Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 85



126 III 85

17. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 25.
Januar 2000 i.S. Sch. gegen Obergericht des Kantons Luzern (Beschwerde)
Regeste

    Art. 17 Abs. 4 SchKG; Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens nach der
Wiedererwägung der betreibungsamtlichen Verfügung.

    Ist eine Verfügung nach Rechtshängigkeit einer Beschwerde durch das
Betreibungsamt in Wiedererwägung gezogen worden, so ist die Behandlung
der Beschwerde durch die Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und
Konkurs insoweit fortzusetzen, als mit der Wiedererwägung den im
Beschwerdeverfahren gestellten Begehren nicht entsprochen worden und
damit die Beschwerde nicht gegenstandslos geworden ist.

Sachverhalt

    A.- Das Betreibungsamt Root verfügte in der Betreibung Nr.
xxx (Pfändungsgruppe Nr. yyy) am 17. Juni 1999 gegenüber Sch. eine
Lohnpfändung. In der Pfändungsurkunde vom 27. September 1999 setzte es die
pfändbare Lohnquote auf Fr. 2'687.45 monatlich fest, reduzierte sie aber -
nachdem es seine Verfügung aufgrund einer Mitteilung der Arbeitgeberin des
Schuldners in Wiedererwägung gezogen hatte - mit Verfügung vom 8. Oktober
1999 auf Fr. 1'949.70 monatlich.

    Die gegen die betreibungsamtliche Verfügung vom 27. September 1999
gerichtete Beschwerde des Sch. schrieb der Amtsgerichtspräsident III
von Luzern-Land mit Entscheid vom 4. November 1999 als gegenstandslos
von der Kontrolle ab, weil das Betreibungsamt die angefochtene Verfügung
in Wiedererwägung gezogen und die pfändbare Lohnquote mit Verfügung vom
8. Oktober 1999 auf Fr. 1'949.70 herabgesetzt habe. Auch wenn dadurch die
Anträge des Beschwerdeführers nur teilweise berücksichtigt worden seien,
sei das Beschwerdeverfahren nach der kantonalen Rechtsprechung (LGVE 1997
I Nr. 53) dennoch als gegenstandslos abzuschreiben.

    B.- Mit Beschwerde bei der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Bundesgerichts focht Sch. den Entscheid vom 9. Dezember 1999 der
Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts des Kantons
Luzern, womit sein Beschwerde-Weiterzug abgewiesen worden war, an. Die
angerufene Kammer heisst die Beschwerde gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Mit der Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und
Konkurs vom 16. Dezember 1994 (in Kraft seit 1. Januar 1997) ist Art. 17
Abs. 4 SchKG eingefügt worden, der lautet: Das Amt kann bis zu seiner
Vernehmlassung die angefochtene Verfügung in Wiedererwägung ziehen. Trifft
es eine neue Verfügung, so eröffnet es sie unverzüglich den Parteien und
setzt die Aufsichtsbehörde in Kenntnis.

    a) Die Schuldbetreibungs- und Konkurskommission des Obergerichts des
Kantons Luzern anerkennt mit dem angefochtenen Entscheid, dass trotz
der Reduktion der pfändbaren Quote von Fr. 2'687.45 auf Fr. 1'949.70
die Anträge des Beschwerdeführers nur teilweise berücksichtigt worden
sind. Das hat sie nicht gehindert, die Beschwerde als gegenstandslos von
der Kontrolle abgeschrieben zu betrachten.

