Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 V 212



126 V 212

36. Auszug aus dem Urteil vom 26. Mai 2000 i.S. Arbeitslosenkasse der
Gewerkschaft Bau & Industrie (GBI) gegen B. und Verwaltungsgericht des
Kantons Luzern Regeste

    Art. 71a Abs. 1 und Art. 71d Abs. 2 AVIG: Förderung der selbstständigen
Erwerbstätigkeit.

    - Arbeitgeberähnliche Person. Für die Beurteilung der Frage, ob
eine versicherte Person eine dauernde selbstständige Erwerbstätigkeit
im Sinne von Art. 71a Abs. 1 AVIG aufnehmen will, kann nicht
das AHV-beitragsrechtliche Statut allein massgebend sein. Als
unterstützungswürdig im Sinne der Art. 71a ff. AVIG sind auch
Bestrebungen einer versicherten Person zu betrachten, die ihr in einer
von ihr mitzugründenden Firma, an der sie wesentlich mitbeteiligt ist,
die Stellung einer arbeitgeberähnlichen Person verschaffen.

    - Leistungsberechtigung. Nimmt die versicherte Person nach Bezug
des letzten besonderen Taggeldes eine selbstständige Erwerbstätigkeit
auf oder hat sie sie zu diesem Zeitpunkt bereits aufgenommen, ist
ihre Arbeitslosigkeit beendet und sie erhält - auch bei mangelnder
Beschäftigung in ihrer neuen Tätigkeit - keine weiteren Leistungen der
Arbeitslosenversicherung mehr.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 71a Abs. 1 AVIG kann die Versicherung Versicherte
oder von Arbeitslosigkeit bedrohte Versicherte, die eine dauernde
selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen, durch die Ausrichtung
von höchstens 60 besonderen Taggeldern während der Planungsphase eines
Projektes unterstützen. (...).

    a) Die Art. 71a ff. AVIG enthalten keine Definition der selbstständigen
Erwerbstätigkeit. Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Frage der
Arbeitnehmereigenschaft in der Arbeitslosenversicherung (Art. 2 Abs. 1
lit. a AVIG) das formell rechtskräftig geregelte AHV-Beitragsstatut
massgebend, sofern sich dieses nicht als offensichtlich unrichtig
erweist (BGE 119 V 158 Erw. 3a). Ein in einer Aktiengesellschaft als
Angestellter bzw. als Organ mitarbeitender Aktionär gilt ungeachtet
seiner Beteiligungsverhältnisse in der Gesellschaft grundsätzlich als
Unselbstständigerwerbender. Dies gilt auch in Fällen, in welchen ein
Allein- oder Hauptaktionär (formal)rechtlich Angestellter der von ihm
beherrschten Firma ist (in ARV 1998 S. 13 ff. publizierte Erw. 5 des
Urteils BGE 123 V 234).

    Rein AHV-beitragsrechtlich dürfte dem Beschwerdegegner, der gemäss
Businessplan vom 6. Oktober 1997 einer der beiden Hauptaktionäre, Mitglied
des Verwaltungsrates sowie Geschäftsführer der Firma A. ist, demzufolge die
Stellung als Arbeitnehmer zukommen, worüber indessen - soweit ersichtlich -
die zuständige Ausgleichskasse noch nicht entschieden hat.

