Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 V 407



126 V 407

68. Auszug aus dem Urteil vom 22. September 2000 i.S. Amt für Arbeit
des Kantons St. Gallen gegen V. und Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen Regeste

    Art. 1 Abs. 3, Art. 55 Abs. 2 und 3 VwVG; Art. 8 Abs. 1 lit. f,
Art. 15 Abs. 1 AVIG: Suspensiveffekt. Keine aufschiebende Wirkung von
Beschwerden gegen Verfügungen, mit welchen die Vermittlungsfähigkeit
verneint wird.

Sachverhalt

    A.- V. ist im Besitze einer Aufenthaltsbewilligung N für Asylsuchende
und bezog seit 5. Oktober 1999 Leistungen der Arbeitslosenversicherung. Mit
Verfügung vom 20. Januar 2000 eröffnete ihr das Amt für Arbeit des Kantons
St. Gallen, ihre Vermittlungsfähigkeit sei ab dem 15. Dezember 1999 nicht
mehr gegeben. Einem allfälligen, hiegegen gerichteten Rekurs wurde die
aufschiebende Wirkung entzogen.

    B.- Hiegegen liess V. Beschwerde führen und unter anderem die Gewährung
der aufschiebenden Wirkung beantragen.

    Mit Zwischenentscheid vom 30. März 2000 entsprach das
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen dem verfahrensrechtlichen
Antrag. (...)

    C.- Das Amt für Arbeit führt gegen die Gewährung der aufschiebenden
Wirkung Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Es beantragt, es sei festzustellen,
dass die aufschiebende Wirkung im vorliegenden Fall weder entzogen noch
wiederhergestellt werden konnte. (...)

    Während V. sinngemäss auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliessen lässt, beantragt das Staatssekretariat für Wirtschaft deren
Gutheissung.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Es fragt sich, ob es sich bei der Verfügung vom 20. Januar 2000,
mit welcher der Versicherten die Vermittlungsfähigkeit ab dem 15. Dezember
1999 abgesprochen wurde, um eine positive, der aufschiebenden Wirkung
zugängliche oder aber um eine negative Verfügung handelt, bei welcher sich
die Frage der aufschiebenden Wirkung zum Vornherein gar nicht stellen kann.

    a) Nach vorinstanzlicher Auffassung handelt es sich bei dieser
Verfügung um eine leistungsaufhebende und somit positive Anordnung, da
die Vermittlungsfähigkeit für die Zeit vom 5. Oktober bis 14. Dezember
1999 nicht in Abrede gestellt werde.

    Demgegenüber legt das Arbeitsamt in der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
dar, die Auszahlung der Arbeitslosenentschädigung sei vor dem 15. Dezember
1999 ohne Kenntnis der fehlenden Anspruchsberechtigung der Versicherten
erfolgt und wäre mit der Begründung der fehlenden Vermittlungsberechtigung
nicht zulässig gewesen. Eine auf das Datum der Antragstellung vom
5. Oktober 1999 rückwirkende Prüfung sei im Verfügungszeitpunkt nicht
möglich gewesen, da bei der Chancenbeurteilung, durch die Abteilung
Ausländerbewilligungen des Amtes für Wirtschaft eine Arbeitsbewilligung
zu erhalten, die im Zeitpunkt der Abklärung gegebenen Verhältnisse
berücksichtigt werden. Aus Gründen der Gewährung des rechtlichen Gehörs
sei die Verneinung der Anspruchsberechtigung daher erst seit Kenntnisnahme
dieser Beurteilung durch die Versicherte erfolgt, somit ab 15. Dezember
1999. Dabei habe auf Grund der prospektiven Chancenbeurteilung die
Vermittlungsberechtigung für die Zeit vom 5. Oktober bis zum 14. Dezember
1999 nicht in Abrede gestellt werden können. Selbst wenn man der Ansicht
sei, für diesen Zeitraum sei mittels Abrechnungen und somit faktischer
Verfügungen über den Anspruch auf Versicherungsleistungen entschieden
worden, so sei der Anspruch zeitlich begrenzt und daher die Beschwerde
gegen die Verfügung vom 20. Januar 2000 keiner aufschiebenden Wirkung
zugänglich gewesen.

