Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 529



126 III 529

93. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 21. November 2000
i.S. A. gegen Bank X. (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Schiedsentscheid (Art. 190
f. IPRG, Art. 85 lit. c OG).

    Die im Rahmen des Vorprüfungsverfahrens gemäss Art. 10 der
anwendbaren Schiedsordnung ergangenen Entscheide des Schiedsgerichtes
für Nachrichtenlose Konten in der Schweiz sind keine Anfechtungsobjekte
im Sinne von Art. 190 f. IPRG bzw. Art. 85 lit. c OG, weshalb die
staatsrechtliche Beschwerde dagegen nicht zur Verfügung steht (E. 1-3).

Sachverhalt

    A.- Am 23. Juli 1997 veröffentlichte die Schweizerische
Bankiervereinigung in in- und ausländischen Zeitungen die Namen
von Personen, deren Konten vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges von
Nichtschweizern eröffnet worden und seither nachrichtenlos geblieben
waren. Auf der publizierten Liste fand sich auch der Name Princess
Catherine Duleep Singh (fortan Kontoinhaberin). Am 12. November 1997
erhob A. (Beschwerdeführer) mit dem vorgesehenen Formular Anspruch
auf deren Konto. Die Treuhandfirma ATAG Ernst & Young in Basel, bei
welcher die Anspruchsformulare einzureichen waren, leitete das Begehren
des Beschwerdeführers an die kontoführende Bank (Beschwerdegegnerin)
weiter. Diese lehnte es am 18. Mai 1998 jedoch ab, dem Beschwerdeführer
ihre Identität und den Kontostand offenzulegen. Sie begründete dies
damit, dass der Beschwerdeführer keine Dokumente vorlege, welche seine
Erbberechtigung zu erstellen vermöchten.

    B.- Am 25. Oktober 1999 lehnte es ein Einzelschiedsrichter des
Schiedsgerichtes für Nachrichtenlose Konten in der Schweiz (fortan
Schiedsgericht) ebenfalls ab, den Namen der Beschwerdegegnerin
offenzulegen. Gleich entschied am 28. April 2000 ein hierauf mit der
Sache befasstes Dreiergremium desselben Schiedsgerichtes. Gegen diesen
Entscheid führt der Beschwerdeführer staatsrechtliche Beschwerde, auf
welche das Bundesgericht nicht eintritt.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Der Beschwerdeführer begründet die Zulässigkeit seines
Rechtsmittels mit Art. 191 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember
1987 über das Internationale Privatrecht (IPRG; SR 291), wonach das
Bundesgericht einzige Instanz für Beschwerden gegen Urteile internationaler
Schiedsgerichte ist. Die Anwendung der Bestimmungen des IPRG über die
internationale Schiedsgerichtsbarkeit setzt jedoch zunächst voraus,
dass es sich beim Anfechtungsobjekt überhaupt um einen Schiedsentscheid
im Sinne von Art. 176 ff. IPRG handelt.

Erwägung 2

    2.- a) Trägerin des Schiedsgerichtes für Nachrichtenlose Konten
in der Schweiz ist die von der Schweizerischen Bankiervereinigung im
Herbst 1997 errichtete privatrechtliche Stiftung "Independent Claims
Resolution Foundation", deren Zweck die Errichtung und Überwachung des
Schiedsgerichtes ist. Am 15. Oktober 1997 hat der Stiftungsrat der
Trägerstiftung zudem die Schiedsordnung des hier in Frage stehenden
Verfahrens erlassen (vgl. zum Ganzen RIEMER/VON SEGESSER/VON DER CRONE,
Das "Schiedsgericht für Nachrichtenlose Konten in der Schweiz", Bulletin
ASA 1998 S. 252 ff.; AMANCE DOURTHE-PERROT, Le Tribunal arbitral pour
les comptes en déshérence en Suisse, Revue de l'arbitrage 1999 S. 21 ff.).

    b) Die publizierte Liste von Inhabern von nachrichtenlosen
Konten enthält lediglich Namen und - soweit bekannt - Wohnsitz des
Kontoinhabers. In einer ersten Phase sieht die Schiedsordnung in Art. 10
ein Vorprüfungsverfahren vor, welches nicht den vorherigen Abschluss
einer Schiedsvereinbarung voraussetzt (Art. 10 Abs. 5 Schiedsordnung). In
diesem Vorprüfungsverfahren hat die - dem Ansprecher vorerst unbekannte
- kontoführende Bank der ATAG innerhalb von 20 Tagen nach Eingang des
Anspruchsformulars mitzuteilen, ob sie mit der Offenlegung ihres Namens und
des Vermögenswertes des nachrichtenlosen Kontos einverstanden ist (Art. 10
Abs. 1 Schiedsordnung). Stimmt die Bank der Offenlegung zu, entscheidet -
sofern dann eine gültige Schiedsvereinbarung vorliegt - das Schiedsgericht
nach Massgabe von Art. 11 ff. der Schiedsordnung über den Anspruch.

