Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 IV 203



126 IV 203

32. Auszug aus dem Urteil der Anklagekammer vom 8. November 2000
i.S. K. gegen Schweizerische Bundesanwaltschaft Regeste

    Art. 344 Ziff. 1 StGB; Art. 122 BStP. Zuständigkeit bei
Delegationsstrafsachen.

    Mit der Delegation der Bundesstrafsache an einen Kanton geht die
Verfahrensherrschaft vollständig an die kantonalen Behörden über (E. 2).

    Entschädigungsgesuche nach Art. 122 BStP sind - soweit sie sich auf
den unter der Verfahrensherrschaft des Bundes abgewickelten Teil der
Strafuntersuchung beziehen - trotz des Übergangs der Verfahrensherrschaft
vom Bund auf den Kanton an die Anklagekammer des Bundesgerichts zu richten
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die schweizerische Bundesanwaltschaft eröffnete am 11. August
1994 gegen K. und S. im Zusammenhang mit der Beschaffung von EDV-Geräten
an der ETHZ ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren, welches in
der Folge auf G. ausgedehnt wurde. Am 31. August 1994 wurde K. auf Antrag
der Bundesanwaltschaft in Untersuchungshaft versetzt, aus welcher er am
8. Dezember 1994 entlassen wurde.

    Am 8. September 1994 erstatteten die Firma M. Corporation (USA)
und A. gegen K. bei der Bundesanwaltschaft Strafanzeige wegen Betruges,
Veruntreuung, qualifizierter ungetreuer Geschäftsführung und betrügerischen
Konkurses, worauf diese das Verfahren entsprechend ausdehnte.

    Am 28. Oktober 1994 erteilte das Eidgenössische Justiz-
und Polizeidepartement die Ermächtigung zur Strafverfolgung des
ETHZ-Bediensteten S. und des Bundesbeamten G. und vereinigte die weitere
Untersuchung und Beurteilung der gesamten Strafsache in der Hand der
Strafbehörden des Bundes.

    Der Eidgenössische Untersuchungsrichter eröffnete am 4. November 1994
gegen die Beschuldigten eine eidgenössische Voruntersuchung.

    Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement vereinigte in
Wiedererwägung seiner Verfügung vom 28. Oktober 1994 in Anwendung von
Art. 344 Ziff. 1 StGB die weitere Untersuchung und Beurteilung der
gesamten Strafsache am 22. April 1996 in der Hand der Strafbehörden des
Kantons Zürich; dies mit der Begründung, der überwiegende Teil der den
Beschuldigten zur Last gelegten strafbaren Handlungen unterliege der
kantonalen Gerichtsbarkeit, mit Schwergewicht im Kanton Zürich.

    B.- Die Bezirksanwaltschaft des Kantons Zürich stellte das gegen
S. und G. geführte Verfahren am 27. Oktober 1998 vollumfänglich ein. Die
Untersuchungskosten wurden zu 5/10 auf die Staatskasse genommen, zu 1/10
S. und zu 2/10 G. auferlegt. Auch die gegen K. geführte Strafuntersuchung
wurde eingestellt, soweit diese die Beschaffungsgeschäfte im Zusammenhang
mit der ETHZ betraf. Die verbleibenden 2/10 der Untersuchungskosten wurden
K. auferlegt. Den Beschuldigten wurde in Anwendung von § 43 Abs. 1 StPO/ZH
weder eine Entschädigung noch eine Genugtuung ausgerichtet.

    Einen gegen die Einstellung betreffend K. gerichteten Rekurs der
Bundesanwaltschaft wies der Einzelrichter am Bezirksgericht Zürich am
29. September 1999 vollumfänglich ab. Diese Einstellungsverfügung ist
rechtskräftig.

    Der Rekurs der Bundesanwaltschaft betreffend die Untersuchung
gegen S. und G. wurde teilweise gutgeheissen, zum grössten Teil aber
ebenfalls abgewiesen. Auf die gegen diesen Entscheid erhobenen kantonalen
Nichtigkeitsbeschwerden trat das Obergericht des Kantons Zürich mit
Beschlüssen vom 8. Dezember 1999 nicht ein.

    C.- Mit Verfügung vom 21. Juni 1999 stellte die Bezirksanwaltschaft
des Kantons Zürich einen weiteren Teil der Untersuchung gegen K. ein. Die
Kosten wurden diesem zu einem Viertel auferlegt; drei Viertel wurden auf
die Staatskasse genommen. Eine Umtriebsentschädigung oder Genugtuung wurde
nicht zugesprochen. Für den verbleibenden Teil der K. zur Last gelegten
strafbaren Handlungen erhob die Bezirksanwaltschaft Zürich Anklage beim
Bezirksgericht Zürich wegen betrügerischen Konkurses, Betruges etc.

