Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 V 455



126 V 455

76. Auszug aus dem Urteil vom 25. Oktober 2000 i. S. J. und H. gegen
Schweizerische Ausgleichskasse und Eidg. Rekurskommission der AHV/IV
für die im Ausland wohnenden Personen Regeste

    Art. 84 Abs. 1 AHVG; Art. 103 lit. a OG; Art. 29 Abs. 1 BV:
Beschwerdeberechtigung. Das Recht zur Beschwerdeerhebung ist auch für den
Ehegatten des Adressaten einer auf Grund des AHVG erlassenen Verfügung
zu bejahen, wenn und soweit sich der Verwaltungsakt unmittelbar oder
allenfalls in einem späteren Zeitpunkt auf die Höhe seiner Altersrente
auswirkt oder auswirken kann; verfahrensrechtliche Konsequenzen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Eidg. Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen ist auf die Beschwerde des J. gegen die Rentenverfügungen
vom 14. August 1998 und die sie ersetzenden lite pendente erlassenen
Verfügungen vom 9. März 1999 nicht eingetreten, soweit sie seine
Ehefrau H. betrafen. Die Vorinstanz hat ihren Nichteintretensentscheid
damit begründet, der Ehemann gehöre nicht zu jenem Personenkreis,
der gemäss Art. 84 Abs. 1 AHVG zur Beschwerdeerhebung für die Ehefrau
befugt sei. Vielmehr benötige er eine Vertretungsvollmacht, die aber nicht
vorliege. Diese Betrachtungsweise wird in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
sinngemäss als bundesrechtswidrig gerügt.

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 84 Abs. 1 AHVG können die Betroffenen gegen die auf
Grund dieses Gesetzes erlassenen Verfügungen der Ausgleichskassen innert
30 Tagen seit Zustellung Beschwerde erheben. Dieses Recht steht auch
den Blutsverwandten in auf- und absteigender Linie und den Geschwistern
des Rentenansprechers zu. Zu den betroffenen Personen im Sinne von
Satz 1 dieser Bestimmung gehört nach dem Willen des Gesetzgebers
neben dem Adressaten der Verfügung (versicherte, beitragspflichtige
oder rentenberechtigte Person) auch dessen Ehegatte (PETER BINSWANGER,
Kommentar zum Bundesgesetz über die Alters- und Hinterlassenenversicherung,
Zürich 1950/51, S. 301 mit Hinweis auf die Materialien). Für das Recht
der Ehefrau oder des Ehemannes zur Beschwerde in eigenem Namen gegen eine
den Ehegatten betreffende Rentenverfügung im Besonderen spricht auch,
dass die eherechtliche Unterhaltspflicht der der Regelung im zweiten
Satz von Art. 84 Abs. 1 AHVG zu Grunde liegenden Unterstützungspflicht
der Verwandten in auf- und absteigender Linie vorgeht (Art. 328 Abs. 1
und 2 ZGB; vgl. BGE 123 III 6 Erw. 1b).

    b) aa) Das Eidg. Versicherungsgericht hat sich bisher, soweit
ersichtlich, zum Recht des Ehemannes oder der Ehefrau zur Beschwerde gegen
eine auf Grund des AHVG erlassene Verfügung, welche den Ehegatten betrifft,
nicht direkt im Zusammenhang mit Art. 84 Abs. 1 AHVG geäussert. In einem
älteren Urteil B. vom 28. Juli 1969 (RSKV 1969 Nr. 51 S. 118) führte
es in einem Streit um die Einstellung der Krankentaggeldleistungen an
einen Versicherten aus, dass in AHV- und IV-Sachen auch die Ehefrau als
"Betroffene" (Art. 84 Abs. 1 AHVG und Art. 69 IVG) gegen Verfügungen der
Ausgleichskasse, die den Ehemann betreffen, Beschwerde erheben kann. Mit
dieser Begründung und weil "die auch auf dem wirtschaftlichen Gebiet engen
Bande der ehelichen Gemeinschaft eine solche Lösung erfordern", bejahte
das Eidg. Versicherungsgericht das Recht der Ehefrau zur Beschwerde an
das kantonale Versicherungsgericht gegen die Weigerung der Krankenkasse,
ihrem Ehemann weitere Krankentaggeldleistungen auszurichten (RSKV 1969
Nr. 51 S. 120 Erw. 1).

    bb) In zwei neueren Urteilen K. und C. R. vom 8. November 1988
(ZAK 1989 S. 167) und W. und E. K. vom 31. Januar 1992 hatte das Eidg.
Versicherungsgericht zu prüfen, ob die Ehefrau eines Versicherten und
Adressaten einer auf Grund des AHVG erlassenen Verfügung in eigenem
Namen zur Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen den negativen Entscheid der
kantonalen Rekursbehörde legitimiert sei (Art. 103 lit. a in Verbindung
mit Art. 132 OG). In beiden Fällen, in welchen es um die Beitragspflicht
als Nichterwerbstätiger resp. die Berichtigung des individuellen Kontos
ging, wurde diese Frage bejaht.