    Teilt hingegen die Bank ihren Entscheid der ATAG nicht innerhalb
von 20 Tagen mit, oder lehnt sie ab, dass ihr Name und der Wert des
nachrichtenlosen Kontos dem Ansprecher mitgeteilt wird, so legt die
ATAG den Anspruch dem Schiedsgericht zur Vorprüfung durch einen
Einzelschiedsrichter vor (Art. 10 Abs. 2 Schiedsordnung). Dieser
verweigert gemäss Art. 10 Abs. 3 Ziff. (i) und (ii) der Schiedsordnung
die Offenlegung, wenn der Ansprecher keine Informationen über seine
Berechtigung auf das nachrichtenlose Konto eingereicht hat oder falls
offensichtlich ist, dass der Ansprecher nicht auf das nachrichtenlose
Konto berechtigt ist. Einen solchen die Offenlegung der kontoführenden
Bank ablehnenden Entscheid hat der Einzelschiedsrichter im vorliegenden
Fall am 25. Oktober 1999 gefällt.

    Art. 10 Abs. 4 der Schiedsordnung sieht im Weiteren vor,
dass der Ansprecher innerhalb von 30 Tagen nach dem Entscheid des
Einzelschiedsrichters eine verbesserte Anmeldung einreichen kann. Dies
ist im vorliegenden Fall geschehen, worauf ein Dreierschiedsgericht die
Offenlegung der kontoführenden Bank und die Weiterbehandlung des Anspruchs
des Beschwerdeführers mit dem nun angefochtenen Entscheid vom 28. April
2000 endgültig ablehnte.

Erwägung 3

    3.- a) Gegenstand des erwähnten Vorprüfungsverfahrens ist nicht
die materielle Berechtigung des Ansprechers auf das nachrichtenlose
Konto. Vielmehr geht es zunächst darum, mittels einer Plausibilitätsprüfung
zu entscheiden, ob im konkreten Einzelfall das - grundsätzlich nach
wie vor geltende - Bankgeheimnis (Art. 47 des Bundesgesetzes vom 8.
November 1934 über die Banken und Sparkassen, BankG; SR 952.0) gegenüber
dem Ansprecher überhaupt besteht oder allenfalls aufgehoben werden
kann, was erst die Durchführung eines Schiedsverfahrens über den geltend
gemachten Anspruch ermöglicht. Aus rechtlicher Sicht qualifiziert sich die
Anmeldung des Ansprechers, selbst wenn sie eine von diesem unterzeichnete
Schiedsvereinbarung enthalten sollte, als Offerte an die noch unbekannte
Bank, eine Schiedsvereinbarung abzuschliessen. Will die Bank diese
Offerte nach Prüfung der vom Ansprecher eingereichten Unterlagen annehmen,
offenbart sie ihre Identität und die Schiedsvereinbarung kommt zustande.

    Erachtet die Bank dagegen - wie hier - die eingereichten Unterlagen als
ungenügend, bedeutet dies nicht zwingend, dass keine Schiedsvereinbarung
zustandekommen kann. Die Bank hat sich nämlich für den Fall, dass ein
Gremium des Schiedsgerichtes keine die Offenlegung ihrer Identität und des
Wertes des nachrichtenlosen Kontos ausschliessende Gründe gemäss Art. 10
Abs. 3 Ziff. (i) und (ii) der Schiedsordnung feststellt, zum Abschluss
einer Schiedsvereinbarung verpflichtet (KELLERHALS, Review in International
and Domestic Arbitration Cases, ASA Special Series No. 13 S. 117). Teilt
das Schiedsgericht die Auffassung der Bank in Bezug auf die Offenlegung
nicht und erachtet es die Geheimhaltungsgründe gemäss Art. 10 Abs. 3
Ziff. (i) und (ii) als nicht gegeben, kann die Bank daher zum Abschluss
einer Schiedsvereinbarung verpflichtet werden; ihre Identität wird sodann
trotz ihres ursprünglichen gegenteiligen Entscheides offengelegt und sie
darf den Abschluss der Schiedsvereinbarung nicht mehr verweigern. Kommt
das zuständige Gremium des Schiedsgerichts hingegen zum selben Schluss
wie die Bank, bleibt es bei deren die Preisgabe ihrer Identität und den
Abschluss einer Schiedsvereinbarung ablehnenden Entscheid.

