Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 273



127 III 273

47. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. März 2001
i.S. J. Elmer Autokurier-Service gegen Gross Immobilien AG in Liquidation
(Berufung) Regeste

    Sicherheitsleistung des Mieters bei Übergang des Mietverhältnisses
(Art. 257e und 261 OR); Verrechnungsverbot im Konkurs (Art. 213 SchKG).

    Die Pflicht zur Hinterlegung der Mietzinskaution trifft jenen
Vermieter, der die Kaution vom Mieter oder Veräusserer des Mietobjekts
im Sinne von Art. 261 OR erhalten hat. Sie geht bei Veräusserung des
Mietobjekts nicht ohne weiteres auf den Erwerber über (E. 4c).

    Im Konkurs des Vermieters wird der Hinterlegungsanspruch grundsätzlich
zu einer Konkursforderung und kann nicht mit Mietzinsforderungen der
Masse verrechnet werden (E. 2-5).

Sachverhalt

    Die X. AG vermietete diverse Büro- und Lagerräume sowie Parkplätze
an A. Autokurier Service (Beklagter). Dieser leistete im April 1994
eine Kaution von Fr. 15'000.-, welche die Vermieterin jedoch nicht
gesetzeskonform hinterlegte. Am 29. Juli 1997 fiel sie in Konkurs. Im
Februar 1998 kündigte der Beklagte das Mietverhältnis. Die X. AG in
Liquidation (Klägerin) verlangte vom Beklagten Fr. 23'230.10 für nach
Konkurseröffnung angefallene Mietzinse. Dieser stellte den als Kaution
geleisteten Betrag zur Verrechnung. Das Bezirksgericht Baden liess die
Tilgung durch Verrechnung zu, während das Obergericht des Kantons Aargau
die Klage vollumfänglich schützte. Das Bundesgericht weist die Berufung
des Beklagten ab und bestätigt den Entscheid des Obergerichts, da Art. 213
SchKG der vom Beklagten angestrebten Verrechnung entgegen steht.

Auszug aus den Erwägungen:

                           Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG ist die Verrechnung
unzulässig, wenn der Gläubiger des Schuldners erst nach der
Konkurseröffnung Schuldner desselben oder der Konkursmasse wird. Bei
den Schulden, die der Beklagte durch Verrechnung zu tilgen gedenkt,
handelt es sich um Mietzinse, die nach Konkurseröffnung aufgelaufen
sind. Mietzinsforderungen entstehen mit Ablauf jeder Zahlungsperiode neu
(BGE 115 III 65 E. 3b S. 67; bestätigt in BGE 117 III 63 E. 2b S. 66,
wo es aber um die Unzulässigkeit der Verrechnung einer nur gegen den
Schuldner persönlich bestehenden Schuld mit einer Forderung der Masse
geht, vgl. STÄUBLI/DUBACHER, Basler Kommentar, N. 15 zu Art. 213
SchKG). Der Beklagte ist somit erst nach Eröffnung des Konkurses
Schuldner der Aktiengesellschaft in Liquidation beziehungsweise der
Konkursmasse geworden. Er kann daher vor Konkurseröffnung gegen seine
Vermieterin entstandene Forderungen nicht zur Verrechnung bringen
(JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, 4. Aufl., Zürich 1997/99, Bd. II, N. 31 zu Art. 213 SchKG; BISE,
La faillite du bailleur, in: 11e Séminaire sur le droit du bail, Neuchâtel
2000, S. 11; AMBERG, Der Konkurs des Vermieters: Folgen für den Vermieter;
Auswirkungen auf den Mietvertrag, in: Angst/Cometta/Gasser [Hrsg.],
Schuldbetreibung und Konkurs im Wandel, Basel 2000, S. 180). Zulässig
ist die Verrechnung dagegen, soweit dem Beklagten Ansprüche gegenüber
der Konkursmasse zustehen, da Art. 213 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG insoweit
einer Verrechnung nicht entgegen steht (JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, aaO,
N. 2 zu Art. 213 SchKG; STÄUBLI/DUBACHER, aaO, N. 19 zu Art. 213 SchKG;
FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem
Recht, 3. Aufl., Zürich 1993, Bd. II, § 52 N. 21; BISE, aaO, S. 11). Ob
der Beklagte aus der geleisteten Kaution derartige Rechte gegenüber der
Konkursmasse ableiten kann, ist daher im Folgenden zu prüfen.

