Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 127 III 111



127 III 111

18. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom
22. Januar 2001 i.S. Betreibungsamt X. (Beschwerde) Regeste

    Sicherungsmassnahmen im Retentionsverfahren (Art. 98 und 283 SchKG).

    Sicherungsmassnahmen dürfen (in analoger Anwendung von Art. 98 SchKG)
im Falle der Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses (Art. 283 SchKG)
erst getroffen werden, wenn der in der Prosequierungsbetreibung allenfalls
erhobene Rechtsvorschlag beseitigt ist (E. 3).

    Die Kosten für das vom Betreibungsamt bereits in einem früheren
Zeitpunkt angeordnete Auswechseln von Türschlössern dürfen nicht dem
Retentionsschuldner belastet werden (E. 4).

Sachverhalt

    Am 29. Dezember 1999 und 3. Januar 2000 nahm das Betreibungsamt X. für
Mietzinsforderungen der Y. AG gegenüber der Z. AG von Fr. 20'060.- in
den gemieteten Räumlichkeiten eine Retentionsurkunde auf. Im Verlaufe
des Vollzugs der Retention liess das Betreibungsamt das Schloss
der Eingangstüre zu den erwähnten Räumlichkeiten auswechseln, den
Schliesszylinder des direkt in die Räume führenden Warenlifts entfernen
und die Türe zum Lift mit einem Stahlkabel absperren. Erst später wurde
im Sinne von Art. 283 Abs. 3 SchKG die Betreibung eingeleitet.

    Das Betreibungsamt nahm in die für den Vollzug der Retention erstellte
Kostenrechnung (Totalbetrag: Fr. 1'626.40) unter anderem Fr. 217.70 als
"Kosten Schlüsseldienst" auf.

    Mit Eingabe vom 19. Januar 2000 erhob die Z. AG beim Bezirksgericht als
unterer kantonaler Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs- und Konkurssachen
Beschwerde und verlangte, es sei festzustellen, dass das Vorgehen des
Betreibungsamtes bei der Vornahme der Retention unzulässig gewesen sei,
und die Position "Kosten Schlüsseldienst" der im Retentionsverzeichnis
enthaltenen Kostenrechnung zu streichen.

    Das Bezirksgericht hiess die Beschwerde am 18. September 2000 teilweise
gut und wies das Betreibungsamt an, die Kostenrechnung um Fr. 169.30 zu
kürzen. Zur Begründung erklärte es, das vom Amt angeordnete Auswechseln
der Schliesszylinder sei unzulässig gewesen und die durch diese Vorkehr
verursachten Kosten dürften daher nicht der Retentionsschuldnerin
überbunden werden.

    Den vom Betreibungsamt erhobenen Rekurs wies das Obergericht
(II. Zivilkammer) des Kantons Zürich als obere kantonale Aufsichtsbehörde
durch Beschluss vom 16. November 2000 ab, soweit darauf einzutreten war.

    Hiergegen ist das Betreibungsamt an die Schuldbetreibungs- und
Konkurskammer des Bundesgerichts gelangt, die die Beschwerde abweist,
soweit darauf einzutreten ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Im Gegensatz zum Obergericht ist das beschwerdeführende
Betreibungsamt unter Berufung auf die Bestimmungen von Art. 98
Abs. 1 und 3 SchKG der Ansicht, es sei befugt gewesen, im Sinne einer
Sicherungsvorkehr die strittige Auswechslung der Türzylinder anzuordnen;
die Retentionsschuldnerin habe daher die damit verbundenen Kosten zu
ersetzen.

    a) In Art. 98 SchKG sind besondere Vorkehren zur Sicherung
beweglicher Pfändungsobjekte vorgesehen. So hat das Betreibungsamt Geld,
Banknoten, Inhaberpapiere, Wechsel und andere indossable Papiere wie auch
Edelmetalle und andere Kostbarkeiten, die es mit Pfändungsbeschlag belegt,
in Verwahrung zu nehmen (Art. 98 Abs. 1 SchKG). Die gleiche Massnahme
trifft es bei anderen Gegenständen, wenn es dafür hält, sie erscheine zur
Sicherung der durch die Pfändung begründeten Rechte als geboten (Art.
98 Abs. 3 SchKG). Nach einem schon wenige Jahre nach Inkrafttreten des
Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes gefällten Urteil der erkennenden
Kammer kommt eine sinngemässe Anwendung dieser pfändungsrechtlichen
Bestimmungen auf das Retentionsverfahren (Art. 283 SchKG) erst von dem
Zeitpunkt an in Frage, da dieses Verfahren in ein Stadium getreten sei,
das sich der Pfändung in der gewöhnlichen Betreibung gleichstellen
lasse. Davon könne erst gesprochen werden, wenn die Forderung, deren
Befriedigung aus den Retentionsobjekten angestrebt werde, in Betreibung
gesetzt, das Zwangsvollstreckungsverfahren also eingeleitet sei (BGE 29
I 71 E. 2 S. 74).

