Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 I 122



126 I 122

16. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 13.
Juni 2000 i.S. Model AG gegen Steuerverwaltung und Verwaltungsgericht
des Kantons Thurgau (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 49 Abs. 6 aBV (Art. 15 BV); Art. 4 aBV; § 224 des thurgauischen
Steuergesetzes; Religionsfreiheit; Legalitätsprinzip; Kirchensteuer und
juristische Personen.

    Befugnis zur Rechtsetzung und zur Steuererhebung auf dem Gebiet des
Kirchensteuerwesens (E. 2).

    Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung zur grundsätzlichen
Vereinbarkeit der Kirchensteuerpflicht juristischer Personen mit Art. 49
Abs. 6 aBV. Auch bei Berücksichtigung der seitherigen Entwicklungen,
insbesondere des Ergebnisses der Totalrevision der Bundesverfassung,
ist eine Praxisänderung nicht angezeigt (E. 3-5).

Sachverhalt

    Gemäss § 91 der Verfassung des Kantons Thurgau vom 16. März
1987 (KV/TG; SR 131.228) sind die evangelisch-reformierte und die
römisch-katholische Religionsgemeinschaft anerkannte Landeskirchen des
öffentlichen Rechts. Sie gliedern sich in Kirchgemeinden mit eigener
Rechtspersönlichkeit (§ 93 Abs. 1 KV/TG). Laut § 93 Abs. 2 KV/TG können
die Kirchgemeinden "für die Erfüllung der Kultusaufgaben innerhalb
von Kirchgemeinden, Landeskirchen und Religionsgemeinschaft im Rahmen
der konfessionellen Gesetzgebung Steuern in Form von Zuschlägen zu den
Hauptsteuern erheben".

    Nach § 222 des thurgauischen Gesetzes vom 14. September 1992 über die
Staats- und Gemeindesteuern (Steuergesetz; StG/TG) können die Munizipal-,
Orts-, Schul- und Kirchgemeinden Gemeindesteuern in Prozenten der
einfachen Steuer erheben (Abs. 1); sie bestimmen jährlich den Steuerfuss
(Abs. 2). Gemäss § 224 Abs. 1 StG/TG haben die juristischen Personen
sowohl den evangelischen als auch den katholischen Kirchgemeinden Steuern
zu entrichten.

    Die M. AG führte im Kanton Thurgau erfolglos Rekurs und Beschwerde
gegen die Auferlegung von Kirchensteuern für die Veranlagungsperiode
1997. Dagegen gelangte sie mit staatsrechtlicher Beschwerde vom 26. April
1999 an das Bundesgericht. Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Beschwerdeführerin rügt einen Verstoss gegen Art.  4 aBV
durch Verletzung des Legalitätsprinzips und macht geltend, gestützt auf §
93 Abs. 2 KV/TG seien ausschliesslich die Kirchgemeinden zur Erhebung der
Kirchensteuern zuständig. Der Grosse Rat des Kantons Thurgau sei nicht
zum Erlass von § 224 StG/TG kompetent gewesen. Sowohl nach dem Wortlaut
von § 93 Abs. 2 KV/TG wie nach systematischen Gesichtspunkten liege
die Kompetenz zur Erhebung von Kirchensteuern, mithin die Steuerhoheit,
eindeutig bei den Kirchgemeinden; dies schliesse regelmässig auch die
Kompetenz zur Rechtsetzung ein.

    b) Ob und in welchem Umfang den Gemeinden im Bereich der Steuern
Rechtsetzungsbefugnisse zukommen, wird durch die kantonale Verfassung
und Gesetzgebung bestimmt. Eine autonome, unmittelbar auf der Verfassung
beruhende Rechtsetzungsbefugnis der Gemeinden kommt im Steuerrecht selten
vor. Vielmehr bestimmt in der Regel die kantonale Gesetzgebung, welche
Steuern von den Gemeinden erhoben werden dürfen, wobei es sich zumeist
um Zuschläge zur Staatssteuer handelt (ERNST HÖHN/ROBERT WALDBURGER,
Steuerrecht, Band I, 8. Aufl. 1997, § 4 Rz. 37-39). Zwar gehört die
Befugnis der Gemeinde, ihre finanziellen Angelegenheiten selbständig
zu ordnen, zur Gemeindeautonomie, doch steht ihr die Steuerhoheit in
der Regel nicht aufgrund ihrer Autonomie zu, sondern nur nach Massgabe
des kantonalen Rechts (abgeleitete Steuerhoheit; ULRICH HÄFELIN/GEORG
MÜLLER, Grundriss des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 3. Aufl. 1998,
Rz. 1127; vgl. auch FELIX RICHNER/WALTER FREI/BARBARA WEBER/HANS R.
BRÜTSCH, Zürcher Steuergesetz, Kurzkommentar, 2. Aufl. 1997, N. 3 der
Vorbemerkungen zu §§ 135-184).

