Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 V 353



126 V 353

59. Urteil vom 23. Oktober 2000 i.S. "Winterthur" Schweizerische
Versicherungs-Gesellschaft gegen X.M. und Y.M. und
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Regeste

    Art. 7 Abs. 2 und Art. 8 Abs. 2 UVG; Art. 13 Abs. 1 UVV:
Arbeitswegunfall von Teilzeitbeschäftigten.

    - Frage, wie das Arbeitspensum von unregelmässig beschäftigten
Teilzeitangestellten zu ermitteln ist, weiterhin offen gelassen.

    - Der für die Annahme eines Arbeitswegunfalles erforderliche
Zusammenhang zwischen der Reise und der Arbeit wird durch eine
Unterbrechung oder Verzögerung von einer Stunde nicht aufgehoben,
unabhängig von den hiefür verantwortlichen Gründen. Bei Vorliegen
qualifizierter Gründe gilt der Zusammenhang selbst bei Überschreiten
dieser zeitlichen Marge noch nicht als aufgehoben.

    Art. 7 Abs. 2 und Art. 37 Abs. 2 UVG; Art. 31 und 69 lit. f des
Übereinkommens IAO Nr. 102; Art. 31 und 68 lit. f EOSS: Leistungskürzung.
Das staatsvertragliche Leistungskürzungsverbot findet auf Arbeitswegunfälle
keine Anwendung, auch nicht auf die (gemäss Art. 7 Abs. 2 UVG als
Berufsunfälle geltenden) Arbeitswegunfälle Teilzeitbeschäftigter mit einem
Wochenpensum von weniger als 12 Stunden (ab 1. Januar 2000: 8 Stunden).

Sachverhalt

    A.- Der 1965 geborene M. war ab 1. Juli 1995 teilzeitlich als Barmann
bei der A. AG tätig. Am 23. Oktober 1995 erlitt er einen Unfall, an dessen
Folgen er am 2. November 1995 verstarb. Er war mit seinem Motorrad mit
einem Lieferwagen, der sich auf seiner Fahrbahn befand, zusammengestossen.

    Die "Winterthur" Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft, welcher der
Unfall gemeldet wurde, klärte ihre Leistungspflicht ab und hörte zu diesem
Zweck am 22. November 1995 die Witwe, den Bruder sowie den Geschäftsführer
der ehemaligen Arbeitgeberin des Verstorbenen an (Aktennotiz vom
21. Dezember 1995). Ferner zog sie namentlich sämtliche Lohnabrechnungen,
eine Zusammenstellung der A. AG über die wöchentliche Arbeitszeit seit
Stellenantritt sowie einen Bericht des Instituts für Rechtsmedizin vom 8.
Dezember 1995 bei und veranlasste einen Zusammenruf der für M. bei den
Ausgleichskassen geführten individuellen Konten. Gestützt auf diese
Abklärungen kam die Winterthur zum Schluss, der Verstorbene habe als
Teilzeiterwerbstätiger nur über eine Versicherungsdeckung für Berufsunfälle
verfügt. Da sich der erlittene Unfall weder bei der Arbeit noch auf dem
Arbeitsweg ereignet habe, sei M. dafür nicht versichert gewesen. Nach
Gewährung des rechtlichen Gehörs erliess die Winterthur am 9. Mai 1996 die
entsprechende Abweisungsverfügung. Die dagegen erhobene Einsprache hiess
sie mit Entscheid vom 16. Dezember 1996 in dem Sinne teilweise gut, dass
sie das Vorliegen eines Arbeitswegunfalles bejahte, jedoch die Leistungen
wegen grobfahrlässiger Herbeiführung des Unfalles um 20% kürzte.

