Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 V 103



126 V 103

19. Urteil vom 18. April 2000 i. S. I. gegen Concordia, Schweizerische
Kranken- und Unfallversicherung, und Verwaltungsgericht des Kantons
Bern Regeste

    Art. 27 KVG: Leistungen bei Geburtsgebrechen.  Leistungspflicht der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei einem geburtsgebrechlichen
Kind, das die invalidenversicherungsrechtliche Versicherungsklausel gemäss
Art. 6 IVG nicht erfüllt.

Sachverhalt

    A.- I., geboren 1995, reiste im September 1997 mit seinen Eltern in
die Schweiz ein, wo sie ein Asylgesuch stellten. Der wegen eines Infektes
um die Jahreswende 1997/98 konsultierte Kinderarzt erkannte bei I.
eine Blaufärbung, weshalb er ihn an den Kinderkardiologen überwies. Die
spezialärztliche Abklärung ergab, dass das Kind an einem angeborenen
Herzfehler leidet, der sobald als möglich operiert werden sollte. Die
durch das Schweizerische Rote Kreuz, Zentrum für Asylbewerber in X,
verlangte Kostengutsprache wies die Concordia, Schweizerische Kranken-
und Unfallversicherung, welcher die Mitglieder der Familie I. im Rahmen
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung zugewiesen worden waren,
mangels gesetzlicher Leistungspflicht ab (Schreiben vom 20. Februar
1998). Auf Ersuchen des Sozialdienstes des Spitals Y vom 17. März 1998
erliess die Concordia am 30. März 1998 eine ablehnende Verfügung, woran
sie auf Einsprache hin mit Entscheid vom 29. April 1998 festhielt.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht
des Kantons Bern, nach Durchführung eines doppelten Schriftenwechsels, in
dessen Verlauf die Parteien an ihren abweichenden Standpunkten festgehalten
hatten, ab (Entscheid vom 3. Dezember 1998).

    C.- I., gesetzlich vertreten durch seinen Vater, lässt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren, in Aufhebung
des kantonalen Gerichts- und des Einspracheentscheides sei die Concordia zu
verpflichten, ihm die für die Behandlung seines Herzleidens erforderlichen
Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenpflegeversicherung zu
erbringen.

    Während die Concordia auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, beantragt das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) deren
Gutheissung.

Auszug aus den Erwägungen:

       Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig und zu prüfen ist, ob die Beschwerdegegnerin für
das Herzleiden des Beschwerdeführers die gesetzlichen Leistungen zu
dessen Diagnostizierung und Behandlung nach Massgabe des Art. 25 KVG
zu erbringen hat. In sachverhaltsmässiger Hinsicht ist unbestritten
und steht auf Grund der Akten fest, dass der Beschwerdeführer an
einem grossen Defekt im Vorhofseptum leidet, zu dessen definitiver
Diagnostizierung noch eine Herzkatheteruntersuchung durchgeführt werden
muss. Die Verfahrensbeteiligten stimmen zu Recht darin überein, dass dieses
Herzleiden unter Ziff. 313 des Anhanges zur Geburtsgebrechensverordnung
(angeborene Herz- und Gefässmissbildungen) fällt und die Pflicht der
Invalidenversicherung, hiefür medizinische Massnahmen nach Art. 13
IVG zu leisten, einzig daran scheitert, dass der Anfang September 1997
in die Schweiz eingereiste, damals knapp zweijährige Beschwerdeführer,
die versicherungsmässigen Voraussetzungen, somit die Versicherungsklausel
nach Art. 6 IVG, nicht erfüllt. Denn das Kind, bei welchem ärztlicherseits
am 9. Januar 1998 der beschriebene Defekt festgestellt wurde, hat sich bei
Eintritt seiner Invalidität weder ununterbrochen während mindestens zehn
Jahren in der Schweiz aufgehalten, noch während mindestens eines vollen
Jahres Beiträge geleistet (Art. 6 Abs. 2 IVG, in der seit 1. Januar 1997
geltenden Fassung). Der in der genannten Bestimmung vorbehaltene Art. 9
Abs. 3 IVG führt ebenfalls nicht zur Erfüllung der Versicherungsklausel,
weil der Beschwerdeführer weder in der Schweiz invalid geboren wurde
noch sich bei Eintritt der Invalidität seit mindestens einem Jahr in
der Schweiz aufgehalten hatte (lit. b), noch Eltern hat, welche die
gesetzlichen Erfordernisse (lit. a) erfüllen.