    So verhält es sich auch im Kanton Thurgau: Zum einen haben die
politischen Gemeinden und die Schulgemeinden das Recht, Steuern in Form
von Zuschlägen zu den Hauptsteuern zu erheben (§ 85 Abs. 2 KV/TG). Dies -
und nicht mehr - können zum anderen auch die Kirchgemeinden tun (vgl. §
93 Abs. 2 KV/TG). Wie die politischen und die Schulgemeinden verfügen
sie damit nicht über eine eigene Steuerhoheit. Die Gemeinden können
nämlich nur Zuschläge - diese aber autonom - zu den Hauptsteuern des
Kantons erheben, während der Kanton das formelle und das materielle Recht
abschliessend erlässt (PHILIPP STÄHELIN, Wegweiser durch die Thurgauer
Verfassung, 1991, § 85 N. 4, § 93 N. 6). Entgegen der Auffassung der
Beschwerdeführerin ist der (kantonale) Gesetzgeber folglich befugt, den
Umfang des Besteuerungsrechts der Kirchgemeinden zu bestimmen (PHILIPP
STÄHELIN, aaO, § 93 N. 6). Der Zusatz bei § 93 Abs. 2 KV/TG "im Rahmen
der konfessionellen Gesetzgebung" vermag daran nichts zu ändern, zumal er
sich, wie das Verwaltungsgericht festhält, durchaus auf die Festsetzung des
Steuerfusses beschränken kann. Zudem erscheint nicht ausgeschlossen, dass
sich dieser Zusatz auf die "Erfüllung der Kultusaufgaben" bezieht. Mithin
verstösst § 224 StG/TG, der die Kirchensteuern juristischer Personen
regelt, nicht gegen das Legalitätsprinzip.

    c) Im Gegensatz zur Meinung der Beschwerdeführerin gehören die
thurgauischen Kirchgemeinden zu den Gebietskörperschaften, auch wenn sie
neben territorialen zusätzlich personale Elemente aufweisen (vgl. BGE
125 II 177 E. 3a S. 179; PHILIPP STÄHELIN, aaO, § 57 N. 3). Daher geht
der Einwand fehl, die Kompetenz der Kirchgemeinden ("als Körperschaften
auf rein personeller Grundlage") zur Erhebung von Kirchensteuern sei auf
natürliche Personen beschränkt (vgl. BGE 102 Ia 468 E. 3 S. 472 ff.).

Erwägung 3

    3.- Die Beschwerdeführerin stellt sich vor allem auf den Standpunkt,
§ 224 StG/TG verstosse gegen Art. 49 Abs. 6 aBV. Dieser lautet wie folgt:

    "Niemand ist gehalten, Steuern zu bezahlen, welche speziell für
eigentliche Kultuszwecke einer Religionsgemeinschaft, der er nicht
angehört, auferlegt werden. Die nähere Ausführung dieses Grundsatzes ist
der Bundesgesetzgebung vorbehalten."

    a) Im angefochtenen Entscheid stützt sich das Verwaltungsgericht auf
die langjährige und konstante Rechtsprechung des Bundesgerichts, wonach die
Kirchensteuerpflicht juristischer Personen mit Art. 49 Abs. 6 aBV vereinbar
sei. Nach dieser Praxis sei Art. 49 Abs. 6 aBV Ausfluss der in Art. 49
Abs. 1 aBV gewährleisteten Glaubens- und Gewissensfreiheit; diese stehe
jedoch nur natürlichen Personen zu, weshalb sich juristische Personen,
mangels einer schützenswerten religiösen Überzeugung, nicht darauf berufen
könnten. Aufgrund dieser Praxis, zu der sich das Bundesgericht letztmals
in BGE 102 Ia 468 ausführlich geäussert habe, könne es an der Zulässigkeit
der Erhebung einer Kirchensteuer bei juristischen Personen keine Zweifel
geben, und die Beschwerdeführerin bringe diesbezüglich nichts Neues vor,
weshalb auf die entsprechenden Erwägungen des Bundesgerichts verwiesen
werden könne.

