Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 IV 216



126 IV 216

34. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 22. November 2000
i.S. M. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, H.-D. und H.
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 179septies StGB; Missbrauch des Telefons.

    Ein einziger missbräuchlicher Anruf kann den objektiven Tatbestand
des Art. 179septies StGB erfüllen, wenn er nach den konkreten Umständen
geeignet ist, beim Betroffenen eine schwere Beunruhigung auszulösen. Bei
nur leichten bis mittelschweren Persönlichkeitsverletzungen durch das
Telefon ist hingegen eine gewisse Häufung von Einzelhandlungen erforderlich
(E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Nach Auffassung des Bezirksgerichts, auf welche die Vorinstanz
vollumfänglich verweist, hat der Beschwerdeführer mit seinen beiden
nächtlichen Telefonanrufen den objektiven Tatbestand des Telefonmissbrauchs
erfüllt. Denn er habe beim ersten Anruf gegenüber H. eine "verklausulierte"
Drohung ausgesprochen, indem er ihm sagte, er hätte nun viel Zeit für ihn.
Obschon nicht erstellt sei, was beim zweiten Anruf genau gesprochen wurde,
sei auch dieser unzweifelhaft zur Belästigung erfolgt. Anders lasse sich
die völlig unglaubhafte Begründung des Beschwerdeführers für den Anruf
nicht erklären. Die Geschädigten hätten ihm zuvor mehrmals klar gemacht,
dass seine Anrufe unerwünscht seien. Unter diesen Umständen habe auch der
zweite Anruf einzig den Zweck verfolgt, die Geschädigten zu belästigen. Der
Beschwerdeführer habe dabei vorsätzlich und aus Bosheit gehandelt, wobei
ihm die Belästigung der Geschädigten eine besondere Befriedigung oder
gar Freude bereitet habe.

    b) Der Beschwerdeführer bringt vor, der objektive Tatbestand des
Missbrauchs des Telefons sei durch die zwei Anrufe nicht erfüllt. Es
fehle bereits an der in der Doktrin geforderten minimalen Intensität der
Belästigung. Ein Telefonat um 23.00 Uhr in einer Grossstadt wie Zürich
könne nicht als Telefonieren zur Unzeit eingestuft werden. Zudem sei
das subjektive Tatbestandselement der Bosheit oder des Mutwillens nicht
erstellt; der subjektive Tatbestand werde von den Vorinstanzen nur vermutet
oder aus nicht verwertbaren Umständen abgeleitet.

Erwägung 2

    2.- a) Nach Art. 179septies StGB wird auf Antrag mit Haft oder
Busse bestraft, wer aus Bosheit oder Mutwillen eine dem Telefonregal
unterstehende Telefonanlage zur Beunruhigung oder Belästigung eines
anderen missbraucht. Die Bestimmung schützt das Persönlichkeitsrecht der
betroffenen Person vor bestimmten Beeinträchtigungen durch das Telefon
(MARTIN SCHUBARTH, Kommentar Strafrecht, Besonderer Teil, 3. Bd., Bern
1984, Art. 179septies N. 2; HUBERT ANDREAS METZGER, Der strafrechtliche
Schutz des persönlichen Geheimbereichs gegen Verletzungen durch Ton-
und Bildaufnahmen sowie Abhörgeräte, Diss. Bern 1972, S. 123). Der
Gesetzgeber wollte vor allem schikanöse Anrufe zur Nachtzeit und
telefonische unzüchtige Reden bekämpfen (AB 1968 N 345).

    Die Tathandlung des Missbrauchs zur Beunruhigung oder Belästigung
umreisst die Verbotsmaterie nicht genügend klar. Wann ein strafbarer
Missbrauch des Telefons vorliegt, ist daher durch den Richter zu
konkretisieren (vgl. BGE 121 IV 131 E. 5b S. 137 mit Hinweis).

    In der Literatur wird versucht, den Anwendungsbereich der Strafnorm
auf Handlungen zu begrenzen, die eine gewisse minimale Schwere
aufweisen. Aufgrund der Entstehungsgeschichte der Norm nimmt MARTIN
SCHUBARTH (aaO, N. 5 mit Hinweisen) an, dass vor allem schikanöse Anrufe
zur Nachtzeit und telefonische Belästigungen mit obszönen Äusserungen
erfasst werden sollten. Auch wenn solche Anrufe oft anonym erfolgten,
sei die Anonymität nicht Tatbestandsmerkmal. Zahlreiche Anrufe ohne jeden
Grund könnten den Tatbestand ebenfalls erfüllen. Für GÜNTER STRATENWERTH
(Schweizerisches Strafrecht, Besonderer Teil I, 5. Aufl. Bern 1995, § 12
N. 70) will die Vorschrift in erster Linie schikanöse Anrufe zur Nachtzeit
und telefonische Belästigungen mit obszönen Äusserungen erfassen. STEFAN
TRECHSEL (Kurzkommentar StGB, 2. Aufl. Zürich 1997, Art. 179septies
N. 1) nennt in diesem Zusammenhang ganz ähnlich Telefonate zur Unzeit,
in grosser Häufigkeit, obszönen Inhalts und mit Schweigen des Anrufers.
Für JÖRG REHBERG/NIKLAUS SCHMID (Strafrecht III, 7. Aufl. Zürich 1997,
S. 334) schränkt das Missbrauchsmerkmal den Anwendungsbereich der Norm
namentlich auf ständige oder nächtliche Anrufe, anonyme Anrufe und
unzüchtige Äusserungen ein. Einzig METZGER (aaO, S. 126) hält dafür,
dass auch nur ein einziger Anruf den Tatbestand erfüllen könne.