Erwägung 2

    2.- Nach Art. 27 KVG übernimmt die obligatorische
Krankenpflegeversicherung bei Geburtsgebrechen, die nicht durch die
Invalidenversicherung gedeckt sind, die Kosten für die gleichen
Leistungen wie bei Krankheit. Anders als in weiteren vom Gesetz
umschriebenen Leistungsbereichen ist die Leistungspflicht der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung im Rahmen von Art. 27 KVG
nicht näher konkretisiert worden, insbesondere nicht allgemein in
der Krankenpflege-Leistungsverordnung (KLV), bezieht sich doch deren
Art. 19a ausschliesslich auf die Übernahme der Kosten zahnärztlicher
Behandlungen, die durch ein Geburtsgebrechen nach Abs. 2 Ziff. 1-53
unter den Voraussetzungen der lit. a und b des Abs. 1 bedingt sind.
Während Vorinstanz und Beschwerdegegnerin aus dieser Rechtslage und
namentlich unter Verweis auf die Materialien zu Art. 27 KVG sowie die
Gesetzessystematik schliessen, mangelnde Versicherteneigenschaft nach IVG
stehe einer Leistungspflicht nach KVG entgegen, vertreten Beschwerdeführer
und BSV die Auffassung, die obligatorische Krankenpflegeversicherung
sei in Fällen wie dem hier zu beurteilenden leistungspflichtig. Sie
stützen sich dabei insbesondere auf den Wortlaut des Art. 27 KVG,
berufen sich weiter auf die Entstehungsgeschichte dieser Norm und machen
schliesslich geltend, das von ihnen vertretene Auslegungsergebnis trage
dem Gleichbehandlungsgrundsatz Rechnung.

Erwägung 3

    3.- Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist
der Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss
nach seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller
Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zu
Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm
im Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen
Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich,
wenn triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den
wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der
Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus
dem Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 125 II 196 Erw. 3a,
244 Erw. 5a, 125 V 130 Erw. 5, 180 Erw. 2a, je mit Hinweisen).

    Im Rahmen verfassungskonformer oder verfassungsbezogener Auslegung ist
sodann, soweit mit den erwähnten normunmittelbaren Auslegungselementen
vereinbar, rechtsprechungsgemäss der Gleichbehandlungsgrundsatz zu
beachten, wobei der klare Sinn einer Gesetzesnorm nicht durch eine
verfassungskonforme Auslegung beiseite geschoben werden darf (BGE 121
V 352 Erw. 5, 119 V 130 Erw. 5b, je mit Hinweisen). Begründet wird
die verfassungskonforme Auslegung hauptsächlich mit der Einheit der
Rechtsordnung und der Überordnung der Verfassung (ULRICH HÄFELIN, Die
verfassungskonforme Auslegung und ihre Grenzen, in: Recht und Prozess
als Gefüge, Festschrift für Hans Huber zum 80. Geburtstag, Bern 1981,
S. 241-259, insbes. S. 242). Da die neue Bundesverfassung am Stufenbau
der landesinternen Rechtsordnung grundsätzlich nichts geändert hat
(GEORG MÜLLER, Formen der Rechtssetzung, in: ULRICH ZIMMERLI [Hrsg.],
Die neue Bundesverfassung, Konsequenzen für Praxis und Wissenschaft,
Berner Tage für die juristische Praxis [BTJP] 1999, Bern 2000, S.
249-266, insbes. S. 250; vgl. auch Art. 182 Abs. 1 BV), sind die Normen
auch unter Geltung der neuen Bundesverfassung so auszulegen, dass sie
mit deren Grundwerten übereinstimmen.