    b) Die Beschwerdeführerin wendet ein, das Bundesgericht habe sich
letztmals vor über 20 Jahren mit der Kirchensteuerpflicht juristischer
Personen befasst und diese damals "gegen den Widerstand einer
verbreiteten Lehrmeinung" geschützt. Seither sei dieser Steuerpflicht
aus der Lehre noch bedeutend mehr Ablehnung erwachsen. Unter Berufung
auf das Erfordernis einer zeitgemässen Verfassungsauslegung macht
die Beschwerdeführerin weiter geltend, "dass sich die Auffassung der
Allgemeinheit über das Verhältnis von Staat und Kirche seit dem letzten
publizierten Bundesgerichtsentscheid nochmals wesentlich verändert
hat", was durch die Zunahme der Kirchenaustritte belegt werde. Auch
beschränkten sich die Kirchen heute auf Kultusaufgaben im engeren Sinn,
die von ihnen früher wahrgenommenen Aufgaben im Sozialbereich seien auf
den Staat übergegangen. Zudem habe die territoriale Grundlage für sich
allein genommen keine Berechtigung mehr. Dies zeige sich darin, dass
bereits über ein Viertel der Kantone keine Kirchensteuerpflicht mehr
kennen würden, und werde durch die Botschaft des Bundesrates zur neuen
Bundesverfassung mit ihrem Schwergewicht auf den individualrechtlichen
Aspekten der Religionsfreiheit bestätigt. Weiter sei zu beachten, dass
die hinter den juristischen Personen stehenden natürlichen Personen durch
die Belastung des Geschäftsvermögens mit Kultussteuern indirekt in ihrer
Glaubens- und Gewissensfreiheit verletzt würden. Schliesslich hält die
Beschwerdeführerin fest, die bisherige Praxis des Bundesgerichts sei
mit dem heutigen Verständnis der Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht
vereinbar und daher verfassungswidrig.

