Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 IV 198



126 IV 198

31. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 13. März 2000 in Sachen
R. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen (Nichtigkeitsbeschwerde)

    Art. 8. Abs. 1 lit. d, Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4 BetmG, Art. 18 Abs. 2
StGB; Handel mit Hanfprodukten, subjektiver Tatbestand. Regeste

    Jedenfalls dann, wenn Hanfprodukte vertrieben werden, deren Gehalt
an THC den gesetzlichen Grenzwert überschreitet, kann der subjektive
Tatbestand auch in der Form des Eventualvorsatzes erfüllt werden (E. 2).

Auszug aus den Erwägungen:

Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht geltend, der Verkauf von "Duftsäcklein"
falle nicht unter die Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes (BetmG;
SR 812.121).

    Nach Art. 1 Abs. 2 lit. a Ziff. 4 BetmG fällt Hanfkraut als Rohmaterial
unter die vom Betäubungsmittelgesetz erfassten Substanzen (BGE 124 IV 44
E. 2b S. 46), ohne Rücksicht auf den Gehalt an psychoaktiven Substanzen
(bei Hanf insbesondere Delta-Tetrahydrocannabinol [THC]). Handel und
Umgang mit Hanfkraut unterstehen somit der staatlichen Kontrolle (Art. 2
BetmG). Dient das Hanfkraut der Gewinnung von Betäubungsmitteln,
so verbietet Art. 8 Abs. 1 lit. d BetmG ausnahmslos Anbau und
Inverkehrbringen. Das Verbot trifft die ganze Pflanze, nicht nur die
Teile mit hohem Gehalt an THC (BGE 126 IV 60 E. 2a). Wann Hanfkraut als
Rohmaterial respektive als gebrauchsfertiges Betäubungsmittel zu gelten
hat, geht aus dem Betäubungsmittelgesetz zwar nicht hervor, lässt sich aber
aus der Gesetzgebung zu den Lebensmitteln und der Landwirtschaft herleiten.

    Der Bundesrat hat in bestimmten Fällen Anbau und Verkauf von Hanf
gestattet. So können Hanf und Hanfprodukte zugelassene Bestandteile von
Lebensmitteln sein (Art. 1 und 2 i.V.m. Anhang 4 S. 88 der Verordnung
über Fremd- und Inhaltsstoffe in Lebensmitteln [FIV] vom 26. Juni
1995, SR 817.021.23, gestützt auf Art. 7, 9 Abs. 2 und 16 Abs. 3 der
Lebensmittelverordnung vom 1. März 1995, SR 817.02). Die Vorschriften
zur Landwirtschaft erlauben den Anbau einiger namentlich aufgeführter
Hanfsorten ("Industriehanf", Art. 4 und Anhang 4 S. 18 der Verordnung
des Bundesamts für Landwirtschaft über den Sortenkatalog für Getreide,
Kartoffeln, Futterpflanzen und Hanf [Sortenkatalog-Verordnung] vom
7. Dezember 1998, SR 916.151.6; Delegation der Zuständigkeit an das
Bundesamt für Landwirtschaft in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung über die
Produktion und das Inverkehrbringen von pflanzlichem Vermehrungsmaterial
[Saatgut-Verordnung] vom 7. Dezember 1998, SR 916.151, gestützt
insbesondere auf Art. 162 des Bundesgesetzes über die Landwirtschaft vom
29. April 1998, SR 910.1).

    In allen genannten Fällen haben die zuständigen Bundesämter Grenzwerte
für den Gehalt an THC festgesetzt, die nicht überschritten werden dürfen,
damit die zugelassenen Produkte und Hanfsorten nicht als Betäubungsmittel
missbraucht werden. Beim Industriehanf liegt der Grenzwert bei einem
THC-Gehalt von 0,3 % (Sortenkatalog-Verordnung Anhang 4 S. 18), bei
Lebensmitteln je nach Produkt zwischen 0,2 und 50 mg THC/kg, also
zwischen 0,00002 und 0,005 % (FIV Anhang 4 "Liste der zugelassenen
Höchstkonzentrationen [Toleranz und Grenzwerte] für andere Stoffe oder
Inhaltsstoffe", S. 88). Diese Grenzwerte können als Massstab dafür
dienen, ab welchem Gehalt an THC ein Hanfprodukt als Betäubungsmittel
gelten muss und nach Art. 8 Abs. 1 lit. d BetmG nicht mehr in Verkehr
gebracht werden darf.

