Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 II 192



126 II 192

18. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 30. März
2000 i.S. X. gegen Verwaltungsgerichts des Kantons Aargau
(Verwaltungsgerichtsbeschwerde) Regeste

    Art. 16 Abs. 2 SVG, Art. 4 Abs. 2 und Art. 4a Abs. 1 lit. a VRV,
Art. 31 Abs. 2 VZV; Führerausweisentzug, Abgrenzung des leichten vom
mittelschweren Fall.

    Wer innerorts in einer leichten Kurve eine mit Schneematsch bedeckte
Strasse mit 50 km/h befährt, den trifft mindestens ein mittelschweres
Verschulden (E. 2b). Bei diesem Verschulden ist die Annahme eines
leichten Falles im Sinne von Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG selbst dann
ausgeschlossen, wenn ein langjähriger unbescholtener automobilistischer
Leumund mitzubeurteilen ist (E. 2c; Bestätigung der Rechtsprechung).

Sachverhalt

    A.- X. fuhr am Nachmittag des 31. Dezember 1996 mit ihrem Personenwagen
in Obfelden auf der Dorfstrasse von Muri kommend in Richtung Affoltern
am Albis. In einer leichten Linkskurve geriet ihr Fahrzeug auf der mit
Schneematsch bedeckten Fahrbahn ins Schleudern und stiess mit einem auf der
Gegenfahrbahn in Richtung Muri fahrenden Personenwagen zusammen. Durch
die Kollision wurde dieses Fahrzeug nach rechts zum Trottoir bzw.
Liegenschaftsvorplatz geschoben, wo es seitlich gegen einen dort parkierten
Personenwagen prallte. An allen Fahrzeugen entstand Sachschaden.

    B.- Das Strassenverkehrsamt des Kantons Aargau entzog X. am 6. März
1997 den Führerausweis wegen Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die
Strassenverhältnisse, Nichtbeherrschens des Fahrzeugs und Verursachens
eines Verkehrsunfalls innerorts mit Sachschaden für die Dauer eines Monats.

    Eine Verwaltungsbeschwerde der Betroffenen wies das Departement
des Innern des Kantons Aargau am 19. November 1998 ab. Eine
Verwaltungsgerichtsbeschwerde gegen diesen Entscheid wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Aargau am 7. September 1999 ab.

    C.- X. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und beantragt, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und es sei eine Verwarnung
auszusprechen.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Die Beschwerdeführerin hat weder im Strafverfahren noch
im Beschwerdeverfahren oder im vorinstanzlichen Verfahren den
Sachverhalt bestritten. Hinsichtlich der gefahrenen Geschwindigkeit
zitiert das Departement des Innern die Aussage der Beschwerdeführerin
im Polizeirapport, wonach sie ungefähr mit 60 km/h gefahren sei, und
ihre Angabe in der Verwaltungsbeschwerde, wonach ihre Geschwindigkeit
mit 50 km/h ermittelt worden sei. Diese Geschwindigkeitsangabe hat sie
im kantonalen Verfahren nicht in Frage gestellt. Mit ihrer jetzigen
Behauptung, sie sei mit einer Geschwindigkeit von bloss ca. 35-40
km/h gefahren, vermag sie gerade angesichts ihrer eigenen Angaben im
kantonalen Verfahren nicht darzulegen, inwiefern die Vorinstanz den
Sachverhalt offensichtlich unrichtig festgestellt haben sollte (Art. 105
Abs. 2 OG). Dasselbe gilt für die Bestreitung der vorinstanzlichen
Feststellung, die Strasse sei mit Schneematsch bedeckt gewesen. Denn
gemäss Polizeiprotokoll war die Strasse "schneebedeckt", laut Aussagen
der Beschwerdeführerin und des Unfallgegners hatte es "Schneepflotsch"
und in ihrer Eingabe vom 14. Februar 1997 an das Strassenverkehrsamt gibt
die Beschwerdeführerin selbst an, fünf Minuten nach dem Unfall seien der
Schneepflug und der Salzwagen vorbeigefahren und hätten "die Strasse von
Schneematsch und Eis" befreit.

Erwägung 2

    2.- a) Bei der Anordnung von Administrativmassnahmen unterscheidet
die Vorinstanz zwischen dem besonders leichten, dem leichten, dem
mittelschweren und schweren Fall. Die wesentlichen Kriterien für die
Zuordnung seien das Mass der Verkehrsgefährdung und die Schwere des
Verschuldens; bei der Beurteilung, ob es sich um einen leichten Fall
handle, sei ausserdem der automobilistische Leumund zu berücksichtigen.
Die in Anwendung von Art. 16 Abs. 2 SVG (SR 741.01) vorgesehenen Massnahmen
müssten sich stets als verhältnismässig erweisen.