Erwägung 4

    4.- a) Das Bundesgericht hat seit 1878 in ständiger Praxis die
Verfassungsmässigkeit der Kirchensteuerpflicht juristischer Personen
bejaht (vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung ULRICH HÄFELIN, in
Kommentar zur Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom
29. Mai 1874, Art. 49, Rz. 96 ff.; PETER KARLEN, Das Grundrecht der
Religionsfreiheit in der Schweiz, Diss. Zürich 1988, S. 362 ff.). Das
in BGE 102 Ia 468 publizierte Urteil vom 6. Oktober 1976 hielt es
"in einer Zeit starker gesellschaftlicher Wandlungen" für angezeigt,
"dass das Bundesgericht seine seit 1878 vertretene Interpretation von
Art. 49 Abs. 6 BV grundsätzlich neu überprüft und untersucht, ob neue
Argumente und Erkenntnisse eine Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung
zu rechtfertigen vermögen" (dortige E. 2c). Entsprechend setzte sich das
Bundesgericht in diesem Entscheid mit den Argumenten, die in der Doktrin
gegen die Heranziehung juristischer Personen zur Kirchensteuer angebracht
wurden, auseinander, doch hielt es an der bisherigen Rechtsprechung fest:
Dem historischen Verfassungsgeber sei es ausschliesslich darum gegangen,
natürliche Personen gegen die Besteuerung durch eine Religionsgemeinschaft
zu schützen, der sie nicht oder nicht mehr angehören. Art. 49 Abs. 6 aBV
bestimme demnach rein negativ, dass die nicht zur steuerberechtigten
Kirche gehörende natürliche Person wegen der ihr zustehenden
Glaubens- und Gewissensfreiheit nicht zur Bezahlung von Kirchensteuern
verpflichtet werden dürfe, schaffe aber nicht ein positives Erfordernis
der Kirchenzugehörigkeit als verfassungsrechtliche Voraussetzung für die
Erhebung der Kirchensteuer. Diese restriktive Auslegung von Art. 49 Abs. 6
aBV, die juristische Personen nicht erfasse, sei auch auf dem Hintergrund
der öffentlichrechtlichen Stellung der anerkannten und mit der Befugnis
zur Steuererhebung ausgestatteten Kirchen zu sehen. Der Verfassungsgeber
habe den Kantonen nicht verbieten wollen, das Kirchenwesen als eine
öffentliche Aufgabe zu betrachten, es aus den allgemeinen Mitteln des
Staates zu finanzieren (Staatskirchen) oder die Gemeinden anerkannter
Landeskirchen als Gebietskörperschaften auszugestalten, die analog den
politischen Gemeinden ihre finanziellen Bedürfnisse durch Erhebung
voraussetzungsloser Abgaben (Steuern) von den ihrer Gebietshoheit
unterworfenen Steuerpflichtigen befriedigen können. Dann aber dürften
auch die im Gebiet der Kirchgemeinde domizilierten juristischen Personen
zur Kirchensteuer herangezogen werden, und es dränge sich auf, Art. 49
Abs. 6 aBV wie bisher restriktiv als eine sich aus der Glaubens- und
Gewissensfreiheit ergebende Schutznorm gegenüber natürlichen Personen
auszulegen. Die Kritik an der Rechtsprechung, die eine Kirchensteuerpflicht
auf rein personeller Grundlage postuliere und dabei den strukturellen
Hintergrund nicht beachte, dürfte einem gewandelten Verständnis der Kirchen
entsprechen. Rechtspolitische Gründe, die sich für eine andere Konzeption
von Kirchgemeinde und Landeskirche ins Feld führen liessen, seien jedoch
nicht geeignet, die Aufgabe der bisherigen Praxis zu rechtfertigen,
welche mit der herkömmlichen, bis jetzt nicht grundlegend geänderten
Rechtsnatur öffentlichrechtlicher Kirchgemeinden im Einklang stehe
(BGE 102 Ia 468 E. 3 S. 472 ff.). Dem Einwand, hinter der juristischen
Person ständen natürliche Personen, die durch die Besteuerung des
Gesellschaftsvermögens mit Kultussteuern indirekt in ihrer Glaubens-
und Gewissensfreiheit verletzt sein könnten, mass das Bundesgericht
ein gewisses Gewicht für kleinere, in Form einer juristischen Person
organisierte Unternehmungen bei. Es räumte ein, dies vermöge bei der
heutigen Ausgestaltung der Individualrechte nicht ganz zu befriedigen. Wer
aber einen Teil seines Vermögens rechtlich von seiner Person trenne und
als juristische Person verselbständige, müsse neben den Vorteilen dieser
Gestaltung auch die Nachteile in Kauf nehmen. Auch sei zu beachten,
dass Art. 49 Abs. 6 aBV nur die speziellen Kultussteuern, nicht aber
jede Verwendung von Steuern Andersgläubiger oder Konfessionsloser für die
Zwecke einer Kirche, der sie nicht angehören, verbieten wolle. Es sei nicht
Sache des Verfassungsrichters, dieser Vorschrift in Änderung einer bald
hundertjährigen Praxis gestützt auf die Annahme gewandelter Auffassungen
eine grössere Tragweite zu geben, obschon das Kirchenrecht der Kantone
sich auch in neuerer Zeit weitgehend im herkömmlichen Rahmen entwickelt
habe. Zudem bestehe bereits eine wichtige Ausnahme: Juristische Personen,
die selber religiöse oder kirchliche Zwecke verfolgten, könnten gemäss
BGE 95 I 350 nicht verpflichtet werden, an andere Religionsgemeinschaften
Kultus- oder Kirchensteuern zu entrichten (BGE 102 Ia 468 E. 4 S. 475 ff.).

    Die Europäische Kommission für Menschenrechte trat mit Entscheid
vom 27. Februar 1979 auf die gegen dieses Urteil erhobene Beschwerde
nicht ein mit der Begründung, eine juristische Person mit wirtschaftlichem
Geschäftszweck komme weder in den Genuss des angerufenen Art. 9 EMRK
(SR 0.101) noch könne sie sich darauf berufen (in Décisions et rapports
16 S. 85 f.; auch in VPB 47/1983 Nr. 190 S. 579).

    b) Die Lehre steht der Rechtsprechung des Bundesgerichts von jeher
grossenteils ablehnend gegenüber. Dieses hat sich damit in BGE 102 Ia 468
eingehend auseinander gesetzt (vgl. dort Hinweise in E. 2a, wo auch die
zustimmenden Autoren aufgeführt werden). Die Kritik ist indessen nicht
verstummt. Dabei werden im Wesentlichen die Argumente wiederholt, mit
denen sich das Bundesgericht im erwähnten Entscheid bereits befasst hat.