    a) Der Wortlaut des deutschen Textes von Art. 27 KVG,
namentlich die Formulierung "bei Geburtsgebrechen, die nicht durch
die Invalidenversicherung gedeckt sind", weist nach dem gewöhnlichen
Sprachverständnis darauf hin, dass bei einem weniger als zwanzig Jahre
alten Leistungsansprecher, der an einem anerkannten Geburtsgebrechen
leidet, die Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
nicht deswegen entfällt, weil er die Versicherungsklausel gemäss Art. 6
IVG nicht erfüllt. Mit Blick darauf, dass bei der grammatikalischen
Auslegung von der grundsätzlichen Gleichwertigkeit der drei Amtssprachen
auszugehen ist (Art. 9 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 21. März 1986
über die Gesetzessammlungen und das Bundesblatt; SR 170.512) und
dass diesem Auslegungselement nur untergeordnete Bedeutung zukommt,
wenn die drei verschiedenen sprachlichen Versionen nicht vollständig
übereinstimmen oder sich gar widersprechen (BGE 119 V 127 Erw. 4a mit
Hinweis), ist zu prüfen, wie es sich mit der französischen und der
italienischen Fassung verhält. Die französische Version lautet: "En cas
d'infirmité congénitale non couverte par l'assurance-invalidité...". Der
italienische Wortlaut ist wie folgt: "Per le infermità congenite che
non sono coperte dall'assicurazione invalidità...". Die französische wie
die italienische Fassung weisen somit wie die deutsche Version in die von
Beschwerdeführer und BSV vertretene Richtung. Auf Grund der Übereinstimmung
der drei sprachlichen Fassungen ist von einem hohen Indizwert für die
Richtigkeit der entsprechenden Interpretation auszugehen. Es gilt indes zu
berücksichtigen, dass der Wortlaut in allen drei sprachlichen Fassungen
den von Vorinstanz und Beschwerdegegnerin angenommenen Rechtssinn nicht
geradezu ausschliesst und dass sich namentlich aus dem historischen
Auslegungselement (Erw. 3b hienach) einiges für deren abweichenden
Standpunkt ergibt. Da die vom Gesetzgeber gewählte Formulierung jedenfalls
nicht in erkennbarer Weise auf eine bewusste Ablehnung der von kantonalem
Gericht und Beschwerdegegnerin vertretenen Auffassung hinweist und der
Gesetz gewordene Text deren Schlussfolgerung nicht ausdrücklich verneint,
ist der Auslegungsvorgang fortzusetzen, obwohl der Wortlaut in erheblicher
Weise dafür spricht, dass bei einem weniger als zwanzig Jahre alten
Leistungsansprecher, der an einem anerkannten Geburtsgebrechen leidet, die
(subsidiäre) Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
nicht schon an der Versicherungsklausel gemäss Art. 6 IVG scheitert.

    b) Zu prüfen ist, ob die Materialien zuverlässigen Aufschluss über
die vorliegend strittige Auslegung des Art. 27 KVG geben. Nach ständiger
Rechtsprechung stellen sie, gerade bei jüngeren Gesetzen, ein wichtiges
Erkenntnismittel dar, von dem im Rahmen der Auslegung stets Gebrauch zu
machen ist. Nach ebenso gefestigter Rechtsprechung sind sie aber für sich
allein nicht geeignet, direkt auf den Rechtssinn einer Gesetzesbestimmung
schliessen zu lassen, weil das Gesetz mit seinem Erlass sich von seinen
Schöpfern löst und ein eigenständiges rechtliches Dasein entfaltet (BGE
124 V 189 Erw. 3a). Insbesondere hat es die Rechtsprechung wiederholt
abgelehnt, einer mit den Materialien übereinstimmenden Auslegung den
Vorzug zu geben, wenn eine Lösung vom Bundesrat, in den vorberatenden
Kommissionen oder in den Räten diskutiert worden ist, jedoch im Gesetz
gewordenen Text keinen Niederschlag gefunden hat. Schliesslich sind
die Materialien als Auslegungshilfe nicht dienlich, wo sie keine klare
Antwort geben (BGE 124 V 190 Erw. 3a mit Hinweisen).

    aa) In der bundesrätlichen Botschaft über die Revision der
Krankenversicherung vom 6. November 1991 (BBl 1992 I 93 ff., 154 f.) heisst
es u.a.:

    "Die obligatorische Krankenversicherung übernimmt die Kosten der
   erforderlichen Leistungen, sobald das Geburtsgebrechen nicht mehr
   unter die Invalidenversicherung fällt, sei es, weil der Versicherte
   volljährig wird

    (...) oder weil das Geburtsgebrechen als geringfügig gilt und daher
   aus der GgV gestrichen worden ist (Art. 13 Abs. 2 IVG). Diese letztere

    Bestimmung gilt für minderjährige Versicherte. Mit anderen Worten, die
   obligatorische Krankenpflegeversicherung löst in zwei Fällen die

    Invalidenversicherung ab, wovon der eine hypothetischen Charakter hat,
   aber trotzdem geregelt werden muss."