Erwägung 3

    3.- a) Hinterlegt der Vermieter die Kaution gemäss den gesetzlichen
Vorschriften auf einem Konto, welches auf den Namen des Mieters lautet,
fällt die Kaution nicht in die Konkursmasse. Die daraus entstehenden
Rechte werden im Konkurs von der Konkursverwaltung wahrgenommen und gehen
bei Verwertung des Grundstücks auf den Erwerber über (Art. 261 OR; HIGI,
Zürcher Kommentar, N. 22 zu Art. 261-261a OR; BISE, aaO, S. 17; AMBERG,
aaO, S. 181). Dagegen fällt eine nicht ordnungsgemäss hinterlegte Kaution
grundsätzlich in die Konkursmasse (SVIT-KOMMENTAR, N. 16 und N. 27 zu
Art. 257e OR mit Hinweis; AMBERG, aaO, S. 181).

    b) Damit stellt sich für den Mieter zunächst die Frage, ob für
die Kaution ein Aussonderungsanspruch besteht und gegebenenfalls
verrechnungsweise geltend gemacht werden kann. Infolge Vermengung des
Mietzinsdepots mit anderen Geldern des Vermieters hat ein Eigentumswechsel
stattgefunden (AMBERG, aaO, S. 181). Das Hinterlegungsvertragsrecht,
welches Anwendung findet, sofern der Vermieter die Kaution einfach
in seinem Vermögen belässt (Art. 481 OR; mp 1997 S. 151), kennt keinen
konkursrechtlichen Aussonderungsanspruch (SCHÖNENBERGER, Zürcher Kommentar,
N. 8 zu Art. 481 OR). Damit bleibt zu prüfen, ob sich der Beklagte auf
Art. 401 Abs. 3 OR berufen könnte. Welche Vermögenswerte gestützt auf
diese Bestimmung vom Aussonderungsrecht erfasst werden, ist umstritten
(BGE 117 II 429 mit Hinweisen; JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, aaO,
N. 25 zu Art. 197; HANDSCHIN/HUNKELER, Basler Kommentar, N. 69 ff. zu
Art. 197 SchKG; RUSSENBERGER, Basler Kommentar, N. 22 zu Art. 242 SchKG;
AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Aufl.,
Bern 1997, § 40 N. 29; GILLIÉRON, Poursuite pour dettes, faillite et
concordat, 3. Aufl., Lausanne 1993, S. 287 f.; TSCHUMY, La revendication de
droits de nature à soustraire un bien à l'exécution forcée, Lausanne 1987,
S. 147 ff. und S. 184 ff.). Sie kommt aber in jedem Fall nur zur Anwendung,
wenn der auszusondernde Geldbetrag hinreichend individualisiert ist
(RUSSENBERGER, aaO, N. 20 f. zu Art. 242 SchKG mit Hinweisen; AMONN/GASSER,
aaO, § 40 N. 32 und § 24 N. 16). Dass diese Voraussetzung erfüllt wäre,
lässt sich den tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheides
nicht entnehmen. Mithin ist ein Aussonderungsrecht von vornherein nicht
gegeben, und der Beklagte macht denn auch kein solches geltend.

Erwägung 4

    4.- Der Beklagte ist der Auffassung, mit dem Konkurs gehe das
Mietverhältnis mit sämtlichen Rechten und Pflichten auf die Konkursmasse
über. Sie sei daher zur Herausgabe der Kaution verpflichtet, weshalb
Art. 213 Abs. 2 SchKG eine Verrechnung nicht ausschliesse.

    a) Nach Art. 211 Abs. 1 SchKG werden mit Konkurseröffnung grundsätzlich
sämtliche Konkursforderungen in Geldforderungen umgewandelt. Der
Konkursverwaltung steht aber das Recht zu, vom Schuldner geschlossene
Verträge zu erfüllen (Art. 211 Abs. 2 SchKG). Für Mietverträge bestimmt
indessen Art. 261 Abs. 1 OR, der Erwerber trete in das Mietverhältnis
ein, wenn dem Vermieter das Mietobjekt im Rahmen der Zwangsvollstreckung
entzogen werde (vgl. AMONN/GASSER, aaO, § 42 N. 33). Daraus ergibt sich
ohne weiteres, dass es im Gegensatz zu anderen zweiseitigen Verträgen
nicht im Belieben der Konkursverwaltung steht, ob sie den Vertrag
aufrechterhalten will. Die Masse braucht keinen Vertragseintritt im
Sinne von Art. 211 Abs. 2 SchKG zu erklären (BISE, aaO, S. 8; AMBERG, aaO,
S. 177; GILLIÉRON, aaO, S. 306; COLOMBARA, L'annotation au registre foncier
et la réalisation forcée des immeubles, Lausanne 1992, N. 723; LORANDI,
Mietverträge im Konkurs des Vermieters, in: mp 1998 S. 119), sondern das
Vertragsverhältnis dauert von Gesetzes wegen auch nach Konkurseröffnung
fort und geht gemäss Art. 261 OR bei der Verwertung auf den Erwerber
über, soweit der Mietvertrag im Verwertungsverfahren nicht im Rahmen des
Doppelaufrufs abgelöst wird (zum Doppelaufruf vgl. BGE 125 III 123 ff.;
BISE, aaO, S. 22 ff.; AMBERG, aaO, S. 188 ff. mit Hinweisen).

