Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 V 241



126 V 241

41. Auszug aus dem Urteil vom 28. Juni 2000 i. S. K. gegen IV-Stelle für
Versicherte im Ausland und Eidg. Rekurskommission der AHV/IV für die im
Ausland wohnenden Personen Regeste

    Art. 4 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 29 Abs. 2 und Art. 22 IVG:
Eingliederung vor Rente. Der Rentenanspruch kann nicht entstehen, solange
Eingliederungsmassnahmen durchgeführt und dafür Taggelder ausgerichtet
werden.

Sachverhalt

    A.- Gestützt auf ein Schreiben des Bundesamtes für Sozialversicherung
(BSV) vom 10. März 1998 hob die IV-Stelle für Versicherte im Ausland die
der spanischen Staatsangehörigen K. (geboren in der Schweiz am 7. März
1971 und seit 1. August 1991 wohnhaft in Spanien) seit 1. April 1990
ausgerichtete ganze Invalidenrente mit Wirkung ab 1. Dezember 1998 auf
(Verfügung vom 2. Oktober 1998). Zur Begründung wurde ausgeführt,
der Eintritt der Invalidität sei seinerzeit bei der ursprünglichen
Rentenfestsetzung fälschlicherweise auf 1. April 1990 statt 1. April 1989,
den ersten Monatsbeginn nach Vollendung des 18. Altersjahres der nicht
weiter eingliederungsfähigen Versicherten, festgelegt worden. Könne sich
K. somit über kein Mindestbeitragsjahr vor Eintritt der Invalidität am
1. April 1989 ausweisen, was bisher übersehen worden sei, stehe ihr mangels
Erfüllung der versicherungsmässigen Voraussetzungen keine ordentliche und,
da in Spanien wohnhaft, auch keine ausserordentliche Invalidenrente zu.

    B.- Die seitens der Versicherten dagegen erhobene Beschwerde wies die
Eidg. Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen ab
(Entscheid vom 7. Juni 1999).

    C.- K. lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Rechtsbegehren, es sei ihr, unter Aufhebung von vorinstanzlichem Entscheid
und Verwaltungsverfügung, über den 1. Dezember 1998 hinaus weiterhin eine
ganze Invalidenrente zu gewähren.

    Die IV-Stelle schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das BSV lässt sich nicht vernehmen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- In dem von der IV-Stelle eingeholten Schreiben vom 10. März 1998
hat das BSV die Auffassung vertreten, die Beschwerdeführerin sei als
Geburtsinvalide zu betrachten. Dies habe zur Folge, dass der Rentenfall
am 1. April 1989 eingetreten sei, nachdem die Versicherte am 7. März
1989 das 18. Altersjahr vollendet habe. Die Tatsache, dass sie bei
und nach Vollendung des 18. Altersjahres im Rahmen einer erweiterten
Sonderschulung in Eingliederung stand und deswegen bis zum 31. März 1990
ein der AHV-Beitragspflicht unterliegendes kleines Taggeld bezog (Art. 22
in Verbindung mit Art. 25 IVG), betrachtete die Aufsichtsbehörde mit
Blick auf den Eintritt des Versicherungsfalles (Art. 4 Abs. 2 IVG) und die
Erfüllung des Mindestbeitragsjahres (Art. 36 Abs. 1 IVG) als unerheblich.

