Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 II 348



126 II 348

37. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom
30. Juni 2000 i.S. X. gegen Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

Art. 16 Abs. 3 OHG; Art. 5 Abs. 3 BV; Art. 124 BV.

    Beginn der Verwirkungsfrist bei Straftaten, deren Schadensfolgen
für das Opfer erst einige Zeit nach dem tatbestandsmässigen Verhalten
eintreten bzw. erkennbar werden (E. 2-5; Präzisierung der Rechtsprechung);
bei Ansteckung des Opfers mit dem HI-Virus und späterem Ausbruch von AIDS
(E. 6 u. 7).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- a) Die Bestimmungen des Opferhilfegesetzes vom 4. Oktober
1991 [OHG; SR 312.5] über die Entschädigung und Genugtuung gelten für
Straftaten, die nach dem 1. Januar 1993 (Inkrafttreten des OHG) verübt
wurden (Art. 12 Abs. 3 Opferhilfeverordnung vom 18. November 1992 [OHV,
SR 312.51]).

    b) Wird eine Person, die das Schweizer Bürgerrecht und Wohnsitz in der
Schweiz hat, im Ausland Opfer einer Straftat, kann sie im Kanton ihres
Wohnsitzes Entschädigung und Genugtuung verlangen, sofern sie nicht von
einem ausländischen Staat eine genügende Leistung erhält (Art. 11 Abs. 3
OHG; s. auch Art. 1 Abs. 2 lit. c OHG). c) Art. 16 Abs. 3 OHG bestimmt
Folgendes:

    "Das Opfer muss die Gesuche um Entschädigung und Genugtuung innert
zwei Jahren nach der Straftat bei der Behörde einreichen; andernfalls
verwirkt es seine Ansprüche."

    aa) Der Wortlaut von Art. 16 Abs. 3 OHG verlangt für das Einsetzen des
Fristenlaufes eine "Straftat" ("infraction", "reato"). Eine Straftat im
Sinne des OHG liegt grundsätzlich vor, wenn der objektive Straftatbestand
erfüllt und kein Rechtfertigungsgrund gegeben ist (BGE 125 II 265 E. 2a/bb
S. 268; 122 II 211 E. 3b S. 215, je mit Hinweisen; vgl. Botschaft vom
25. April 1990 zum OHG, BBl 1990 II 977).

    Mit dieser relativ kurzen Verwirkungsfrist, die grundsätzlich weder
unterbrochen noch wiederhergestellt werden kann, wollte der Gesetzgeber
die Opfer dazu anhalten, sich rasch zu entscheiden, ob sie entsprechende
Ansprüche erheben wollen. Zudem soll damit sichergestellt werden,
dass der Entscheid der Opferhilfebehörde möglichst bald erfolgen kann,
in einem Zeitpunkt, in dem die genauen Umstände der Straftat noch
eruierbar sind (BGE 126 II 97 E. 2c S. 100; 123 II 241 E. 3c S. 243,
je mit Hinweisen). Ferner ist auch dem berechtigten Interesse des
entschädigungspflichtigen Kantons Rechnung zu tragen, allfällige
Regressforderungen gegenüber dem Täter rechtzeitig (vor Ablauf der
Verjährung) anzubringen (vgl. PETER GOMM, Einzelfragen bei der Ausrichtung
von Entschädigung und Genugtuung nach dem Opferhilfegesetz, in: Festgabe
zum Schweizerischen Juristentag 1998, Solothurn 1998, S. 673 ff., 689).

