Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 I 1



126 I 1

1. Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2. Februar 2000
i.S. B. gegen Regierungsrat und Verwaltungsgericht des Kantons Aargau
(staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 4 Abs. 2 aBV; Art. 30 Abs. 2 und Art. 160 Abs. 1 ZGB; Art. 178
Abs. 2 und Art. 179 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 ZStV; § 1 lit. d der Aargauer
Verordnung über die Gebühren im Personenstandswesen.

    Tragweite von Art. 4 Abs. 2 Satz 1 aBV (E. 2a-c).

    Prüfungsbefugnis des Bundesgerichts betreffend die
Verfassungsmässigkeit von kantonalem Recht, das mit einer - gemäss Art. 113
Abs. 3 und Art. 114bis Abs. 3 aBV verbindlichen - bundesgesetzlichen
Regelung in Zusammenhang steht (E. 2e, f).

    Kantonale Gebühren für die Bewilligung, von der Trauung an den Namen
der Ehefrau als Familiennamen zu führen, verstossen gegen Art. 4 Abs. 2
aBV (E. 2d, g-h).

Sachverhalt

    Das Departement des Innern des Kantons Aargau erteilte den Brautleuten
F. und B. am 20. Juni 1997 auf deren Gesuch gemäss Art. 30 Abs. 2 ZGB
hin die Bewilligung, von der Trauung an den Namen der Ehefrau "B." als
Familiennamen zu führen. Zugleich setzte es gestützt auf § 1 lit. d der
Verordnung des Regierungsrates vom 6. Dezember 1995 über die Gebühren
im Personenstandswesen (PGebV) eine Staatsgebühr von Fr. 150.-, eine
Kanzleigebühr von Fr. 20.- und Auslagenersatz von Fr. 14.90, zusammen
Fr. 184.90, fest. Gegen diese Gebühr erhob B. erfolglos Beschwerde an
den Regierungsrat und anschliessend an das Verwaltungsgericht des Kantons
Aargau. B. erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Verwaltungsgerichts vom 17. Juni 1999 aufzuheben, akzessorisch die
Verfassungs- und EMRK-Konformität von § 1 lit. d der Verordnung über die
Gebühren im Personenstandswesen zu prüfen und die Verfassungswidrigkeit
dieser Bestimmung festzustellen. Sie rügt eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1
und 2 aBV sowie von Art. 8 und 14 EMRK (SR 0.101). Das Verwaltungsgericht
und der Regierungsrat des Kantons Aargau beantragen, die Beschwerde
abzuweisen. Das Bundesgericht heisst die staatsrechtliche Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Die Beschwerdeführerin beanstandet ausdrücklich nicht das
Fehlen einer gesetzlichen Grundlage für die erhobene Gebühr. Sie macht
jedoch geltend, die Gebühr verletze Art. 4 Abs. 1 und 2 aBV sowie Art. 8
und 14 EMRK: Während Männer gemäss Art. 160 Abs. 1 ZGB bei der Heirat
ihren Namen behalten könnten und demzufolge dafür auch keine Gebühr zu
entrichten hätten, müssten Frauen, die ihren Namen beibehalten wollten,
gemäss Art. 30 Abs. 2 ZGB um eine Bewilligung nachsuchen. Wenn für die
Erteilung dieser Bewilligung eine Gebühr erhoben werde, so würden Frauen,
die ihren Namen beibehalten wollen, anders behandelt als Männer, was
geschlechtsdiskriminierend sei.