    B.- Hiegegen liessen die Hinterlassenen des Verstorbenen, seine
Ehefrau Y.M. sowie seine Tochter X.M., beim Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich Beschwerde erheben. Nach Beizug des von der Winterthur
eingereichten Strafurteils des Bezirksgerichts Zürich vom 28. Februar
1997 hiess das Gericht die Beschwerde mit Entscheid vom 8. Dezember 1998
insofern teilweise gut, als es die Leistungen ungekürzt zusprach.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Winterthur
das Rechtsbegehren stellen, der vorinstanzliche Entscheid sowie der
Einspracheentscheid seien aufzuheben und es sei zu erkennen, dass sie
keine Leistungen zu erbringen habe. Eventualiter seien die Leistungen um
20% zu kürzen.

    Die Hinterlassenen des Verstorbenen schliessen auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung hat
sich nicht vernehmen lassen.

Auszug aus den Erwägungen:

        Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- (Erweiterte Kognition; vgl. BGE 124 V 340 Erw. 1a mit Hinweisen).

Erwägung 2

    2.- Gemäss Art. 8 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 UVG
und Art. 13 UVV (in der vorliegend anwendbaren, bis 31. Dezember 1997
geltenden Fassung) sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer nicht gegen
Nichtberufsunfälle versichert, sofern ihre wöchentliche Arbeitszeit
nicht mindestens 12 Stunden (seit 1. Januar 2000: 8 Stunden [vgl. AS 1999
S. 2879]) beträgt. Für Teilzeitbeschäftigte, welche diese Mindestdauer
nicht erreichen, gelten auch Unfälle auf dem Arbeitsweg als Berufsunfälle
(Art. 7 Abs. 2 UVG in Verbindung mit Art. 13 UVV).

Erwägung 3

    3.- Arbeiten Teilzeitbeschäftigte unregelmässig, wie dies, was
letztinstanzlich unbestritten ist, beim Verstorbenen der Fall war,
stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien ihr Arbeitspensum bemessen
werden soll: MAURER (Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, 2. Aufl.,
Bern 1989, S. 117 N 196a) schlägt vor, das Pensum für jede Woche separat
zu bestimmen. Daher seien Teilzeitbeschäftigte jede einzelne Woche, in der
sie mindestens zwölf Stunden arbeiteten, für Nichtberufsunfälle versichert,
während die übrigen Wochen keine Nichtberufsunfallversicherung begründen
würden. Diese Lösung hat den Vorteil, dass sie ein klares Kriterium zur
Verfügung stellt. Sie beinhaltet indessen zwei Nachteile: Abgesehen davon,
dass mit ihr bei Arbeit auf Abruf (BGE 124 III 250 Erw. 2a) jeweils zu
Beginn einer Woche noch kein Versicherungsschutz für Nichtberufsunfälle
besteht, da noch unsicher ist, ob sich das Arbeitspensum bis Ende Woche
auf zwölf Stunden erhöhen wird, haben Teilzeitbeschäftigte auch keine
langfristige Klarheit über ihren Deckungsumfang, was ebenfalls eine
entsprechende Vereinbarung mit der sekundär für Unfälle eintretenden
Krankenversicherung (Art. 1 Abs. 2 lit. b KVG) verunmöglicht. Von einem
Teil der Lehre wird daher eine längere Bemessungsperiode zur Berechnung
der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit gefordert (SUSANNE
LEUZINGER-NAEF, Sozialversicherungsrechtliche Probleme flexibilisierter
Arbeitsverhältnisse, in: ERWIN MURER [Hrsg.], Neue Erwerbsformen -
veraltetes Arbeits- und Sozialversicherungsrecht?, Bern 1996, S. 118 mit
Hinweisen; STEPHAN RAGG, Die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers im
System der obligatorischen Unfallversicherung, Diss. Zürich 1997, S. 60
ff.). Die Empfehlungen der Ad-hoc-Kommission Schaden der UVG-Versicherer
Nr. 7/87 vom 4. September 1987 und Nr. 4/84 vom 18. Juli 1984, welche
für das Gericht zwar unverbindlich, jedoch unter dem Gesichtspunkt der
Rechtsgleichheit von gewisser Bedeutung sind (vgl. BGE 120 V 231 Erw. 4c,
114 V 318 Erw. 5c), stellen für die Ermittlung des Deckungsumfanges
von Teilzeitbeschäftigten auf den Durchschnitt von drei Monaten
ab. Dementsprechend ist für Nichtberufsunfälle versichert, wer entweder
über diesen Zeitraum im Durchschnitt aller Wochen, in denen er überhaupt
gearbeitet hat, mindestens zwölf Stunden beschäftigt war, oder aber in
der Mehrzahl aller Wochen, in denen gearbeitet wurde, ein Wochenpensum
von mindestens zwölf Stunden erreicht hat. Diese Kriterien sind einfach zu
handhaben, klar und voraussehbar. Welche der beiden Methoden (wochenweise
Betrachtung [Erw. 4a], alternative Durchschnittsmethode [Erw. 4b])
den Vorzug verdient, kann indessen vorliegend offen bleiben, weil die
Versicherungsdeckung, wie nachfolgend dargelegt, in beiden Fällen zu
bejahen ist.