    Vorinstanz und Beschwerdegegnerin haben aus dem Umstand,
dass in der Botschaft nur zwei Sachverhalte genannt werden, in
denen die obligatorische Krankenpflegeversicherung nach Art. 27
KVG leistungspflichtig ist, geschlossen, es gäbe keine weiteren
anspruchsbegründende Geschehnisse. Fälle wie der vorliegende seien nach
dem Willen des historischen Gesetzgebers durch Art. 27 KVG nicht abgedeckt.

    bb) Die Botschaft bezweckt mit der Darlegung der beiden Sachverhalte
ausdrücklich, die neu auf Gesetzesstufe und nicht mehr wie bisher auf
Verordnungsebene (Art. 14 Abs. 1 der Verordnung III vom 15. Januar
1965 über die Krankenversicherung betreffend die Leistungen der
vom Bund anerkannten Krankenkassen und Rückversicherungsverbände
[Vo III; SR 832.140]) geregelte Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung bei Geburtsgebrechen zu verdeutlichen (BBl 1992
I 154 f.). Ob ihr dabei - wofür der Wortlaut des Textes spricht - die
Auffassung zu Grunde liegt, andere anspruchsbegründende Geschehnisse als
die von ihr genannten seien ausgeschlossen, braucht nicht abschliessend
erörtert zu werden. Selbst wenn dem so wäre, ist zu berücksichtigen,
dass aus den nachfolgenden Beratungen in den Kommissionen der Räte ein
entsprechender, einschränkender Wille nicht ersichtlich ist: Auf die
Auslegung der in Frage stehenden Bestimmung angesprochen, erklärte der
Vertreter des BSV anlässlich der Sitzung der Kommission des Nationalrates
vom 1. und 2. April 1993 in unbestimmter Weise, "es könnte Fälle geben,
die nicht (durch die Invalidenversicherung) gedeckt (sind), aber trotzdem
als Krankheit zu definieren sind" (Protokoll der Sitzung vom 1. und
2. April 1993, S. 30). Anlässlich der Kommissionssitzung vom 12. und
13. Oktober 1992 votierte ein Ständerat dafür, es sei zweitrangig,
welcher Sozialversicherungsträger leistungspflichtig werde, vorrangig
sei, dass im Bereich der Geburtsgebrechen keine Leistungslücken bestünden
(Protokoll der Sitzung vom 12. und 13. Oktober 1992, S. 42). Ob daraus -
in den Räten gab der Art. 21, welcher dem heutigen Art. 27 KVG entspricht,
keinen Anlass zu weiteren Diskussionen (Amtl. Bull. 1992 S 1300 und N 1842)
- mit dem BSV zu folgern ist, dass in sämtlichen denkbaren Konstellationen
bei Geburtsgebrechen, die durch die Invalidenversicherung nicht gedeckt
sind, die obligatorische Krankenpflegeversicherung die Kosten für die
gleichen Leistungen wie bei Krankheit zu übernehmen hat, braucht vorliegend
nicht entschieden zu werden. Da die Materialien in ihrer Gesamtheit
hinsichtlich der vorliegend massgeblichen Frage, ob die nicht erfüllte
Versicherungsklausel gemäss Art. 6 IVG bei einer minderjährigen Person,
die an einem anerkannten Geburtsgebrechen leidet, der Leistungspflicht
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung entgegensteht, keine
klare Antwort geben, sind sie in casu als Auslegungshilfe nicht dienlich
(BGE 124 V 190 Erw. 3a mit Hinweisen). Hätte seitens der gesetzgebenden
Organe der Wille bestanden, die Leistungspflicht der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung im Leistungsbereich der Geburtsgebrechen auf
die beiden in der bundesrätlichen Botschaft erwähnten Tatbestände zu
beschränken, hätte dies zudem auch bei einer - vorliegend nicht gegebenen
- klaren Lage der Materialien überdies im Gesetz gesagt werden müssen
(BGE 124 V 190 Erw. 3a).