    bb) Dem Opfer darf es allerdings nicht faktisch verunmöglicht sein,
innerhalb der Verwirkungsfrist ein substanziertes Opferhilfegesuch
zu stellen. Andernfalls würde der Sinn und Zweck des OHG unterlaufen
(vgl. BBl 1990 II 909 ff., S. 942; BGE 123 II 241 E. 3c S. 243). Zwar
müssen im Zeitpunkt der Einreichung des Opferhilfegesuches die
Tatbestandsmerkmale noch nicht durch Strafuntersuchung oder Anklageerhebung
konkretisiert (oder gar durch ein rechtskräftiges Urteil nachgewiesen)
sein. Nach Treu und Glauben muss dem Opfer allerdings ein Minimum an
Informationen über die Straftat bzw. deren Umstände und Schadensfolgen
vorliegen, die es ihm möglich und zumutbar machen, ein ausreichend
substanziertes Opferhilfegesuch zu stellen (vgl. BGE 126 II 97 E.
2e S. 101 f.). In der Literatur wird überwiegend die Auffassung vertreten,
bei Straftaten, deren Schadensfolgen für das Opfer erst einige Zeit nach
dem tatbestandsmässigen Verhalten eintreten bzw. erkennbar werden, setze
die Verwirkungsfrist von Art. 16 Abs. 3 OHG erst ab Eintritt des Erfolges
ein (vgl. RUTH BANTLI KELLER, Überblick über das Opferhilfegesetz,
Kriminalistik 1995, S. 65 ff., 69; RUTH BANTLI KELLER/ULRICH WEDER/KURT
MEIER, Anwendungsprobleme des Opferhilfegesetzes, Plädoyer 1995 Nr. 5,
S. 30 ff., 44; PETER GOMM/PETER STEIN/DOMINIK ZEHNTNER, Kommentar zum
Opferhilfegesetz, Bern 1995, Art. 16 N. 16-18). Das Bundesgericht
hat diese Frage bisher ausdrücklich offen gelassen (nicht publiziertes
Urteil vom 3. November 1999 i.S. G., E. 4c; vgl. auch BGE 123 II 241
E. 3d S. 243 f.).

Erwägung 3

    3.- Unbestrittenermassen wurde die Beschwerdeführerin am 31.  Juli 1993
von einem unbekannten Straftäter beraubt und vergewaltigt. Anlässlich eines
operativen Eingriffes am 7. August 1997 wurde bei der Beschwerdeführerin
eine HIV-Infektion entdeckt und der Ausbruch von AIDS "festgestellt,
was ihr am 12. August 1997 mitgeteilt wurde". Die Beschwerdeführerin
macht geltend, sie sei durch den Vergewaltiger mit dem HI-Virus infiziert
worden. Im angefochtenen Entscheid wird eingeräumt, dass offensichtlich
keine weitere Infektionsmöglichkeit bestanden habe.

    a) Als Straftaten im Sinne des OHG fallen im vorliegenden Fall
folgende Tatbestände in Betracht: Vergewaltigung (Art. 190 StGB), Raub
(Art. 140 StGB), Verbreiten menschlicher Krankheiten (Art. 231 StGB) und
schwere Körperverletzung (Art. 122 StGB). Sämtliche Tatbestandsmerkmale
der Vergewaltigung und des Raubes waren der Beschwerdeführerin nach
eigener Darstellung bereits am 31. Juli 1993 bekannt. Hinsichtlich dieser
Straftaten (die sie im Übrigen auch in Brasilien polizeilich zur Anzeige
brachte) waren ihre Opferhilfeansprüche bereits vor der Einreichung des
Opferhilfegesuches (19. Januar 1998) offensichtlich verwirkt.

    b) Fraglich ist die Verwirkung bei den übrigen beiden
Straftatbeständen, Art. 231 und Art. 122 StGB. Zunächst stellt sich die
Frage, wann diese Tatbestände aus strafrechtlicher Sicht objektiv als
vollendet anzusehen waren. Nach den Feststellungen der Vorinstanz ist von
einer Ansteckung der Beschwerdeführerin mit dem HI-Virus am 31. Juli 1993
auszugehen. Der Straftatbestand von Art. 231 StGB war daher ebenfalls
schon im Sommer 1993 erfüllt. Allerdings wurde die HIV-Infektion
erst (nach Ausbruch der AIDS-Krankheit) am 7. August 1997 ärztlich
festgestellt. Unbestrittenermassen erfuhr die Beschwerdeführerin erst am
12. August 1997 von der HIV-Infektion. Die Frage, in welchem Zeitpunkt der
Straftatbestand der schweren Körperverletzung (Art. 122 StGB) erfüllt war,
hängt davon ab, ob man bereits die HIV-Infektion als vollendete schwere
Körperverletzung ansieht oder erst den Ausbruch der AIDS-Krankheit.

