Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 173



127 III 173

29. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom
13. Februar 2001 i.S. A. (Beschwerde) Regeste

    Art. 19 Abs. 1 SchKG; Beginn des Fristenlaufs.

    Zustellung des kantonalen Beschwerdeentscheids an eine
Postlagernd-Adresse: Frage offen gelassen, ob in Analogie zu der bei
Briefkasten- und Postfachzustellungen geltenden Praxis die Sendung
als am letzten Tag einer Frist von sieben Tagen ab Eingang bei der
Bestimmungspoststelle zugestellt zu gelten hat (E. 1).

    Art. 57 Abs. 1 SchKG; Zivildienst.

    Die Zustellung von Zahlungsbefehlen während eines Zivildienstes des
Betriebenen ist nichtig (E. 3).

Sachverhalt

    Das Betreibungsamt X. liess im Luzerner Kantonsblatt in einer
Reihe von Betreibungen gegen den damals im Zivildienst weilenden
A. die Zahlungsbefehle veröffentlichen und in andern gegen den gleichen
Schuldner gerichteten Betreibungen bekannt geben, dass die Gläubiger das
Fortsetzungsbegehren gestellt hätten und die Pfändung am ... vollzogen
werde.

    Der Amtsgerichtspräsident von X. wies eine Beschwerde von A.
am 19. September 2000 ab, soweit er darauf eintrat.

    Am 11. Dezember 2000 wies das Obergericht (Schuldbetreibungs-
und Konkurskommission) des Kantons Luzern als obere Aufsichtsbehörde
seinerseits den Beschwerdeweiterzug von A. ab, soweit es darauf eintrat.

    A. nahm den Entscheid des Obergerichts am 4. Januar 2001 in
Empfang. Mit einer vom 13. Januar 2001 datierten und am 15. Januar 2001
zur Post gebrachten Eingabe führt er Beschwerde an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts. Diese stellt fest, dass die durch
öffentliche Bekanntmachung vollzogene Zustellung der Zahlungsbefehle
nichtig ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Obergericht hat seinen Entscheid am 15.  Dezember 2000
als eingeschriebene Sendung an die vom Beschwerdeführer bezeichnete
Postlagernd-Adresse (Postamt B.) aufgegeben. Mit Datum vom 18. Dezember
2000 teilte dieses Postamt der Vorinstanz mit, der Entscheid
habe noch nicht zugestellt werden können und werde auf Grund eines
(Zurückbehalte-)Auftrags des Adressaten vielleicht noch längere Zeit,
höchstens jedoch zwei Monate, lagern.

    a) Postlagersendungen bleiben (längstens) einen Monat bei der
Bestimmungspoststelle liegen (Publikation der Schweizerischen Post
"Briefpost Schweiz", S. 39 der Ausgabe Januar 1999 bzw. S. 38 der
Ausgabe Januar 2001; früher: Art. 166 Abs. 2 lit. a der Verordnung
(1) zum Postverkehrsgesetz). Nach der bisherigen bundesgerichtlichen
Rechtsprechung gilt eine solche Sendung, wird sie nicht früher abgeholt,
als am letzten Tag der Monatsfrist zugestellt, sofern der Adressat wie
hier, wo der Beschwerdeführer selbst den Entscheid der oberen kantonalen
Aufsichtsbehörde veranlasst hatte, mit der Zustellung hatte rechnen müssen
(BGE 111 V 99 E. 2c S. 102; vgl. auch BGE 116 III 59 E. 1c S. 61 f.). Es
fragt sich, ob an dieser Rechtsprechung, die demjenigen einen prozessualen
Vorteil verschafft, der sich den Entscheid einer Behörde "postlagernd"
zukommen lässt - was die Zustellungsform der Gerichtsurkunde ausschliesst
(S. 19 bzw. S. 10 der erwähnten Publikation der Post) - festgehalten
werden kann oder ob vom Adressaten, der einen Entscheid erwartet, nicht
zu verlangen ist, dafür zu sorgen, dass ihn die Post innerhalb der bei
Gerichtsurkunden oder eingeschriebenen Sendungen geltenden Abholfrist von
sieben Tagen (hier ab Eingang bei der Bestimmungspoststelle) erreicht (zum
Zurückbehaltungsauftrag vgl. BGE 123 III 492 ff.). Würde die genannte
Sieben-Tage-Frist als massgebend betrachtet, wäre die vorliegende
Beschwerde verspätet: Auf Grund der vom Postamt B. an die Vorinstanz
gerichteten Meldung vom 18. Dezember 2000 (Montag) ist davon auszugehen,
dass der angefochtene Entscheid (spätestens) an jenem Tag dort einging. Der
erste Tag der Frist wäre mithin der 19. Dezember und der siebte -
angesichts der Weihnachtsfeiertage - auf jeden Fall der 27. Dezember 2000
gewesen. Die zehntägige Frist von Art. 19 Abs. 1 SchKG hätte dann am 28.
Dezember 2000 zu laufen begonnen, zumal der angefochtene Entscheid sich
darauf beschränkt, den Beschwerdeweiterzug des Beschwerdeführers als
unbegründet abzuweisen, soweit auf jenen überhaupt einzutreten war, und
die Bestimmungen über Betreibungsferien und Rechtsstillstand (Art. 56
und 63 SchKG) somit nicht zum Tragen gekommen sind (dazu BGE^115 III 6
E. 4 und 5 S. 9 ff., 11 E. 1 S. 12 ff.). Da ausserdem Schuldbetreibungs-
und Konkurssachen von der Vorschrift über den Stillstand der Fristen
ausdrücklich ausgenommen sind (Art. 34 Abs. 2 OG), wäre das Ende der
Beschwerdefrist auf den 8. Januar 2001 gefallen (der zehnte Tag, der
6. Januar, war ein Samstag). Die Beschwerde ist indessen erst am 15. Januar
2001 zur Post gebracht worden.