    Im Urteil vom 8. November 1988 betreffend die Beitragspflicht als
Nichterwerbstätiger erwog das Eidg. Versicherungsgericht, die Ehefrau sei
von der Beitragsverfügung zu Lasten des Ehemannes ebenfalls betroffen im
Sinne von Art. 84 Abs. 1 AHVG und damit berührt im Sinne von Art. 103
lit. a OG. "Denn die Höhe einer künftigen Ehepaar-Altersrente,
an welcher sie zu gegebener Zeit mitbeteiligt sein wird, sowie die
Höhe einer allfälligen Witwenrente hängen u.a. vom durchschnittlichen
Jahreseinkommen des Ehemannes und mithin von den geleisteten Beiträgen ab
(...). Dass sie von der angefochtenen Beitragsverfügung berührt ist und ein
schutzwürdiges Interesse an deren Aufhebung hat, ergibt sich ferner aus dem
(...) Umstand, dass sie als erwerbstätige Ehefrau die Beiträge für ihren
als Hausmann tätigen Ehemann erbringen muss. Ihre Beschwerdelegitimation
muss demzufolge bejaht werden (...)" (ZAK 1989 S. 169 Erw. 2b).

    Im nicht veröffentlichten Urteil W. und E. K. vom 31. Januar 1992,
wo es um die Berichtigung des individuellen Kontos eines Versicherten
ging, führte das Eidg. Versicherungsgericht in Erw. 1 u.a. aus, sowohl im
Administrativverfahren als auch im kantonalen Prozess habe sich der Streit
darum gedreht, ob die Beiträge für die Heimarbeit der Frau auf das Konto
des Ehegatten verbucht worden seien oder ob allenfalls ein individuelles
Konto für sie selber bestehe. Daraus ergebe sich klar, dass E. K. von
der Ablehnungsverfügung betroffen sei im Sinne von Art. 84 Abs. 1 AHVG
und damit berührt im Sinne von Art. 103 lit. a OG. Ferner habe sie ein
schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung der angefochtenen Verfügung. Denn
sollten für sie bestimmte Beiträge im individuellen Konto des Ehemannes
verbucht sein, hätte das Auswirkungen für ihre eigene einfache Altersrente.

    Hinzuweisen ist schliesslich auf BGE 119 V 425, wo das Eidg.
Versicherungsgericht in einem Streit um die Auszahlung der Zusatzrente zur
ganzen Rente der Invalidenversicherung u.a. unter Hinweis auf RSKV 1969
Nr. 51 S. 118 die Beschwerdelegitimation (Parteistellung) der Ehefrau
des anspruchsberechtigten Ehemannes für das letztinstanzliche Verfahren
bejahte (BGE 119 V 427 Erw. 1).

    c) aa) Die am 1. Januar 1997 in Kraft getretene 10. AHV-Revision hat
an dem sich aus Art. 84 Abs. 1 AHVG dem Grundsatze nach ergebenden Recht
des Ehemannes oder der Ehefrau, in eigenem Namen gegen eine auf Grund des
AHVG erlassene Verfügung zu Lasten des Ehegatten Beschwerde zu erheben,
grundsätzlich nichts geändert. Zwar haben neu im Unterschied zum alten
Recht (alt Art. 22 Abs. 1 AHVG) beide Ehegatten, namentlich auch die
Ehefrau, einen eigenständigen Anspruch auf eine Altersrente (Art. 21
Abs. 1 AHVG; "Individualrentenkonzept": BGE 125 V 236 Erw. 3 in fine und
AHI 2000 S. 173 Erw. 2a in fine). Indes, ganz abgesehen von der auch nach
der Revision des Eherechts gemäss Bundesgesetz vom 5. Oktober 1984 (AS 1986
122 ff.) bestehenden Unterhalts-, Treue- und Beistandspflicht (Art. 159
ZGB) der Ehegatten, beeinflussen die Berechnungsgrundlagen (Art. 29bis
ff. AHVG) gegenseitig die Höhe der Renten. So wird das durchschnittliche
Jahreseinkommen (Art. 29quater AHVG) des Ehemannes und der Ehefrau in
den in Art. 29quinquies Abs. 3 AHVG normierten Fällen, insbesondere wenn
beide Ehegatten rentenberechtigt sind (lit. a), durch die Teilung und je
hälftige Anrechnung der gesamten während der Kalenderjahre der gemeinsamen
Ehe erzielten Erwerbseinkommen sowie, unter den tatbeständlichen
Voraussetzungen von Art. 29sexies Abs. 1 und Art. 29septies Abs. 1 AHVG,
von Erziehungs- und Betreuungsgutschriften (Art. 29sexies Abs. 3 und
Art. 29septies Abs. 6 AHVG) massgeblich mitbestimmt. Das altrechtliche
Ehepaarrentenkonzept sah im Übrigen ebenfalls die Mitberücksichtigung von
beitragspflichtigen Erwerbseinkommen der Ehefrau bei der Ermittlung des
durchschnittlichen Jahreseinkommens des (allein) anspruchsberechtigten
Ehemannes vor (vgl. alt Art. 32 Abs. 2 AHVG).