    Vor allem wird betont, dass hinter den juristischen Personen natürliche
Personen ständen, und es sei grundrechtlich unhaltbar, diesen und deren
Religionsfreiheit nicht Rechnung zu tragen (vgl. ULRICH HÄFELIN, aaO, Art.
49, Rz. 102; ANDREAS KLEY, Der Grundrechtskatalog der nachgeführten
Bundesverfassung - ausgewählte Neuerungen, in ZBJV 135/1999 S. 301 ff.,
insbes. S. 337; JÖRG PAUL MÜLLER, Grundrechte in der Schweiz, 1999,
S. 101; ders., Die staatsrechtliche Rechtsprechung des Bundesgerichts
im Jahre 1976, in ZBJV 114/1978 S. 49 ff., insbes. S. 65 f., wo zu BGE
102 Ia 468 gesagt wird, das Bundesgericht hätte prüfen müssen, wie weit
es seine Aufgabe gewesen wäre, den grundrechtlichen Gehalt von Art. 49
Abs. 1 aBV und von Art. 9 EMRK "auch gegen erhärtete Strukturen unseres
Landeskirchenrechts zum Tragen zu bringen"). Nach ERNST BLUMENSTEIN/PETER
LOCHER, System des Steuerrechts, 5. Aufl. 1995, S. 50, steht die
Kirchensteuerpflicht in unlösbarer Verbindung mit der Persönlichkeit des
Menschen und kann daher der Natur der Sache nach nur natürlichen Personen
zukommen (ähnlich DANIEL PACHE, Les impôts ecclésiastiques, Diss. Lausanne
1981, S. 57). Als stossend wird namentlich auch empfunden, dass die
juristischen Personen mit dem Tätigkeitsbereich der Kirchen wenig zu tun
hätten; eine Gleichstellung mit den politischen Gemeinden rechtfertige
sich nicht und aus Art. 49 Abs. 6 aBV lasse sich nicht der Schluss ziehen,
für Kirchensteuern gelte das Territorialprinzip (vgl. ULRICH HÄFELIN,
aaO, Art. 49, Rz. 101). Der Entstehungsgeschichte könne heute keine grosse
Verbindlichkeit zuerkannt werden, und die Auslegung müsse berücksichtigen,
dass das Verständnis der Kirchen sich gewandelt habe; Kirchgemeinden
und Landeskirche würden mehr und mehr als auf rein personeller Grundlage
beruhende Personenverbände aufgefasst (vgl. ULRICH HÄFELIN, aaO, Art. 49,
Rz. 101 und 103). Nach PETER KARLEN (aaO, S. 366 f.) lässt sich bei der
Religionsfreiheit die Frage der Grundrechtsträgerschaft juristischer
Personen nicht kategorisch bejahen oder verneinen, sondern sie ist vom
in Frage stehenden Teilgehalt abhängig; die Berufung auf den sich aus der
Religionsfreiheit ergebenden Grundsatz von Art. 49 Abs. 6 aBV setze beim
Ansprecher keinerlei positive Glaubensbetätigung voraus. Deshalb stehe
er auch den juristischen Personen zu.

Erwägung 5

    5.- Die von der Beschwerdeführerin verlangte Aufgabe der
bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist nicht zum Vornherein
ausgeschlossen. Eine Praxis ist nämlich nicht unwandelbar und muss sogar
geändert werden, wenn sich erweist, dass das Recht bisher unrichtig
angewendet worden ist oder eine andere Rechtsanwendung dem Sinne des
Gesetzes (hier: der Verfassung) oder veränderten Verhältnissen besser
entspricht. Eine Praxisänderung muss sich allerdings auf ernsthafte
sachliche Gründe stützen können, die - vor allem aus Gründen der
Rechtssicherheit - umso gewichtiger sein müssen, je länger die als falsch
oder nicht mehr zeitgemäss erkannte Rechtsanwendung gehandhabt worden ist
(vgl. BGE 125 II 152 E. 4c/aa S. 162 f.; 125 I 458 E. 4a S. 471; 122 I
57 E. 3c/aa S. 59, je mit Hinweisen). Ob die Voraussetzungen für eine
Änderung der Rechtsprechung gegeben sind, ist im Folgenden zu prüfen.