    b) Entgegen der Betrachtungsweise der Vorinstanz kann nicht davon
ausgegangen werden, es handle sich vorliegend um eine leistungsaufhebende
Verfügung, weil die Beschwerdegegnerin vom 5. Oktober bis zum 14. Dezember
1999 Leistungen der Arbeitslosenversicherung bezogen hat. Nach der
Rechtsprechung gilt eine leistungsverweigernde Anordnung als negative
Verfügung (BGE 123 V 41 Erw. 3, 117 V 188 Erw. 1b mit Hinweisen; siehe
auch BGE 124 V 84 Erw. 1a). Wird jedoch eine Versicherungsleistung aus
verfahrensrechtlichen Gründen ausnahmsweise gestützt auf eine prospektive
Beurteilung und vorbehältlich einer Abklärung der Anspruchsberechtigung
zugesprochen, so kann die darauf folgende leistungsverweigernde Verfügung
nicht einer im Sinne der Rechtsprechung leistungsaufhebenden Verfügung
gleichgestellt werden. Vielmehr kommen derartige Umstände denjenigen
gleich, die bei Verfügungen massgebend sind, welche den Anspruch auf
Versicherungsleistungen von Anfang an zeitlich begrenzen. Ferner ist zu
beachten, dass es sich bei den Taggeldern der Arbeitslosenversicherung -
etwa im Unterschied zu Dauerleistungen wie Renten - um vorübergehende
Leistungen handelt, bei welchen im Hinblick auf die Sicherstellung der
Schadenminderungspflicht und die berufliche Wiedereingliederung (Art. 17
AVIG) die Anspruchsvoraussetzungen periodisch überprüft werden müssen. So
hat der Versicherte monatlich seine Bemühungen um Arbeit nachzuweisen
(Art. 26 in Verbindung mit Art. 27a AVIV), was von der zuständigen
Amtsstelle monatlich zu überprüfen ist (Art. 26 Abs. 3 AVIV, in Kraft
seit 1. Januar 2000). Ferner hat die Amtsstelle mit jedem Versicherten
monatlich mindestens zweimal (seit 1. Januar 2000 mindestens einmal)
ein Beratungs- und Kontrollgespräch zu führen, bei dem unter anderem die
Vermittlungsfähigkeit überprüft wird (Art. 21 Abs. 1 AVIV in der bis Ende
1999 gültig gewesenen Fassung; Art. 22 Abs. 2 AVIV in der ab 1. Januar
2000 geltenden Fassung). Gelangt die Verwaltung anlässlich einer solchen
Prüfung zum Schluss, dass die Anspruchsvoraussetzungen nicht mehr gegeben
sind, so handelt es sich diesbezüglich um eine negative Verfügung (dies im
Gegensatz zu den Einstellungsverfügungen, welche die Anspruchsberechtigung
voraussetzen und eine teilweise Verweigerung des Taggelds zum Gegenstand
haben; BGE 124 V 84 Erw. 1a; Art. 30 Abs. 3 Satz 1 AVIG). Nicht anders
verhält es sich, wenn mit der angefochtenen Verfügung auch rückwirkend
über die Anspruchsvoraussetzungen entschieden wird. Insoweit stellen
solche Anordnungen negative Verfügungen dar (BGE 123 V 41 Erw. 3; nicht
veröffentlichte Präsidialverfügung T. vom 11. Mai 2000, in welcher nach
längerer Physiotherapiebehandlung die für weitere Leistungen vorausgesetzte
Wirtschaftlichkeit verneint und daher die Leistungen eingestellt wurden,
welcher Verwaltungsakt als negative Verfügung betrachtet wurde). Hinzu
kommt, dass mit der Verneinung der Vermittlungsfähigkeit nichts angeordnet
wurde, was der Vollstreckung bedürfte und insoweit einem Aufschub überhaupt
zugänglich wäre (BGE 117 V 188 Erw. 1b mit Hinweisen).

    Bei dieser Rechtslage bestand für die Gewährung der aufschiebenden
Wirkung kein Raum.

    c) Das mit dem Begehren um Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung
der gegen die Verfügung vom 20. Januar 2000 gerichteten Beschwerde
angestrebte Ziel bestand darin, vorderhand Leistungen zu erhalten, über
deren Anspruchsberechtigung die Verwaltung noch nicht befunden hatte. Dies
lässt sich durch Gewährung der aufschiebenden Wirkung einer gegen eine
negative Verfügung gerichteten Beschwerde indessen nicht erreichen. Die
aufschiebende Wirkung einer Beschwerde führt einzig dazu, dass die sich
aus dem Verfügungsdispositiv ergebende Rechtsfolge vorläufig nicht
eintritt, sondern gehemmt wird (GYGI, Bundesverwaltungsrechtspflege,
2. Aufl., S. 241). Der Beschwerdegegnerin ging es aber darum, lite
pendente diejenige neue Rechtslage zu schaffen, welche gegeben wäre,
wenn eine ihrem Hauptbegehren entsprechende Verfügung ergangen wäre, die
Verwaltung also Vermittlungsfähigkeit angenommen hätte und dementsprechend
auch nach dem 15. Dezember 1999 Taggelder auszahlen müsste. Dazu genügt
die aufschiebende Beschwerdewirkung aber nicht. Vielmehr bedürfte es
hiezu der Anordnung einer positiven vorsorglichen Massnahme (BGE 117 V
188 Erw. 1b mit Hinweisen).