn auch sonst keine besonderen Gründe vorlägen, welche die Führung
oder Kontrolle des Unternehmens durch eine Stiftung rechtfertigten. Es
bestehe kein Grund, Stiftungen oder Zweckbestimmungen in Stiftungsurkunden
zuzulassen, deren einziges Ziel es sei, auf Dauer einen gewöhnlichen
Betrieb oder die Aktien einer gewöhnlichen Betriebsgesellschaft zu
halten. Der Zwang, die Aktienmehrheit eines Unternehmens für alle
Zukunft zu halten, führe zu einer Starrheit, welche einem Unternehmen
nicht zuträglich sei. Dadurch würden Arbeitsplätze gefährdet. Sowohl
die Konferenz der kantonalen Stiftungsaufsichtsbehörden als auch die
Bundesaufsichtsbehörde orientierten sich an der in der Lehre vertretenen
Auffassung, wonach Stiftungen keine wirtschaftlichen, sondern nur ideale
Zwecke verfolgen dürften. Es sei nicht sinnvoll, dass sich Bund, Kantone
oder Gemeinden mit der Aufsicht über Unternehmen zu befassen hätten,
die keinerlei ideale Zwecke verfolgten.

    a) Die Beklagte übt eine unternehmerische Tätigkeit aus
(Unternehmensstiftung) und verfolgt, insbesondere gemäss Art. 2a der
Stiftungsurkunde, im Wesentlichen einen wirtschaftlichen Zweck. Sie führt
allerdings nicht selber ein Gewerbe (sog. Unternehmensträgerstiftung),
sondern ist massgeblich an einem wirtschaftlichen Unternehmen
beteiligt. Man spricht in diesem Fall von einer Holdingstiftung (so
bereits nicht veröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts vom 9. Februar
1999 i.S. R. E. 2b mit Hinweisen [5A.24/1998]).

    In der Rechtswirklichkeit verfolgen die Stiftungen in
der Regel einen idealen Zweck (so auch BGE 120 II 137 E. 3d S.
141). Unternehmensträgerstiftungen kommen zwar vor, spielen aber keine
zentrale wirtschaftliche Rolle; nach Schätzungen bestehen aber immerhin
über 1'000 solche Stiftungen (vgl. ROGER SCHMID, Die Unternehmensstiftung,
Diss. Zürich 1997, S. 45). Ziemlich verbreitet und zudem von erheblicher
wirtschaftlicher Bedeutung sind die Holdingstiftungen (vgl. SCHMID,
aaO, S. 45 ff. und Anhang 1 S. 229 ff.; ROLF H. WEBER, Juristische
Personen, in: Schweizerisches Privatrecht, II/4, § 4 III C, S. 65
f.). Der Rechtswirklichkeit ist bei der Auslegung insbesondere von
älteren Vorschriften Rechnung zu tragen (vgl. BGE 90 II 333 E. 2
S. 336, E. 7 S. 345). Wegen der Staatsaufsicht über Stiftungen,
der Unbeweglichkeit der Stiftungsform im wirtschaftlichen Leben, vor
allem aber wegen der ungünstigen Steuerfolgen sind Neugründungen von
Stiftungen zu wirtschaftlichen Zwecken in jüngerer Zeit selten geworden
(vgl. CHRISTIAN BRÜCKNER, Das Personenrecht des ZGB, Zürich 2000, S. 399).

    b) Das Bundesgericht hat in BGE 75 II 81 die Zulässigkeit einer
Holdingstiftung mit dem Zweck anerkannt, den Fortbestand einer GmbH zu
sichern. In BGE 110 Ib 17 E. 3d S. 22 hat es alsdann - allerdings in
einem obiter dictum - unter Hinweis auf Art. 52 Abs. 3 ZGB ausgeführt,
das Gesetz lasse für die Stiftung jeden nicht widerrechtlichen oder
unsittlichen Zweck zu.

    In der Lehre werden Unternehmensstiftungen teilweise in Frage gestellt
oder abgelehnt, jedenfalls wenn sie überwiegend wirtschaftliche Zwecke
verfolgen (vgl. ROLF BÄR, Aktuelle Fragen des Aktienrechts, in: ZSR 85/1966
II S. 532 ff.; MAX KUMMER, Die Unternehmung diesseits und jenseits der
Mauer, in: ZBJV 113/1977 S. 481; HANS MICHAEL RIEMER, Berner Kommentar,
Die Stiftungen, Systematischer Teil, N. 403 ff.; derselbe, Personenrecht
des ZGB, Bern 1995, S. 265; WALTER R. SCHLUEP, Privatrechtliche Probleme
der Unternehmenskonzentration und -kooperation, in: ZSR 92/1973 II S. 331
ff.; THOMAS SPRECHER/ULYSSES VON SALIS-LÜTOLF, Die schweizerische Stiftung,
Zürich 1999, S. 47, 69; MARIO PEDRAZZINI/NIKLAUS OBERHOLZER, Grundriss des
Personenrechts, 4. Aufl., Bern 1993, S. 255). Teilweise wird differenziert
zwischen Träger- und Holdingstiftungen, und es werden nur letztere als
zulässig erklärt (PETER BÖCKLI/THOMAS STAEHELIN, Steuerliche Aspekte des
Familienunternehmens im Generationenwechsel, in: ASA 48 S. 330). Ein Teil
der Lehre bejaht schliesslich die Zulässigkeit von Unternehmensstiftungen
unter Hinweis auf den Grundsatz der Stiftungsfreiheit und das Fehlen
einer ausdrücklichen gesetzlichen Einschränkung der Stiftungszwecke (FRANZ
GERHARD, Die Familienstiftung nach ZGB, in: ZSR 49/1930 S. 137 ff.; PETER
GNOS, Die Zulässigkeit der Unternehmensstiftung im Schweizerischen Recht,
Diss. Zürich 1971, S. 112; PETER LIVER, Rezension zu Riemers Kommentar
zum Stiftungsrecht, in: ZBJV 112/1976 S. 317 Anm. 1b; PEIDER MENGIARDI,
Strukturprobleme des Gesellschaftsrechts, in: ZSR 87/1968 II S. 663;
HAROLD GRÜNINGER, Basler Kommentar, N. 17 ff. insbes. N. 19 zu Art. 80
ZGB und weitere Hinweise bei SCHMID, aaO, S. 92 Fn. 348).