    Mit diesem Entscheid führt die obere kantonale Aufsichtsbehörde
über Schuldbetreibung und Konkurs ihre (in LGVE 1997 I Nr. 53
veröffentlichte) Rechtsprechung weiter, womit sie bezweifelt hat, ob die
verwaltungsrechtliche Norm des Art. 58 Abs. 3 VwVG (SR 172.021) bzw. ihre
Auslegung (in BGE 113 V 237) unbesehen auf das betreibungsrechtliche
Beschwerdeverfahren angewendet werden könne. Zum einen - wird im zitierten
luzernischen Entscheid ausgeführt - habe der Gesetzgeber bei der Revision
des Schuldbetreibungsrechts offenbar darauf verzichtet, eine Art. 58 Abs. 3
VwVG entsprechende Regel zu erlassen. Da aber Art. 17 Abs. 4 SchKG die
Regelung im Verwaltungsverfahren zum Vorbild habe, müsse dieser Umstand
als qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers ausgelegt werden. Zum
anderen spreche das Bundesgesetz über das Verwaltungsverfahren von der
Vorinstanz. Das Betreibungsamt sei hingegen nicht im eigentlichen Sinne
Vorinstanz, auch wenn Art. 20a Abs. 2 Ziff. 4 SchKG zwischen betroffenem
Amt und den (Betreibungs-)Parteien unterscheide. Das Betreibungsamt erlasse
keine einseitige hoheitliche Verfügung nur einem Rechtsunterworfenen
gegenüber, vielmehr schaffe seine Verwaltungstätigkeit Recht zwischen
beiden Betreibungsparteien; es vollziehe die Betreibungsordnung auf
der Grundlage der gesetzlichen Interessen sowohl des Gläubigers wie des
Schuldners. Deshalb müsse eine besondere, auf das betreibungsrechtliche
Beschwerdeverfahren zugeschnittene Lösung gefunden werden.

    Diese besondere Lösung besteht für die Schuldbetreibungs- und
Konkurskommission des Obergerichts des Kantons Luzern darin, dass das
Beschwerdeverfahren in der Regel auch dann als gegenstandslos abzuschreiben
ist, wenn mit der neuen Verfügung die Anträge des Beschwerdeführers nur
teilweise berücksichtigt worden sind. Eine Fortsetzung des bisherigen
Beschwerdeverfahrens ist nach ihrer Auffassung jedenfalls dann nicht
zulässig, wenn die neue Verfügung in die Rechtsstellung der bisherigen
Gegenpartei eingreift.

    COMETTA (in Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, Basel/Genf/München 1998, Art. 17 N. 64) hat dieser Lösung mit
der Erklärung zugestimmt, sie erlaube eine förderliche Beilegung des
vollstreckungsrechtlichen Streites und trage dem Beschleunigungsgebot
Rechnung.

    b) SPÜHLER (Die Änderungen beim Beschwerdeverfahren nach dem
revidierten Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz, in AJP 1996 S. 1346), auf
den sich der Beschwerdeführer beruft, erklärt demgegenüber, Art. 17 Abs. 4
SchKG entspreche grundsätzlich der Regelung von Art. 58 VwVG. Theoretisch
werde damit der Devolutiveffekt der betreibungsrechtlichen Beschwerde
im Interesse der Prozessökonomie modifiziert. Wenn die neue Verfügung
die Beschwerde nicht vollständig gegenstandslos gemacht habe, setze die
Beschwerdeinstanz analog Art. 58 Abs. 3 VwVG die Behandlung der Beschwerde
fort. Werde jedoch die alte Verfügung durch die neue umfassend ersetzt,
so werde die Beschwerde von der Aufsichtsbehörde als gegenstandslos
abgeschrieben.

    Unter Hinweis auf BGE 113 V 237 vertritt GILLIÉRON (Commentaire de la
loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, Lausanne 1999,
Art. 17 N. 260) dieselbe Meinung.