    Rechtzeitig ist die Beschwerde demgegenüber, wenn dem Beschwerdeführer
auf Grund der bisherigen Rechtsprechung zugestanden wird, dass die
Beschwerdefrist zu laufen begonnen hat, als er den angefochtenen Entscheid
am 4. Januar 2001 in Empfang nahm. Der zehnte Tag ist in diesem Fall
der 14. Januar (Sonntag), so dass mit der Postaufgabe vom Montag, 15.
Januar 2001, die Frist gewahrt worden ist.

    b) Die Frage der Rechtzeitigkeit mag hier letztlich offen bleiben. Wie
darzulegen sein wird, hat die erkennende Kammer die Beschwerde ohnehin
von Amtes wegen zu behandeln.

Erwägung 3

    3.- Das Obergericht erklärt, die Vorschriften über den Rechtsstillstand
seien nicht im öffentlichen Interesse aufgestellt worden, sondern einzig
zum Schutz des Betreibungsschuldners. Die strittige Publikation von
Betreibungsurkunden, die in den vom 1. Februar 2000 bis 13. Februar 2001
dauernden Zivildienst des Beschwerdeführers gefallen ist, hat für die
Vorinstanz deshalb einzig zur Folge, dass die Zahlungsbefehle ihre Wirkung
erst nach Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Zivildienst entfalteten.

    a) Nach der seit dem 1. Januar 1997 geltenden Fassung von Art. 57
Abs. 1 SchKG besteht für einen Schuldner, der sich im Militär-, Zivil- oder
Schutzdienst befindet, während der Dauer des Dienstes Rechtsstillstand; hat
der Schuldner vor der Entlassung oder Beurlaubung mindestens 30 Tage ohne
wesentlichen Unterbruch Dienst geleistet, so besteht der Rechtsstillstand
auch noch während der zwei auf die Entlassung oder Beurlaubung folgenden
Wochen (Art. 57 Abs. 2 SchKG). Vom Rechtsstillstand ausgenommen sind
jedoch Betreibungen für periodische familienrechtliche Unterhalts- und
Unterstützungsbeiträge (Art. 57 Abs. 3 SchKG). Ausser in Arrestverfahren
oder wenn es sich um unaufschiebbare Massnahmen zur Erhaltung von
Vermögensgegenständen handelt, dürfen gegen einen Schuldner, dem der
Rechtsstillstand gewährt ist, keine Betreibungshandlungen vorgenommen
werden (Art. 56 Ziff. 3 SchKG). In der Betreibung auf Pfandverwertung
ist jedoch der Zahlungsbefehl auch während des wegen der erwähnten
Dienstleistungen gewährten Rechtsstillstandes zuzustellen, wenn dieser
drei Monate gedauert hat (Art. 57b Abs. 2 SchKG), und nach Art. 57c Abs. 1
SchKG kann der Gläubiger für die Dauer des genannten Rechtsstillstandes
verlangen, dass das Betreibungsamt ein Güterverzeichnis aufnehme.

    b) Die Publikation der gegen den Beschwerdeführer ergangenen
Zahlungsbefehle fiel mitten in die durch den Zivildienst begründete
Schonzeit. Nach der Rechtsprechung ist dem Verbot von Betreibungshandlungen
während der Schonzeit nicht (generell) eine absolute Wirkung beizumessen:
So wie eine aus einem andern Grund fehlerhafte Zustellung eines
Zahlungsbefehls nicht zwingend zu wiederholen ist (dazu BGE 112
III 81 E. 2b S. 84 f.; 104 III 12 E. 1 S. 13 mit Hinweisen), ist
beispielsweise auch die Zustellung während Betreibungsferien nicht
nichtig. Die Missachtung von Art. 56 Ziff. 2 SchKG hat einzig zur Folge,
dass die Betreibungshandlung ihre Rechtswirkung erst am ersten Tag nach
Ablauf der Betreibungsferien entfaltet (BGE 121 III 284 E. 2b S. 285 mit
Hinweisen). Diese Praxis ist dadurch gerechtfertigt, dass die in Frage
stehende Schonzeit allein den Schuldner schützen soll (vgl. BGE 117 III
39 E. 4b S. 42 mit Hinweis).