    Am 19. November 1999 verurteilte das Bezirksgericht Zürich K.
wegen mehrfacher ungetreuer Geschäftsführung (Art. 159 Abs. 1 StGB,
teilweise in Verbindung mit Abs. 2 aStGB) zu drei Monaten Gefängnis;
an diese Strafe wurde die erstandene Untersuchungshaft von 101 Tagen
angerechnet. Von den übrigen Anschuldigungen wurde er freigesprochen. Der
Vollzug der Freiheitsstrafe wurde aufgeschoben. Die Kosten der Untersuchung
wurden K. vollumfänglich auferlegt; eine Entschädigung wurde ihm nicht
zugesprochen.

    Ein gegen die Einstellungsverfügung gerichtetes Gesuch um gerichtliche
Beurteilung der Kosten- und Entschädigungsfolge wurde durch den
Einzelrichter des Bezirksgerichts Zürich am 13. Dezember 1999 teilweise
gutgeheissen, indem die teilweise Kostenauflage aufgehoben wurde. Auf
die mit dem Gesuch ebenfalls gestellten Begehren um Ausrichtung einer
Entschädigung von Fr. 250'000.- und einer Genugtuung von Fr. 112'500.-
wurde nicht eingetreten, da die durch die Bundesanwaltschaft angeordnete
Untersuchungshaft im Zeitpunkt der Abtretung der Untersuchung - am
8. November 1996 - nicht mehr angedauert habe und K. seit dem 4. November
1994 einen amtlichen Verteidiger gehabt habe. Die Kosten wurden zu zwei
Dritteln K. auferlegt, im Übrigen auf die Gerichtskasse genommen.

    Einen gegen diesen Entscheid gerichteten Rekurs überwies das
Obergericht des Kantons Zürich am 31. März 2000 der II. Strafkammer als
Berufungsgericht, da inzwischen sowohl K. als auch die Staatsanwaltschaft
des Kantons Zürich gegen das Urteil vom 19. November 1999 Berufung
erhoben hatten.

    Mit Verfügung vom 30. Mai 2000 bestätigte die Bezirksanwaltschaft des
Kantons Zürich die Einstellung der Untersuchungen gegen S. und G. und auch
die in der früheren Einstellung vom 27. Oktober 1998 verfügte teilweise
Auflage der Verfahrenskosten von Fr. 150'444.95. Den Beschuldigten wurde
weder eine Umtriebsentschädigung noch eine Genugtuung zugesprochen.

    Ein Gesuch von K. um gerichtliche Beurteilung der Kosten- und
Entschädigungsfolgen der Einstellungsverfügung vom 30. Mai 2000 ist vor
dem Einzelrichter des Bezirksgerichts hängig.

    D.- Mit Eingabe vom 21. August 2000 an die Anklagekammer des
Bundesgerichts ersucht K. um "gerichtliche Beurteilung des Kosten-
und Entschädigungsentscheides" in der Einstellungsverfügung der
Bezirksanwaltschaft des Kantons Zürich vom 30. Mai 2000. Er beantragt,
die Ziffern 3 und 4 dieser Verfügung aufzuheben, soweit er durch
diese beschwert sei (Ziff. 1); zudem seien die von ihm geleistete
Kaution von Fr. 5'000.- samt Zinsen zurückzuerstatten sowie die
durch den Eidgenössischen Untersuchungsrichter verfügte Sperre seiner
Vermögenswerte bei der Hyposwiss in Zürich aufzuheben (Ziff. 2 und 3);
ferner seien ihm eine Entschädigung von mindestens Fr. 900'000.- und eine
Genugtuung von mindestens Fr. 450'000.- zuzusprechen (Ziff. 4 und 5). Er
beantragt schliesslich, vorab über die Zuständigkeit der Anklagekammer
zu entscheiden.

    Das Bundesgericht tritt auf das Gesuch nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Das Gesuch wirft die grundsätzliche Frage auf, ob in Fällen wie
dem vorliegenden, in welchen die Bundesbehörden eine Strafuntersuchung
zwar angehoben, diese dann aber an einen Kanton delegiert haben, dessen
Behörden oder die Bundesbehörden zuständig sind, über die Aufhebung einer
Einstellungsverfügung, die Freigabe einer Kaution, die Aufhebung einer
Kontensperre sowie ein Entschädigungsbegehren im Sinne von Art. 122 BStP
(SR 312.0) zu befinden.

