Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 II 202



126 II 202

20. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. März
2000 i.S. X. gegen Verwaltungsgericht des Kantons Solothurn
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 16 Abs. 2 und 3 lit. a, Art. 32 Abs. 1 SVG; Art. 4a Abs.
1 lit. a VRV; Art. 31 Abs. 2 VZV; Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit
innerorts; Führerausweisentzug.

    Fall eines Arztes, der die Höchstgeschwindigkeit innerorts von
50 km/h um 21 km/h überschritten hat. Mangels leichten Verschuldens
Führerausweisentzug von einem Monat bestätigt trotz ungetrübten
automobilistischen Leumunds und der durch den Entzug bewirkten Erschwerung
der Berufsausübung. Hinweis an den Gesetzgeber, das Massnahmenrecht
gegebenenfalls so auszugestalten, dass in derartigen Fällen ein bedingter
Ausweisentzug oder eine Verwarnung möglich ist.

Sachverhalt

    Am 7. März 1999, um 12.18 Uhr, überschritt X. mit seinem Personenwagen
in Gunten innerorts die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um
21 km/h (nach Abzug der Sicherheitsmarge von 5 km/h).

    Am 15. Juli 1999 entzog das Departement des Innern des Kantons
Solothurn X. den Führerausweis für die Dauer von einem Monat. Die von
X. dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Solothurn am 8. November 1999 ab.

    X. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil
des Verwaltungsgerichts sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung
an dieses zurückzuweisen.

    Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer macht sinngemäss geltend, die Anordnung des
Führerausweisentzuges verletze Bundesrecht.

    a) Die Geschwindigkeit ist stets den Umständen anzupassen, namentlich
den Besonderheiten von Fahrzeug und Ladung sowie den Strassen-, Verkehrs-
und Sichtverhältnissen (Art. 32 Abs. 1 SVG; SR 741.01). In Ortschaften
beträgt die allgemeine Höchstgeschwindigkeit für Fahrzeuge unter günstigen
Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen 50 km/h (Art. 4a Abs. 1 lit. a
der Verkehrsregelnverordnung [VRV; SR. 741.11]).

    Gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG kann der Führerausweis entzogen werden, wenn
der Führer Verkehrsregeln verletzt und dadurch den Verkehr gefährdet oder
andere belästigt hat (Satz 1). In leichten Fällen kann eine Verwarnung
ausgesprochen werden (Satz 2). Nach Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG muss der
Führerausweis entzogen werden, wenn der Führer den Verkehr in schwerer
Weise gefährdet hat. Das Gesetz unterscheidet somit:

    - den leichten Fall (Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG),

    - den mittelschweren Fall (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG),

    - den schweren Fall (Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG).

    Nach der Rechtsprechung kann auf den Führerausweisentzug grundsätzlich
nur verzichtet werden, wenn der Fall leicht im Sinne von Art. 16 Abs. 2
Satz 2 SVG ist. Bei einem mittelschweren Fall kommt ein Verzicht auf
den Führerausweisentzug nur dann in Betracht, wenn besondere Umstände
vorliegen, wie sie in BGE 118 Ib 229 gegeben waren (BGE 123 II 106 E. 2b
S. 111). Ob der Fall leicht im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG ist,
beurteilt sich nach dem Verschulden des Fahrzeuglenkers und seinem
automobilistischen Leumund; die Schwere der Verkehrsgefährdung ist nur
insoweit von Bedeutung, als sie auch verschuldensmässig relevant ist
(BGE 125 II 561 E. 2b).

    Nach der Rechtsprechung ist bei Überschreitung der allgemeinen
Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h um 21 bis 24 km/h ohne
Prüfung der konkreten Umstände objektiv zumindest ein mittelschwerer Fall
anzunehmen. Diese Rechtsprechung befreit die Entzugsbehörde jedoch nicht
von der Pflicht, die Umstände des Einzelfalles genauer zu prüfen. Denn
sie hat in allen Fällen des erwähnten Geschwindigkeitsbereichs auch
das Ausmass der Gefährdung und des Verschuldens abzuklären und zu
gewichten, damit sie entscheiden kann, ob allenfalls ein schwerer Fall
(Art. 16 Abs. 3 lit. a SVG) vorliegt und welche Entzugsdauer bei einem
mittelschweren beziehungsweise schweren Fall angemessen ist. Eine
rein schematische Beurteilung dieser Fragen lediglich aufgrund der
festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung würde ein pflichtwidriges
Nichtausüben des rechtserheblichen Ermessens und damit eine Verletzung
von Bundesrecht darstellen. Umgekehrt kommt ein leichter Fall in Betracht,
wenn der Lenker aus nachvollziehbaren Gründen gemeint hat, er befinde sich
noch nicht oder nicht mehr im Innerortsbereich; unter Umständen entfällt
sogar jeder Schuldvorwurf (BGE 124 II 97 E. 2c).