    b) Entgegen der Ansicht des Beklagten tritt jedoch die Konkursmasse,
im Gegensatz zu einem allfälligen Erwerber in der Zwangsvollstreckung,
nicht eigentlich in den Mietvertrag ein. Vertragspartner des Mieters
bleibt formell der Schuldner (GILLIÉRON, Bailleur et locataire d'une
chose immobilière dans l'exécution forcée, in: 7e Séminaire sur le
droit du bail, Neuchâtel 1992, S. 22 f. mit Hinweisen; COLOMBARA, aaO,
N. 723). Da aber die Vermieterin mit Eröffnung des Konkurses über das
Mietobjekt nicht mehr verfügungsberechtigt ist, muss der Mieter die
Gebrauchsüberlassung gegenüber der Konkursverwaltung geltend machen
(AMBERG, aaO, S. 179). Der Anspruch richtet sich gegen die Konkursmasse
als Sondervermögen, zu der das Mietobjekt gehört, und wird zu einer
Schuld der Konkursmasse (AMBERG, aaO, S. 177; LORANDI, aaO, S. 118 f.;
BISE, aaO, S. 10). Im Gegenzug stehen dieser die ab Konkurseröffnung
geschuldeten Mietzinse zu, welche zu Masseforderungen werden (BGE 117
III 63 E. 2b S. 66 mit Hinweis; BISE, aaO, S. 9; AMBERG, aaO, S. 180;
LORANDI, aaO, S. 119). Indessen bleibt das Mietverhältnis nach Art. 261 OR
bei der Veräusserung im Rahmen der Zwangsvollstreckung bestehen und geht
auf den Erwerber über. Soweit daraus Pflichten aus dem Mietvertrag auf den
Erwerber übergehen, muss dem Mieter auch gestattet sein, die entsprechenden
Forderungen gegenüber der Konkursmasse zu erheben, gegen die sich der
Anspruch auf Gebrauchsüberlassung während des Konkursverfahrens richtet.
Es wäre weder sachgerecht noch praktikabel, derartige Forderungen zunächst
als Konkursforderungen zu behandeln, um sie nach der Verwertung gegenüber
dem Erwerber wiederaufleben zu lassen. Geht im Rahmen einer Veräusserung
nach Art. 261 OR die Pflicht zur Hinterlegung der Kaution auf den Erwerber
über, ist der Mieter zur Erhebung seines Anspruchs auch gegenüber der
Konkursmasse berechtigt und ist die Verrechnung mit der Masse geschuldeten
Mietzinsen zulässig. Daher ist abzuklären, ob die Pflicht zur Hinterlegung
nach Art. 261 OR auf den Erwerber übergeht.

    c) aa) Bei der Veräusserung einer Liegenschaft bleibt der Mietvertrag
bestehen, und der Käufer tritt von Gesetzes wegen in den Mietvertrag mit
allen Rechten und Pflichten ein (HIGI, aaO, N. 22 zu Art. 261-261a OR;
SVIT-KOMMENTAR, N. 9 zu Art. 261-261a OR), in die hängigen Prozesse nur,
soweit sie Sachverhalte betreffen, die sich auch nach dem Parteiwechsel
auf das Mietverhältnis auswirken könnten (HIGI, aaO, N. 23 zu Art. 261-261a
OR). Der Eintritt in das Vertragsverhältnis erfolgt nicht rückwirkend, und
der Mieter kann nicht sämtliche Ansprüche, die er gegen den ehemaligen
Vermieter besass, auch gegen den Übernehmer des Mietobjekts erheben
(GUHL/KOLLER, Das Schweizerische Obligationenrecht, 9. Aufl., Zürich 2000,
§ 44 N. 63; vgl. auch BISE, aaO, S. 12).