    b) Für die Beurteilung der Frage, ob eine versicherte Person eine
dauernde selbstständige Erwerbstätigkeit im Sinne von Art. 71a Abs. 1 AVIG
aufnehmen will, kann hingegen nicht das AHV-beitragsrechtliche Statut
allein massgebend sein, würde es doch ansonsten letztlich von der - aus
welchen Gründen auch immer - gewählten Rechtsform der Firma abhängen, ob
sie als Selbstständigerwerbende qualifiziert wird und damit in den Genuss
der im Rahmen der zweiten Teilrevision des AVIG von 1995 neu eingeführten
Leistungsart zur Förderung der selbstständigen Erwerbstätigkeit
kommen kann. Diese neuen Bestimmungen bezwecken die Unterstützung von
Arbeitslosen, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen wollen
(BBl 1994 I 363). Als unterstützungswürdig im Sinne der Art. 71a ff. AVIG
sind auch Bestrebungen einer versicherten Person zu betrachten, die
ihr in einer von ihr mitzugründenden Firma, und bei der sie wesentlich
mitbeteiligt ist, die Stellung einer arbeitgeberähnlichen Person (vgl. dazu
BGE 123 V 236 f. Erw. 7a) verschaffen. Eine solche Betrachtungsweise
drängt sich umso mehr auf, als ansonsten in häufig vorkommenden Fällen,
in welchen eine arbeitslose Person Allein- oder Hauptaktionär der von
ihr im Hinblick auf die Verselbstständigung gegründeten und beherrschten
Firma ist, diese nicht in den Genuss von besonderen Taggeldern käme,
obwohl von einer Gesetzesumgehung nicht die Rede sein kann, wenn sie
sich z.B. aus Gründen der Haftungsbeschränkung in der Rechtsform einer
Aktiengesellschaft konstituiert hat. Die Gleichbehandlung von Arbeitgeber
und arbeitgeberähnlicher Person ist dem Arbeitslosenversicherungsrecht
im Übrigen nicht fremd, haben doch - wie die Arbeitgeber selbst - auch
Personen, die in ihrer Eigenschaft als Gesellschafter, als finanziell
am Betrieb Beteiligte oder als Mitglieder eines obersten betrieblichen
Entscheidungsgremiums die Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmen oder
massgeblich beeinflussen können, sowie ihre mitarbeitenden Ehegatten,
nach Art. 31 Abs. 3 lit. c, Art. 42 Abs. 3 und Art. 51 Abs. 2 AVIG keinen
Anspruch auf Kurzarbeits-, Schlechtwetter- sowie Insolvenzentschädigung
und - in bestimmten Fallkonstellationen - auch keinen solchen auf
Arbeitslosenentschädigung (vgl. BGE 123 V 237 ff. Erw. 7b/bb).

Erwägung 3

    3.- Strittig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdegegner nach dem
Bezug besonderer Taggelder nach Art. 71a Abs. 1 AVIG weitere Ansprüche
gegenüber der Arbeitslosenversicherung hat.

    a) Die neue Leistungsart (Art. 71a ff. AVIG) kann ihrem Zweck
entsprechend nur beansprucht werden, wenn die Arbeitslosigkeit durch
die Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit voraussichtlich
ganz beendet werden kann. Als Anspruchsvoraussetzung wird deshalb
u.a. die Vorlage eines Grobprojekts zur Aufnahme einer wirtschaftlich
tragfähigen und dauerhaften selbstständigen Erwerbstätigkeit verlangt
(Art. 71b Abs. 1 lit. d AVIG). Dieses Kriterium der Dauer ist das
Abgrenzungsmerkmal zum Zwischenverdienst in Form einer selbstständigen
Erwerbstätigkeit (THOMAS NUSSBAUMER, Arbeitslosenversicherung, in:
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Bd. Soziale Sicherheit,
Rz. 634). Nimmt die versicherte Person nach Bezug des letzten besonderen
Taggeldes eine selbstständige Erwerbstätigkeit auf oder hat sie sie zu
diesem Zeitpunkt bereits aufgenommen, ist ihre Arbeitslosigkeit beendet
und sie erhält keine weiteren Leistungen der Arbeitslosenversicherung mehr
(NUSSBAUMER, aaO, Rz. 647). Dies gilt nach der Rechtsprechung selbst dann,
wenn sie in ihrer neuen Tätigkeit unter mangelnder Beschäftigung steht,
bezweckt doch das spezifische Taggeld nicht die Finanzierung der mangelnden
Beschäftigung einer Person, die eine selbstständige Tätigkeit aufnimmt
(SVR 1999 AlV Nr. 23 S. 56 Erw. 2a). Dem Umstand eines möglichen späteren
Scheiterns des Unterfangens trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass
mit Aufnahme der selbstständigen Erwerbstätigkeit die Rahmenfrist zum
Leistungsbezug von zwei auf vier Jahre verlängert wird (Art. 71d Abs. 2
AVIG und Art. 95e Abs. 2 AVIV).

    b) Vorliegend steht fest, dass der Beschwerdegegner
unbestrittenermassen die projektierte selbstständige Erwerbstätigkeit
im Sinne des in Erw. 2b Dargelegten nicht nur aufgenommen hat, sondern
diese auch weiterhin ausübt. Es bestehen keine Hinweise dafür, dass er
sie als gescheitert betrachtet und endgültig aufzugeben gewillt ist. Mit
dem Bezug des letzten besonderen Taggeldes wurde seine Arbeitslosigkeit
nach dem Gesagten beendet und es besteht keinerlei Möglichkeit, weitere
Taggeldleistungen von der Arbeitslosenversicherung zu beziehen.