Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 492



126 III 492

86. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 29. August 2000
i.S. Orthofit AG gegen Häner und Partner Engineering (Berufung) Regeste

    Nichtanwendung von ausländischem Recht (Art. 43a Abs. 1 lit. a OG,
Art. 16 IPRG).

    Der Rügegrund von Art. 43a Abs. 1 lit. a OG ist gegeben, wenn
das massgebende ausländische Recht nicht in dem vom schweizerischen
Kollisionsrecht geforderten Umfang (Art. 16 IPRG) angewendet wurde (E. 3).

Sachverhalt

    Die Amfit Inc., ein US-amerikanisches Unternehmen, entwickelt Systeme
zur automatischen, digital unterstützten Herstellung von Einlagesohlen
und ist Inhaberin eines diesen Tätigkeitsbereich betreffenden Patents. Am
23. Februar 1990 schloss sie mit der nachmaligen Orthofit AG (Beklagte)
einen Vertrag, welcher u.a. die Erteilung einer Exklusivlizenz an die
Beklagte zur Nutzung des Amfit-Patents gegen Bezahlung einer gestaffelt
zu entrichtenden Pauschalgebühr zum Gegenstand hatte. Am 31. Dezember
1992 schlossen die Amfit und die Beklagte eine weitere Vereinbarung,
in welcher sie festhielten, dass der noch ausstehende Rest der aufgrund
des vorbestehenden Vertrages geschuldeten Pauschalgebühr, welcher in der
Höhe unbestrittene US$ 163'689.- betrug, bis spätestens am 31. Oktober
1993 zu begleichen sei. In der Folge weigerte sich die Beklagte jedoch
aus verschiedenen Gründen, diesen Betrag zu bezahlen. Mit Zessionsurkunde
vom 7. November 1996 trat die Amfit die ausstehende Forderung zum Inkasso
an die Häner und Partner Engineering (Klägerin) ab.

    Mit Klage vom 25. Juni 1997 verlangte die Klägerin von der Beklagten
die Zahlung der noch ausstehenden Pauschalgebühr nebst Zins. Der
Gerichtspräsident 1 des Gerichtskreises X Thun und der hierauf mit
der Sache befasste Appellationshof des Kantons Bern hiessen die Klage
mit Urteilen vom 3. Mai 1999 bzw. 22. November 1999 im Umfang von
Fr. 248'465.50 nebst Zins gut. Eine gegen das Urteil des Appellationshofes
gerichtete kantonale Nichtigkeitsklage wurde abgewiesen, soweit darauf
eingetreten werden konnte.

    Das Bundesgericht heisst die von der Beklagten gegen das Urteil des
Appellationshofes des Kantons Bern eingelegte Berufung gut und weist die
Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die Beklagte macht geltend, im kantonalen Verfahren sei
ausländisches Recht bundesrechtswidrig nicht angewendet worden.

    a) Gemäss Art. 43a Abs. 1 OG kann mit Berufung vorgebracht werden, es
sei nicht ausländisches Recht angewendet worden, wie es das schweizerische
internationale Privatrecht vorschreibe. Dieses sieht vor, dass ein Vertrag
grundsätzlich dem von den Parteien gewählten Recht untersteht (Art. 116
Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 18. Dezember 1987 über das Internationale
Privatrecht; IPRG, SR 291). Nach den Darlegungen der Vorinstanz ist unter
den Parteien unbestritten, dass aufgrund einer Rechtswahl im Vertrag
vom 23. Februar 1990 auf die eingeklagte Forderung kalifornisches Recht
anwendbar ist. Im Berufungsverfahren kann mithin überprüft werden, ob - wie
dies die Beklagte behauptet - die Vorinstanz anstelle des grundsätzlich von
Amtes wegen festzustellenden (Art. 16 Abs. 1 IPRG; BGE 121 III 436 E. 5 mit
Hinweisen) kalifornischen Rechts schweizerisches Recht angewendet hat. Da
es sich vorliegend um eine vermögensrechtliche Streitigkeit handelt, kann
die unzutreffende Anwendung des ausländischen Rechts indessen nicht gerügt
werden (Art. 43a Abs. 2 OG e contrario; BGE 119 II 177 E. 3e S. 182).