Erwägung 3

    3.- Der bei der Revision des Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und
Konkurs aufgrund der bisherigen Rechtsprechung (BGE 103 III 31 E. 1b S. 34)
eingefügte Art. 17 Abs. 4 SchKG entspricht inhaltlich Art. 58 VwVG, wonach
die Vorinstanz die angefochtene Verfügung bis zu ihrer Vernehmlassung
in Wiedererwägung ziehen kann (Abs. 1) und sie eine neue Verfügung
ohne Verzug den Parteien und der Beschwerdeinstanz eröffnet (Abs. 2).
Die nicht erkennbar übernommene Regel von Art. 58 Abs. 3 VwVG, welche die
Beschwerdeinstanz anweist, die Behandlung der Beschwerde fortzusetzen,
soweit sie durch die neue Verfügung nicht gegenstandslos geworden ist,
gibt den allgemeinen, der Logik entsprechenden Grundsatz wieder, dass ein
Rechtsmittel insoweit gegenstandslos wird, als den gestellten Begehren
entsprochen worden ist.

    In der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist Art. 58 Abs. 3 VwVG,
unbekümmert darum, ob der Betroffene auch die neue Verfügung angefochten
hat oder nicht, nie anders verstanden worden (BGE 113 V 237 E. 1a). Es ist
nicht einzusehen, weshalb ein solcher allgemeiner Verfahrensgrundsatz nicht
auch im Zwangsvollstreckungsrecht gelten sollte, umso mehr, als dieses den
Inhalt der beiden Art. 58 Abs. 3 VwVG vorausgehenden Absätze ausdrücklich
übernommen hat. Wenn Art. 17 Abs. 4 SchKG im Interesse der Prozessökonomie
den Devolutiveffekt im Beschwerdeverfahren modifiziert (BBl 1991 III
35), ihn also nicht hinfällig werden lässt, so weist dies offenkundig
darauf hin, dass er - obwohl im Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs nicht ausdrücklich erwähnt - auch im Beschwerdeverfahren nach
Art. 17ff. SchKG zum Zuge kommt; und damit ist auch ausgeschlossen, dass
der Gesetzgeber den Devolutiveffekt mit einer neuen Verfügung insgesamt
dahinfallen lassen wollte. Ein qualifiziertes Schweigen des Gesetzgebers
(COMETTA, aaO) kann demnach nicht vorliegen.

    Was die obere kantonale Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung
und Konkurs hiegegen vorbringt, schlägt nicht durch. Es wäre weder
dem Beschleunigungsgebot noch der Prozessökonomie dienlich, wenn die
Beschwerde insgesamt als gegenstandslos betrachtet würde, obwohl die
nach der Wiedererwägung erlassene Verfügung den gestellten Begehren nur
teilweise entspricht, und wenn damit der Beschwerdeführer zur Anfechtung
der neuen Verfügung veranlasst würde. Dass in Art. 58 Abs. 3 VwVG - in
gleicher Weise wie in Art. 58 Abs. 1 und 2 VwVG - von der Vorinstanz die
Rede ist, es sich beim Betreibungsamt jedoch nicht um eine Vorinstanz im
Sinne des Verwaltungsverfahrensrechts handelt, ist auch dem Gesetzgeber
nicht entgangen, hat er doch bei der Gesetzesrevision, soweit die
Regelung von Art. 58 Abs. 1 und 2 VwVG übernommen wurde, den Begriff
der Vorinstanz durch jenen des Amtes ersetzt. Da Verwaltungsbehörden
nicht in jedem Fall einseitig gegenüber einer Partei auftreten,
sondern oft auch Rechtsbeziehungen zwischen einer Mehrheit von
Parteien regeln, lässt sich kein Gegensatz des betreibungsrechtlichen
Beschwerdeverfahrens zum Verwaltungsbeschwerdeverfahren mit dem Argument
herleiten, das Betreibungsamt schaffe vorwiegend Recht zwischen zwei
und mehr Parteien. Greift die neue Verfügung weitergehend als die in
Wiedererwägung gezogene in die Rechtsstellung des Beschwerdegegners ein,
so ist er nicht an der Anfechtung der neuen Verfügung gehindert; und es
erwächst ihm kein Nachteil durch die Weiterbehandlung der Beschwerde,
soweit diese durch die neue Verfügung nicht gegenstandslos geworden ist.