    Anders verhält es sich beim Rechtsstillstand wegen Militär-, Zivil-
oder Schutzdienstes: Hier geht es nicht nur um Individualinteressen
des Dienstpflichtigen, sondern auch um das Interesse der Allgemeinheit
daran, dass die zu erbringende Dienstleistung nicht beeinträchtigt werde
(vgl. FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach schweizerischem
Recht, 3. Aufl., I. Bd., § 13 Rz. 8; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, C-ommentaire
de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite,
N. 16 zu Art. 57; HUGO WYSSEN, Geschlossene Zeiten, Betreibungsferien
und Rechtsstillstand [Art. 56 ff. SchKG], Diss. Basel 1995, S. 130;
KARL RÜEGGER, Die Rechtsstellung des schweizerischen Wehrmannes in der
Schuldbetreibung, Diss. Zürich 1947, S. 11). So hat das Bundesgericht
denn entschieden, dass die Zustellung eines Zahlungsbefehls während
eines Militärdienstes gänzlich unbeachtlich, d.h. nichtig, sei. Der
Wehrmann müsse den ihm während des Dienstes zugestellten Zahlungsbefehl
ohne Nachteil vergessen dürfen und es dürfe ihm nicht zugemutet werden,
im Dienst etwas vorzukehren, das ihn nach der Entlassung an die fällige
Rechtsvorkehr erinnern solle (BGE 67 III 69 f.; im gleichen Sinne auch
der Entscheid der Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen
des Kantons Genf vom 27. April 1983, veröffentlicht in: BlSchK 1985 S. 93
f., Nr. 22; dazu ferner: FRITZSCHE/WALDER, aaO, § 13 Rz. 23; GILLIÉRON,
aaO, N. 13 und 29 zu Art. 57; WYSSEN, aaO, S. 131 oben; ALBERT KILLER,
Betreibungsferien und Rechtsstillstand, in: BlSchK 1966 S. 15 oben;
NICOLAS JEANDIN, Schuldbetreibung und Konkurs, Fristen, Betreibungsferien
und Rechtsstillstand, SJK 518 S. 20 f.; einheitlich für einen blossen
Aufschub der Wirkung: JAEGER, Schuldbetreibung und Konkurs, Zürich 1911,
N. 5 zu Art. 57 SchKG; AMONN/GASSER, Grundriss des Schuldbetreibungs-
und Konkursrechts, 6. Aufl., § 11 Rz. 34 f.).

    Gründe, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen, bestehen
nicht. THOMAS BAUER (Kommentar zum SchKG, N. 14 zu Art. 57) hält die
Nichtigkeitsfolge für nicht mehr zeitgemäss mit dem Bemerken, die Dauer
der dienstbedingten Abwesenheiten der heutigen Militär-, Zivil- oder
Schutzdienstpflichtigen lasse sich nicht mit der Länge des Aktivdienstes
(in Kriegszeiten) vergleichen. Von Art. 57 Abs. 2 SchKG (wonach der
Rechtsstillstand bei mindestens 30-tägiger Dienstdauer ohne wesentlichen
Unterbruch um zwei Wochen verlängert wird) abgesehen, trifft das Gesetz
indessen keine Unterscheidung nach der Länge des Dienstes. Namentlich
gilt die Schonzeit beispielsweise auch für zwei- oder dreiwöchige
Wiederholungskurse. Ausserdem zeigt gerade der vorliegende Fall, wo es
um einen mehr als einjährigen Zivildienst geht, dass auch heutzutage
Dienste von längerer Dauer durchaus vorkommen. Zu denken ist ebenfalls an
längere Einsätze von Armeeangehörigen im Ausland (dazu WYSSEN, aaO, S. 13)
oder an eine künftige Möglichkeit, die gesamte Militärdienstpflicht ohne
Unterbruch in einem Mal zu leisten. Entgegen der - nicht näher begründeten
- Auffassung von BAUER (aaO) fehlen ferner sachliche Gründe für eine
Sonderbehandlung von Zivildienst- und Zivilschutzdienstleistenden (so
auch JAEGER/WALDER/KULL/KOTTMANN, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, 4. Aufl., Zürich 1997, N. 7 zu Art. 57). Auch der einer solchen
Dienstpflicht Unterworfene ist davon zu bewahren, unter Umständen Monate
im Voraus Vorkehrungen treffen zu müssen im Hinblick auf eine rechtzeitige
Wahrung seiner Rechte nach Entlassung aus dem Dienst.

    c) Die vom Beschwerdeführer beanstandete öffentliche Bekanntmachung
von Zahlungsbefehlen ist nach dem Gesagten nichtig, zumal sie
offensichtlich nicht Betreibungen für familienrechtliche Unterhalts-
und Unterstützungsbeiträge (Art. 57 Abs. 3 SchKG) betrafen.