Erwägung 4

    4.- a) Betrachtet man die Arbeitszeit des Verstorbenen
wochenweise, besteht im relevanten Zeitpunkt Versicherungsschutz gegen
Nichtberufsunfälle. Denn gemäss der in den Akten liegenden Bestätigung
der A. AG vom 1. Dezember 1995 betrug das Arbeitspensum des Verstorbenen
in der vor dem Unfall liegenden 42. Woche des Jahres 1995 (16.-22. Oktober
1995) 24,5 Stunden.

    b) Keine Deckung für Nichtberufsunfälle, sondern nur für Berufsunfälle
inklusive Unfälle auf dem Arbeitsweg liegt hingegen vor, wenn man mit
der Vorinstanz auf die alternative Durchschnittsmethode abstellt. Denn
danach erzielte der Verstorbene, wie im angefochtenen Entscheid zutreffend
dargelegt, einen Wochendurchschnitt von 8,7 Stunden (130,5 Std.:15 Wochen)
und erreichte nur in insgesamt vier Wochen ein Pensum von mindestens
zwölf Stunden. Für das Ereignis wäre der Verstorbene deshalb einzig dann
gedeckt, wenn es sich auf dem Arbeitsweg ereignet hätte, was nachfolgend
zu prüfen ist.

    aa) Nach der Rechtsprechung liegt der Arbeitsweg zwischen dem
Wohnort und dem Arbeitsort des Versicherten (BGE 97 V 207 Erw. 1; RKUV
1995 Nr. U 230 S. 199 Erw. 2b). Zwischen der Reise und der Arbeit muss
ein sachlicher Zusammenhang bestehen. Der Grund der Reise muss darin
liegen, die Arbeit aufzunehmen oder nach der Arbeit heimzukehren (EVGE
1962 S. 7 Erw. 2). Dabei gilt als Arbeitsweg der kürzeste, während der
normalen Zeiten und ohne Unterbruch zurückgelegte Weg. Diese Umschreibung
darf aber nicht engherzig ausgelegt werden; vielmehr ist den Umständen
des Einzelfalles sowie den herrschenden Lebensauffassungen und Sitten
angemessen Rechnung zu tragen (EVGE 1964 S. 13 Erw. 2). Nach der älteren
Rechtsprechung wurde kein Unterbruch des Arbeitsweges angenommen, wenn
der Versicherte vor oder während seiner Heimreise einen Kaffee trinken
geht oder wenn er einen kleinen Umweg macht und somit nicht mehr den
direktesten Arbeitsweg wählt. Wird aus persönlichen, keine Beziehung
zur beruflichen Tätigkeit aufweisenden Gründen ein grosser Unterbruch
oder Aufschub des Arbeitsweges vorgenommen oder ein grösserer Umweg
gemacht, wurde dagegen der sachliche und zeitliche Zusammenhang mit der
Arbeit verneint (EVGE 1962 S. 8 Erw. 2, EVGE 1962 S. 91). Nach MAURER
(aaO, S. 103 f.) ist im Hinblick auf die Rechtssicherheit generell eine
Unterbrechung bzw. Verzögerung von einer Stunde zuzulassen, und zwar ohne
Prüfung der hiefür verantwortlichen Gründe. Wird diese zeitliche Marge
überschritten, ist beim Vorliegen qualifizierter Gründe immer noch kein
Unterbruch des Arbeitsweges anzunehmen. Dieser Lehrmeinung ist zu folgen,
entspricht es doch der heutigen Lebensauffassung und den Sitten, dass auf
dem Arbeitsweg kleinere Besorgungen oder Kommissionen erledigt werden,
ohne dass damit der Charakter der Reise grundlegend ändern würde: Das Ziel
der Reise ist und bleibt die Arbeit, während die Wohnung den Ausgangspunkt
bildet oder umgekehrt. Ferner ist den Arbeitnehmenden in Bezug auf die
Frage nach der für den Weg an die Arbeit erforderlichen Zeit ein gewisser
Spielraum einzuräumen, und zwar so, dass sie nicht einzig deshalb, weil
sie diese grosszügig bemessen, der Unfalldeckung verlustig gehen.