    bb) Zur Erbringung der Kaution ist der Mieter verpflichtet (HIGI, aaO,
N. 9 zu Art. 257e OR), wogegen den Vermieter die Pflicht trifft, ein Konto
auf den Namen des Mieters einzurichten und die vom Mieter erhaltene Kaution
darauf einzuzahlen (HIGI, aaO, N. 24 zu Art. 257e OR; SVIT-KOMMENTAR,
N. 14 zu Art. 257e OR). Dieser Hinterlegungsanspruch richtet sich daher
nicht gegen den jeweiligen am Mietobjekt Berechtigten, sondern gegen
jenen Vermieter, dem der Mieter das Geld anvertraut hat (BJM 1998 S. 310
ff.; vgl. auch LACHAT/STOLL/BRUNNER, Mietrecht für die Praxis, 4. Aufl.,
Zürich 1999, S. 485 Fn. 75; zweifelnd GUHL/KOLLER, aaO, § 44 N. 63). Dies
ist gerechtfertigt, weil der Mieter die gesetzeskonforme Hinterlegung
der Kaution sofort zu fordern und bei Verzug des Vermieters mit fälligen
Mietzinsen zu verrechnen berechtigt ist (HIGI, aaO, N. 30 zu Art. 257e OR;
LACHAT/STOLL/BRUNNER, aaO, S. 235; SVIT-KOMMENTAR, N. 16 zu Art. 257e OR),
und es nicht der Übernehmer der Mietsache zu vertreten hat, wenn sich der
Mieter bislang nicht um die Hinterlegung der Kaution gekümmert hat. Der
Erwerber, der in ein bestehendes Mietverhältnis eintritt, kann den Mieter,
der die Kaution bereits dem Veräusserer bezahlt und nicht zurückerhalten
hat, nicht erneut zu deren Leistung anhalten (BISE, aaO, S. 17). Er muss
sich diesbezüglich mit dem Veräusserer auseinander setzen.

    Die Hinterlegungspflicht nach Art. 257e Abs. 1 OR ist aber nicht auf
Fälle beschränkt, in denen der Vermieter den Depotbetrag unmittelbar
vom Mieter empfängt. Denkbar ist, dass der ursprüngliche Vermieter
die vom Mieter entgegengenommene Kaution als solche dem Übernehmer der
Liegenschaft zukommen lässt. Diesfalls hat der Mieter das Recht, die
gesetzeskonforme Hinterlegung vom Übernehmer zu fordern. Allerdings
befreit die Geldübergabe an den Erwerber den Veräusserer im Verhältnis
zum Mieter nicht. Die Hinterlegungspflicht des Veräusserers erlischt
vielmehr erst mit deren Erfüllung, sei es durch den ursprünglichen oder
den neuen Vermieter.

    d) Daraus folgt, dass der Mieter in der Regel für die Geltendmachung
seiner Rechte aus gesetzwidrig nicht hinterlegter Kaution im Konkurs
des Vermieters auf die Kollokation angewiesen ist und die Pflicht zur
Hinterlegung nicht der Konkursmasse obliegt. Die Verrechnung mit nach
Konkurseröffnung anfallenden Mietzinsen ist deshalb nach Art. 213 Abs. 2
Ziff. 2 SchKG ausgeschlossen (im Ergebnis ebenso AMBERG, aaO, S. 182;
BISE, aaO, S. 11 und 17).

Erwägung 5

    5.- Was der Beklagte zur Begründung seines Verrechnungsanspruchs
ausführt, dringt nicht durch.

    a) Soweit sich der Beklagte darauf beruft, sein Anspruch auf die
Mietkaution werde erst bei Beendigung des Mietverhältnisses und damit
gegenüber der Konkursmasse fällig, verkennt er, dass der Anspruch des
Mieters auf korrekte Hinterlegung der Kaution mit deren Übergabe an
den Vermieter fällig wird (vgl. E. 4c/bb hievor). Was er möglicherweise
anspricht, ist die bei Beendigung des Mietverhältnisses stattfindende
Auseinandersetzung der Parteien über die Freigabe des Depots (Art. 257e
Abs. 3 OR), die aber nur im Falle korrekter Hinterlegung der Kaution zum
Tragen kommt.

    b) Ob allenfalls anders zu entscheiden wäre, wenn die Konkurseröffnung
in die kurze Zeitspanne fiele, die dem Vermieter für die Eröffnung
des Kautionskontos zugebilligt werden muss (LACHAT/STOLL/BRUNNER, aaO,
S. 235), und der Anspruch auf Hinterlegung vor Konkurseröffnung entsteht,
jener auf Herausgabe und damit verbunden die Möglichkeit zur Verrechnung
aber erst danach, kann offen bleiben, sind doch seit der Zahlung des
Beklagten Jahre verstrichen.