Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 328



127 III 328

54. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 11. Mai 2001
i.S. A. gegen X. AG (Berufung) Regeste

    Vertrag über die Schätzung einer Liegenschaft; Haftung des Gutachters.

    Abgrenzung zwischen Werkvertrag (Art. 363 OR) und Auftrag (Art. 394
OR); Anwendbarkeit des Auftragsrechts im konkreten Fall (E. 2).

    Auftragsrechtlicher Sorgfaltsmassstab (E. 3).

Sachverhalt

    A. (Kläger) und B. liessen durch die X. AG (Beklagte) im Rahmen eines
zwischen ihnen geführten Erbteilungsprozesses eine Verkehrswertschätzung
einer Liegenschaft in Z. erstellen. Mit Gutachten vom 21. Juni
1994 schätzte die Beklagte den Verkehrswert der Liegenschaft auf
Fr. 573'000.-. In der Folge stellten die mit der Erbteilung befassten
Gerichtsinstanzen mit ausdrücklichem Einverständnis des Klägers auf
diesen Wert ab und wiesen ihm die Liegenschaft unter Anrechnung eines
Wertes von Fr. 573'000.- zu Eigentum zu. Am 1. Juli 1999 verkaufte der
Kläger die fragliche Liegenschaft für Fr. 440'000.-.

    Bereits mit Schreiben vom 16. April 1999 hatte der Kläger der
Beklagten vorgeworfen, ihre Verkehrswertschätzung sei wesentlich zu
hoch ausgefallen und es sei ihm dadurch in der Erbteilung ein Schaden
entstanden. Zur Begründung brachte er vor, die Steuerverwaltung des Kantons
Thurgau habe den Verkehrswert am 29. Oktober 1998 auf Fr. 361'000.- und
die Thurgauer Kantonalbank am 21. Mai 1999 auf Fr. 445'000.- beziffert.
Zudem habe ein weiteres Gutachten vom 22. Oktober 1999 einen Verkehrswert
von Fr. 456'000.- ergeben. Von diesem Gutachten ausgehend, berechnete
der Kläger einen Schaden von gesamthaft Fr. 32'483.90, welchen er in
der Folge gerichtlich geltend machte. Nachdem die kantonalen Instanzen
die Klage abgewiesen hatten, gelangte der Kläger mit Berufung ans
Bundesgericht. Dieses weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Zunächst stellt sich die Frage, nach welchen Regeln die Haftung
der Beklagten zu beurteilen ist.

    a) Während sich der Unternehmer durch den Werkvertrag zur
Herstellung eines Werkes und der Besteller zur Leistung einer Vergütung
verpflichtet (Art. 363 OR), hat der Beauftragte die ihm übertragenen
Geschäfte vertragsgemäss zu besorgen (Art. 394 Abs. 1 OR). Das
Hauptabgrenzungskriterium zwischen Auftrag und Werkvertrag bildet der
Arbeitserfolg, den der Unternehmer im Gegensatz zum Beauftragten schuldet
(statt vieler HOFSTETTER, Der Auftrag und die Geschäftsführung ohne
Auftrag, in: Schweizerisches Privatrecht, Bd. VII/6, 2. Aufl., S. 19;
GAUCH, Der Werkvertrag, 4. Aufl., S. 7 f. Rz. 21 ff., je mit weiteren
Hinweisen).

    Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung können sowohl körperliche wie
auch unkörperliche Arbeitsergebnisse Gegenstand eines Werkvertrages bilden
(BGE 109 II 34 E. 3; 119 II 40 E. 2e; 115 II 50 E. 1; 112 II 41 E. 1a/aa
S. 46). Im vorliegenden Fall ist die Annahme eines Werkvertrages somit
nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei der vertraglich
geschuldeten Verkehrswertschätzung um eine geistige Leistung handelt. Da
das Gutachten überdies in schriftlicher Form vorliegt, kann offen
bleiben, ob die Anwendbarkeit des Werkvertragsrechts voraussetzt, dass
das unkörperliche Arbeitsergebnis eine gewisse Körperlichkeit erlangt
(dazu GAUCH, aaO, S. 14 Rz. 45 mit weiteren Hinweisen).

    b) Im Schrifttum sind die Meinungen über die Einordnung des
Gutachtervertrages geteilt. Ein beträchtlicher Teil der Lehre qualifiziert
den Vertrag über die Erstellung eines Gutachtens grundsätzlich als
Werkvertrag (ALFRED KOLLER, Berner Kommentar, N. 233 zu Art. 363
OR; BÜHLER, Zürcher Kommentar, N. 175 zu Art. 363; GAUCH, aaO, S. 99
f. Rz. 330 ff.; ZINDEL/PULVER, Basler Kommentar, N. 2 der Vorbemerkungen zu
Art. 363-379 OR; HÜRLIMANN, Der Architekt als Experte, in: Gauch/Tercier,
Das Architektenrecht, S. 435 Rz. 1434; ZR 54/1955 Nr. 183 S. 372). Andere
Autoren unterstellen den Gutachtervertrag mit uneinheitlicher Begründung
dem Auftragsrecht (FELLMANN, Berner Kommentar, N. 330 zu Art. 394 OR;
KAISER, Die zivilrechtliche Haftung für Rat, Auskunft, Empfehlung und
Gutachten, Diss. Bern 1987, S. 53; CORBOZ, SJK Nr. 458 S. 12; GAUTSCHI,
Berner Kommentar, N. 34a zu Art. 394 OR; vgl. auch HOFSTETTER, aaO,
S. 22; MERZ, in: ZBJV 127/1991 S. 253). Eine im Ergebnis vermittelnde
Auffassung schliesslich erachtet die Anwendung der werkvertraglichen
Gewährleistungsregeln trotz Vorliegens eines Werkvertrages als
ausgeschlossen, wenn der Arbeitserfolg nicht objektiviert festgestellt
werden kann (WERRO, Le mandat et ses effets, S. 30/1 Rz. 87).

