Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 V 116



126 V 116

21. Auszug aus dem Urteil vom 17. April 2000 i. S. Zürich
Versicherungs-Gesellschaft gegen M. und Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich Regeste

    Art. 18 und 36 Abs. 2 UVG: Bestätigung der Rechtsprechung,
wonach die Anwendung von Art. 36 Abs. 2 UVG das Vorliegen adäquat
kausaler Unfallfolgen voraussetzt. Es geht nicht an, das Ergebnis
der Adäquanzbeurteilung nachträglich dadurch zu umgehen, dass die
somatischen und psychischen Störungen im Rahmen von Art. 36 Abs. 2 UVG
als einheitliche Gesundheitsschädigung aufgefasst werden. Obwohl sie
in einem inneren Zusammenhang stehen können, stellen sie selbstständige
Gesundheitsschädigungen dar.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Nach Art. 36 Abs. 2 UVG werden die Invalidenrenten,
Integritätsentschädigungen und die Hinterlassenenrenten angemessen gekürzt,
wenn die Gesundheitsschädigung oder der Tod nur teilweise die Folge
eines Unfalles ist (Satz 1). Gesundheitsschädigungen vor dem Unfall,
die zu keiner Verminderung der Erwerbsfähigkeit geführt haben, werden
dabei nicht berücksichtigt (Satz 2).

    Art. 36 UVG geht von der Annahme aus, dass nicht bloss ein Unfall,
sondern zusammen mit ihm auch andere (unfallfremde) Faktoren eine
bestimmte Gesundheitsschädigung bewirken können. Entsprechend dem
Grundsatz, wonach die Unfallversicherung nur für die Folgen von
Unfällen aufzukommen hat, sieht Art. 36 Abs. 2 Satz 1 UVG u.a. bei
den Invalidenrenten eine Leistungskürzung bei Einwirkung unfallfremder
Faktoren vor. Das Kausalitätsprinzip wird in Art. 36 Abs. 2 Satz 2 UVG
eingeschränkt im Bestreben, die Schadensabwicklung bei - in Bezug auf den
versicherten Unfall - unfallfremden Vorzuständen zu erleichtern und um zu
vermeiden, dass der Versicherte sich für den gleichen Unfall an mehrere
Versicherungsträger wenden muss. Dabei kann es sich um somatische oder
psychische Vorzustände handeln (BGE 121 V 331 Erw. 3a mit Hinweisen).

    Art. 36 Abs. 2 Satz 2 UVG findet nicht nur Anwendung, wenn
die unfallfremden Faktoren im Verhältnis zu den allein dem Unfall
zuzuschreibenden Beschwerden als sekundär erscheinen. Art. 36 UVG kommt
gerade dann zur Anwendung, wenn der Unfall und das nicht versicherte
Ereignis einen bestimmten Gesundheitsschaden gemeinsam verursacht haben,
die Krankheitsbilder sich also überschneiden. Art. 36 Abs. 2 UVG ist
lediglich dann nicht anwendbar, wenn die beiden Einwirkungen einander
nicht beeinflussende Schäden verursacht haben, so etwa wenn der Unfall
und das nicht versicherte Ereignis verschiedene Körperteile betreffen
und sich damit die Krankheitsbilder nicht überschneiden. Diesfalls sind
die Folgen des versicherten Unfalls für sich allein zu bewerten (BGE 121
V 333 Erw. 3c mit Hinweisen).

