Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 452



126 III 452

78. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 18. Mai 2000
i.S. D.B. gegen R.U. (Berufung) Regeste

    Art. 679/684 und Art. 688 ZGB; Verhältnis des bundesrechtlichen
Immissionsschutzes zum kantonalen Pflanzenrecht.

    Art. 684 ZGB umfasst auch sog. "negative Immissionen" wie
beispielsweise Lichtentzug und Schattenwurf (E. 2).

    Die Rechtssetzungskompetenz, die den Kantonen gemäss Art.  688 ZGB
im Bereich des Pflanzenrechtes zusteht, schliesst die Anwendung der
Art. 684/679 ZGB nicht grundsätzlich aus. Vielmehr garantieren diese
Bestimmungen einen bundesrechtlichen Minimalschutz gegen Immissionen
(E. 3).

Sachverhalt

    A.- Die Parteien sind Eigentümer von zwei benachbarten Grundstücken in
Stallikon/ZH, zwischen denen ein ca. 3 Meter breiter öffentlicher Fussweg
verläuft. Auf dem Grundstück von D.B. befinden sich mehrere Waldbäume,
welche dessen Grundstück entlang des erwähnten Fussweges dicht gesäumt
abschliessen. Mehrere dieser Bäume weisen eine Höhe von mehr als 20 Metern
und einen Kronendurchmesser von mehreren Metern auf. R.U. stellt sich
als Eigentümer des benachbarten Grundstückes auf den Standpunkt, dass die
Baumgruppe auf dem D.B. gehörenden Grundstück seiner Liegenschaft Licht,
Sonne und Luft entziehe und insoweit eine übermässige Beeinträchtigung
darstelle.

    B.- Am 8. August 1996 erhob R.U. beim Bezirksgericht Affoltern gegen
D.B. Klage auf Beseitigung sämtlicher, nordöstlich von dessen Haus
stehender Bäume, evtl. auf Reduktion von deren Höhe. Mit Urteil vom
19. Dezember 1996 wies das Bezirksgericht Affoltern die Klage ab. Zur
Begründung führte das Bezirksgericht im Wesentlichen aus, dass der
Beseitigungsanspruch nach dem massgebenden kantonalen Pflanzenrecht (§§
169 ff. EGZGB) binnen 5 Jahren seit der Pflanzung der Bäume verjähre (§
173 EGZGB) und diese Frist längst abgelaufen sei. Eine von R.U. gegen
dieses Urteil erhobene Berufung hiess das Obergericht des Kantons Zürich
mit Beschluss vom 18. April 1997 gut und wies die Sache zur Ergänzung
des Verfahrens und zur Neuentscheidung ans Bezirksgericht zurück. Im
Wesentlichen führte das Obergericht aus, dass der Beseitigungsanspruch
nach kantonalem Recht zwar verjährt sei, dass aber zu prüfen sei, ob der
Schattenwurf und Lichtentzug durch die Bäume eine übermässige Einwirkung
im Sinn von Art. 684 ZGB darstelle und insoweit ein bundesrechtlicher
Beseitigungsanspruch bestehe (publ. in ZR 97 [1998], S. 65 ff.). Nach
Durchführung eines aufwendigen Beweisverfahrens, in welchem insbesondere
ein Gutachten über den Schattenwurf der Bäume auf das Grundstück des
Klägers erstattet wurde, erwog das Bezirksgericht, dass die von den
umstrittenen Bäumen ausgehenden Einwirkungen nicht übermässig im Sinn
von Art. 684 ZGB seien und wies die Klage mit Urteil vom 8. April 1999
erneut ab. Das Obergericht gelangte in seinem Urteil vom 26. November 1999
demgegenüber zum Schluss, dass sich der Schattenwurf seitens der Bäume des
Beklagten als lästig erweise und die Lebensqualität auf dem Wohngrundstück
des Klägers erheblich herabsetze. Es ordnete deshalb die Beseitigung
von fünf Bäumen an (Ziff. 1); ferner wurden die Gerichtsgebühren den
Parteien je zur Hälfte auferlegt (Ziff. 4) und die Prozessentschädigungen
wettgeschlagen (Ziff. 5).

