Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 IV 42



126 IV 42

7. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 11. Januar 2000
i.S. Erben des A. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich und X.
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Legitimation zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt
nach dem Tod des Opfers (Art. 270 BStP, Art. 2 Abs. 2 lit. b und Art. 8
Abs. 1 lit. c OHG).

    Die Erben des Opfers sind in dieser Eigenschaft nicht zur
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt befugt (E. 2).

    Die dem Opfer nahe stehenden Personen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 OHG
sind zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt nicht nur
dann legitimiert, wenn sie ihrerseits im Strafverfahren adhäsionsweise
Zivilansprüche wegen Beeinträchtigung ihrer Person geltend gemacht
haben, sondern auch dann, wenn sie eine vom Opfer selbst zu Lebzeiten
adhäsionsweise geltend gemachte Zivilforderung (hier: Genugtuungsforderung
wegen schwerer Körperverletzung) nach dessen Tod durch Erbgang erworben
haben und sich der angefochtene Entscheid negativ auf deren Beurteilung
auswirken kann (E. 3).

    Legitimation des Willensvollstreckers zur eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt? Frage offen gelassen (E. 4).

Sachverhalt

    Anlässlich eines Handgemenges löste sich am 10. September 1991 aus
der Waffe von X. ein Schuss, der A. von vorne in den Hals traf und schwer
verletzte (unheilbare Tetraplegie). A. ist knapp vier Jahre später,
am 10. August 1995, gestorben.

    Nachdem die Urteile des Obergerichts des Kantons Zürich vom
26. Februar 1993 respektive vom 2. März 1994 vom Zürcher Kassationsgericht
beziehungsweise vom Kassationshof des Bundesgerichts aufgehoben worden
waren, wurde X. am 19. Dezember 1995 vom Obergericht wegen fahrlässiger
schwerer Körperverletzung verurteilt und zur Zahlung einer Genugtuungssumme
an die Erben des inzwischen verstorbenen A. verpflichtet.

    Nach Aufhebung dieses Urteils durch das Zürcher Kassationsgericht
sprach das Obergericht des Kantons Zürich X. am 19. Dezember 1997
vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung frei. Auf die
Adhäsionsklage der Erben von A. auf Leistung einer Genugtuung trat es
nicht ein.

    Die Erben von A.  fechten das Urteil des Obergerichts im Strafpunkt
mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an.

    Am 20. Juli 1999 wies das Kassationsgericht des Kantons Zürich die
kantonale Nichtigkeitsbeschwerde der Erben von A. ab, soweit es darauf
eintrat.

Auszug aus den Erwägungen:

                    Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde steht dem Angeklagten
und dem öffentlichen Ankläger des Kantons zu (Art. 270 Abs. 1 Satz 1 BStP
[SR 312.0]). Sie steht auch dem Geschädigten zu, wenn er sich bereits
vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit sich der Entscheid auf die
Beurteilung seiner Zivilforderung auswirken kann (Art. 270 Abs. 1 Satz
2 BStP).

    Geschädigter im Sinne des Strafprozessrechts und damit auch gemäss
Art. 270 Abs. 1 Satz 2 BStP ist diejenige Person, welcher durch das
eingeklagte strafbare Verhalten unmittelbar ein Schaden zugefügt wurde
oder zu erwachsen drohte. Das ist in der Regel der Träger des Rechtsgutes,
welches durch die fragliche Strafbestimmung vor Verletzung oder Gefährdung
geschützt werden soll (BGE 120 Ia 220 E. 3b; 120 IV 154 E. 3c/cc S. 159;
117 Ia 135 E. 2a, mit zahlreichen Hinweisen).

    Nach dem Tod des Angeklagten steht die eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde seinen Verwandten und Verschwägerten in auf- und
absteigender Linie, seinen Geschwistern und dem Ehegatten zu (Art. 270
Abs. 2 BStP).

    Dagegen sieht das Gesetz nicht vor, dass nach dem Tod des
Geschädigten die Erben oder irgendwelche Angehörige zur eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt legitimiert sind.

    b) Die vom Geschädigten A. adhäsionsweise geltend gemachte
Genugtuungsforderung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung ist nach
dessen Tod auf die Erben übergegangen (siehe BGE 118 II 404 E. 3a S. 407
mit Hinweisen). Der Freispruch des Beschuldigten mangels Fahrlässigkeit
kann sich auf die Beurteilung dieser Forderung negativ auswirken.