    c) Gemäss Art. 80 ZGB bedarf es zur Errichtung einer Stiftung der
Widmung eines Vermögens für einen besonderen Zweck (un but spécial;
un fine particolare). Im Gegensatz zum Vereinsrecht, welches die
Vereinsform ausschliesslich für nicht wirtschaftliche Zwecke zulässt
(Art. 60 Abs. 1, Art. 59 Abs. 2 ZGB), sieht das Stiftungsrecht mit Ausnahme
der Familienstiftungen (Art. 335 ZGB) keine Beschränkung der Zwecke vor
(vgl. dazu RIEMER, Berner Kommentar, N. 43 ff. zu Art. 80 ZGB). Art. 59
Abs. 2 ZGB liefert vielmehr einen Hinweis dafür, dass sich die Beschränkung
auf die Personenverbindungen wie Vereine, nicht aber auf Zweckvermögen
wie Stiftungen bezieht. Die Rechtsgeschäftsfreiheit allgemein und die
Stiftungsfreiheit im Besonderen lassen eine Beschränkung auf ideale
Zwecke nicht zu. Man mag sich zwar fragen, ob die staatliche Aufsicht
über solche Stiftungen notwendig und die dauernde, starre Bindung von
Gesellschaftskapital an eine juristische Person wirtschaftlich sinnvoll
ist. Diese Fragen sind indessen vom Gesetzgeber und von den Personen
zu entscheiden, welche eine Stiftung in Aussicht nehmen. In der Praxis
überwiegt offensichtlich mitunter das Bedürfnis, ein Vermögen dauernd
einem wirtschaftlichen Zweck zu widmen, die Nachteile der Staatsaufsicht
und der Starrheit der Stiftungsform.

    Die in der Lehre zusätzlich angeführten Argumente für die
Beschränkung der Stiftung auf nicht wirtschaftliche Zwecke vermögen
am vorliegenden Ergebnis nichts zu ändern (vgl. die detaillierte
Begründung bei RIEMER, Systematischer Teil, N. 403 ff. mit Hinweis auf
die Entstehungsgeschichte). RIEMER (Systematischer Teil, N. 404) begründet
das Verbot des wirtschaftlichen Zwecks bei der Stiftung mit den Materialien
bzw. mit einem Votum eines Mitgliedes der Expertenkommission. Dieses Votum
erweist sich allerdings als wenig aussagekräftig, und die darin angeblich
vertretene Einschränkung des Zwecks ist nicht Gesetz geworden. Angesichts
der Rechtswirklichkeit vermag das subjektiv-historische Auslegungselement
keine im Gesetz nicht vorgesehene Beschränkung der Stiftungszwecke zu
begründen. Sodann stellt weder der Hinweis, dass die Stiftung im ZGB
und nicht im OR geregelt ist, noch der Umstand, dass die im Personenrecht
geregelte Stiftung über einen "Namen" und nicht über eine "Firma" verfügt
(vgl. Art. 101 lit. b der Handelsregisterverordnung vom 7. Juni 1937 [SR
221.411]), noch schliesslich die Bemerkung, dass zwar eine Staatsaufsicht
und eine entsprechende Zuordnung jeder Stiftung zu einem Gemeinwesen, aber
kaum ein Gläubigerschutz besteht, einen Grund dar, um ohne gesetzliche
Grundlage in die Stiftungsfreiheit einzugreifen.

    d) Das Eidg. Justiz- und Polizeidepartement hat im Jahre
1993 einen Vorentwurf für eine Revision des Stiftungsrechts in die
Vernehmlassung gegeben, dessen zentrales Anliegen ein Teilverbot für
Unternehmensstiftungen gewesen ist. Mit der Beschränkung auf einen
nicht wirtschaftlichen, idealen Zweck (but idéal, principalement
non économique, fine ideale in misura preponderante non economico)
sollten die Unternehmensstiftungen auf klassische Stiftungsaufgaben
wie den Betrieb von Spitälern, Schulen und Heimen unter Ausschluss von
Industrie- und Dienstleistungsunternehmen beschränkt werden (vgl. dazu
ARTHUR MEIER-HAYOZ/PETER FORSTMOSER, Schweizerisches Gesellschaftsrecht,
8. Aufl., Bern 1998, § 22 N. 17 ff.; WEBER, aaO, S. 66). Die Reaktionen
sind unterschiedlich, der Widerstand ist zum Teil heftig ausgefallen
(vgl. die Diskussion bei SCHMID, aaO, S. 114 ff.; BRÜCKNER, aaO, S. 399
Fn. 150). Zurzeit wird das Vorhaben nicht weiterverfolgt (WEBER, aaO,
S. 66). Auch diese bisher erfolglosen Bemühungen um eine Einschränkung der
zulässigen Zwecke der Stiftung zeigen, dass diese nach geltendem Recht
nicht beschränkt sind. Bei dieser Sachlage bleibt es dabei, dass die
Beklagte nicht bereits deshalb nichtig ist, weil sie als Holdingstiftung
einen wirtschaftlichen Zweck verfolgt.