    a) Nach Art. 4 Abs. 2 der hier noch massgebenden alten Bundesverfassung
vom 29. Mai 1874 (entspricht Art. 8 Abs. 3 der Bundesverfassung vom
18. April 1999) sind Mann und Frau gleichberechtigt. Die Gleichstellung
der Geschlechter in dieser Verfassungsbestimmung besagt, dass Mann und
Frau ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Verhältnisse und Vorstellungen
grundsätzlich in allen Bereichen gleich zu behandeln sind. Die Verfassung
schliesst die Geschlechtszugehörigkeit als taugliches Kriterium für
rechtliche Differenzierungen aus. Eine unterschiedliche Behandlung von
Mann und Frau ist nur noch zulässig, wenn auf dem Geschlecht beruhende
biologische oder funktionale Unterschiede eine Gleichbehandlung absolut
ausschliessen (BGE 125 I 21 E. 3a S. 24; 123 I 56 E. 2b S. 58; 117 Ia 270
E. 2a S. 272; 116 Ia 359 E. 6b S. 369 f.; 116 V 198 E. II.2a/bb S. 208 f.;
108 Ia 22 E. 5a S. 29).

    b) Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin werden von der
vorliegend streitigen Gebührenregelung nicht nur Frauen betroffen, die
bei der Eheschliessung ihren Namen beibehalten, sondern ebenso Männer, die
ihren Namen ändern wollen. Das Gesuch nach Art. 30 Abs. 2 ZGB kann nicht
von der Frau allein, sondern muss zwingend von den Brautleuten gemeinsam
gestellt werden (ROLF HÄFLIGER, Die Namensänderung nach Art. 30 ZGB,
Diss. Zürich, 1996, S. 149, mit weiteren Hinweisen). Dementsprechend
schulden - wie auch die Beschwerdeführerin anerkennt - beide Brautleute
gemeinsam die Gebühr und haften dafür solidarisch (§ 10 PGebV). Da ein
Brautpaar definitionsgemäss aus je einer Frau und einem Mann besteht
(Art. 96 ZGB), werden durch die Gebührenregelung zwangsläufig genau gleich
viele Männer wie Frauen betroffen.

    c) Das führt aber entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts
noch nicht dazu, dass Art. 4 Abs. 2 Satz 1 aBV unanwendbar wäre. Diese
Bestimmung verbietet nicht nur die Benachteiligung von Frauen, sondern -
unter Vorbehalt angemessener, verhältnismässiger Gleichstellungsmassnahmen
gemäss Art. 4 Abs. 2 Satz 2 aBV (vgl. dazu BGE 125 I 21 E. 3a S. 25 und
E. 3d/bb-cc, S. 31 f.) - jede nicht durch zwingende biologische oder
funktionale Unterschiede gerechtfertigte geschlechtsbezogene Regelung,
unabhängig davon, ob dadurch Frauen oder Männer benachteiligt werden;
das Recht muss geschlechtsneutral sein (BGE 123 I 56 E. 2; 120 V 312
E. 2a S. 314; 117 V 318 E. 2a S. 321; 116 Ib 270 E. 7a/b S. 283; 116 V
198 E. II.2a/bb S. 209; 109 Ib 81 E. 4d S. 88; ZBl 95/1994 S. 375, E. 1;
ZBl 88/1987 S. 306, E. 4b; ZBl 87/1986 S. 482, E. 2; ARTHUR HAEFLIGER,
Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich, Bern 1985, S. 86; GEORG MÜLLER,
Kommentar BV, Rz. 133 zu Art. 4; BEATRICE WEBER-DÜRLER, Aktuelle Aspekte
der Gleichberechtigung von Mann und Frau, ZBJV 1992, S. 357 ff., S. 358).

    d) Die streitige Gebühr wird im Ergebnis erhoben, wenn
ein Brautpaar bei der Eheschliessung den Namen der Frau als
Familiennamen wählen will. Hingegen ist keine Gebühr geschuldet,
wenn das Paar beschliesst, die gesetzliche Regelung (Name des Mannes
als Familienname) beizubehalten. Brautpaare, die den Frauennamen als
Familiennamen wünschen, sind damit anders gestellt als Paare, die den
Namen des Mannes wählen. Damit werden zwei Sachverhalte gestützt auf
ein geschlechtsbezogenes Kriterium unterschiedlich behandelt, ohne dass
sich diese Ungleichbehandlung mit biologischen oder funktionalen Gründen
rechtfertigen liesse.