    a) Die Regelung des Gemeindewesens ist Sache der Kantone. Entsprechend
sind diese frei, die Kirchgemeinden - wie der Kanton Thurgau es getan hat
(siehe oben E. 2c) - als Gebietskörperschaften auszugestalten. Diesfalls
aber kann die Steuerhoheit an die Gebietshoheit anknüpfen, und die
Mitgliedschaft zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft ist nicht
Voraussetzung für die Kirchensteuerpflicht von juristischen Personen. Da
sich diese nicht auf die Religionsfreiheit berufen können, verletzt ihre
Besteuerung auch nicht Art. 49 Abs. 6 aBV. Zudem ist die Kirchensteuer
als eigentliche Steuer voraussetzungslos geschuldet und somit nicht von
Gegenleistungen des Gemeinwesens abhängig (vgl. hiezu FERDINAND ZUPPINGER,
Zur Kirchensteuerpflicht juristischer Personen, in LOUIS CARLEN (Hrsg.),
Die Kirchensteuer juristischer Personen in der Schweiz, 1988, S. 11 ff.,
insbes. S. 14 ff. sowie S. 20).

    b) Das schweizerische Steuerrecht geht davon aus, dass die juristischen
Personen, vor allem auch die Aktiengesellschaften, selbständig besteuert
werden und einer besonderen Steuer unterliegen. Dies entspricht der
zivilrechtlichen Ordnung, nach der die juristische Person ein eigenes,
von den daran beteiligten natürlichen Personen getrenntes Dasein führt,
und ist auch fiskalisch begründet, denn damit werden unter eigenem Namen
und auf eigene Rechnung wirtschaftliche Zwecke verfolgt. Werden aber die
juristischen Personen allgemein als selbständige Steuersubjekte behandelt,
ohne dass auf die dahinter stehenden natürlichen Personen Rücksicht
genommen wird, so ist nicht einzusehen, weshalb einzig und allein für die
Kirchensteuer dieser Durchgriff vorzunehmen wäre (FERDINAND ZUPPINGER,
aaO, S. 17 f.; ERNST HÖHN/ROBERT WALDBURGER, aaO, § 4 Rz. 94).

    c) Angesichts dieser Verschiedenheiten zwischen natürlichen
Personen und juristischen Personen verstösst die Kirchensteuer der
juristischen Personen auch nicht gegen das Gebot der Rechtsgleichheit, denn
Verschiedenes darf verschieden behandelt werden (vgl. FERDINAND ZUPPINGER,
aaO, S. 19 f.). Die betreffenden Vorbringen der Beschwerdeführerin stossen
damit zum Vornherein ins Leere.

    d) Der Kritik ist einzuräumen, dass der Entstehungsgeschichte von
Art. 49 aBV aus heutiger Sicht kaum mehr entscheidende Bedeutung zukommt
und dass sich die Ansichten bezüglich des Verhältnisses zwischen Kirche
und Staat in den letzten Jahren (weiter) gewandelt haben. Massgebend ist
allerdings, in welcher Richtung sich das Kirchenrecht der Kantone in dieser
Zeit entwickelt hat (vgl. schon BGE 102 Ia 468 E. 4 S. 477). Weiter ist
die entsprechende Regelung in der neuen Bundesverfassung vom 18. April 1999
(BV) von Interesse.

    aa) In den Kantonen haben sich kaum wesentliche Änderungen ergeben. In
20 Kantonen werden von den juristischen Personen Kirchensteuern erhoben;
keine solchen Abgaben erheben die Kantone Aargau, Basel-Stadt, Appenzell
Ausserrhoden, Schaffhausen, Genf und Waadt, wobei der Kanton Waadt die
Kultusaufgaben aus dem Ertrag der ordentlichen Steuern finanziert (vgl.
Steuerinformationen der Interkantonalen Kommission für Steueraufklärung
"Die Kirchensteuern", Ausgabe Dezember 1999, S. 4, 14 und 21; FERDINAND
ZUPPINGER, aaO, S. 21; JOHANN GEORG FUCHS, Die Kirchensteuerpflicht
juristischer Personen als Unterstützung der Volkskirchen, in LOUIS CARLEN
(Hrsg.), aaO, S. 25 ff., insbes. S. 28). Dabei fällt ins Gewicht, dass -
wie in BGE 102 Ia 468 E. 2b S. 471 erwähnt - die Kantone Graubünden und
Nidwalden die Besteuerung juristischer Personen in der Kantonsverfassung
verankert haben und die Bundesversammlung diesen Verfassungen die
Gewährleistung erteilt hat; seit 1986 gilt dies auch für den Kanton
Basel-Landschaft (§ 140 Abs. 2 der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft
vom 17. Mai 1984, SR 131.222.2; Gewährleistungsbeschluss vom 11. Juni 1986,
BBl 1986 II 681).

    bb) Es fragt sich, ob die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene
Bundesverfassung vom 18. April 1999 Änderungen gebracht hat, die in eine
erneute Prüfung der Kirchensteuer juristischer Personen einzubeziehen sind.