    Der THC-Gehalt der vom Beschwerdeführer vertriebenen Produkte lag
über den Grenzwerten. Der Verkauf dieser Produkte widerspricht somit dem
Betäubungsmittelgesetz. Die Bemühungen, dieses Gesetz im Lichte neuerer
Erkenntnisse zu überarbeiten, und die allfälligen Einsatzmöglichkeiten von
Hanfprodukten ausserhalb des Bereichs der Betäubungsmittel können daran
nichts ändern. Wie die Vorinstanz richtig ausführt, ist der Richter an
das geltende Gesetz gebunden (BGE 124 IV 44 E. 2b S. 46; 120 IV 256 E. 2c
S. 260). Auch aus der Rechtsprechung des Bundesgerichts zu "Ecstasy" (BGE
125 IV 90; 124 IV 286), auf die sich der Beschwerdeführer beruft, ergibt
sich nichts zu seinen Gunsten. In beiden Entscheiden wurde eine Abstufung
der Gefährlichkeit verschiedener Drogen vorgenommen, deren Unterstellung
unter das Betäubungsmittelgesetz aber nicht in Frage gestellt. Die im
Vergleich mit anderen Drogen geringere gesundheitsschädigende Wirkung von
Hanfprodukten kann im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigt werden. Die
Vorinstanz hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Ihr Entscheid
verletzt insoweit kein Bundesrecht.

Erwägung 2

    2.- Der Beschwerdeführer macht geltend, dass der Handel mit Hanfkraut
nur dann nach Art. 19 Ziff. 1 BetmG strafbar sei, wenn
   die bestimmte Absicht zur Gewinnung von Betäubungsmitteln
vorliege. Er nimmt damit die von einem Teil des Schrifttums vertretene
Meinung auf, dass der Vertrieb von Hanf aufgrund von Art. 8 Abs. 1 lit. d
BetmG nur dann gegen das Betäubungsmittelgesetz verstosse, wenn der
Handel zur Gewinnung von Betäubungsmitteln erfolgt. Die Straftatbestände
von Art. 19 Ziff. 1 BetmG seien erst erfüllt, wenn ein qualifizierter
Vorsatz im Sinne eines Handlungsziels "zur Gewinnung von Betäubungsmitteln"
vorliege; nur in dem Fall sei auch der Handel nach Art. 19 Ziff. 1 Abs. 4
BetmG unbefugt (PETER ALBRECHT, Der Verkauf von sog. "Duftkissen" -
eine strafbare Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz?, SJZ
95/1999 S. 497, derselbe, Kommentar zum schweizerischen Strafrecht,
Sonderband Betäubungsmittelstrafrecht, Bern 1995, Art. 19 BetmG N.
93). ALBRECHT befürchtet eine Überdehnung des Anwendungsbereichs von
Art. 19 Ziff. 1 BetmG vor allem bei den Teilnahmetatbeständen, falls die
teilweise sehr weit gefassten Tatbestandsalternativen ohne Einschränkung
mit Eventualvorsatz erfüllt werden könnten, insbesondere bei üblichen
Geschäften des täglichen Lebens oder sonstigen normalen Alltagshandlungen
(Kommentar N. 94 f.).

    Diese Bedenken sind ernst zu nehmen. Vorliegend geht es jedoch um den
Erwerb und Verkauf von Betäubungsmitteln und nicht um irgendwelche übliche
Geschäfte des täglichen Lebens oder sonstige normale Alltagshandlungen.
Der objektive Tatbestand des Erwerbs und Verkaufs von Betäubungsmitteln ist
erfüllt, wenn Hanfprodukte vertrieben werden, deren Gehalt an THC den noch
zulässigen Grenzwert überschreitet. In solchen Fällen besteht kein Grund,
Eventualvorsatz für die Erfüllung des Tatbestandes nicht genügen zu lassen.

    Nach den für das Bundesgericht verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) hat der
Beschwerdeführer seine Hanfprodukte zu Preisen erstanden und abgesetzt,
die weit über den für zugelassene Hanfprodukte üblichen Preisen lagen. Der
Beschwerdeführer war sich im Klaren darüber, dass die von ihm vertriebenen
Produkte als Betäubungsmittel verwendet werden konnten, sonst hätte
er nicht schriftliche Warnungen vor dem gesetzwidrigen Gebrauch an die
Kunden abgegeben und die Warnungen von ihnen unterschreiben lassen. Die
Verkaufszahlen ergeben einen deutlichen Hinweis, dass die Möglichkeit
des Missbrauchs rege genutzt wurde. Der Beschwerdeführer verkaufte
"Duftsäcklein" in einer Menge, die eine Verwendung für die geltend
gemachten gesundheitsfördernden Zwecke unglaubwürdig macht. Dies musste dem
Beschwerdeführer bewusst sein, doch hat er sich nicht vom Verkauf seiner
Produkte abhalten lassen, auch nicht, als bereits Strafuntersuchungen gegen
ihn liefen. Er hat damit die Verwendung der von ihm vertriebenen Produkte
als Betäubungsmittel in Kauf genommen und mit Eventualvorsatz gehandelt
(BGE 125 IV 242 E. 3c S. 251 mit Hinweisen). Ob direkter Vorsatz gegeben
wäre, braucht nicht geprüft zu werden (vgl. dazu BGE 126 IV 60 E. 2b). Das
Urteil der Vorinstanz, das von Eventualvorsatz des Beschwerdeführers
ausgeht, verletzt kein Bundesrecht.