    b) In Bezug auf die Rechtsanwendung hielt die Vorinstanz lediglich
fest, das erstinstanzliche Gericht habe die Streitsache entgegen den
Behauptungen der Beklagten nicht fälschlicherweise aufgrund schweizerischen
Rechts beurteilt, sondern in den massgeblichen Punkten kalifornisches Recht
erhoben und angewendet. Diese knappen Ausführungen zur Rechtsanwendung
können angesichts des reformatorischen Charakters des vorinstanzlichen
Urteils (LEUCH/MARBACH/KELLERHALS/STERCHI, Die Zivilprozessordnung für den
Kanton Bern, N. 3 zu Art. 351 ZPO/BE) nicht anders verstanden werden denn
als sinngemässer Verweis auf die - nach Auffassung des Appellationshofes
zutreffende - Begründung des erstinstanzlichen Entscheides. Dieses Vorgehen
ist bundesrechtlich grundsätzlich nicht zu beanstanden (BGE 119 II 478
E. 1d S. 480) und führt dazu, dass das Bundesgericht die Gesetzesanwendung
im Lichte der erstinstanzlichen Erwägungen überprüft.

    c) aa) Hat ein Gericht seiner Beurteilung ausländisches Recht
zugrunde zu legen, muss es das fremde Recht so auslegen und anwenden,
wie dies ein Gericht im ursprünglichen Geltungsbereich des anzuwendenden
Rechts tun würde (DUTOIT, Droit international privé suisse, Commentaire
de la loi fédérale du 18 décembre 1987, 2e éd., N. 10 zu Art. 16 IPRG;
KNOEPFLER/SCHWEIZER, Droit international privé suisse, 2e éd., S. 247/8;
KELLER/GIRSBERGER, IPRG-Kommentar, Zürich 1993, N. 81 zu Art. 16
IPRG; FRANK VISCHER, Das Internationale Vertragsrecht nach dem neuen
schweizerischen IPR-Gesetz, BJM 1989 S. 191; VON OVERBECK, Die Ermittlung,
Anwendung und Überprüfung der richtigen Anwendung des anwendbaren Rechts,
in: Hangartner, Die allgemeinen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das
internationale Privatrecht, St. Gallen 1988, S. 109; ANTON K. SCHNYDER,
Die Anwendung des zuständigen fremden Sachrechts im Internationalen
Privatrecht, Diss. Zürich 1981, S. 157 ff.). Der schweizerische Richter
muss sich somit in das Rechtssystem des betreffenden Landes versetzen,
ohne freilich Teil desselben zu sein (VON OVERBECK, aaO). Er hat etwa
- namentlich wenn er das massgebende Recht selbst erhebt - die in der
fremden Rechtsordnung geltende Auslegungsmethodik oder eine allenfalls
unterschiedliche Einordnung von Rechtsfiguren zu beachten (SCHNYDER, aaO,
S. 158). Dies entspricht der rechtsvergleichenden Grunderfahrung, dass zwar
jede Gesellschaft ihrem Recht die gleichen Probleme aufgibt, dass aber die
verschiedenen Rechtsordnungen diese Probleme auf sehr unterschiedliche
Weise lösen, selbst wenn die Ergebnisse gleich sind (ZWEIGERT/KÖTZ,
Einführung in die Rechtsvergleichung, 3. Aufl., S. 33). Daraus folgt, dass
das schweizerische Gericht bei der Bestimmung der streitentscheidenden
Rechtsfragen sowie der Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts
nicht ohne Berücksichtigung der Eigenheiten der fremden Rechtsordnung
von den in der inländischen Dogmatik verwendeten Denkkategorien und
Argumentationsmustern ausgehen darf (vgl. dazu ZWEIGERT/KÖTZ, aaO,
S. 34). Bereits unter altem Recht war es überdies unzulässig, die
Rechtsanwendungsfrage mit der Begründung offen zu lassen, dass die in
Frage kommenden Rechtsordnungen inhaltlich übereinstimmten (BGE 100 II
34 E. 5 mit Hinweisen; KELLER/GIRSBERGER, aaO, N. 8 zu Art. 16 IPRG).