    c) Nach der Praxis des Bundesgerichtes werden die objektiven
Tatbestände von Art. 231 Ziff. 1 StGB (Verbreiten menschlicher Krankheiten)
und Art. 122 Abs. 1 StGB (schwere Körperverletzung) grundsätzlich bereits
durch die blosse HIV-Infektion erfüllt (BGE 125 IV 242 E. 2a/aa S. 245,
E. 2b und c S. 248, mit Hinweisen).

    Der Kassationshof weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf
hin, dass - über die HIV-Infektion hinaus - schon vor dem Ausbruch
der AIDS-Krankheit erhebliche psychische, gesundheitliche und soziale
Belastungen eintreten können, sobald das Opfer von der Ansteckung
erfährt. Dazu gehörten nicht nur die "Gewissheit, mit einer zumindest
möglicherweise tödlich verlaufenden Krankheit infiziert zu sein", was
zu einer "reaktiven Depression" führen könne, sondern auch die "nicht
unerheblichen Nebenwirkungen" der gegen die HIV-Infektion eingeleiteten
Kombinationstherapie. Erwähnt wird auch noch das Risiko einer "sozialen
Isolation bzw. Diskriminierung" von HIV-Infizierten (BGE 125 IV 242
E. 2b/bb S. 246 f.; vgl. zu diesen Folgen auch MARIO M. PEDRAZZINI, HIV im
Persönlichkeitsrecht und öffentlichen Recht, in: Michael G. Koch/Mario M.
Pedrazzini/Adrian Staehelin, HIV und Recht, Basel 1999, S. 41 ff., 53, 72).
Solche Umstände lagen hier jedenfalls im Zeitraum zwischen Juli 1993 und
Juli 1997 nicht vor. Eine Strafverfolgung wegen Ansteckung mit dem HI-Virus
ist im Übrigen zwangsläufig nur möglich, wenn zumindest die Infektion
diagnostiziert und dem Opfer bzw. der Strafverfolgungsbehörde bekannt
ist (vgl. auch CHRISTIAN HUBER, HIV-Infektion und AIDS-Erkrankung im
Lichte des Art. 231 StGB sowie der Körperverletzungs- und Tötungsdelikte,
SJZ 85/1989 S. 149 ff.; ders., Ausgewählte Fragen zur Strafbarkeit der
HIV-Übertragung, ZStrR 115/1997 S. 113 ff.; KARL-LUDWIG KUNZ, AIDS und
Strafrecht: Die Strafbarkeit der HIV-Infektion nach schweizerischem Recht,
ZStrR 107/1990 S. 39 ff.).

Erwägung 4

    4.- Im angefochtenen Entscheid wird erwogen, "entgegen der
strafrechtlichen und zivilrechtlichen Verjährungsregelung" beginne die
Verwirkungsfrist von Art. 16 Abs. 3 OHG zwar "nicht mit der Ausübung der
rechtswidrigen Handlung, sondern erst dann, wenn der schädliche Erfolg
beim Opfer eingetreten ist". "Die schwere Körperverletzung im Sinne von
Art. 122 Abs. 3 StGB und damit auch der schädliche Erfolg" trete jedoch
bereits "mit der Übertragung des HI-Virus" ein.