    C.- Mit Berufung vom 17. Januar 2000 beantragt D.B.  dem Bundesgericht,
Ziff. 1, 4 und 5 des Urteils des Obergerichtes des Kantons Zürich vom
26. November 1999 aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen;
eventualiter sei die Ziff. 1 des Dispositivs insoweit aufzuheben, als
die Beseitigung der zwei Lärchen verlangt werde; die Ziff. 4 und 5 seien
vollumfänglich aufzuheben. R.U. beantragt, die Berufung abzuweisen.
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen verzichtet.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die Frage, ob einem
Grundeigentümer gestützt auf die Art. 679/684 ZGB ein bundesrechtlicher
Beseitigungsanspruch bezüglich Bäumen zusteht, die auf einem benachbarten
Grundstück stehen und sein Grundstück durch Lichtentzug und Schattenwurf
beeinträchtigen. Die Vorinstanz hat einen Beseitigungsanspruch gestützt
auf diese Bestimmungen teilweise gutgeheissen und den Beklagten
zur Entfernung von fünf Bäumen verpflichtet. Der Beklagte stellt
sich demgegenüber auf den Standpunkt, dass die Art. 679/684 ZGB nicht
anwendbar seien, weil die Regelung der Grenzabstände von Pflanzungen gemäss
Art. 688 ZGB den Kantonen vorbehalten sei und ein Beseitigungsanspruch
nach dem kantonalen Pflanzenrecht (§§ 169 ff. EGZGB) längst verjährt sei
(§ 173 EGZGB).

Erwägung 2

    2.- Zunächst ist zu prüfen, ob die hier zu beurteilenden sogenannten
"negativen Immissionen" überhaupt von Art. 684 ZGB erfasst werden. Von
negativen Immissionen ist etwa dann die Rede, wenn alleine durch die
Existenz einer Baute oder einer Pflanzung einem benachbarten Grundstück
Licht bzw. Aussicht entzogen wird, ein benachbartes Grundstück durch
Schattenwurf beeinträchtigt wird oder Passanten von einem Ladengeschäft
ferngehalten werden (ARTHUR MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 78 zu
Art. 684 ZGB).

    a) Ein Teil der Literatur vertritt die Auffassung, dass von einer
Einwirkung im Sinn von Art. 684 Abs. 1 ZGB nicht gesprochen werden
könne, soweit Licht, Luft oder Aussicht durch Bauten oder Pflanzen
entzogen würden, weil es sich bei den verbotenen Immissionen nur um
Einwirkungen handeln könne, die sich aus der Art und Weise der Benutzung
des Ausgangsgrundstückes ergebe (HAAB/SIMONIUS/SCHERRER/ZOBL, Zürcher
Kommentar, N. 12 zu Art. 684 ZGB; PETER LIVER, Schweizerisches Privatrecht,
Band V, Das Grundeigentum, S. 227 f.). Andere Autoren halten das Argument
nicht für überzeugend, dass eine "Entziehung" keine "Einwirkung" im Sinn
des Gesetzestextes sein könne, und vertreten die Auffassung, dass auch
negative Immissionen in den Anwendungsbereich von Art. 684 ZGB fallen
(MEIER-HAYOZ, aaO, N. 53 ff. und N. 63 zu Art. 684 ZGB; DENIS PIOTET,
Le droit privé vaudois de la propriété foncière, Lausanne 1991, N. 56 ff.
[für Grabungen und Bauten] und 61 ff. [für Pflanzungen]; PAUL-HENRI
STEINAUER, Le droit au soleil, in: L'homme et son environnement, Recueil
de traveaux, Fribourg 1980, S. 260 ff.; SIMONIUS/SUTTER, Schweizerisches
Immobiliarsachenrecht, Band I, Basel/Frankfurt a.M. 1995, S. 431, § 13
N. 38; CHRISTINA MARIA SCHMID-TSCHIRREN, Die negativen Immissionen im
schweizerischen Privatrecht, Diss. Bern 1997, S. 142 ff. [für Bauten]
und S. 211 ff. [für Pflanzungen]). Andere Autoren wiederum beschränken
sich darauf, die kontroversen Standpunkte darzulegen (HEINZ REY,
Die Grundlagen des Sachenrechts und das Eigentum, Bern 1991, S. 244;
TUOR/SCHNYDER/SCHMID, Das schweizerische Zivilgesetzbuch, 11. Auflage,
Zürich 1995, S. 729).