    Art. 15 BV regelt die Glaubens- und Gewissensfreiheit und lautet
wie folgt:

    1 Die Glaubens- und Gewissensfreiheit ist gewährleistet.
      2 Jede Person hat das Recht, ihre Religion und ihre weltanschauliche
Überzeugung frei zu wählen und allein oder in Gemeinschaft mit anderen
zu bekennen.
      3 Jede Person hat das Recht, einer Religionsgemeinschaft beizutreten
      oder
anzugehören und religiösem Unterricht zu folgen.
      4 Niemand darf gezwungen werden, einer Religionsgemeinschaft
      beizutreten
oder anzugehören, eine religiöse Handlung vorzunehmen oder religiösem
Unterricht zu folgen.

    Eine Art. 49 Abs. 6 aBV entsprechende Regelung ist darin nicht
enthalten. Die bundesrätliche Botschaft vom 20. November 1996 über eine
neue Bundesverfassung hielt diesbezüglich - zum damaligen Art. 13 des
Entwurfs, der vom Wortlaut her mit Art. 15 BV übereinstimmt - fest,
diese lasse "sich aus Absatz 1 der vorliegenden Bestimmung ableiten"
(BBl 1997 I 157). Dem Bundesrat erschien gemäss BBl 1997 I 111 lediglich
eine Gesetzesanpassung nötig: "Artikel 49 Absatz 6 BV muss in die
Bundesgesetzgebung aufgenommen werden (DBG, SR 642.11; evtl. StHG,
SR 642.14)."

    In der parlamentarischen Beratung ergaben sich keine
Modifikationen. Aus den Vorarbeiten der Verfassungskommissionen des Stände-
und Nationalrats geht im Übrigen hervor, dass an der Kirchensteuer für
juristische Personen nichts geändert, insbesondere das Bundesgericht
nicht zur Aufgabe seiner ständigen Praxis gezwungen werden sollte;
auch die Verwendung des Personenbegriffs in Art. 15 Abs. 2 und 3 BV
("jede Person") wurde insoweit nicht im Sinne eines Abweichens von der
bisherigen Rechtsprechung verstanden.

    e) Im Hinblick auf die Verhältnisse in den Kantonen sowie mit Rücksicht
auf das Ergebnis der Totalrevision der Bundesverfassung besteht somit kein
Anlass, die nunmehr weit über 100 Jahre alte Praxis des Bundesgerichts
zur Kirchensteuer juristischer Personen zu ändern. Eine Änderung der
Rechtsprechung wäre für die Landeskirchen und die Kirchgemeinden,
aber auch für die Kantone selber, mit weitreichenden Folgen verbunden
(vgl. FERDINAND ZUPPINGER, aaO, S. 24). Dieser Gesichtspunkt mag zwar
eher rechtspolitischer Natur sein; er kann indes bei der Gesamtwürdigung,
ob und in welchem Umfang sich die Verhältnisse gewandelt haben, nicht
unbeachtet gelassen werden. Den Kantonen selber bleibt nicht verwehrt,
ihre bestehenden Regelungen zu revidieren. Hingegen ist es (weiterhin)
nicht Sache des Bundesgerichts, dies als Verfassungsrichter für 20 Kantone
zu tun (vgl. in diesem Zusammenhang PETER KARLEN, aaO, S. 368). Vom
zuletzt publizierten Bundesgerichtsentscheid von 1976 (BGE 102 Ia 468)
ausgehend, sind seither keine neuen ernsthaften sachlichen Gründe für eine
Praxisänderung aufgetreten bzw. geltend gemacht worden. Insbesondere hat
der Bundesgesetzgeber, trotz eines entsprechenden Vorbehalts in Art. 49
Abs. 2 Satz 2 aBV, keine - auch nicht im Zuge der Steuerharmonisierung -
auf einen Wandel gerichtete Regelungen getroffen. Ebenso unterblieb dies
bei der Nachführung der Bundesverfassung.