    b) Der Beschwerdeführer hat die Höchstgeschwindigkeit innerorts
von 50 km/h um 21 km/h überschritten. Es ist somit objektiv zumindest
ein mittelschwerer Fall gegeben. Der Beschwerdeführer hatte im
kantonalen Verfahren geltend gemacht, er habe gemeint, sich nicht
mehr im Innerortsbereich zu befinden. Die Vorinstanz hat den Einwand
zurückgewiesen, da der Beschwerdeführer ausgesprochen ortskundig
ist. Die Vorinstanz ist eine richterliche Behörde. Ihre Feststellung des
Sachverhaltes bindet daher das Bundesgericht, soweit sie den Sachverhalt
nicht offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter Verletzung
wesentlicher Verfahrensvorschriften festgestellt hat (Art. 105 Abs.
2 OG). Dass Letzteres der Fall sei, macht der Beschwerdeführer nicht
geltend und ist nicht ersichtlich. Im Gegenteil ergibt sich aus einem bei
den Akten befindlichen Schreiben des Beschwerdeführers vom 4. Juli 1999,
dass ihm die befahrene Strecke genau bekannt ist. Die Verneinung eines
Irrtums über den Innerortsbereich ist somit nicht offensichtlich unrichtig.

    Wer die Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h um 21 km/h und
damit um mehr als 40% überschreitet, tut das in der Regel vorsätzlich,
mindestens aber grobfahrlässig. Das Verschulden des Beschwerdeführers
wiegt daher nicht leicht. Gemäss Art. 31 Abs. 2 Satz 2 der Verordnung
über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum Strassenverkehr
(VZV; SR 741.51) kann nur eine Verwarnung verfügt werden, wenn die
Voraussetzungen für den fakultativen Entzug nach Art. 31 Abs. 1 VZV
erfüllt sind, der Fall aber unter Berücksichtigung des Verschuldens und
des Leumunds als Motorfahrzeugführer als leicht erscheint. Da es an einem
leichten Verschulden fehlt, fällt die Annahme eines leichten Falles ausser
Betracht, auch wenn der automobilistische Leumund des Beschwerdeführers
ungetrübt ist. Besondere Umstände, wie sie in BGE 118 Ib 229 gegeben waren
und gegebenenfalls auch bei einem mittelschweren Fall zum Verzicht auf
den Ausweisentzug führen können, liegen hier nicht vor. Es handelt sich
im Gegenteil um einen Durchschnittsfall.

    Von einem Führerausweisentzug kann nicht abgesehen werden. Die Dauer
des Entzuges hat die Vorinstanz auf das gesetzliche Mindestmass festgesetzt
(Art. 17 Abs. 1 lit. a SVG).

    c) Der Beschwerdeführer hat im kantonalen Verfahren geltend gemacht,
er fahre seit 43 Jahren unfallfrei. Noch nie habe ihm der Entzug des
Führerausweises angedroht werden müssen. Das sei zwar nichts Besonderes,
aber doch ein Leistungsausweis. Im Übrigen könne er - er sei Träger des
Titels "Facharzt FMH für Allgemeinmedizin" und als Allgemeinpraktiker
tätig - ohne Führerausweis in Notfällen seinen ärztlichen Pflichten
nicht nachkommen.

    Wenn man diese Umstände zu Grunde legt, ist einzuräumen, dass der
Entzug des Ausweises für die Dauer eines Monats als hart angesehen werden
kann. Daran kann jedoch nur der Gesetzgeber etwas ändern, sei es, dass
er für Fälle dieser Art auch den bedingten Ausweisentzug vorsieht oder
den Anwendungsbereich der Verwarnung bei gutem automobilistischem Leumund
ausweitet auf den Bereich des mittelschweren Verschuldens.