    e) Der Grund für die Ungleichbehandlung ist im Bundesrecht angelegt:
Dieses erklärt von Gesetzes wegen den Namen des Mannes zum Familiennamen
(Art. 160 Abs. 1 ZGB), ohne dass dafür ein behördliches Verfahren
erforderlich wäre. Demgegenüber ist für die Zulassung des Frauennamens als
Familienname eine behördliche Bewilligung vorgeschrieben (Art. 30 Abs. 2
ZGB). In der Lehre besteht Einigkeit, dass diese bundesrechtliche Regelung
dem verfassungsrechtlichen Gebot der Gleichstellung der Geschlechter
nicht entspricht (ANDREAS BUCHER, Personnes physiques et protection de
la personnalité, 4. Aufl., Basel 1999, S. 192 Rz. 779; ROLAND BÜHLER,
Kommentar zum schweizerischen Privatrecht, Basel 1996, N. 3 zu Art. 160;
HÄFLIGER, aaO, S. 180; HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner Kommentar zum
ZGB, Bern 1999, N. 27 zu Art. 160; CYRIL HEGNAUER/PETER BREITSCHMID,
Grundriss des Eherechts, 3. Aufl., Bern 1993, S. 137; MARYSE JORNOD,
La femme et le nom en droits suisse et français, Thèse Lausanne 1991,
S. 65; CLAUDIA KAUFMANN, Die Gleichstellung von Frau und Mann in der
Familie gemäss Art. 4 Abs. 2 Bundesverfassung, Diss. Basel 1984,
S. 204 f.; MARLIES UND HEINZ NÄF-HOFMANN, Schweizerisches Ehe- und
Erbrecht, Zürich 1998, S. 5 und 10; WEBER-DÜRLER, aaO, S. 379). Auch
das Bundesgericht hat festgestellt, dass die Regelung des Familiennamens
im ZGB Art. 4 Abs. 2 aBV widerspricht (BGE 116 II 657 E. 5 S. 665; 115
II 193 E. 3b S. 197; vgl. auch BGE 122 III 414 E. 3c/aa S. 418). Der
Nationalrat hat deshalb einer parlamentarischen Initiative Folge gegeben,
mit welcher diese Ungleichbehandlung beseitigt werden soll, nachdem der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entgegen BGE 115 II 193 E. 6
in seinem Urteil vom 22. Februar 1994 i.S. Burghartz (A 280-B, Ziff. 27
ff.) entschieden hatte, die Regelung von Art. 160 Abs. 2 ZGB, wonach nur
die Ehefrau, nicht aber der Ehemann die Möglichkeit hat, dem Familiennamen
seinen Namen voranzustellen, stehe im Widerspruch zu Art. 8 und 14 EMRK
(p.I. Sandoz 94.434 vom 14. Dezember 1994, vgl. Bericht der Kommission
für Rechtsfragen des Nationalrates vom 31. August 1998, BBl 1999 4940).