    Daraus ergibt sich indessen nicht die Legitimation der Erben zur
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt. Hiefür ist nach der
insoweit abschliessenden gesetzlichen Regelung zusätzlich erforderlich,
dass der Beschwerdeführer ein Geschädigter (Art. 270 Abs. 1 Satz 2 BStP),
ein Opfer (Art. 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 4. Oktober 1991 über
die Hilfe an Opfer von Straftaten [OHG; SR 312.5]) oder eine dem Opfer
gleichgestellte Person (Art. 2 Abs. 2 OHG) ist. Die Erben eines Opfers
bzw. eines Geschädigten gehören in ihrer Eigenschaft als Erben nicht zu
diesem Personenkreis. Sie sind daher, auch wenn sie einen Zivilanspruch
aus angeblich strafbarer Handlung durch Erbgang erworben haben, nicht
zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt legitimiert
(ebenso SCHWERI, Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen,
1993, N. 261, 294; SCHMID, Strafprozessrecht, 3. Aufl. 1997, N. 1093;
a.M. insbesondere BERNHARD STRÄULI, Pourvoi en nullité et recours de
droit public au Tribunal fédéral, thèse Genève 1995, N. 105 f., 128 f.).

Erwägung 3

    3.- Bei den Erben des am 10. August 1995 verstorbenen Opfers A. handelt
es sich gemäss einem Schreiben der als Willensvollstreckerin eingesetzten
Rechtsanwältin an das Bundesgericht um die Witwe und drei Kinder, welche
im Kosovo leben. Diese vier Personen sind Personen im Sinne von Art. 2
Abs. 2 OHG.

    a) Gemäss Art. 2 Abs. 2 OHG werden der Ehegatte des Opfers, dessen
Kinder und Eltern sowie andere Personen, die ihm in ähnlicher Weise
nahe stehen, dem Opfer gleichgestellt u.a. bei "der Geltendmachung
von Verfahrensrechten und Zivilansprüchen (Art. 8 und 9), soweit ihnen
Zivilansprüche gegenüber dem Täter zustehen" (lit. b). Die in Art. 2
Abs. 2 OHG erwähnten Personen sind somit unter den in Art. 2 Abs. 2
lit. b und in Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG genannten Voraussetzungen zur
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt legitimiert, obschon
sie nicht Geschädigte im Sinne von Art. 270 Abs. 1 Satz 2 BStP sind.

    Damit stellt sich die Frage, was unter den "Zivilansprüchen gegenüber
dem Täter" im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. b OHG zu verstehen ist.

    b) Gemäss den Ausführungen in der Botschaft zum Opferhilfegesetz sind
die in Art. 2 Abs. 2 OHG erwähnten Personen dem Opfer in Bezug auf die
Verfahrensrechte nur gleichgestellt, "soweit die betreffenden Personen
selbst zivilrechtliche Ansprüche gegenüber dem Täter haben, die auf einer
Beeinträchtigung der eigenen Person oder auf Rechtsnachfolge beruhen"
(BBl 1990 II 961 ff., 978), soweit sie "des prétentions civiles propres
ou dérivées" gegen den Täter geltend machen können (FF 1990 II 909 ff.,
925). Zu den "prétentions dérivées" im Sinne der Ausführungen in der
französischsprachigen Botschaft gehören insbesondere die Ansprüche
des Opfers, die dessen Angehörige nach dem Tod des Opfers geerbt haben
(BERNARD CORBOZ, Les droits procéduraux découlant de la LAVI, SJ 1996
S. 53 ff., 59 f.). Art. 2 Abs. 2 lit. b OHG betrifft Zivilansprüche,
die den in Art. 2 Abs. 2 OHG erwähnten Personen "aus erbrechtlicher
Sicht oder gestützt auf haftpflichtrechtliche Überlegungen zustehen"
(GOMM/STEIN/ZEHNTNER, Kommentar zum Opferhilfegesetz, 1995, Art. 2 N.
29). Es geht um Zivilansprüche, die den in Art. 2 Abs. 2 OHG erwähnten
Personen "von Gesetzes wegen, sei es aus eigenem Recht oder aufgrund
einer Rechtsnachfolge, zustehen" (EVA WEISHAUPT, Die verfahrensrechtlichen
Bestimmungen des Opferhilfegesetzes (OHG), Diss. Zürich 1998, S. 48). Zu
den Zivilansprüchen im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. b OHG gehören somit
zum einen die selbständigen Ansprüche der in Art. 2 Abs. 2 OHG erwähnten
Personen gegen den Täter etwa auf Ersatz des Versorgerschadens (Art. 45
Abs. 3 OR) oder auf Leistung einer Geldsumme als Genugtuung (Art. 47 und
49 OR), zum andern aber auch die Zivilansprüche der in Art. 2 Abs. 2
OHG erwähnten Personen aus Erbnachfolge, d.h. etwa Schadenersatz- und
Genugtuungsforderungen des Opfers (im Sinne von Art. 2 Abs. 1 OHG) gegen
den Täter, welche beim Tod des Opfers durch Erbgang auf die in Art. 2
Abs. 2 OHG erwähnten Personen übergegangen sind (EVA WEISHAUPT, aaO,
S. 49 f.).

