Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 V 273



126 V 273

46. Auszug aus dem Urteil vom 20. Oktober 2000 i.S. IV-Stelle
Basel-Landschaft gegen A. und A. gegen IV-Stelle Basel-Landschaft und
Versicherungsgericht des Kantons Basel-Landschaft Regeste

    Art. 6 Abs. 1 und 2, Art. 36 Abs. 1 IVG; Art. 3 Abs. 2 lit. b AHVG
(gültig gewesen bis 31. Dezember 1996); Art. 3 Abs. 1 und 3 AHVG; Ziff. 1
lit. c Abs. 1 Satz 1 der Übergangsbestimmungen der 10. AHV-Revision:
Invalidenrente und Übergangsrecht. Bei Versicherungsfällen, die vor dem 1.
Januar 1997 eingetreten sind, kann nicht rückwirkend vom Erfordernis
der persönlichen Beitragsentrichtung abgesehen werden. Daher hat eine
Antragstellerin, die bei Eintritt der Invalidität 1985 zufolge Wohnsitzes
versichert war, aber keine eigene Mindestbeitragsdauer von einem Jahr
aufwies, auch nach Inkrafttreten der 10. AHV-Revision, ungeachtet der
Beitragszahlungen ihres Ehegatten, keinen Anspruch auf eine Invalidenrente.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Streitig und zu prüfen sind die versicherungsmässigen
Voraussetzungen für den Bezug einer Invalidenrente.

    a) Nach Art. 6 Abs. 1 IVG haben Anspruch auf Leistungen alle bei
Eintritt der Invalidität versicherten Schweizer Bürger, Ausländer und
Staatenlosen. Ausländische Staatsangehörige sind nach Abs. 2 derselben
Bestimmung vorbehältlich des hier nicht relevanten Art. 9 Abs. 3 IVG nur
anspruchsberechtigt, solange sie ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt
in der Schweiz haben und sofern sie bei Eintritt der Invalidität während
mindestens eines vollen Jahres Beiträge geleistet oder sich ununterbrochen
während zehn Jahren in der Schweiz aufgehalten haben.

    Gemäss Art. 36 Abs. 1 IVG haben Anspruch auf eine ordentliche Rente
die rentenberechtigten Versicherten, die bei Eintritt der Invalidität
während mindestens eines vollen Jahres Beiträge geleistet haben.

    Die nicht erwerbstätigen Ehefrauen von Versicherten waren nach Art. 3
Abs. 2 lit. b AHVG (in der bis Ende 1996 gültig gewesenen Fassung) von
der Beitragspflicht befreit. Am 1. Januar 1997 trat die 10. AHV-Revision
in Kraft. Dabei wurde der soeben erwähnte Abs. 2 lit. b von Art. 3 AHVG
ersatzlos gestrichen. Neu sind die Versicherten gemäss Art. 3 Abs. 1
AHVG beitragspflichtig, solange sie eine Erwerbstätigkeit ausüben. Für
Nichterwerbstätige beginnt die Beitragspflicht am 1. Januar nach Vollendung
des 20. Altersjahres und dauert bis zum Ende des Monats, in welchem
Frauen das 64. und Männer das 65. Altersjahr vollendet haben. Nach Art. 3
Abs. 3 AHVG (in Kraft seit 1. Januar 1997) gelten die eigenen Beiträge
als bezahlt, sofern der Ehegatte Beiträge von mindestens der doppelten
Höhe des Mindestbeitrags bezahlt hat, bei:
      a. nichterwerbstätigen Ehegatten von erwerbstätigen Versicherten
      b. (...)

    Gemäss Ziff. 1 lit. c Abs. 1 Satz 1 der Übergangsbestimmungen zur
10. AHV-Revision (ÜbBest. AHV 10) gelten die neuen Vorschriften für alle
Renten, auf die der Anspruch nach dem 31. Dezember 1996 entsteht.

    b) Unbestrittenermassen reiste die Versicherte nach ihrer Heirat mit
einem italienischen Staatsangehörigen im August 1980 aus Italien in die
Schweiz ein. Eigene Beiträge an die Alters- und Hinterlassenenversicherung
oder Erziehungszeiten weist sie nur für einen Monat (Mai 1982) nach. Ihr
Ehemann hat seit der Einreise jedes Jahr mehr als den doppelten
Mindestbeitrag an die Alters- und Hinterlassenenversicherung geleistet.