    b) Wie das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 115 V 413 festgestellt
hat, ändert Art. 36 Abs. 2 UVG am Erfordernis des adäquaten
Kausalzusammenhangs nichts. Die Frage der Kürzung nach Art. 36 Abs. 2
UVG stellt sich erst, wenn überhaupt ein leistungsbegründender adäquater
Kausalzusammenhang zwischen einem Unfall und einer Gesundheitsschädigung
zu bejahen ist. Die Leistungskürzung setzt mithin das Bestehen eines
adäquaten Kausalzusammenhangs voraus (BGE 115 V 415 Erw. 12c/bb). Von
diesem Grundsatz ist das Eidg. Versicherungsgericht in BGE 121 V 326
nicht abgerückt. Die Feststellung, wonach Art. 36 Abs. 2 UVG immer dann
zur Anwendung gelangt, wenn der Unfall und das nicht versicherte Ereignis
eine Gesundheitsschädigung gemeinsam verursacht haben, bedeutet nicht,
dass eine Leistungskürzung in solchen Fällen regelmässig zu entfallen
hat. Art. 36 Abs. 2 UVG schränkt das Kausalitätsprinzip lediglich insofern
ein, als ein Vorzustand, welcher vor dem Unfall zu keiner Beeinträchtigung
der Erwerbsfähigkeit geführt hat, zu keiner Leistungskürzung Anlass geben
soll. Die Bestimmung ändert nichts daran, dass die Gesundheitsschädigung,
auf welche sich der unfallfremde Vorzustand bezieht, in einem adäquat
kausalen Zusammenhang mit dem Unfall zu stehen hat. Nur wenn die
Gesundheitsschädigung adäquat kausal auf den Unfall zurückzuführen
ist, kann sich überhaupt die Frage stellen, ob gemäss Art. 36 Abs. 2
Satz 2 UVG von einer Leistungskürzung abzusehen ist. Hievon ist das
Eidg. Versicherungsgericht auch in BGE 121 V 326 ausgegangen, indem es auf
die Erwägung der Vorinstanz, wonach der Zusammenhang zwischen dem Unfall
und den Unfallfolgen im konkreten Fall als derart locker, ja zufällig
erscheine, dass Satz 2 von Art. 36 Abs. 2 UVG nicht mehr anwendbar
sei, ausgeführt hat, diese Aussage betreffe die Frage, ob zwischen dem
versicherten Unfall und der in der Folge eingetretenen psychisch bedingten
Arbeits- bzw. Erwerbsunfähigkeit der für die Haftung des Unfallversicherers
vorausgesetzte adäquate Kausalzusammenhang gegeben sei. Sei dies - wie
im beurteilten Fall - zu bejahen, könne darauf nicht bei der Anwendung
der Kürzungsbestimmung des Art. 36 Abs. 2 UVG, welche das Bestehen eines
adäquaten Kausalzusammenhangs voraussetze, zurückgekommen werden (BGE
121 V 333 f. Erw. 3c). In BGE 123 V 103 Erw. 3c hat das Gericht erneut
festgestellt, dass die Leistungskürzung nach Art. 36 Abs. 2 UVG das
Bestehen eines adäquaten Kausalzusammenhangs voraussetze.

    c) Die Vorinstanz stellt sich auf den Standpunkt, im vorliegenden Fall
könnten die beiden Gesundheitsschädigungen, nämlich die somatische und die
psychische, nicht auseinander gehalten werden, sodass eine "einheitliche
Gesundheitsstörung" anzunehmen sei und der Unfallversicherer nach Art. 36
Abs. 2 Satz 2 UVG mangels eines die Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden
Vorzustandes ungekürzte Leistungen zu erbringen habe. Dieser Auffassung
kann nicht beigepflichtet werden. Die bestehenden somatischen
Befunde (chronisches Zervikalsyndrom und chronische Periarthropathia
humeroscapularis) und die psychischen Störungen (depressive Entwicklung
mit ausgeprägter Somatisierung und Symptomausweitung) stehen zwar in einem
innern Zusammenhang, stellen jedoch selbstständige Gesundheitsschädigungen
dar. Sie sind im Rahmen der Adäquanzprüfung getrennt zu betrachten, zumal
für die Adäquanz psychischer Unfallfolgen besondere Regeln gelten. Die
Vorinstanz hat für die somatischen und die psychischen Befunde denn
auch separate Adäquanzbeurteilungen vorgenommen. Nach dem Gesagten geht
es aber nicht an, das Ergebnis der Adäquanzbeurteilung nachträglich
dadurch zu umgehen, dass die somatischen und psychischen Störungen im
Rahmen von Art. 36 Abs. 2 UVG als einheitliche Gesundheitsschädigung
aufgefasst werden. Würde der Auffassung der Vorinstanz gefolgt,
hätte der Unfallversicherer auch für nicht adäquate psychische
Unfallfolgen einzustehen, wenn gleichzeitig adäquat kausale somatische
Unfallfolgen vorliegen, welche durch die psychischen Störungen beeinflusst
werden. Ein solches Ergebnis liesse sich mit dem in der obligatorischen
Unfallversicherung herrschenden Kausalitätsprinzip und insbesondere auch
mit Art. 36 Abs. 2 Satz 2 UVG nicht vereinbaren, welcher lediglich eine
Milderung des Kausalitätsprinzips in dem Sinne bezweckt, dass krankhafte
Vorzustände, die zu keiner Verminderung der Erwerbsfähigkeit geführt haben,
nicht zu einer Leistungskürzung Anlass geben.