    b) Das Bundesgericht hatte sich bislang noch nie dazu zu äussern, ob
negative Immissionen, die von Pflanzungen ausgehen, auch von Art. 684 ZGB
erfasst werden. In Bezug auf die vergleichbare Situation von Immissionen,
die von Bauten ausgehen, hat das Bundesgericht in ständiger Rechtsprechung
festgehalten, dass das blosse Vorhandensein einer Baute oder baulichen
Anlage keine Einwirkungen im Sinn des Art. 684 ZGB verursache, wie sie
nur infolge der Art der Bewirtschaftung oder Benutzung des Grundstückes
entstehen könne (BGE 88 II 252 E. 3 S. 264; 91 II 339 E. 3 S. 341 je
mit Hinweisen). In einem späteren Entscheid hat das Bundesgericht diese
Begründung bestätigt und weiter ausgeführt, dass sich der Betroffene gegen
negative Immissionen - Beeinträchtigung der Aussicht, Entzug von Licht
und Sonnenschein - nicht auf Art. 684 ZGB, sondern nur auf Abwehrrechte
berufen könne, die sich aus den gestützt auf Art. 686 erlassenen kantonalen
privatrechtlichen Bauvorschriften bzw. dem öffentlichen Baurecht der
Kantone ergäben (BGE 106 Ib 381 E. 2a S. 383 mit weiteren Hinweisen;
in BGE 106 Ib 231 E. 3b/aa S. 236 f. mit weiteren Hinweisen wurde die
Frage letztlich offengelassen).

    c) Die von einem Teil der Lehre und der bisherigen Rechtsprechung
vertretene Auffassung, dass ein Entzug von Licht und Sonnenschein
bzw. eine Beeinträchtigung der Aussicht keine "Einwirkung" im Sinn
von Art. 684 ZGB sein könne, hält einer kritischen Überprüfung nicht
stand. Aufgrund des Wortlautes von Art. 684 ZGB lässt sich nicht begründen,
den Anwendungsbereich dieser Bestimmung auf positive Immissionen zu
beschränken. Nur der deutsche Gesetzestext spricht von "übermässigen
Einwirkungen", während in der französischen und italienischen Fassung die
umfassenderen Umschreibungen "tout excès" bzw. "ogni eccesso" verwendet
werden und damit jede Übermässigkeit erfasst wird. Der Umstand allein,
dass Art. 684 Abs. 2 ZGB beispielhaft - und damit nicht abschliessend -
nur "positive" Immissionen aufzählt, bedeutet keineswegs, dass negative
Immissionen von dieser Bestimmung nicht erfasst sein sollen, sondern
ist darauf zurückzuführen, dass die positiven Immissionen bedeutend
häufiger sind (MEIER-HAYOZ, aaO, N. 52 a.E. zu Art. 684 ZGB; in diesem
Sinn auch PIOTET, aaO, N. 54, S. 85; STEINAUER, aaO, S. 260). Auch
aus der systematischen Stellung von Art. 684 ZGB kann nicht abgeleitet
werden, dass negative Immissionen von dieser Bestimmung nicht erfasst
würden. Es ist nicht einzusehen, weshalb der im Randtitel von Art. 684 ZGB
erwähnte Begriff "Bewirtschaftung" nur die Benutzung eines Grundstückes
und nicht auch das blosse Vorhandensein einer Baute und Pflanzung
erfassen soll. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist davon auszugehen,
dass negative Immissionen unter Art. 684 ZGB fallen können (PIOTET,
aaO, Rz. 53 S. 84). Auch Sinn und Zweck des Gesetzes sprechen dafür,
dass negative Immissionen genau gleich wie positive von Art. 684 ZGB
erfasst werden. Mit der heute weit verbreiteten verdichteten Bauweise
erhalten Abstandsvorschriften namentlich für Pflanzungen im Vergleich zu
den entstehungszeitlichen Verhältnissen eine grössere Bedeutung, können
doch Lichtentzug und Schattenwurf genau gleich lästig sein wie die im
Gesetz beispielhaft erwähnten Immissionen. Schliesslich zeigen auch die
Materialien, dass der historische Gesetzgeber negative Immissionen unter
Art. 684 ZGB subsumiert wissen wollte. So führt Eugen Huber als Beispiel
für eine unzulässige Immission aus, dass "die Anpflanzung von Getreide
einem anstossenden Gartenlande Schaden zu bereiten [vermöge], wäre es auch
nur wegen des Schattens, den die hochstehende Frucht auf die nachbarlichen
Beete [werfe], oder der Feuchtigkeit, die sie bei ihnen [verursache]"
(Erläuterungen des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes
zum Vorentwurf für ein Schweizerisches Zivilgesetzbuch vom 15. November
1900, S. 98). Im Übrigen hat auch das Bundesgericht die Rechtsprechung,
dass negative Immissionen nicht unter Art. 684 ZGB fallen, nicht
mit letzter Konsequenz durchgehalten. So wurden im Zusammenhang mit
der Bautätigkeit nicht nur positive Immissionen wie Lärm-, Staub- und
Erschütterungseinwirkungen, sondern auch typische negative Immissionen
wie Sicht- und Zugangserschwerungen als unvermeidliche und insoweit zwar
zu duldende, aber wegen Überschreitungen des Nachbarrechts im Sinn von
Art. 684 ZGB dennoch entschädigungspflichtige Einwirkungen qualifiziert
(BGE 91 II 100 E. 2 S. 103; 114 II 230 E. 4 S. 235 ff.).