    f) Das Verwaltungsgericht wie auch der Regierungsrat räumen ein, dass
die eherechtliche Namensregelung des ZGB nicht verfassungskonform sei. Der
Regierungsrat macht jedoch geltend, die fragliche Gebühr entspreche der
trotz Verfassungswidrigkeit massgebenden Bestimmung von Art. 30 Abs. 2
ZGB. Das Bundesgericht ist aufgrund von Art. 113 Abs. 3 und Art. 114bis
Abs. 3 aBV (bzw. Art. 191 BV) an die Regelung des Zivilgesetzbuches
gebunden, auch wenn dieses der Verfassung widerspricht (vgl. auch BGE 125
III 209 E. 5 S. 216; 116 II 657 E. 5 S. 665; 115 II 193 E. 3b S. 197). Dies
gilt jedoch nicht für kantonales Recht; dieses ist von den Gerichten
uneingeschränkt auf seine Verfassungsmässigkeit hin zu überprüfen. Zwar hat
das Bundesgericht dem Verbot der Geschlechtsdiskriminierung widersprechende
kantonale Regelungen geschützt, wenn sie in einem besonders engen Konnex
mit einer bundesgesetzlichen, für die Gerichte verbindlichen Regelung
stehen (BGE 106 Ib 182 E. 5 S. 190 f.; 109 Ib 81 E. 4a S. 86 und E. 5
S. 89; vgl. auch BGE 113 V 120 E. 2d S. 124) oder eine finanzielle
Mehrbelastung des einen Ehegatten abgelten, die sich aus einer im
Zivilgesetzbuch enthaltenen geschlechtsspezifischen Regelung ergab (nicht
publiziertes Urteil des Bundesgerichts vom 2. November 1994 i.S. O.,
E. 3). Wo jedoch kein zwingender Konnex mit einer für das Bundesgericht
massgebenden bundesgesetzlichen Regelung vorliegt, besteht kein Grund,
in der Sanktionierung kantonaler Verfassungswidrigkeiten Zurückhaltung zu
üben (BGE 116 V 198 E. II.3c S. 217; ZBl 87/1986 S. 482, E. 2b; BEATRICE
WEBER-DÜRLER, Grenzen des Rechtsschutzes bei der Gleichberechtigung,
in Festschrift Margrith Bigler-Eggenberger, Basel 1993, S. 344).

    g) Vorliegend besteht zwar ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen
der bundesgesetzlichen Regelung und der kantonalen Gebühr, indem
diese für die Durchführung des in Art. 30 Abs. 2 ZGB vorgeschriebenen
Bewilligungsverfahrens erhoben wird. Dieser Konnex ist jedoch nicht derart
eng und zwingend, dass dem Bundesgericht eine Überprüfung der kantonalen
Gebührenordnung verwehrt wäre. Das Bundesrecht schreibt für die Zulassung
des Frauennamens als Familiennamen eine Bewilligung vor, nicht aber
die Erhebung einer Gebühr. Es erlaubt zwar grundsätzlich den Kantonen,
Gebühren zu erheben (vgl. auch für die Tätigkeit der Zivilstandsämter
Art. 178 Abs. 2 und Art. 179 der Zivilstandsverordnung vom 1. Juni 1953
[ZStV; SR 211.112.1]). Bei der Ausgestaltung der entsprechenden Regelungen
haben die Kantone aber die Verfassung zu beachten. Nachdem für die blosse
Registrierung des gesetzlichen Familiennamens (Name des Ehemannes, Art.
160 Abs. 1 ZGB) bei der Eheschliessung keine Gebühr verlangt werden darf
(Art. 179 Abs. 1 Ziff. 1 und 2 ZStV), muss demzufolge auch auf eine Gebühr
verzichtet werden, wenn das Ehepaar den Namen der Frau als Familiennamen
wählt, selbst wenn das Bundesrecht (bisher) dafür ein Bewilligungsverfahren
vorschreibt. Andernfalls würde aufgrund eines geschlechtsspezifischen
Tatbestandsmerkmals eine Abgabe erhoben, was unzulässig ist.

    h) Verstösst somit die fragliche Gebühr bereits gegen Art. 4 Abs. 2
aBV, so kann offen bleiben, ob sie auch Art. 8 und 14 EMRK verletzt und
ob auch die der Gebühr materiell zu Grunde liegende Bestimmung von Art. 30
Abs. 2 und Art. 160 Abs. 1 ZGB vom Bundesgericht auf seine EMRK-Konformität
zu überprüfen wäre (vgl. dazu BGE 125 III 209 E. 5e S. 218; 122 III 414
E. 3a S. 416).