    bb) Der Inhalt des anzuwendenden ausländischen Rechts ist von Amtes
wegen festzustellen. Dazu kann die Mitwirkung der Parteien verlangt
werden. Bei vermögensrechtlichen Ansprüchen kann der Nachweis den Parteien
überbunden werden (Art. 16 Abs. 1 IPRG; zum Vorgehen bei der Ermittlung
des ausländischen Rechts vgl. BGE 124 I 49 E. 3 mit Hinweisen). Wird bei
der Ermittlung des ausländischen Rechts unbesehen von der schweizerischen
Dogmatik ausgegangen, führt dies - namentlich wenn Regelungen eines fremden
Rechtskreises in Frage stehen - regelmässig zu einer unvollständigen
Feststellung des ausländischen Rechts und damit zu einer Verletzung von
Art. 16 Abs. 1 IPRG. Folge dieses nicht sachgerechten Vorgehens ist nicht
nur eine - bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten im Berufungsverfahren
nicht überprüfbare (Art. 43a Abs. 2 OG e contrario) - falsche Anwendung
des ausländischen Rechts. Vielmehr wird diesfalls das massgebende
ausländische Recht nicht in dem vom schweizerischen Kollisionsrecht
geforderten Umfang angewendet, womit der Rügegrund von Art. 43a Abs. 1
lit. a OG gegeben ist (MÄCHLER-ERNE, Basler Kommentar zum IPRG, N. 7 des
Anhangs; MESSMER/IMBODEN, Die eidgenössischen Rechtsmittel in Zivilsachen,
S. 109). Ob dies auch dann zutrifft, wenn im Rahmen des ausländischen
Rechts nur punktuell und bezüglich untergeordneter Fragen schweizerisches
Recht herangezogen wird, oder ob diesfalls nicht eher eine unzutreffende
Anwendung des ausländischen Rechts vorliegt, kann hier offen bleiben. Ohne
weiteres zulässig ist immerhin auch bei der Anwendung ausländischen Rechts
die rechtsvergleichende Bezugnahme auf das schweizerische Recht.

    cc) Im vorliegenden Fall stellte das erstinstanzliche Gericht zunächst
fest, dass auf das zu beurteilende Vertragsverhältnis kalifornisches Recht
anwendbar sei. Unter Hinweis auf schweizerische Lehrmeinungen qualifizierte
es den Vertrag zwischen der Amfit und der Beklagten sodann als gemischten
Vertrag sui generis. Im Rahmen der Erwägungen über die Rechtsfolgen der
von der Beklagten als Lizenznehmerin behaupteten Patentnichtigkeit wird
wiederum unter Berufung auf die schweizerische Doktrin festgehalten,
dass durch die staatliche Erteilung des Patents die Scheinexistenz
desselben für die (Pseudo-)Lizenznehmerin gewisse faktische Wirkungen zu
entfalten vermöge. Es könne im Falle der Nichtigkeit eines Patentes nicht
unbesehen von der Nichtigkeit des damit verbundenen Lizenzvertrages wegen
anfänglicher Unmöglichkeit gemäss Art. 20 OR ausgegangen werden, ohne
weiter unter Beachtung der Interessenlage zu differenzieren. Das Gericht
hielt sodann unter Verweis auf die Auffassung zweier schweizerischer
Autoren fest, die Folgen einer Nicht- oder Schlechterfüllung des
Lizenzvertrages wegen Fehlens der zugesicherten Qualität der Systeme und
der Erfindung oder Nichterreichbarkeit des wirtschaftlichen Ergebnisses
beurteilten sich nach analog angewendeten Kaufrechtsbestimmungen, konkret
nach den jeweiligen Regeln über die Sach- bzw. Rechtsgewährleistung. Diese
Vorüberlegungen führten das Gericht dazu, das nach seiner Auffassung
massgebende kalifornische Kaufrecht auf den strittigen Vertrag anzuwenden.

    dd) Aus diesen Ausführungen erhellt, dass im kantonalen Verfahren auf
das strittige Vertragsverhältnis nicht ausschliesslich kalifornisches Recht
angewendet wurde, wie dies das schweizerische internationale Privatrecht
vorschreibt. Namentlich die zentralen Erwägungen, welche der Bestimmung
der entscheidenden Rechtsfragen dienten und damit die Grundlage für die
Feststellung des kalifornischen Kaufrechts sowie dessen Anwendung auf den
Lizenzvertrag bildeten, stützen sich ausschliesslich auf die schweizerische
Doktrin und damit auf die Rechtslage in der Schweiz. Hinweise auf die
massgebende rechtliche Situation in Kalifornien fehlen gänzlich. Die Rüge
der Beklagten erweist sich damit als begründet.