Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 II 439



126 II 439

45. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
21. Juni 2000 i.S. A. gegen Kantonales Amt für Ausländerfragen des Kantons
Zug und Verwaltungsgericht des Kantons Zug (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 13b Abs. 2 ANAG; Verlängerung der Ausschaffungshaft.

    Verhältnismässigkeit der Dauer der Verlängerung einer Ausschaffungshaft
(E. 4).

Sachverhalt

    Der angeblich armenische Staatsangehörige A., geb. 7.  Juni 1979,
der auch unter verschiedenen anderen Namen auftritt, reiste am 9. Januar
2000 von Deutschland her, wo er bereits einen Asylantrag gestellt hatte,
illegal in die Schweiz ein und ersuchte auch hier um Asyl. Am 7. Februar
2000 trat das Bundesamt für Flüchtlinge auf das Gesuch nicht ein und wies
A. mit Frist bis zum 8. Februar 2000 aus der Schweiz weg. Am 9. Februar
2000 wurde A. den deutschen Behörden rücküberstellt.

    Am 2. März 2000 wurde A. von der Kantonspolizei Zug festgenommen. Am
3. März 2000 ordnete das Kantonale Amt für Ausländerfragen des Kantons
Zug die Ausschaffungshaft an, welche am 7. März 2000 vom Haftrichter am
Verwaltungsgericht des Kantons Zug geprüft und bestätigt wurde.

    Mit Gesuch vom 30. Mai 2000 beantragte das Kantonale Amt für
Ausländerfragen, die Haft um sechs Monate zu verlängern. Am 2. Juni
2000 verfügte der Haftrichter am Verwaltungsgericht des Kantons Zug die
Haftverlängerung um sechs Monate.

    Mit handschriftlicher Eingabe beim Bundesgericht in
russischer Sprache, welche von Amtes wegen übersetzt worden und als
Verwaltungsgerichtsbeschwerde entgegenzunehmen ist, wendet sich A. gegen
die Haftverlängerung und ersucht um Freilassung.

    Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug schliesst auf Abweisung der
Beschwerde. Das Kantonale Amt für Ausländerfragen beantragt Abweisung,
soweit auf die Beschwerde eingetreten werden könne. Das Bundesamt für
Ausländerfragen hat sich innert Frist nicht vernehmen lassen. A. nahm
die Gelegenheit nicht wahr, sich nochmals zur Sache zu äussern.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut

Auszug aus den Erwägungen:

                    aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- a) Der Haftrichter hat die Haft im vorliegenden Fall gleich um
die gesetzlich zulässige Höchstdauer von sechs Monaten verlängert. Es ist
zu prüfen, ob dies mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismässigkeit
zulässig ist.

    b) Gemäss Art. 13b Abs. 2 des Bundesgesetzes vom 26.  März 1931
über Aufenthalt und Niederlassung der Ausländer (ANAG; SR 142.20)
kann die Haft um höchstens sechs Monate verlängert werden. Nach der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung bildet die Haftdauer einen Gesichtspunkt
der Verhältnismässigkeit der Haft (so etwa unveröffentlichtes Urteil vom
18. April 1996 i.S. Bulic; vgl. auch WALTER KÄLIN, Zwangsmassnahmen im
Ausländerrecht: Materielles Recht, in AJP 1995 851 f.; PETER UEBERSAX,
Menschenrechtlicher Schutz bei fremdenpolizeilicher Einsperrung, in
recht 13/1995 S. 54 f.). Der Haftrichter ist zwar nicht in jedem Fall
verpflichtet, die zulässige Höchstdauer in mehrere Tranchen aufzuteilen. Er
hat aber das Verhältnismässigkeitsprinzip zu beachten und die Dauer
der Verlängerung an den Umständen des Einzelfalles zu messen. Eine
Verlängerung um sechs Monate unter gleichzeitiger Ausschöpfung der
gesetzlichen Höchstdauer muss sich in diesem Sinne sachlich rechtfertigen
lassen. Das Bundesgericht hat eine Verlängerung um fünf Monate in einem
Fall als gerade noch zulässig erachtet, in dem sich die Organisation
des Wegweisungsvollzugs als besonders schwierig und die Mitwirkung
des Ausländers als hartnäckig mangelhaft erwiesen (unveröffentlichtes
Urteil vom 13. September 1999 i.S. Sow; vgl. auch BGE 119 Ib 202 E. 3b
S. 207). Ebenfalls zu beachten sind in diesem Zusammenhang die Tragweite
des Beschleunigungsgebots, die Komplexität des Falles unter Einschluss
der Frage der Durchführbarkeit der Ausschaffung sowie die Möglichkeit
des Inhaftierten, - allenfalls mehrmals - ein Haftentlassungsgesuch
zu stellen. Es muss im Einzelfall geprüft werden, ob die verfügte
Haftdauer erforderlich ist und nicht gegen das Übermassverbot, d.h. das
sachgerechte und zumutbare Verhältnis von Mittel (hier: Haft) und Zweck
(hier: Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs), verstösst.