    Die Vorinstanz erachtet die Gefährdung, die die Beschwerdeführerin
durch ihre Fahrweise hervorgerufen hat, als schwer. Das Verschulden
wiege zumindest mittelschwer, da sie sich vorhalten lassen müsse,
die Umstände falsch eingeschätzt und ihre Fahrweise nur ungenügend den
konkreten Verhältnissen angepasst zu haben. Zudem weist die Vorinstanz
auf eine Alkoholisierung (0,4 Promille) der Beschwerdeführerin hin,
weil bereits ab Blutalkoholkonzentrationen von 0,3 bis 0,4 Promille
verkehrssicherheitsrelevante Leistungseinbussen nachgewiesen seien.

    b) Kürzlich hat das Bundesgericht die Rechtsprechung zur Beurteilung
des leichten Falles gemäss Art. 16 Abs. 2 SVG geändert: Neben dem
Verschulden der Fahrzeuglenkerin und deren automobilistischen Leumund
ist die Schwere der Verkehrsgefährdung nur insoweit von Bedeutung, als
sie auch verschuldensmässig relevant ist (BGE 125 II 561 E. 2b).

    Wie die Vorinstanzen zutreffend festhalten, hat die Beschwerdeführerin,
indem sie innerorts mit 50 km/h ins Schleudern geriet und so ihr Fahrzeug
nicht mehr unter Kontrolle halten konnte, eine schwere Verkehrsgefährdung
verursacht. Denn nach der allgemeinen Lebenserfahrung besteht in solchen
Situationen, gerade auch innerorts, ein grosses Risiko von Folgeunfällen,
weil das Verhalten eines solchen Fahrzeugs unberechenbar ist. Weder kann
eine Automobilistin situationsgerecht auf den übrigen Verkehr reagieren,
noch können die anderen Verkehrsteilnehmer das Verhalten eines ins
Schleudern geratenen Wagens abschätzen. Zu prüfen bleibt, in welchem Mass
die Beschwerdeführerin die Gefährdung auch verschuldet hat.

    Die allgemeine Höchstgeschwindigkeit innerorts von 50 km/h
darf nur unter günstigen Strassen-, Verkehrs- und Sichtverhältnissen
ausgefahren werden (Art. 4a Abs. 1 lit. a der Verkehrsregelnverordnung
vom 13. November 1962 [VRV; SR 741.11]). Die Fahrzeugführerin hat
unter anderem langsam zu fahren, wo die Strasse verschneit und vereist
ist (Art. 4 Abs. 2 VRV). Das Wissen darum, dass die Schleudergefahr
und damit die Unfallgefahr auf verschneiten Strassen gross ist, kann
allgemein vorausgesetzt werden. Ebenso bekannt ist der Umstand, dass
sich diese Gefahr mit zunehmender Geschwindigkeit und insbesondere beim
Kurvenfahren drastisch erhöht. Inwiefern die Beschwerdeführerin diese
Zusammenhänge nicht gekannt haben sollte, ist nicht ersichtlich. Gemäss
Polizeiprotokoll besitzt das benutzte Fahrzeug keinen Vierradantrieb,
oder er war nicht eingeschaltet. Zu Gunsten der Beschwerdeführerin
könnte höchstens berücksichtigt werden, dass die Strasse im fraglichen
Zeitpunkt nicht mit Schnee, sondern mit Schneematsch bedeckt war.
Doch entlastet dies die Beschwerdeführerin nicht wesentlich, weil bei
Schneematsch auf Strassen immer auch mit vereisten Stellen gerechnet
werden muss. Jedenfalls erlaubten die konkreten Strassenverhältnisse kein
Ausfahren der Innerortshöchstgeschwindigkeit und dies erst recht nicht in
einer - wenn auch bloss leichten - Kurve. Da die Beschwerdeführerin die
schwere Verkehrsgefährdung zum grossen Teil hätte voraussehen können und
müssen, hat sie die Gefährdung auch verschuldet. Deshalb ist jedenfalls
von einem mittelschweren Verschulden der Beschwerdeführerin auszugehen.

    c) Unter diesen Umständen ist eine blosse Verwarnung, wie sie die
Beschwerdeführerin beantragt, auf Grund der klaren Regelung von Gesetz
(Art. 16 Abs. 2 Satz 2 SVG) und Verordnung (Art. 31 Abs. 2 der Verordnung
vom 27. Oktober 1976 über die Zulassung von Personen und Fahrzeugen zum
Strassenverkehr [VZV; SR 741.51]) nicht möglich. Denn auch ein langjähriger
ungetrübter automobilistischer Leumund kann nur bei leichtem Verschulden
zur Anordnung einer Verwarnung anstelle eines Ausweisentzuges führen. Dies
mag in Fällen wie hier, wo die Fahrzeugführerin auf Grund des von ihr
verschuldeten Unfalls genügend gewarnt sein dürfte, als Härte empfunden
werden. Diese Rechtslage kann nur der Gesetzgeber ändern, sei es, dass er
für derartige Fälle auch den bedingten Ausweisentzug vorsieht oder den
Anwendungsbereich der Verwarnung bei gutem automobilistischem Leumund
ausweitet auf den Bereich des mittelschweren Verschuldens.

    d) Auch die geltend gemachte berufliche Angewiesenheit auf den
Führerausweis rechtfertigt es nicht, unter dem Gesichtspunkt der
Verhältnismässigkeit auf einen Führerausweisentzug zu verzichten. Damit
erweist sich die Beschwerde als unbegründet. Im Übrigen kann auf die
Ausführungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden (Art. 36a
Abs. 3 OG).