    b) Das Vorprüfungsverfahren gemäss Art. 10 der Schiedsordnung ist kein
Schiedsverfahren, sondern ein Verfahren eigener Art, das dem eigentlichen
Schiedsverfahren aufgrund der Besonderheiten der in Frage stehenden Materie
vorgeschaltet ist und zum Abschluss der Schiedsvereinbarung führen kann
(DOURTHE-PERROT, aaO, S. 28). Es soll damit namentlich verhindert werden,
dass Unbeteiligte das zur Beurteilung von Ansprüchen auf nachrichtenlose
Vermögenswerte in der Schweiz eingerichtete Schiedsverfahren aus
sachfremden Motiven für sog. "fishing expeditions" missbrauchen
und durch die Anmeldung offensichtlich nicht bestehender Ansprüche
Aufschluss über die Bankverbindung und die Vermögensverhältnisse
von Inhabern nachrichtenloser Konten oder deren Erben erhalten. Das
Vorprüfungsverfahren gemäss Art. 10 der Schiedsordnung trägt damit dem
Spannungsfeld zwischen der Wahrung des Bankgeheimnisses einerseits und
dem Bedürfnis der Ansprecher nach Transparenz anderseits Rechnung.

    c) Der mit dem Vorprüfungsverfahren befasste Spruchkörper des
Schiedsgerichtes für Nachrichtenlose Vermögenswerte in der Schweiz
handelt nach dem Gesagten nicht als Schiedsgericht im Sinne der Art. 176
ff. IPRG. Seine Tätigkeit im Vorprüfungsverfahren ist vielmehr vergleichbar
mit derjenigen eines Gutachtergremiums, welchem die eine Streitpartei die
Kompetenz übertragen hat, endgültig über das Vorliegen der Voraussetzungen
für den Abschluss einer Schiedsvereinbarung zu befinden (DOURTHE-PERROT,
aaO, S. 31 mit Fn. 25).

    d) Dass es sich beim Vorprüfungsverfahren nicht um ein eigentliches
Schiedsverfahren handelt, geht zwar aus Art. 10 Abs. 5 der Schiedsordnung
hervor, wonach es für die Vorprüfung keiner Schiedsvereinbarung
bedarf. Allerdings ist bedauerlich, dass die interessierten Kreise über
die rechtliche Natur dieses Vorprüfungsverfahrens nicht klarer informiert
werden. So wird in den Erläuterungen zum Schiedsverfahren zur Frage,
ob der den Anspruch ablehnende Entscheid der Schiedsrichter angefochten
werden kann, Folgendes ausgeführt: "Ja, nach schweizerischem Recht haben
Sie die Möglichkeit, den Entscheid der Schiedsrichter innert 30 Tagen
nach Eröffnung anzufechten. Die Anfechtungsgründe sind, wie bei allen
Schiedsentscheiden, eingeschränkt". Wenn zudem wie im vorliegenden Fall
die im Vorprüfungsverfahren ergangenen Entscheide vorbehaltlos als solche
des Schiedsgerichtes für Nachrichtenlose Konten in der Schweiz bezeichnet
werden, ist nachvollziehbar, dass die Betroffenen aufgrund der vom
Schiedsgericht abgegebenen Erläuterungen auch in den Vorprüfungsentscheiden
anfechtbare Schiedsentscheide erblicken. Dies ändert jedoch nichts daran,
dass nach der Ausgestaltung der Verfahrensordnung eine Schiedsvereinbarung
seitens der kontoführenden Bank erst vorliegt, wenn sie selbst oder ein
Gremium des Schiedsgerichts keine der Offenlegung der Kundenbeziehung
entgegenstehenden Gründe gemäss Art. 10 Abs. 3 Ziff. (i) und (ii) der
Schiedsordnung als gegeben erachtet hat.

    e) Handelt es sich beim Vorprüfungsverfahren nicht um ein
Schiedsverfahren gemäss Art. 176 ff. IPRG, stellen die in dessen Rahmen
ergangenen Entscheide auch keine Anfechtungsobjekte im Sinne von Art. 190
f. IPRG bzw. Art. 85 lit. c OG dar. Auf die staatsrechtliche Beschwerde
kann daher nicht eingetreten werden (so im Ergebnis auch KELLERHALS, aaO,
S. 117).