Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 II 43



126 II 43

5. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 17.
Januar 2000 i.S. Jeannette Müller u. Mitb. gegen Louis Schüpbach und
Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)
Regeste

    Art. 11 USG bzw. Art. 4 und 5 LRV, Anhang 2 Ziff. 512
LRV. Voraussetzungen zur Errichtung eines Güllensilos in der
Landwirtschaftszone; Anspruch der Nachbarn auf Einhaltung eines
Mindestabstands.

    Das Vorsorgeprinzip gemäss Art. 11 USG bzw. Art. 4 und 5 LRV gilt
auch in der Landwirtschaftszone. Güllenlöcher in dieser Zone sind nicht
unbeschränkt zulässig. Vielmehr haben die Nachbarn solcher Anlagen Anrecht
auf Schutz vor lästigen oder schädlichen Immissionen und insbesondere
auf Einhaltung von Mindestabständen, selbst wenn Anhang 2 Ziff. 512 LRV
nur die Bauzone betrifft (E. 3 und 4).

Sachverhalt

    Am 7. September 1998 erteilte die Baudirektion des Kantons Freiburg
dem Landwirt Louis Schüpbach eine Baubewilligung für die Errichtung eines
Güllensilos in der Landwirtschaftszone in Düdingen. Der Oberamtmann
des Sensebezirks wies die von den Nachbarn erhobenen Einsprachen ab,
und stimmte dem Baugesuch unter Auflagen zu. Die Einsprecher führten
dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde beim Verwaltungsgericht des
Kantons Freiburg, dessen II. Verwaltungsgerichtshof ihr Rechtsmittel am
21. Mai 1999 abwies. Sie erheben dagegen Verwaltungsgerichtsbeschwerde
beim Bundesgericht wegen Verletzung des Bundesgesetzes über den
Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (Umweltschutzgesetz [USG]; SR 814.01),
der Luftreinhalte-Verordnung vom 16. Dezember 1985 (LRV; SR 814.318.142.1)
sowie wegen willkürlicher Feststellung des Sachverhalts.

    Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zur
Neubeurteilung der Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Bei der Erteilung einer Baubewilligung sind nicht nur die
Anforderungen des Bundesgesetzes über die Raumplanung vom 22. Juni
1979 (RPG; SR 700), sondern auch diejenigen des Umweltschutzgesetzes
zu berücksichtigen. Dieses Gesetz und die gestützt darauf erlassene
Luftreinhalte-Verordnung haben zum Ziel, die Menschen vor schädlichen oder
lästigen Luftverunreinigungen und damit auch vor erheblich störenden,
übermässigen Geruchsbelästigungen zu schützen (Art. 1 Abs. 1, Art. 7
Abs. 3 USG, Art. 1 Abs. 1 LRV). Zu diesem Zweck sind Luftverunreinigungen
in erster Linie durch Massnahmen an der Quelle zu begrenzen (Grundsatz
der Emissionsbegrenzung, Art. 11 Abs. 1 USG). In der ersten Stufe sind
die Emissionen unabhängig von der bestehenden Umweltbelastung vorsorglich
so weit zu begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich sowie
wirtschaftlich tragbar ist (Art. 11 Abs. 2 USG). In einer zweiten
Stufe sind die getroffenen Emissionsbegrenzungen zu verschärfen oder zu
ergänzen, wenn feststeht, dass die Einwirkungen trotzdem übermässig werden
(Art. 11 Abs. 3 USG; vgl. allgemein zum Vorsorgeprinzip BGE 124 II 517
E. 4a S. 520 f.). In Bezug auf Geruchsimmissionen aus Tierhaltungsanlagen
enthält die Luftreinhalte-Verordnung keine Immissionsgrenzwerte. Die
hier anwendbaren Normen (Art. 4 und 5 LRV) wiederholen im Übrigen die
Vorschriften des Umweltschutzgesetzes.