    a) Selbst wenn aus strafrechtlicher Sicht bereits die nicht
diagnostizierte und vom Opfer nicht erkannte HIV-Ansteckung eine
schwere Körperverletzung darstellt, ist damit noch keineswegs gesagt,
dass der Ausbruch der eigentlichen AIDS-Krankheit nicht als Vollendung
eines separaten Körperverletzungstatbestandes (in Idealkonkurrenz
zur blossen HIV-Ansteckung) angesehen werden könnte. Für eine solche
Beurteilung spräche jedenfalls, dass die AIDS-Krankheit ("Stadium IV")
weit schwerwiegendere gesundheitliche Folgen nach sich zieht als die
asymptomatische Phase der (stillen) HIV-Infektion ("Stadium II"), und
dass die Betroffenen (wie im vorliegenden Fall) von der HIV-Infektion
oft erst nach Ausbruch der AIDS-Erkrankung erfahren (vgl. Bundesamt für
Gesundheitswesen und Eidgenössische Kommission für Aidsfragen [Hrsg.],
Bericht "AIDS in der Schweiz": Die Epidemie, die Folgen, die Massnahmen,
Bern 1989, S. 7 ff.; HUBER, aaO, 1989, S. 151; MAX KELLER, Rechtliche
Bedeutung des Status "HIV-positiv". Leitfaden für Sozialversicherungsrecht,
Privatversicherungsrecht, Arbeitsrecht, Strafrecht, Basel 1993, S. 25 f.;
KUNZ, aaO, S. 39 f.).

    b) Auch bei einer gegenteiligen strafrechtlichen Betrachtungsweise wäre
indessen noch viel weniger entschieden, ob der Ausbruch der AIDS-Erkrankung
nicht zumindest aus opferrechtlicher Sicht als massgebliches Auftreten
einer "Straftat" im Sinne von Art. 16 Abs. 3 OHG anzusehen wäre, welche
die Verwirkungsfrist in Lauf setzt. Für eine solche Lösung spräche
namentlich der Umstand, dass das OHG bei der Frage nach dem Anspruch auf
Entschädigung und Genugtuung auch auf den "Erfolg der Straftat" abstellt
(vgl. Art. 11 Abs. 2 OHG).

    c) Dass die strafrechtliche Verfolgungsverjährung bereits mit
der blossen Ausführung der strafbaren Handlung zu laufen beginnt
(Art. 71 Abs. 1 StGB), vermag am bisher Gesagten grundsätzlich nichts
zu ändern. Zwar ist - in gewissen Grenzen - auch dem Interesse des
entschädigungspflichtigen Kantons Rechnung zu tragen, allfällige
Regressforderungen gegenüber dem mutmasslichen Täter rechtzeitig (noch
vor Ablauf der Verjährung) anbringen zu können. Die strafrechtliche
Verfolgungsverjährung und die opferrechtliche Verwirkungsfrist von Art. 16
Abs. 3 OHG verfolgen jedoch unterschiedliche Ziele.

    Einerseits ist auf den Schutzzweck des OHG sowie von Art. 124 BV -
gerade zugunsten der Opfer schwerer Gewaltverbrechen - hinzuweisen. Das
OHG soll den Opfern von Straftaten wirksame Hilfe ermöglichen und ihre
Rechtsstellung verbessern (Art. 1 Abs. 1 OHG). Der Grad der Betroffenheit
des Opfers stellt dabei ein massgebliches Kriterium für die Frage der
Zulässigkeit der beantragten Opferhilfe dar (BGE 125 II 265 E. 2a S. 268
mit Hinweisen). Zum andern ist auf die - dem Grundsatz von Treu und Glauben
(Art. 5 Abs. 3 BV) entspringende - bundesgerichtliche Praxis hinzuweisen,
wonach das Opfer die Verwirkungsfrist von Art. 16 Abs. 3 OHG nach Massgabe
des Zumutbaren zu wahren hat (vgl. oben, E. 2c/bb). Im Übrigen wäre die
absolute strafrechtliche Verfolgungsverjährung für schwere Körperverletzung
(selbst wenn sie schon am 31. Juli 1993 zu laufen begann) mit 15 Jahren
erheblich länger als die bloss zweijährige Verwirkungsfrist von Art. 16
Abs. 3 OHG (Art. 70 Abs. 3 i.V.m. Art. 72 Ziff. 2 Abs. 2 und Art. 122
Abs. 4 StGB). Das Interesse des Kantons Zürich an einer allfälligen
Durchsetzung von Regressansprüchen erscheint im vorliegenden Fall auch
nicht vorrangig. Insbesondere bestehen nur geringe Aussichten dafür, dass
der unbekannte (mutmasslich in Brasilien lebende und selbst HIV-positive
oder aidskranke) Täter jemals innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist
eruiert und regressweise belangt werden könnte. Ausserdem ist zu bemerken,
dass es sich hier um einen ausgesprochen untypischen Fall einer schweren
Körperverletzung handelt. In aller Regel ist für den von einer schweren
Körperverletzung Betroffenen schon nach der Tatausführung die massgebliche
Beeinträchtigung der gesundheitlichen Integrität zumindest in Umrissen
spür- bzw. erkennbar. Bei einer Ansteckung mit dem HI-Virus ist dies
jedoch nicht der Fall.