    Im Rahmen eines ersten Rentengesuchs fasste die
Invalidenversicherungs-Kommission des Kantons Basel-Landschaft (heute
IV-Stelle) am 5. November 1990 einen Beschluss, wonach die Versicherte
seit dem 1. Mai 1985 (Ablauf der Wartezeit von einem Jahr gemäss
Art. 29 Abs. 1 lit. b IVG) zu 100% invalid sei. Mangels Erfüllung der
versicherungsmässigen Voraussetzungen (Fehlen eigener Beitragszahlungen)
lehnte die Ausgleichskasse Basel-Landschaft jedoch die Auszahlung einer
Rente mit Verfügung vom 20. März 1991 ab. Das zweite, vorliegend streitige
Gesuch lehnte die IV-Stelle Basel-Landschaft mit derselben Begründung ab.

    Die Vorinstanz hingegen erwog, dank der auf 1. Januar 1997
mit der 10. AHV-Revision in Kraft gesetzten neuen Regelung, wonach
die Mindestbeitragspflicht auch dann erfüllt sei, wenn der Ehegatte
bzw. die Ehegattin der betreffenden Person wenigstens das Doppelte des
Mindestbeitrags bezahlt habe, erfülle die Versicherte über die Beiträge
ihres Ehegatten nun die versicherungsmässigen Voraussetzungen. Dem
widerspricht die Beschwerde führende IV-Stelle mit dem Argument, das neue
Recht sei nur anwendbar, wenn der Versicherungsfall für die jeweilige
Leistungsart (hier: Invalidenrente) am 1. Januar 1997 oder später
eingetreten sei. Die Versicherte sei jedoch schon am 1. Mai 1985 invalid
geworden, ihr Versicherungsfall somit vor dem 1. Januar 1997 eingetreten,
weshalb die neue Regelung keine Anwendung finde.

    c) Zwar trifft zu, dass laut der am 1. Januar 1997 im Rahmen der
10. AHV-Revision in Kraft getretenen Fassung von Art. 6 Abs. 2 IVG bei
der Ermittlung der einjährigen Mindestbeitragsdauer für den ordentlichen
Rentenanspruch nach IVG keine persönliche Beitragsentrichtung mehr
nötig ist (BGE 125 V 254 Erw. 1). Dies verschafft der Versicherten aber
noch keinen Anspruch auf eine Invalidenrente. Vielmehr ist Folgendes zu
beachten: Die Invalidität gilt laut Art. 4 Abs. 2 IVG als eingetreten,
sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige
Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat. Vorliegend ist
nach dem Gesagten erstellt und im Übrigen nicht bestritten, dass der
Versicherungsfall (Eintritt der Invalidität bezüglich einer Rente) bereits
in den 80er Jahren eingetreten ist. Im damaligen Zeitpunkt waren die
versicherungsmässigen Voraussetzungen (einjährige Mindestbeitragsdauer)
nach den damals geltenden Rechtsvorschriften unbestrittenermassen nicht
erfüllt. Daher könnte die Versicherte nach neuem Recht nur dann Anspruch
auf eine Invalidenrente erheben, wenn bei Versicherungsfällen, welche
vor dem 1. Januar 1997 eingetreten sind, rückwirkend vom Erfordernis der
persönlichen Beitragsentrichtung abgesehen werden könnte. Wie das Eidg.
Versicherungsgericht in AHI 2000 S. 174 ff. Erw. 3-5 einlässlich dargelegt
hat, wollte der Gesetzgeber mit Ausnahme der in Ziff. 1 lit. f Abs. 2
(betrifft Witwenrenten geschiedener Frauen) und Ziff. 1 lit. h (betrifft
Staatsangehörige von Ländern ohne Sozialversicherungsabkommen mit der
Schweiz) ÜbBest. AHV 10 ausdrücklich geregelten Fälle keine Anknüpfung
neuen Rechts an früher eingetretene Versicherungsfälle (erster Satz
von Ziff. 1 lit. c Abs. 1 ÜbBest. AHV 10; vgl. ferner BGE 126 V 5 und
nicht veröffentlichtes Urteil H. vom 6. Dezember 1999). Der vorliegende
Sachverhalt lässt sich unter keine dieser Ausnahmen subsumieren. Demnach
muss es dabei sein Bewenden haben, dass im Zeitpunkt des Versicherungsfalls
für eine Rente die versicherungsmässigen Voraussetzungen nicht
erfüllt waren und die Versicherte sich nicht rückwirkend auf die erst
später in Kraft gesetzten Erleichterungen der 10. AHV-Revision berufen
kann. Da sich sodann auch aus dem Abkommen zwischen der Schweizerischen
Eidgenossenschaft und der Italienischen Republik vom 14. Dezember 1962
über Soziale Sicherheit nichts zu ihren Gunsten ableiten lässt, hat sie
keinen Anspruch auf eine Invalidenrente.