Erwägung 4

    4.- Die Beschwerdeführer machen geltend, der umweltschutzrechtlich
gebotene Mindestabstand zwischen dem projektierten Güllensilo und ihren
Wohnhäusern sei zu Unrecht nicht eingehalten.

    a) Für die Errichtung von Anlagen der bäuerlichen Tierhaltung
und der Intensivtierhaltung müssen gemäss Anhang 2 Ziff. 512 Abs. 1
LRV in Verbindung mit Art. 3 LRV die nach den anerkannten Regeln der
Tierhaltung erforderlichen Mindestabstände zu bewohnten Zonen eingehalten
werden. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, sind unter bewohnten
Zonen im Sinne dieser Vorschrift nur Bauzonen gemäss Art. 15 RPG zu
verstehen. Das wird ebenfalls von der Eidgenössischen Forschungsanstalt
für Betriebswirtschaft und Landtechnik, Tänikon, (FAT) vertreten, wie sich
aus den von ihr gestützt auf Anhang 2 Ziff. 512 Abs. 1 LRV erlassenen
Empfehlungen zu Mindestabständen für Tierhaltungsanlagen (FAT-Bericht
Nr. 476, 1995 [nachfolgend: FAT-Bericht]) ergibt (FAT-Bericht S. 7 und
16). Das folgt aus dem Sinn und Zweck der verschiedenen Nutzungszonen
(vgl. Art. 14 ff. RPG). So dient die Mindestabstandsregelung der
Aufrechterhaltung der Wohnqualität von an Landwirtschaftszonen angrenzenden
Bauzonen (vgl. Art. 3 Abs. 3 lit. b RPG). Gleichzeitig sollte in der
Landwirtschaftszone die Errichtung von Anlagen zu landwirtschaftlichen
Zwecken nicht übermässig erschwert werden. Entgegen der Ansicht der
Beschwerdeführer kann nicht gesagt werden, der Gesetzgeber habe bewusst
den Ausdruck "bewohnte Zonen" als Gegensatz zu "Bauzonen" gewählt.

    b) Das bedeutet nicht, dass das geplante Güllensilo ohne weiteres
zulässig wäre und dass Nachbarn, die sich nicht in der Bauzone befinden,
kein Anrecht auf Schutz vor lästigen oder schädlichen Immissionen
und insbesondere auf Einhaltung von Mindestabständen (vgl. BGE 117
Ib 379 E. 4b S. 385) hätten. Das Verwaltungsgericht hat die Frage
des Mindestabstands offen gelassen, weil vom projektierten Güllensilo
ohnehin keine "erheblichen Emissionen (Art. 28 LRV)" zu erwarten seien,
"die im Sinne von Art. 2 Abs. 5 lit. d LRV Menschen gefährden oder einen
wesentlichen Teil der Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden erheblich stören
würden".

    In Art. 28 LRV geht es um die Pflicht des Inhabers einer Anlage, bei
erheblichen Emissionen eine Immissionsprognose einzureichen, währenddem in
Art. 2 Abs. 5 LRV Kriterien zur Übermässigkeit von Emissionen aufgestellt
werden. Wie die Argumentation des Verwaltungsgerichts genau zu verstehen
ist, kann jedoch offen bleiben: Der Grundsatz der Emissionsbegrenzung
bezieht sich nicht nur auf den Schutz vor übermässigen oder vor
erheblichen Immissionen. Vielmehr sind Emissionen immer so weit zu
begrenzen, als dies technisch und betrieblich möglich und wirtschaftlich
tragbar ist (dazu oben E. 3). Das Verwaltungsgericht hat die erste Stufe
der Emissionsbegrenzung zu Unrecht ausgeschlossen, weil die umstrittene
Baute in der Landwirtschaftszone errichtet werden solle. So führt es in
E. 6e aus, der Weiler Räsch sei ausgesprochen landwirtschaftlich geprägt.
Zu den Landwirtschaftsbetrieben würden nun einmal Güllenlöcher gehören
und es sei nicht auszuschliessen, dass solche beim Ausführen der Jauche
mehrmals jährlich Gerüche verbreiten würden. Belästigungen durch einen
Misthaufen vor einem Bauernhaus bzw. beim Ausbringen von Jauche in
ländlichen Gebieten könnten nicht als erheblich betrachtet werden. Eine
konkrete Prüfung, ob und inwieweit die Emissionen aus dem Güllensilo nach
Massgabe von Art. 11 Abs. 2 USG bzw. Art. 4 Abs. 1 LRV zu begrenzen seien,
ist somit unterblieben.