    bb) Die Vorinstanz und die Winterthur haben den zeitlichen und
sachlichen Zusammenhang zwischen der Reise und der Arbeit bejaht, obwohl
der Verstorbene auf dem Weg an die Arbeit seine Mutter besuchen wollte. Für
beide war die Überlegung wegleitend, von einem Arbeitnehmer könne nicht
verlangt werden, dass er den direkten, kürzesten Weg benutze, der über
die Autobahn führe. Vielmehr müsse auch der Weg über Landstrassen oder
durch die Stadt zulässig sein, selbst wenn es sich dabei nicht mehr um
den direkten, kürzesten Weg handle. Vor dem Eidg. Versicherungsgericht
kommt die Winterthur auf ihren Einspracheentscheid zurück und bestreitet
nunmehr, entgegen ihrer damaligen Auffassung, das Vorliegen eines
Arbeitswegunfalles.

    Da sich der Unfall etwa um 15.00 Uhr in der L.-Strasse in Zürich
ereignete, ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass der Verstorbene
zwischen 14.30 und 14.45 Uhr von seinem Wohnort in Z. aufgebrochen
war. Nach unbestrittenen Angaben musste er die Arbeit um 17.20 Uhr
antreten, so dass ihm insgesamt gut 2 1/2 Stunden für das Zurücklegen
seines Arbeitsweges zur Verfügung standen. Richtigerweise muss ihm die
Wahl zwischen der Autobahn sowie dem Weg durch die Stadt Zürich und über
die Landstrasse nach W. offen stehen, zumal Motorradfahrer bekanntlich
für kürzere Strecken eher die Landstrasse als die Autobahn benutzen. Die
Versicherungsdeckung von dieser Wahl abhängig zu machen, wäre nicht
sachgerecht. Statt 40 Minuten musste der Verstorbene somit rund eine
Stunde für seinen Arbeitsweg einrechnen. Wird sodann eine einstündige
Marge für Besorgungen und/oder den Besuch bei seiner Mutter einberechnet,
bleibt noch eine halbe Stunde, die man dem Verstorbenen als zeitlichen
Spielraum für das rechtzeitige Erscheinen am Arbeitsplatz einräumen
muss. Bei dieser Sachlage stellt das streitige Ereignis, wenn auch im
Sinne eines Grenzfalles, einen versicherten Arbeitswegunfall dar.