    c) Im vorliegenden Fall erweist sich zwar die Organisation der
Ausschaffung als schwierig und die Mitwirkung des Beschwerdeführers
als ungenügend, wenn nicht sogar als bewusst auf Verzögerung
ausgerichtet. Es gibt aber keinen zwingenden Anhaltspunkt dafür, dass für
die Papierbeschaffung geradezu sechs Monate erforderlich wären. Sodann
datiert die letzte belegte aktive Handlung der Behörden zwecks Organisation
der Ausschaffung vom 3. Mai 2000, womit sie bereits im Zeitpunkt des
haftrichterlichen Entscheids einen Monat zurücklag. Es handelte sich
dabei um eine (wiederholte) Befragung des Beschwerdeführers zu seiner
Identität und seiner Mitwirkungsbereitschaft. Weder wurden bisher
hingegen Sprach- und Geographietests durchgeführt, noch wurde Interpol
um Identitätsabklärung angefragt. Solche Massnahmen, wie auch ein Gesuch
um intensivere Vollzugsunterstützung durch die zuständige Bundesbehörde,
sind freilich neuerdings in Aussicht gestellt. Unter diesen Umständen
erscheint es als angebracht, dass innert vernünftiger Frist eine erneute
haftrichterliche Kontrolle stattfindet, wobei unter anderem zu prüfen
sein wird, ob die Behörden weiterhin - insbesondere im Hinblick auf die in
Aussicht gestellten zusätzlichen Bemühungen, soweit sich diese tatsächlich
als sinnvoll und erfolgversprechend erweisen - das Beschleunigungsgebot
einhalten. Unerlässlich ist auch eine erneute Prüfung der Frage innert
angemessener Frist, ob die Ausschaffung weiterhin überhaupt möglich
erscheint. Eine solche Kontrolle ist im vorliegenden Fall bei einer
Haftverlängerung von sechs Monaten nicht gewährleistet. Wohl hat der
Beschwerdeführer die Möglichkeit, ein Haftentlassungsgesuch gemäss Art. 13c
Abs. 4 ANAG zu stellen. Das ersetzt aber die zwingende haftrichterliche
Überprüfung von Amtes wegen nicht. Zudem dürften dem rechtsunkundigen
Beschwerdeführer nicht alle einschlägigen Zusammenhänge, etwa bei der
Haftvoraussetzung der rechtlichen und tatsächlichen Durchführbarkeit der
Ausschaffung, bekannt und geläufig sein.

    Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren
nicht durch einen Anwalt vertreten ist, was auch schon vor dem Haftrichter
zutraf. Grundsätzlich besteht bei der Haftverlängerung ein Anspruch auf
Beigabe eines unentgeltlichen Rechtsvertreters, wenn auch nicht von Amtes
wegen (unveröffentlichtes Urteil vom 6. Mai 1997 i.S. El Hady), so doch auf
Gesuch hin (BGE 122 I 49). Der Beschwerdeführer hat keinen entsprechenden
Antrag gestellt, sodass ihm kein Rechtsbeistand beigegeben werden
musste. Dass der Beschwerdeführer aber nicht anwaltlich vertreten war und
ist, rechtfertigt angesichts der recht komplexen Ausgangslage - weniger
im Hinblick auf den Haftgrund als im Hinblick auf die Durchführbarkeit
der Ausschaffung - eine erneute haftrichterliche Kontrolle innert nicht
allzu langer Frist umso mehr.

    Es erweist sich damit als nicht erforderlich und als Verstoss gegen
das Übermassverbot, die Ausschaffungshaft des Beschwerdeführers unmittelbar
um die Höchstdauer von sechs Monaten zu verlängern.

    d) Angesichts der Umstände des vorliegenden Falles rechtfertigt sich
demgegenüber eine Haftverlängerung um drei Monate. Damit ist gewährleistet,
dass innert sachgerechter Frist eine erneute richterliche Überprüfung der
Haft stattfindet, sollte der Beschwerdeführer bis dahin nicht ausgeschafft
werden können und sollte das Kantonale Amt für Ausländerfragen ihn
dannzumal weiterhin in Haft behalten wollen. Es ist zu unterstreichen,
dass nach Ablauf dieser drei Monate eine erneute Haftverlängerung durchaus
in Betracht fällt, sofern die entsprechenden Voraussetzungen weiterhin
erfüllt sein sollten. Darüber wird gegebenenfalls wiederum auf Antrag des
Kantonalen Amts für Ausländerfragen hin der Haftrichter zu entscheiden
haben.

    e) Abschliessend ist festzuhalten, dass die Möglichkeit des
Beschwerdeführers, gemäss Ziff. 2 des Dispositivs des angefochtenen
Entscheids bzw. gemäss Art. 13c Abs. 4 ANAG im gegebenen Zeitpunkt ein
Haftentlassungsgesuch zu stellen, vom vorliegenden Urteil nicht berührt
wird.