Erwägung 5

    5.- Selbst wenn davon ausgegangen würde, dass der Ausbruch der
AIDS-Krankheit im August 1997 den verjährungsrechtlichen Fristenlauf -
auch für den Tatbestand der schweren Körperverletzung - nicht erst in Gang
setzte, wäre für die streitige Frage der Verwirkung von Opferansprüchen
jedenfalls auf den Sinn und Zweck des Opferhilfegesetzes abzustellen.

    a) Das Opferhilfegesetz bezweckt, Opfern von schweren Straftaten
im Sinne von Art. 2 OHG rasch und auf möglichst unbürokratische Weise
wirksame Hilfe zu leisten, und zwar unabhängig davon, ob der Täter
ermittelt worden ist und ob er sich schuldhaft verhalten hat (vgl. Art. 1
Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 OHG). Damit das Opfer seine Ansprüche - im Lichte
der Verwirkungsfrist von Art. 16 Abs. 3 OHG - überhaupt wirksam geltend
machen kann, muss es über seine Rechte ausreichend informiert sein. Das
Gesetz sieht daher besondere Mitteilungs- und Beratungspflichten der
Behörden vor. Die Polizei hat das Opfer bei der ersten Einvernahme
über die kantonalen Opferhilfe-Beratungsstellen zu informieren (Art. 6
Abs. 1 OHG). Diese haben das Opfer zu beraten und über seine Rechte
zu informieren (Art. 1 Abs. 2, Art. 3 Abs. 2 OHG). Zur juristischen
Beratung gehört insbesondere auch ein Hinweis auf die Verwirkungsfrist von
Art. 16 Abs. 3 OHG. Eine Verletzung der gesetzlichen Informations- und
Beratungspflichten kann Ausnahmen von den Verwirkungsfolgen rechtfertigen
(vgl. BGE 123 II 241 E. 3e und f S. 244 f.).

    b) Die wirksame Inanspruchnahme von Opferhilfe setzt nach dem
in Art. 5 Abs. 3 BV verankerten Grundsatz von Treu und Glauben aber
auch voraus, dass das Opfer überhaupt davon Kenntnis erhält, dass es
von einer schweren Straftat betroffen ist. Die Praxis verlangt für die
ausreichende Substanzierung eines Opferhilfegesuches die Glaubhaftmachung
einer tatbestandsmässigen und rechtswidrigen Straftat (BGE 126 II 97 E. 2e
und f S. 101 f.; 125 II 265 E. 2a/bb S. 268; 122 II 211 E. 3b S. 215, je
mit Hinweisen). Zum objektiven Tatbestand der schweren Körperverletzung
gehört eine lebensgefährliche Verletzung (Art. 122 Abs. 1 StGB),
eine Verstümmelung, Entstellung oder bleibende Arbeitsunfähigkeit
usw. (i.S.v. Art. 122 Abs. 2 StGB) oder eine andere schwere Schädigung
des Körpers oder der körperlichen oder geistigen Gesundheit des Opfers
(Art. 122 Abs. 3 StGB).