Erwägung 5

    5.- Ist eine Leistungspflicht des Unfallversicherers für das Ereignis
vom 23. Oktober 1995 nach dem Gesagten zu bejahen, bleibt zu prüfen,
ob die Leistungen an die Hinterlassenen wegen Grobfahrlässigkeit zu
kürzen sind. Dabei ist zunächst zu klären, ob der fragliche Unfall vom
staatsvertraglichen Kürzungsverbot erfasst wird (Erw. 5a). Ist dies
zu verneinen, stellt sich die Frage, ob das Verhalten des Verstorbenen
als grobfahrlässig zu qualifizieren ist (Erw. 5b) und ob es den Unfall
(mit)verursacht hat (Erw. 5c). Schliesslich ist gegebenenfalls das Mass
der Kürzung zu prüfen (Erw. 5d).

    a) Nach Art. 37 Abs. 2 UVG (in der bis 31. Dezember 1998 gültigen
und gemäss Art. 118 Abs. 4 UVG hier anwendbaren Fassung) werden die
Geldleistungen gekürzt, wenn der Versicherte den Unfall grobfahrlässig
herbeigeführt hat. Bei Berufsunfällen sind Leistungskürzungen, anders
als bei Nichtberufsunfällen, nach staatsvertraglichem Recht unzulässig
(Art. 31 und 69 lit. f des Übereinkommens Nr. 102 der Internationalen
Arbeitsorganisation [IAO] über die Mindestnormen der Sozialen Sicherheit
vom 28. Juni 1952, für die Schweiz in Kraft seit 18. Oktober 1978, und
Art. 31 und 68 lit. f der Europäischen Ordnung der Sozialen Sicherheit
[EOSS] vom 16. April 1964, für die Schweiz in Kraft seit 17. September
1978; BGE 121 V 42 Erw. 2b, 46 Erw. 1, 119 V 179 Erw. 4d, mit Hinweisen).

    Während das staatsvertragliche Leistungskürzungsverbot somit nach
ständiger Rechtsprechung auf Nichtberufsunfälle keine Anwendung findet,
bleibt zu prüfen, wie es sich mit Arbeitswegunfällen verhält. Nach
schweizerischer Rechtsauffassung stellen Unfälle, welche eine
versicherte Person auf dem Weg zur oder von der Arbeit erleidet, in
der Regel keine Berufs-, sondern Nichtberufsunfälle dar (BGE 121 V 42
Erw. 2b, mit Hinweisen auf die Botschaft und die Lehre; vgl. auch BGE
121 V 326 Erw. 4a). Dies ergibt sich aus Art. 7 Abs. 2 UVG, wonach
für jene Teilzeitbeschäftigten, deren Arbeitsdauer das vom Bundesrat
festzusetzende Mindestmass (12 Stunden; Art. 13 UVV) nicht erreicht,
Unfälle auf dem Arbeitsweg als Berufsunfälle gelten. Indessen darf daraus
nicht geschlossen werden, dass das staatsvertragliche Kürzungsverbot die
(als Berufsunfälle geltenden) Arbeitswegunfälle Teilerwerbstätiger mit
einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 12 Stunden erfasst -
anders als die Arbeitswegunfälle aller anderen Erwerbstätigen, welche
als Nichtberufsunfälle betrachtet werden. Denn diese Unterscheidung
führte zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Bevorzugung von
Teilzeitbeschäftigten, deren wöchentliche Arbeitszeit weniger als
zwölf Stunden beträgt, gegenüber den anderen Teilzeit- sowie den
Vollzeitbeschäftigten. Eine solche Bevorzugung war vom Gesetzgeber nicht
beabsichtigt, ging es ihm doch einzig darum, die Auswirkungen des Art. 8
Abs. 2 UVG zu mildern und die Arbeitswegunfälle in die Versicherungsdeckung
einzubeziehen (ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Die Leistungskürzung oder
-verweigerung gemäss Art. 37-39 UVG, Diss. Freiburg 1993, S. 229 f.;
Botschaft des Bundesrates zum Bundesgesetz über die Unfallversicherung
vom 18. August 1976, BBl 1976 III 165 und 187; Amtl. Bull. 1979 N 167
ff.). Art. 7 Abs. 2 UVG hatte mithin nicht den Zweck, die Anwendung
von Art. 37 Abs. 2 oder Art. 39 UVG auf die Arbeitswegunfälle einer
bestimmten Gruppe von Versicherten auszuschliessen. Deshalb findet das
staatsvertragliche Leistungskürzungsverbot auf Arbeitswegunfälle generell
keine Anwendung, und zwar ungeachtet dessen, ob es sich um einen Unfall
von Teilzeitbeschäftigten mit einem Wochenpensum von weniger oder von
mehr als zwölf Stunden oder aber von Vollzeitbeschäftigten handelt.