Erwägung 4

    4.- Unter der Geltung von Art. 4 Abs. 2 IVG in der ursprünglichen
Fassung (in Kraft seit 1. Januar 1960) blieb unklar, ob derselbe
Gesundheitsschaden mehrere (sukzessive) Versicherungsfälle bewirken
kann (EVGE 1966 S. 175, insbes. S. 178 f. Erw. 4). Diese Unsicherheit
bewog den Gesetzgeber im Rahmen der am 1. Januar 1968 in Kraft
getretenen 1. IV-Revision (Bundesgesetz vom 5. Oktober 1967), den
Invaliditätseintritt leistungsbezogen zu normieren. Diesem Zweck
dient Art. 4 Abs. 2 IVG, wonach die Invalidität als eingetreten gilt,
sobald sie die für die Begründung des Anspruchs auf die jeweilige
Leistung erforderliche Art und Schwere erreicht hat. Es entspricht
ständiger Rechtsprechung zu dieser Bestimmung, dass das IVG nicht
einen einheitlichen Versicherungsfall kennt, sondern dem System des
leistungsspezifischen Versicherungsfalles folgt (MEYER-BLASER, Bundesgesetz
über die Invalidenversicherung [IVG], in: MURER/STAUFFER [Hrsg.], Die
Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Sozialversicherungsrecht, Zürich
1997, S. 22 f. mit zahlreichen Hinweisen auf die Rechtsprechung).

Erwägung 5

    5.- Der Eintritt des Rentenfalles wird durch Art. 29 IVG
positivrechtlich geregelt. Abs. 1 lit. a und b dieser Bestimmung
umschreiben die beiden Entstehungsgründe des Rentenanspruches. Ausgerichtet
wird die Rente gemäss Art. 29 Abs. 2 IVG von Beginn des Monats an, in dem
der Anspruch entsteht, jedoch frühestens von jenem Monat an, der auf die
Vollendung des 18. Altersjahres folgt. Im Rahmen der seit 1. Januar 1988
in Kraft stehenden 2. IV-Revision (Bundesgesetz vom 9. Oktober 1986)
erfuhr die letztgenannte Norm eine Ergänzung, nach welcher der Anspruch
nicht entsteht, solange der Versicherte ein Taggeld nach Art. 22 IVG
beanspruchen kann. Damit wurde nunmehr auf der Ebene des Gesetzes -
und nicht wie früher nur auf Verordnungsstufe (vgl. Art. 28 Abs. 1
und 2 IVV in der bis 31. Dezember 1984 gültig gewesenen Fassung) - die
Priorität der Eingliederungsmassnahmen, welche durch den akzessorischen
Taggeldanspruch (BGE 114 V 140 Erw. 1a) begleitet sind, vor der
Invalidenrente festgeschrieben (Botschaft über die zweite Revision
der Invalidenversicherung vom 21. November 1984; BBl 1985 I 41 f.). Der
Rentenanspruch kann daher nicht entstehen, solange Eingliederungsmassnahmen
durchgeführt werden (BGE 121 V 190). Die Auffassung von Aufsichtsbehörde
und Rekurskommission, wonach der Rentenfall - unabhängig davon, ob ein
Taggeld gemäss Art. 22 IVG ausgerichtet werde - eintrete, falls die
versicherte Person nach Abschluss von Sonderschulung oder erstmaliger
beruflicher Ausbildung invalid sei, ist somit unbegründet.

Erwägung 6

    6.- Als die Beschwerdeführerin am 7. März 1989 ihr 18. Altersjahr
vollendete, war sie freilich - wegen der Folgen des im Alter von fünf
Jahren erlittenen schweren Verkehrsunfalles - invalid in dem Sinne, dass
bis zu diesem Zeitpunkt die Versicherungsfälle z.B. für Sonderschulung
(Art. 19 IVG) und Hilfsmittel (Art. 21 IVG) usw. eingetreten waren. Der
Rentenanspruch hingegen konnte nach dem Gesagten gerade nicht entstehen,
weil sie sich als damals 18-Jährige in der erweiterten Sonderschulung
befand und ein kleines Taggeld bezog, auf dem Beiträge erhoben
wurden. Daraus ergibt sich ohne weiteres, dass die Beschwerdeführerin
das Mindestbeitragsjahr vor Eintritt des Invaliditätsfalles, der nach
Abbruch der Eingliederungsbemühungen auf den 1. April 1990 festgelegt
wurde, erfüllt. Es steht ihr somit eine ordentliche Invalidenrente zu.