    c) Der im 1. Abschnitt (Umschreibung des Leistungsbereichs)
des 3. Kapitels des Gesetzes (Leistungen) unter der Marginalie
"Geburtsgebrechen" stehende Art. 27 KVG bezweckt, die Leistungspflicht
der obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei Geburtsgebrechen zu
regeln. In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird mit Recht geltend
gemacht, die Betrachtungsweise der Vorinstanz und der Beschwerdegegnerin
würde bedeuten, dass ein geburtsgebrechliches, folglich schon zur
Zeit seiner Einreise in die Schweiz mit diesem Leiden behaftetes Kind
von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung ausgeschlossen wäre,
dies im Gegensatz zu einem Kind, das - vor oder nach seiner Einreise in
die Schweiz - an einem nach der Geburt erworbenen Gebrechen leidet, für
welches die Krankenkasse fraglos aufzukommen hätte. Damit würde die vom
historischen Gesetzgeber durch Art. 13 IVG angestrebte Besserstellung
der Geburtsgebrechlichen in ihr Gegenteil verkehrt, indem allein das
Kriterium des Angeborenseins der Schädigung zum Anlass genommen würde,
sie aus dem Kreise der leistungsbegründenden Krankheiten auszugrenzen. Sinn
und Zweck des Art. 27 KVG liegt nicht darin, bei einem weniger als zwanzig
Jahre alten Leistungsansprecher, der an einem anerkannten Geburtsgebrechen
leidet, die Leistungspflicht der obligatorischen Krankenpflegeversicherung
deswegen zu verneinen, weil er die Versicherungsklausel gemäss Art. 6
IVG nicht erfüllt.

    d) Die in Art. 27 KVG statuierte Leistungspflicht der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung bei Geburtsgebrechen wird
weder auf Gesetzes- noch auf Verordnungsstufe näher konkretisiert
(Erw. 2 hievor). Die Systematik ist insoweit vorliegend kein
taugliches Auslegungselement. Bedeutungslos ist, wenn Vorinstanz
und Beschwerdegegnerin darauf hinweisen, gemäss Art. 10a Abs. 2 der
Asylverordnung 2 über Finanzierungsfragen vom 22. Mai 1991, in Kraft
gestanden bis 30. September 1999 (SR 142.312), trage der Bund ungedeckte
Krankenpflegekosten von Asylbewerbern. Diese Verpflichtung lässt keinen
Rückschluss auf die hier allein interessierende Antwort auf die Frage zu,
unter welchen Voraussetzungen in einem bestimmten Leistungsbereich der
Krankenpflegeversicherung eine Leistungslücke entsteht. Dafür ist allein
auf die massgeblichen krankenversicherungsrechtlichen Grundlagen gemäss
KVG, KVV und KLV abzustellen. In systematischer Hinsicht würde es sich
weiter anbieten, auf die bisher einschlägige Bestimmung des Art. 14 Abs. 1
VO III und die hiezu ergangene Rechtsprechung zurückzukommen, da gemäss
der Botschaft Art. 27 KVG an der bisher auf Verordnungsstufe geregelten
Normierung nichts ändern sollte (BBl 1992 I 154 f.). Unter dem bisherigen
Recht war die vorliegend strittige Frage indes weder ausdrücklich geregelt
noch höchstrichterlich zu entscheiden gewesen.

Erwägung 4

    4.- Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die bisher geprüften,
normunmittelbaren Auslegungselemente die auf den Wortlaut des
Art. 27 KVG gestützte Auslegung weit überwiegend stützen. Dieses
Auslegungsergebnis wird durch die Grundsätze der verfassungskonformen
oder verfassungsbezogenen Auslegung bestätigt, da die von Vorinstanz
und Beschwerdegegnerin vertretene Interpretation zu einer sachlich nicht
gerechtfertigten krankenversicherungsrechtlichen Ungleichbehandlung führen
würde zwischen einem Kind, das mit einem Geburtsgebrechen in die Schweiz
einreist und einem Kind, das - vor oder nach seiner Einreise in die Schweiz
- an einem nach der Geburt erworbenen Gebrechen leidet (Erw. 3c hievor).