    In einem Entscheid der Aufsichtsbehörde des Kantons Bern vom 6. Mai
1949 (veröffentlicht in: BlSchK 1952 S. 90 ff., insbes. S. 91, E. 2)
und in der Literatur wird die Meinung vertreten, eine Verwahrung der
mit Retentionsbeschlag belegten Gegenstände durch das Betreibungsamt
sei unzulässig, solange (in der Prosequierungsbetreibung auf
Pfandverwertung) nicht ein allfälliger Rechtsvorschlag beseitigt bzw. das
Verwertungsbegehren gestellt worden sei (JAEGER, Kommentar zum SchKG,
Zürich 1911, N. 6 zu Art. 283, S. 346; JAEGER/DAENIKER, Schuldbetreibungs-
und Konkurs-Praxis der Jahre 1911-1945, N. 2 zu Art. 98 und N. 6 zu
Art. 283, S. 472; OTTO STUDER, Die betreibungsamtlichen Funktionen
im Retentionsverfahren für Miet- und Pachtzinsforderungen, in: BlSchK
1952 S. 167; vgl. auch ERNST BLUMENSTEIN, Handbuch des Schweizerischen
Schuldbetreibungsrechts, S. 537 unten, und PIERRE-ROBERT GILLIÉRON,
Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la
faillite, N. 20 zu Art. 98, die sich darauf beschränken, auf BGE 29
I 71 ff. zu verweisen). Vorbehalten werden Fälle, in denen gegen den
Mieter eine vollstreckbare Ausweisungsverfügung vorliegt (vgl. den
erwähnten Entscheid der Aufsichtsbehörde des Kantons Bern, in: BlSchK
1952 S. 91 f., E. 2; FRITZSCHE/WALDER, Schuldbetreibung und Konkurs nach
schweizerischem Recht, 3. Aufl., II. Bd., § 63 Rz. 23; SCHNYDER/WIEDE,
Kommentar zum SchKG, N. 62 zu Art. 283). Ebenso wird unter Berufung auf
BGE 37 I 556 die Möglichkeit einer amtlichen Verwahrung im Hinblick auf
einen in Analogie zu Art. 124 Abs. 2 SchKG durchzuführenden Verkauf rasch
verderblicher oder hohe Unterhaltskosten verursachender Sachen erwähnt
(FRITZSCHE/WALDER, aaO; GILLIÉRON, aaO; SCHNYDER/WIEDE, aaO).

    b) Ein Sonderfall mit Dringlichkeitscharakter der angeführten Art liegt
hier nicht vor, so dass dahingestellt bleiben mag, von welchem Stadium
des Retentionsverfahrens an eine amtliche Verwahrung der mit Beschlag
belegten Gegenstände bei einem solchen Fall als zulässig zu erachten wäre.
Für den Normalfall ist daran festzuhalten, dass eine sinngemässe Anwendung
von Art. 98 SchKG erst dann in Betracht fällt, wenn ein Verfahrensstand
erreicht ist, der sich bei der Betreibung mit demjenigen der Pfändung
vergleichen lässt. Von der Anerkennung des Zahlungsbefehls abgesehen,
darf die Pfändung erst vollzogen werden, nachdem der Rechtsvorschlag
beseitigt worden ist, mit andern Worten nach einer (wenn auch im Falle der
provisorischen Pfändung nicht abschliessenden) Prüfung des Bestandes der
der Betreibung zugrunde liegenden Forderung durch den Richter. Das Gleiche
hat im Falle der Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses bezüglich der
Prosequierungsbetreibung zu gelten. Auch hier kommt Art. 98 SchKG mithin
erst nach Beseitigung eines allfälligen Rechtsvorschlags zum Tragen.

    c) Der vom beschwerdeführenden Betreibungsamt angestellte Vergleich mit
dem Arrest geht fehl: Wohl ist die Aufnahme eines Retentionsverzeichnisses
in gewisser Hinsicht dem Arrestvollzug ähnlich. Indessen beruht dieser auf
einem Arrestbefehl, der im Anschluss an eine wenn auch bloss summarische
Prüfung des Bestandes der geltend gemachten Forderung durch den Richter,
d.h. einer vom Betreibungsbeamten unabhängigen Instanz, erlassen wird
(Art. 272 Abs. 1 Ziff. 1 und Art. 274 Abs. 1 SchKG). Hinzu kommt,
dass der vom Arrest Betroffene beim Arrestrichter sofort Einsprache
erheben kann (Art. 278 SchKG). Im Gegensatz zum Fall der Aufnahme eines
Retentionsverzeichnisses sieht das Gesetz (Art. 275 SchKG) schliesslich
ausdrücklich vor, dass beim Arrestvollzug neben anderen Bestimmungen des
Pfändungsrechts auch Art. 98 SchKG sinngemäss anwendbar ist.

Erwägung 4

    4.- Mit dem Auswechseln der Türschlösser hat das Betreibungsamt
bewirkt, dass von der Retentionsschuldnerin ermächtigte Personen am freien
Zugang zu den retinierten Gegenständen gehindert wurden. Im Ergebnis kommt
seine Vorkehr einer amtlichen Verwahrung gleich. Da die Massnahme schon
vor Einleitung der Betreibung zur Prosequierung des Retentionsverfahrens
angeordnet wurde, war sie nach dem Gesagten unzulässig, und es geht deshalb
nicht an, die mit ihr verbundenen Auslagen der Retentionsschuldnerin
zu überbürden. Die Beschwerde ist daher unbegründet.