    c) Gegenstand eines Gutachtervertrages können unterschiedlichste
Fragestellungen sein. So kann sich ein Sachverständiger verpflichten,
eine rein technische Frage zu beantworten oder zu einer Streitfrage auch
nur seine subjektive Meinung zu äussern. Diese Vielfalt der möglichen
Vertragsinhalte verlangt eine Differenzierung bei der rechtlichen
Einordnung des Gutachtervertrages.

    Namentlich technische Gutachten führen regelmässig zu einem Resultat,
welches nach objektiven Kriterien überprüft und als richtig oder falsch
qualifiziert werden kann. Die Richtigkeit des Gutachtensergebnisses
ist somit objektiv gewährleistungsfähig und kann als Erfolg versprochen
werden. In Bezug auf derartige Gutachten steht der Anwendbarkeit von
Werkvertragsrecht grundsätzlich nichts entgegen.

    Fehlen dagegen objektive Kriterien für die Beurteilung der Richtigkeit
des Gutachtensergebnisses, kann diese weder vom Gutachter gewährleistet
noch vom Auftraggeber überprüft werden. Die objektive Richtigkeit des
Resultats kann diesfalls nicht als Werk versprochen werden (so mit
Bezug auf das Rechtsgutachten etwa HÜRLIMANN, Der Anwalt als Gutachter,
in: Fellmann/Huguenin Jacobs/Poledna/Schwarz [Hrsg.], Schweizerisches
Anwaltsrecht, S. 398; HÖCHLI, Das Anwaltshonorar, Diss. Zürich 1991,
S. 13). Der Gutachter schuldet damit nicht einen Arbeitserfolg im Sinne
der objektiven Richtigkeit des Resultats, sondern nur - aber immerhin - ein
sorgfältiges Tätigwerden im Interesse des Vertragspartners und im Hinblick
auf einen bestimmten Erfolg, dessen Eintritt jedoch nicht garantierbar
ist. Der Vertrag erfüllt damit die Merkmale des Auftrages (vgl. statt
vieler WEBER, Basler Kommentar, N. 2 zu Art. 394 OR mit weiteren
Hinweisen). Es trifft zwar zu, dass die Vertragspflichten des Gutachters
bei genügend weiter Definition des Begriffes des Arbeitserfolges auch als
Werk qualifiziert werden könnten (vgl. KOLLER, Berner Kommentar, N. 68 zu
Art. 363 OR). Die Anwendung der werkvertraglichen Gewährleistungsregeln
mit den strengen Prüfungs- und Rügeobliegenheiten (Art. 367 ff. OR)
erscheint indessen nicht als sachgerecht, wenn das Ergebnis eines
Gutachtens nicht objektiv gemessen und bewertet werden kann (MERZ, aaO,
S. 253; ähnlich FELLMANN, Berner Kommentar, N. 329 zu Art. 394 OR). Ein
Gutachtervertrag ist daher als Auftrag zu qualifizieren, wenn die
Richtigkeit des Ergebnisses nicht objektiv garantiefähig ist. Inwiefern
die Garantiefähigkeit des Arbeitserfolgs auch für die Qualifikation anderer
als Gutachterverträge massgeblich sein könnte, braucht hier nicht geprüft
zu werden.

    d) Im vorliegenden Fall verpflichtete sich die Beklagte zur
Erstellung einer Verkehrswertschätzung. Die Schätzung des Wertes
einer Sache ist naturgemäss eine Ermessensfrage. Das Resultat einer
Verkehrswertschätzung kann deshalb nicht nach objektiven Kriterien
als richtig oder falsch bewertet werden. Nach dem Gesagten untersteht
ein derartiger Gutachtervertrag dem Auftragsrecht. Damit steht auch die
bundesgerichtliche Rechtsprechung in Einklang, welche den Vertrag über die
Schätzung eines Kunstgegenstandes (BGE 112 II 347) sowie die Erstellung
eines Kostenvoranschlages eines Architekten (BGE 122 III 61; 119 II 249)
nach den Regeln des Auftragsrechts beurteilt hat. Sind die Ansprüche des
Klägers somit nach Auftragsrecht zu beurteilen, sind sie weder verjährt
noch verwirkt (Art. 127 OR).

Erwägung 3

    3.- Eine vertragliche Haftung der Beklagten ist zu bejahen,
wenn sie bei der Erstellung des Gutachtens nicht mit der gehörigen
Sorgfalt vorgegangen ist. Das Mass der Sorgfalt bestimmt sich dabei
nach objektiven Kriterien. Erforderlich ist grundsätzlich die Sorgfalt,
welche ein gewissenhafter Vertragspartner in der gleichen Lage bei der
Erstellung einer Verkehrswertschätzung anzuwenden pflegt. Bestehen für eine
Berufsart oder ein bestimmtes Gewerbe allgemein befolgte Verhaltensregeln
und Usanzen, können sie bei der Bestimmung des Sorgfaltsmasses herangezogen
werden (BGE 115 II 62 E. 3a S. 64 mit Hinweisen).

    Das Bundesgericht verneint in der Folge eine
Sorgfaltspflichtverletzung.