    b) Die Verwaltung als verfügende Instanz und - im Beschwerdefall - das
Gericht dürfen eine Tatsache nur dann als bewiesen annehmen, wenn sie von
ihrem Bestehen überzeugt sind (KUMMER, Grundriss des Zivilprozessrechts,
4. Aufl., Bern 1984, S. 136). Im Sozialversicherungsrecht hat das
Gericht seinen Entscheid, sofern das Gesetz nicht etwas Abweichendes
vorsieht, nach dem Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit zu
fällen. Die blosse Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts genügt den
Beweisanforderungen nicht. Der Richter und die Richterin haben vielmehr
jener Sachverhaltsdarstellung zu folgen, die sie von allen möglichen
Geschehensabläufen als die wahrscheinlichste würdigen (BGE 125 V 195
Erw. 2, 121 V 47 Erw. 2a, 208 Erw. 6b mit Hinweis).

    Die im Polizeirapport vom 23. Oktober 1995 sinngemäss wiedergegebenen
Zeugenaussagen gingen alle dahin, dass der Verstorbene mit seinem
Motorrad der Marke Harley Davidson mit grossem Lärm und stark
übersetzter Geschwindigkeit (schätzungsweise mit 80 km/h bei einer
Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h) die L.-Strasse stadteinwärts fuhr. In
der im Rahmen des strafrechtlichen Verfahrens durchgeführten Einvernahme
vom 5. März 1996 lauteten die wörtlich protokollierten Zeugenaussagen
hinsichtlich der Geschwindigkeit etwas weniger apodiktisch: Die Zeugen
hielten zwar eine übersetzte Geschwindigkeit für gegeben. Ein Zeuge räumte
aber ein, der grosse Motorenlärm habe die Einschätzung der Geschwindigkeit
womöglich beeinflusst. Eine Zeugin konnte nicht mehr angeben, ob das
Motorrad mit 60, 80 oder 100 km/h unterwegs war, während eine andere
die Geschwindigkeit auf sicher mehr als 50 km/h, ja auf bis zu 80 km/h
schätzte. Somit liegt mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine zwar
nicht stark, aber gleichwohl übersetzte Geschwindigkeit vor. Überdies ist
nachgewiesen, dass die Fahrtüchtigkeit des Versicherten auf Grund des kurz
vor dem Unfall konsumierten Cannabis eingeschränkt war. Dieses Verhalten
stellt eine grobe Fahrlässigkeit dar, welche eine Kürzung der Leistungen
rechtfertigt, wenn zwischen dem Verhalten und dem Unfallereignis oder
seinen Folgen ein natürlicher und adäquater Kausalzusammenhang vorliegt
(BGE 121 V 48 Erw. 2c, 118 V 307 Erw. 2c).

    c) Ursachen im Sinne des natürlichen Kausalzusammenhangs sind alle
Umstände, ohne deren Vorhandensein der eingetretene Erfolg nicht als
eingetreten oder nicht als in der gleichen Weise bzw. nicht zur gleichen
Zeit eingetreten gedacht werden kann. Entsprechend dieser Umschreibung ist
für die Bejahung des natürlichen Kausalzusammenhangs nicht erforderlich,
dass das grobfahrlässige Verhalten die alleinige oder unmittelbare Ursache
des Unfalles ist; es genügt, dass das schuldhafte Verhalten zusammen
mit anderen Bedingungen den Unfall herbeigeführt hat, dieses mit anderen
Worten nicht weggedacht werden kann, ohne dass auch der Unfall entfiele
(vgl. dazu BGE 121 V 48 Erw. 2c, 119 V 337 Erw. 1, mit Hinweisen).