    c) Die Witwe und die drei Kinder des Opfers A. sind in dieser
Eigenschaft zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt
legitimiert. Denn sie sind dem Opfer nahe stehende Personen gemäss Art. 2
Abs. 2 OHG. Sie haben nach dem Tod des Opfers dessen adhäsionsweise geltend
gemachte Genugtuungsforderung durch Erbgang erworben. Damit steht ihnen
im Sinne von Art. 2 Abs. 2 lit. b OHG ein Zivilanspruch gegenüber dem
Täter zu. Das angefochtene Urteil, durch welches der Beschuldigte mangels
Fahrlässigkeit vom Vorwurf der fahrlässigen schweren Körperverletzung
freigesprochen worden ist, kann sich im Sinne von Art. 8 Abs. 1 lit. c
OHG auf die Beurteilung dieser Zivilforderung auswirken.

    d) Dabei ist jede einzelne dem Opfer nahe stehende Person, soweit
sie als Erbe an einem Zivilanspruch gegen den Täter mitberechtigt ist,
selbständig zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt
befugt. Denn nicht als Erbe und somit Angehörige der Erbengemeinschaft ist
sie zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt legitimiert,
sondern deshalb, weil sie dem Opfer nahe stand.

Erwägung 4

    4.- Die vorliegende Beschwerdeschrift ist von einer Rechtsanwältin
unterzeichnet, die zugleich als Willensvollstreckerin des verstorbenen
Opfers eingesetzt ist. Eine Vollmacht der gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. b
i.V.m. Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde
im Strafpunkt befugten Personen liegt nicht vor.

    a) Die Rechtsanwältin vertritt den Standpunkt, als
Willensvollstreckerin habe sie den Willen des Erblassers zu vertreten,
der u.a. darin bestehe, allfällige Forderungen durchzusetzen und
einzutreiben, allenfalls auch vor Bundesgericht. Mit der vorliegenden
Nichtigkeitsbeschwerde gehe es um die Durchsetzung einer Forderung des
Erblassers. Da ein Willensvollstrecker nicht von den Weisungen der Erben
abhängig sei, bedürfe er für seine Handlungen auch keiner Vollmacht
der Erben.

    b) Sofern der Willensvollstrecker mit der Verwaltung der Erbschaft
im Sinne von Art. 518 ZGB betraut ist, steht ihm anstelle des materiell
Berechtigten die aktive und passive Prozessführungsbefugnis im eigenen
Namen und als Partei zu (BGE 116 II 131 E. 3; 94 II 141 E. 1, je mit
Hinweisen; MARTIN KARRER, Basler Kommentar, N. 14 und N. 68 ff. zu
Art. 518 ZGB).

    c) Es ist indessen fraglich, ob der Willensvollstrecker im
Rahmen seiner Prozessführungsbefugnis auch zur eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt befugt ist. Wohl haben die Witwe
und die drei Kinder des Opfers dessen adhäsionsweise geltend gemachte
Genugtuungsforderung gegen den Beschuldigten durch Erbgang erworben. Sie
sind aber, wie erwähnt, nicht in ihrer Eigenschaft als Erben, sondern
in ihrer Eigenschaft als dem Opfer nahe stehende Personen im Sinne von
Art. 2 Abs. 2 OHG zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt
legitimiert. Zwar dient die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde eines
Opfers im Strafpunkt auch der Durchsetzung des adhäsionsweise geltend
gemachten Zivilanspruchs im Strafverfahren, da der Strafrichter nach
dem Opferhilfegesetz (s. Art. 9 OHG) nur im Falle einer Verurteilung
des Beschuldigten verpflichtet ist, zumindest dem Grundsatz nach über
den Zivilanspruch zu entscheiden. Das Verfahren der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt ist aber auch in diesem Fall kein
Prozess betreffend eine Zivilforderung und somit auch kein Prozess
betreffend einen zum Nachlass gehörenden Vermögenswert.

    Ob in einer Konstellation der hier vorliegenden Art der
Willensvollstrecker im Rahmen seiner Prozessführungsbefugnis auch zur
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde im Strafpunkt befugt ist, kann
indessen offen bleiben, da die Beschwerde ohnehin abzuweisen ist.