Erwägung 2

    2.- Der Delegationsbeschluss ist eine Gerichtsstands- und
Kompetenzdelegationsverfügung, die die Bundesstrafsache als Ganzes in
ihrem vollen Umfang an einen Kanton überträgt; die kantonalen Behörden
werden damit anstelle des Bundes zuständig, weshalb dessen Behörden keinen
Einfluss mehr auf den Gang der Untersuchung haben (BGE 119 IV 92 E. 2f
S. 99; 113 IV 104 E. 2b S. 106). Mit der Delegation der Bundesstrafsache
an einen Kanton geht somit die Verfahrensherrschaft vollständig an die
kantonalen Behörden über.

    a) Soweit der Gesuchsteller deshalb beantragt, die
Einstellungsverfügung der Bezirksanwaltschaft des Kantons Zürich vom
30. Mai 2000 aufzuheben, ist darauf nicht einzutreten. Diese ist mit den
entsprechenden kantonalen Rechtsmitteln anzufechten, was offensichtlich
auch bereits geschehen ist.

    b) Halten die kantonalen Strafverfolgungsbehörden durch die
Bundesbehörden angeordnete prozessuale Massnahmen nach der Übernahme
des Verfahrens weiterhin aufrecht, sind sie auch zuständig, über deren
weiteres Schicksal zu befinden. Soweit der Gesuchsteller daher die
Rückerstattung der Kaution bzw. die Aufhebung der Kontensperre verlangt,
hat er sich dafür an die Behörden des Kantons Zürich zu wenden. Auch auf
die Anträge Ziffer 2 und 3 ist deshalb nicht einzutreten.

Erwägung 3

    3.- Soweit ersichtlich, bezieht sich das Gesuch um Entschädigung
und Genugtuung gemäss Ziffer 4 und 5 der Anträge auf den Teil des
Ermittlungsverfahrens, welcher noch durch die Bundesbehörden geführt wurde,
bevor die Strafuntersuchung im April 1996 an den Kanton Zürich delegiert
wurde, der sie dann einstellte. Entschädigungsgesuche nach Art. 122 BStP
sind - soweit sie sich auf den unter der Verfahrensherrschaft des Bundes
abgewickelten Teil der Strafuntersuchung beziehen - nach der Rechtsprechung
der Anklagekammer trotz des Übergangs der Verfahrensherrschaft vom
Bund auf den Kanton an die zuständigen Bundesbehörden zu richten; die
Entschädigung für allfällige, in diesem Abschnitt des Verfahrens erlittene
Nachteile ist denn auch durch den Bund zu leisten (Art. 122 BStP; BGE
83 IV 207 E. 2 S. 209, unter Hinweis auf BGE 69 IV 187; bestätigt im
unveröffentlichten BGE vom 7. Dezember 1989 i.S. L. gegen Schweizerische
Bundesanwaltschaft). Das Bundesgericht wendet den gleichen Grundsatz auch
in Fällen an, in denen die Behörden eines Kantons die Strafverfolgung von
einem anderen Kanton übernommen und durch Einstellungsverfügung oder ein
freisprechendes Urteil abgeschlossen haben (BGE 108 Ia 13 E. 4 S. 17,
mit Hinweis auf BGE 69 IV 187; vgl. auch BGE 121 IV 34). Dazu führte
das Bundesgericht aus, es liege nahe, dass der für die Anordnung der
Zwangsmassnahme verantwortliche Kanton entscheide, ob und inwieweit für
deren allfällige nachteilige Folgen nach seinem Recht eine Entschädigung
zu zahlen sei; denn es sei schlechterdings nicht ersichtlich, aus welchen
Gründen ein Kanton, welcher ein Strafverfahren als Letzter übernommen und
zum Abschluss gebracht habe, für die von anderen Kantonen angeordneten
und durchgeführten Zwangsmassnahmen verantwortlich sein solle.

    Von dieser geltenden Rechtsprechung geht auch der Einzelrichter
des Bezirksgerichts Zürich aus, wo der Fall ebenfalls hängig ist. Er
vertritt deshalb zu Recht die Auffassung, das Entschädigungsbegehren
des Gesuchstellers sei vollständig und dessen Genugtuungsbegehren zur
Hauptsache (d.h. soweit es sich nicht auf das Verfahren nach der Delegation
an den Kanton Zürich bezieht) gegenüber dem Bund zu stellen.

    Danach ist die Anklagekammer des Bundesgerichts grundsätzlich zur
Behandlung des Gesuches um Entschädigung und Genugtuung zuständig.

Erwägung 4

    4.- Der Gesuchsteller betont, dass es ihm darum gehe, die Zuständigkeit
eindeutig zu klären. Er substanziiert denn auch seine Begehren um
Ausrichtung einer Entschädigung und einer Genugtuung nicht näher. Es wird
unter diesen Umständen darauf verzichtet, das vorliegende Gesuch von
Amtes wegen gemäss Art. 122 Abs. 3 BStP zur vorgängigen Stellungnahme
und Antragstellung der Eidgenössischen Untersuchungsrichterin zu
überweisen. Der Gesuchsteller wird, sofern er an seinen Anträgen festhalten
will, über diese der Anklagekammer des Bundesgerichts ein begründetes
Gesuch um Ausrichtung einer Entschädigung für die Untersuchungshaft und
andere erlittene Nachteile einzureichen haben. Dabei könnte es sich als
zweckmässig erweisen, mit dem Gesuch zuzuwarten, bis die Behörden des
Kantons Zürich über die bei ihnen eingereichten Gesuche bzw. über die
Anrechnung der ausgestandenen Untersuchungshaft entschieden haben.