    c) Damit das Opfer das Vorliegen einer Straftat im Sinne des OHG
überhaupt glaubhaft machen kann, muss es die massgebliche Schädigung
bzw. Verletzung erkannt haben können (vgl. BGE 126 II 97 E. 2c S. 100
mit Hinweisen). Anders zu entscheiden hiesse, dem Sinn und Zweck des
OHG zuwiderlaufende Anforderungen an die rechtzeitige Einreichung eines
(substanzierten) Opferhilfegesuches zu stellen.

    d) Nach der Praxis des Bundesgerichtes erscheint aus
opferhilferechtlicher Sicht massgeblich, ob die Beeinträchtigung
des Geschädigten in seiner körperlichen, sexuellen oder psychischen
Integrität das legitime Bedürfnis begründet, die Hilfsangebote und die
Schutzrechte des OHG - ganz oder zumindest teilweise - in Anspruch zu
nehmen (vgl. BGE 125 II 265 E. 2a/aa in fine S. 268). Im Sommer 1993
bestand für die Beschwerdeführerin kein Anlass, in Bezug auf die ihr
nicht bekannte HIV-Ansteckung und die erst 1997 ärztlich diagnostizierte
AIDS-Erkrankung bzw. schwere Körperverletzung die Hilfsangebote des OHG
in Anspruch zu nehmen. Konkludent verzichtet hat die Beschwerdeführerin
nur auf jene Opferhilfeansprüche, welche die (ihr schon im Sommer 1993
bekannten) Straftatbestände der Vergewaltigung und des Raubes betrafen. Es
ist legitim und widerspricht dem Sinn und Zweck des OHG nicht, wenn das
Opfer einer Vergewaltigung auf seine diesbezüglichen Entschädigungs-
und Genugtuungsansprüche verzichtet, die ihm gesetzlich zustehenden
Rechte jedoch in Anspruch nimmt, sobald es erkennt, dass es nicht nur
von Raub und Vergewaltigung betroffen ist, sondern darüber hinaus auch
noch von einer schweren Körperverletzung (hier: Ansteckung mit einer
möglicherweise tödlich verlaufenden Krankheit). Im vorliegenden Fall
wurden die HIV-Infektion und der Ausbruch der AIDS-Krankheit von den
Ärzten erst am 7. August 1997 festgestellt. Die Beschwerdeführerin
erhielt davon unbestrittenermassen erst am 12. August 1997 Kenntnis. Fünf
Monate nach Kenntnisnahme, nämlich am 19. Januar 1998, reichte sie das
Opferhilfegesuch ein.

Erwägung 6

    6.- In seinem nicht publizierten Urteil vom 3. November 1999
i.S. G. liess das Bundesgericht die Frage ausdrücklich offen, ob der
Sinn und Zweck des OHG in Fällen wie dem vorliegenden, bei denen die
Schadensfolgen einer mutmasslichen Straftat erst einige Zeit nach dem
tatbestandsmässigen Verhalten eintreten bzw. erkennbar werden, verlangen
kann, dass die Verwirkungsfrist erst ab Eintritt des schädigenden Erfolges
einsetzt (vgl. auch BGE 123 II 241 E. 3d S. 243 f.).

    a) Im Fall G. war es nach einem ärztlichen Heileingriff zu einer
schweren Hirnschädigung eines Kindes gekommen. Das Bundesgericht konnte
feststellen, dass die Verwirkungsfrist von Art. 16 Abs. 3 OHG "selbst
dann als unbenutzt abgelaufen anzusehen" war, "wenn sie ab Zeitpunkt
des Erfolgseintrittes berechnet" würde. Der ärztliche Heileingriff war
am 4. Dezember 1995 erfolgt. Am 24. Juni 1996 hatten die Eltern des
Opfers ihren Rechtsvertreter "zur Vertretung in Sachen Herzoperation
vom 4.12.1995" beauftragt. Obwohl die geltend gemachten Schadensfolgen
der Operation spätestens Mitte 1996 schon bekannt waren, reichte der
Rechtsvertreter erst am 7. April 1999 ein Opferhilfegesuch ein.