    b) aa) Angesichts der Unbestimmtheit des Missbrauchsmerkmals und
des im Gesetz nicht näher umschriebenen Grades der vom Täter angestrebten
Beunruhigung oder Belästigung der betroffenen Person ist die Verbotsmaterie
der Strafnorm durch den Richter auf eindeutig strafwürdige Verhaltensweisen
zu begrenzen. Art. 179septies StGB schützt das Persönlichkeitsrecht des
Opfers nicht vor jeder Beeinträchtigung durch das Telefon. Vielmehr müssen
lästige und beunruhigende Telefonate eine gewisse minimale quantitative
Intensität und/oder qualitative Schwere erreichen, damit sie als strafbare
Einwirkung in die Persönlichkeitssphäre des Opfers zu qualifizieren
sind. Bei leichten bis mittelschweren Persönlichkeitsverletzungen
durch das Telefon ist strafbarkeitsbegrenzend eine gewisse Häufung von
Einzelhandlungen zu fordern. Ab welcher Anzahl Anrufe ein strafbarer
Telefonmissbrauch gegeben ist, hängt von den konkreten Umständen ab und
lässt sich abstrakt nicht beantworten. Ein einziger missbräuchlicher Anruf
kann nur dann allenfalls den objektiven Tatbestand des Art. 179septies
StGB erfüllen, wenn er geeignet ist, beim Betroffenen eine schwere
Beunruhigung auszulösen.

    bb) Im hier zu beurteilenden Fall hatten sich die Betroffenen nach
zahlreichen Belästigungen und Drohungen seitens des Beschwerdeführers
wiederholt telefonische Kontaktaufnahmen durch diesen verbeten. Gleichwohl
rief der Beschwerdeführer am 23. Mai 1997 zu sehr früher Morgenstunde
H.-D. und H. an. Das Telefonat erfolgte zweifellos zur Unzeit. Die
Bemerkung des Beschwerdeführers gegenüber H. konnte bei abstrakter
Betrachtung als versteckte "Drohung" verstanden werden, ihn und
seine Freundin in Zukunft nicht in Ruhe zu lassen. Diese Drohung wog
jedoch vor dem Hintergrund der zahlreichen und erheblichen früheren
Belästigungen durch den Beschwerdeführer, namentlich der zuvor gegenüber
H. ausgesprochenen Morddrohung, weitaus schwerer. Am 10. Oktober 1996
hatte der Beschwerdeführer H. angerufen und ihm gedroht, er werde
ihn von hinten erschiessen, falls er nicht von H.-D. ablasse. Für
diese Äusserung wurde der Beschwerdeführer von der Vorinstanz wegen
versuchter Nötigung verurteilt. Auch wenn weitere, ähnliche Vorfälle
aus materiell-rechtlichen Gründen zu Freisprüchen durch die Vorinstanz
führten, erhielt die telefonische Drohung vom 23. Mai 1997 auch dadurch
besonderes Gewicht. Unter diesen Umständen ist die vom Anruf und von der
Drohung ausgehende Beunruhigungs- und Belästigungswirkung objektiv als
schwer zu werten.

    Der vom Beschwerdeführer zwei Tage später am 25. Mai 1997 um 23.00
Uhr getätigte Anruf erscheint selbst in einer Stadt wie Zürich als
vergleichsweise spät. Wenngleich von einem Anruf zur Unzeit wohl noch
nicht gesprochen werden kann, ist er unter Missbrauchsgesichtspunkten
im Zusammenhang mit dem früheren Anruf und der gegen H. ausgestossenen
Morddrohung zu würdigen. Wie die Vorinstanz für das Bundesgericht
verbindlich feststellt (Art. 277bis Abs. 1 BStP [SR 312.0]), war der
vom Beschwerdeführer angegebene Grund für den Anruf nur vorgeschoben. Es
ging ihm wie schon beim ersten Anruf allein darum, H.-D. und ihren neuen
Freund zu belästigen. Die neuerliche Störung war geeignet, die durch den
ersten Anruf ausgelöste Beunruhigung der Betroffenen wieder wachzurufen
und zu verstärken. Sie wog damit nicht mehr leicht.

    Die beiden Anrufe des Beschwerdeführers erreichten zwar nicht
quantitativ, jedoch qualitativ eine dem Wesen des (objektiven) Tatbestandes
des Telefonmissbrauchs entsprechende Intensität. Sie waren vor dem
Hintergrund der früheren Morddrohung des Beschwerdeführers gegen H. und
weiterer, vergleichbarer Vorfälle geeignet, die angerufenen Personen
erheblich zu beunruhigen und zu belästigen. Nachdem die Vorinstanz in
subjektiver Hinsicht verbindlich feststellt, dass dem Beschwerdeführer die
Belästigung der Betroffenen eine besondere Befriedigung oder gar Freude
bereitete, verletzt seine Verurteilung wegen Missbrauchs des Telefons
kein Bundesrecht.