    Nach der Rechtsprechung hat ein Ereignis dann als adäquate Ursache
eines Erfolges zu gelten, wenn es nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
und nach der allgemeinen Lebenserfahrung an sich geeignet ist, einen
Erfolg von der Art des eingetretenen herbeizuführen, der Eintritt dieses
Erfolges also durch das Ereignis allgemein als begünstigt erscheint (BGE
123 III 112 Erw. 3a, 123 V 103 Erw. 3d, 139 Erw. 3c, 122 V 416 Erw. 2a,
je mit Hinweisen).

    Nach Beurteilung des Strafgerichts war der Lenker des Lieferwagens erst
unmittelbar vor dem Zusammenstoss auf die Gegenfahrbahn der L.-Strasse
eingebogen, wo ihm der vortrittsberechtigte Motorradfahrer ungebremst
in die rechte Seite fuhr. Das Sozialversicherungsgericht ist an die
Sachverhaltsfeststellung des Strafgerichts zwar nicht gebunden, kann aber
vorliegend darauf abstellen, da diese auf umfassenden Untersuchungen,
einlässlicher Einvernahme des beschuldigten Lenkers des Lieferwagens
und der Zeugen sowie auf nachvollziehbarer Würdigung der Aussagen
beruht. Die Tatsache, dass der Lenker des Lieferwagens erst kurz vor dem
Zusammenstoss auf die Fahrbahn des Motorradfahrers einbog, ändert indessen
nichts daran, dass die übersetzte, ungebremste Geschwindigkeit sowie die
beeinträchtigte Fahrtüchtigkeit des Versicherten wenigstens Teilursachen
für den Zusammenstoss und dessen erhebliche Folgen waren. Darüber hinaus
war das Verhalten des Verstorbenen nach der allgemeinen Lebenserfahrung
auch geeignet, den eingetretenen Unfall herbeizuführen.

    d) Die Kürzung der Leistungen im Sinne von Art. 37 Abs. 2 UVG erfolgt
nach Massgabe des Verschuldens. Es handelt sich dabei naturgemäss um
Ermessensentscheide. Das sie überprüfende Sozialversicherungsgericht
darf sein Ermessen nicht ohne triftigen Grund an die Stelle desjenigen
der Verwaltung setzen; es muss sich bei der Korrektur auf Gegebenheiten
abstützen können, welche seine abweichende Ermessensausübung als
naheliegender erscheinen lassen (BGE 123 V 152 Erw. 2 mit Hinweisen).

    Die Winterthur verfügte eine Leistungskürzung um 20% mit
der Begründung, der Verstorbene habe die innerorts höchstzulässige
Geschwindigkeit von 50 km/h massiv (was, wie in Erw. 5b dargelegt, nicht
zutrifft) überschritten und seine Geschwindigkeit nicht an die Strassen-,
Verkehrs- und Sichtverhältnisse angepasst. Obwohl bei übersetzter
Geschwindigkeit grundsätzlich eine Kürzung von 30% zulässig sei,
rechtfertige sich in Anbetracht des Vorliegens von unterhaltsberechtigten
Angehörigen eine Kürzung von 20%.

    Im Ergebnis ist die von der Winterthur verfügte Leistungskürzung
angemessen. Die Tatsache, dass der Unfallversicherer einerseits nicht
genügend berücksichtigte, dass das Verhalten des Verstorbenen zwar eine
Teilursache für den Unfall darstellte, jedoch der (wegen fahrlässiger
Tötung verurteilte) Lenker des Lieferwagens die massgebende Hauptursache
setzte, wird dadurch ausgeglichen, dass er die Kürzung ohne Einbezug
der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit auf Grund des Cannabis-Konsums
festgelegt hat. Da keine triftigen Gründe vorhanden sind, welche eine
abweichende Ermessensausübung als naheliegender erscheinen lassen, hätte
die Vorinstanz die von der Winterthur verfügte Leistungskürzung nicht
aufheben dürfen, weshalb die Verwaltungsgerichtsbeschwerde insoweit
gutzuheissen ist.

Erwägung 6

    6.- (Gerichtskosten und Parteientschädigung)