    Die Literaturstelle, worauf das Verwaltungsgericht in diesem
Zusammenhang verweist (SCHRADE/LORETAN, Kommentar zum Umweltschutzgesetz,
N. 26a zu Art. 14), ändert nichts daran. Denn sie bezieht sich auf
Art. 14 lit. b USG, wonach Immissionsgrenzwerte so festzulegen sind,
dass unterhalb dieser Werte die Bevölkerung in ihrem Wohlbefinden nicht
erheblich gestört wird. Die genannten Autoren führen unter Hinweis auf
die Materialien aus, dass ein Misthaufen vor einem Bauernhaus oder das
Ausbringen von Jauche in ländlichen Gebieten nicht als erheblich im Sinne
von Art. 14 USG zu betrachten seien. Dementsprechend hat der Bundesrat
auch keine Immissionsgrenzwerte mit Bezug auf Geruchsimmissionen aus
Gülle erlassen (vgl. SCHRADE/LORETAN, aaO, N. 27 zu Art. 14). Aus dieser
Literaturstelle kann jedoch nicht abgeleitet werden, die Errichtung
eines Güllensilos unterliege den umweltschutzrechtlich gebotenen
Emissionsbegrenzungsmassnahmen überhaupt nicht.

    c) Das BUWAL geht auf das genannte Problem nicht ein, vertritt jedoch
die Meinung, dass die Mindestabstandsregelung der FAT ohnehin eingehalten
sei. So schlägt die FAT eine analoge Anwendung ihrer Regelung auf Zonen
vor, "in denen mässig störende Betriebe zugelassen sind", wobei eine
Reduktion der Mindestabstände von etwa 30% erforderlich sei (FAT-Bericht
S. 1).

    Es drängt sich hier auf, die Sache an das Verwaltungsgericht
zurückzuweisen (Art. 114 Abs. 2 OG), das über die Erforderlichkeit
einer Verlegung des Güllensilos neu zu befinden haben wird. Denn der
Vernehmlassung des BUWAL lässt sich nicht entnehmen, inwiefern der
Mindestabstand hier eingehalten sein soll. Die Stellungnahme des kantonalen
Amts für Umweltschutz zuhanden des Verwaltungsgerichts enthält ebenfalls
keine detaillierte Berechnung. Die Abstandsberechnung stand jedoch im
Zentrum des verwaltungsgerichtlichen Streits. Wenn sich das kantonale
Amt für Umweltschutz und die Beschwerdeführer über den Grundsatz der
(analogen) Anwendung der Empfehlungen der FAT einig waren, war deren
Umsetzung dagegen weitgehend umstritten. Unklar war in erster Linie,
von welchem Punkt aus der Mindestabstand berechnet werden solle. Denn
das Güllensilo stellt keine Tierhaltungsanlage im engeren Sinne dar. Das
kantonale Amt für Umweltschutz vertrat deshalb die Meinung, das Güllensilo
dürfe nicht unabhängig von den Stallgebäuden betrachtet werden. Es müsse
der Mindestabstand von den Stallungen aus berechnet werden, wobei bei einer
räumlichen Trennung zwischen Stallventilation und Grube der Ausgangspunkt
in Richtung Grube verschoben werden dürfe. Die Beschwerdeführer gingen
dagegen vom Mittelpunkt des Güllensilos aus.

    In Ermangelung unmittelbar anwendbarer Vorschriften ist
dem Verwaltungsgericht bei der Neubeurteilung ein gewisser
Beurteilungsspielraum einzuräumen. Das gilt insbesondere bei einer
allfälligen analogen Anwendung der Empfehlungen der FAT. Ob die Emissionen
aus dem Güllensilo genügend begrenzt wurden, ist zwar eine Rechtsfrage,
die das Bundesgericht frei zu prüfen hat. Es auferlegt sich jedoch eine
gewisse Zurückhaltung, wenn sich auch technische Fragen stellen und die
Bewilligungsbehörde Berichte von Fachinstanzen einholt. In diesen Fällen
fragt sich nur, ob die berührten Interessen ermittelt und beurteilt
sowie ob die möglichen Auswirkungen des Projekts bei der Entscheidung
berücksichtigt wurden (vgl. BGE 121 II 378 E. 1e/bb S. 384). Voraussetzung
für diese Zurückhaltung ist allerdings, dass es im konkreten Fall keine
Anhaltspunkte für eine unrichtige oder unvollständige Feststellung
des Sachverhaltes gibt und davon ausgegangen werden kann, dass die
Vorinstanz die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte geprüft und
die erforderlichen Abklärungen sorgfältig und umfassend vorgenommen hat
(vgl. BGE 117 Ib 285 E. 4 S. 293 mit Hinweisen). Daran fehlt es wie erwähnt
im vorliegenden Fall, wenn auch gleichzeitig gesagt werden muss, dass
dieser Prüfungspflicht mit Blick auf das Verhältnismässigkeitsprinzip
Grenzen gesetzt und hier z.B. zahlreiche Messungen, umfangreiche
Befragungen und aufwendige Auswertungen der Ergebnisse nicht unbedingt
erforderlich sind (vgl. BGE 115 Ib 446 E. 3b S. 452).