    b) Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin innert fünf
Monaten seit Kenntnis der HIV-Infektion und der AIDS-Erkrankung das
Opferhilfegesuch eingereicht. Bezüglich Vergewaltigung und Raub sind
allfällige Opferhilfeansprüche zwar verwirkt. Es ist aber immerhin
darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin noch in Brasilien
(am 15. September 1993 bei der Polizei von Bahia) Strafanzeige gegen
Unbekannt erhoben hat. Gemäss den vorliegenden Akten liess sich die
Beschwerdeführerin nach ihrer Rückkehr in die Schweiz ab 3. Mai
1994 bei verschiedenen Ärzten (Dr. A., Dr. F. und Dr. H.) wegen
Dysmenorrhoe (starken Beschwerden während der Regelblutung) ärztlich
behandeln. Gemäss Krankengeschichte erzählte die Patientin ihren Ärzten
mehrmals ausdrücklich von der "Vergewaltigung in Brasilien". Während
der symptomlosen Latenzzeit ("Stadium II") konnte die HIV-Infektion
nur durch positiven HIV-Antikörpertest festgestellt werden (vgl. KUNZ,
aaO, S. 40). Laut ärztlichem Bericht wurden bis August 1997 "keine
HIV-Tests" durchgeführt. Da sie wegen der Vergewaltigung auch unter
schweren psychischen Problemen litt, begab sich die Beschwerdeführerin
ab Oktober 1994 in psychotherapeutische Behandlung. Unbestrittenermassen
wurde die HIV-Infektion erst nach Ausbruch der AIDS-Krankheit (Operation
eines Non-Hodgkin-Lymphoms) am 7. August 1997 diagnostiziert, nachdem
die Beschwerdeführerin am 1. August 1997 wegen starker Kopfschmerzen,
Redeausfall, vorübergehender Erblindung des linken Auges, Schwindel
usw. notfallmässig ins Universitätsspital Zürich hatte eingewiesen
werden müssen. Am 4. September 1997 erfolgte die offizielle Diagnose:
"HIV-Infektion, Stadium C3 (AIDS)". Am 19. Januar 1998 reichte sie das
Opferhilfegesuch ein.

    c) Bei dieser Sachlage hat die Beschwerdeführerin alles ihr nach Treu
und Glauben Zumutbare unternommen, um ihre Opferrechte zu wahren. Sie
hat die Vergewaltigung noch in Brasilien bei der Polizei angezeigt. Nach
ihrer Rückkehr in die Schweiz hat sie sich aufgrund von unspezifischen
Krankheitsanzeichen (Beschwerden während der Regelblutung) sofort in
ärztliche Behandlung begeben. Die Beschwerdeführerin hat ihre Ärzte
mehrmals ausdrücklich über die Vergewaltigung informiert. Dass die Ärzte
lediglich eine "Dysmenorrhoe" diagnostizierten (die mit der Vergewaltigung
"nichts zu tun" gehabt habe), kann nicht der Beschwerdeführerin angelastet
werden. Nachdem eine durch die Vergewaltigung ausgelöste psychische
Depression anhielt, unterzog sie sich einer Psychotherapie. Erst nach
Ausbruch der AIDS-Krankheit, nämlich am 12. August 1997, teilten die
behandelnden Ärzte der Beschwerdeführerin mit, sie sei HIV-infiziert und
aidskrank. Fünf Monate später reichte sie das Opferhilfegesuch ein.

Erwägung 7

    7.- Im Lichte der vorstehenden Erwägungen widerspricht es nicht
nur dem Sinn und Zweck des OHG und von Art. 124 BV, sondern auch dem
verfassungsmässigen Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 5 Abs. 3 BV),
wenn die kantonalen Instanzen im hier zu beurteilenden konkreten Fall von
einer Verwirkung der Opferhilfeansprüche bezüglich der Straftatbestände
von Art. 231 und Art. 122 StGB ausgegangen sind. Die Beschwerde ist
daher gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die
kantonalen Behörden werden darüber zu befinden haben, ob und inwieweit
die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zusprechung einer Entschädigung
und Genugtuung erfüllt sind.