    bb) Unter dem Gesichtspunkt des Betroffen-Seins im Sinne des
Art. 84 Abs. 1 AHVG und damit des Rechts zur Beschwerdeerhebung von
Bedeutung ist sodann die Regelung des Art. 35 Abs. 1 AHVG, wonach die
Summe der Altersrenten eines Ehepaares (lit. a), oder wenn ein Ehegatte
Anspruch auf eine Altersrente und der andere Anspruch auf eine Rente der
Invalidenversicherung hat (lit. b), maximal 150 Prozent des Höchstbetrages
der Altersrente beträgt. Als Folge der Plafonierung der "Summe der beiden
Renten für Ehepaare" (vgl. die Überschrift zu Art. 35 AHVG) kann also die
Höhe der Altersrente (oder Invalidenrente) eines Ehegatten von Anfang an
oder nachträglich reduziert werden, und zwar im Verhältnis des Anteils
an der Summe der ungekürzten Renten (Art. 35 Abs. 3 AHVG). Diese Regel
greift allerdings nicht und eine Kürzung entfällt bei Ehepartnern, deren
gemeinsamer Haushalt richterlich aufgehoben wurde (Art. 35 Abs. 2 AHVG;
zur ratio legis dieser Bestimmung vgl. Amtl.Bull. 1993 N 210, 1994 S 606
[Gleichstellung mit Einzelpersonen und Konkubinatspaaren]).

    d) Zusammenfassend ist das Recht des Ehegatten des Adressaten
einer auf Grund des AHVG erlassenen Verfügung zur Beschwerdeerhebung
nach Art. 84 Abs. 1 AHVG zu bejahen, wenn und soweit sich der fragliche
Verwaltungsakt unmittelbar oder allenfalls in einem späteren Zeitpunkt
auf die Höhe seiner Altersrente auswirkt oder auswirken kann. Ist der
Ehegatte im dargelegten Sinne betroffen, kann insbesondere die Anordnung
der Ausgleichskasse später die Höhe seiner Altersrente beeinflussen,
ist er, soweit beschwert, auch legitimiert, gegen den Entscheid der
kantonalen Rekursbehörde gemäss Art. 84 Abs. 2 und Art. 85 Abs. 1
AHVG Verwaltungsgerichtsbeschwerde zu erheben (Art. 103 lit. a OG),
und zwar ungeachtet, ob er die Verfügung angefochten hatte oder nicht
(erwähntes Urteil W. und E. K. vom 31. Januar 1992 mit Hinweis auf
RKUV 1989 Nr. U 82 S. 432; vgl. auch BGE 119 V 425). Für den (gesamten)
verwaltungsgerichtlichen Prozess ergibt sich daraus folgerichtig für den
Fall, wo nur der Ehegatte, der nicht Verfügungsadressat war, Beschwerde
erhoben hat, dass der Verfügungsadressat ins Verfahren miteinzubeziehen
ist, als Partei, wenn er eigene Rechtsbegehren stellt, oder dann als
Mitinteressierter (vgl. BGE 119 V 427 Erw. 1 mit Hinweisen; vgl. auch ARV
1998 Nr. 41 S. 236 Erw. 1 sowie Praxis 1997 Nr. 30 S. 165 zu Art. 129
UVV). Aus verfahrensrechtlicher Sicht liesse sich schliesslich fragen, ob
die Verwaltung in Fällen, wo die Voraussetzungen der Plafonierung gegeben
sind, was sich betraglich direkt auf die Individualrenten im Sinne der
Erhöhung der einen und Senkung der andern auswirkt (vgl. Erw. 2c/bb), als
Ausfluss des verfassungsrechtlichen Gehörsanspruchs (Art. 29 Abs. 2 BV)
die beiden Rentenverfügungen beiden Ehegatten zu eröffnen hat (vgl. BGE
113 V 1). Diese Frage kann vorliegend indessen offen bleiben, da eine
Plafonierung nicht vorzunehmen ist.

Erwägung 3

    3.- War nach dem Gesagten J. berechtigt, in eigenem Namen gegen die
seine Ehefrau H. betreffenden Rentenverfügungen vom 14. August 1998 und vom
9. März 1999 Beschwerde zu erheben, hätte die Vorinstanz darauf eintreten
und die Rentenberechnung der Ausgleichskasse unter Berücksichtigung
der dagegen vorgebrachten Einwendungen überprüfen müssen. Dies wird sie
unter Beachtung der Verfahrensrechte der Ehefrau des Beschwerdeführers
nachzuholen haben.