Erwägung 3

    3.- Ist somit davon auszugehen, dass auch negative Immissionen wie
Schattenwurf und Lichtentzug grundsätzlich unter Art. 684 ZGB fallen, ist
im Folgenden zu prüfen, ob dies auch dann gilt, wenn diese Immissionen
auf Pflanzungen zurückzuführen sind, da das Gesetz in Art. 688 ZGB den
Kantonen das Recht vorbehält, für Pflanzungen bestimmte Abstände vom
nachbarlichen Grundstück vorzuschreiben. Es stellt sich die Frage, ob der
in Art. 688 verankerte Vorbehalt zu Gunsten des kantonalen Rechtes eine
exklusive Rechtssetzungskompetenz der Kantone darstellt oder ob auch in
diesem Bereich Raum für eine ergänzende Anwendung der Art. 679 und 684
ZGB besteht.

    a) Gemäss Art. 688 ZGB sind die Kantone befugt, für Anpflanzungen
je nach der Art des Grundstückes und der Pflanzen bestimmte Abstände vom
nachbarlichen Grundstück vorzuschreiben. Nach Rechtsprechung und Lehre
stellt Art. 688 einen echten zuteilenden Vorbehalt zu Gunsten der Kantone
auf. Gestützt darauf sind diese ermächtigt, die Abstände festzulegen,
welche die Eigentümer für Anpflanzungen einhalten müssen, und Sanktionen
für die Verletzung entsprechender Bestimmungen vorzusehen (BGE 122 I 81
E. 2a S. 84 mit weiteren Hinweisen). Von diesem Vorbehalt hat der Kanton
Zürich in den §§ 169 ff. EGZGB Gebrauch gemacht. Im vorliegenden Fall
scheitert die Beseitigung der umstrittenen Bäume allerdings wie erwähnt
daran, dass der Anspruch des Klägers nach kantonalem Recht verjährt ist und
die entsprechende Verjährungseinrede im kantonalen Verfahren erhoben wurde.

    b) In der Literatur sind die Meinungen geteilt, ob ein
Beseitigungsanspruch unter dem Gesichtspunkt des bundesrechtlichen
Immissionsschutzes geprüft werden kann, wenn ein Kanton von der
Gesetzgebungskompetenz gemäss Art. 688 ZGB Gebrauch gemacht hat. Ein
Teil der Lehre bejaht die exklusive Rechtssetzungskompetenz der Kantone,
weil es sich bei den Abstandsvorschriften um besondere nachbarrechtliche
Tatbestände handle, die für Bauten in Art. 686 ZGB und für Pflanzungen
in Art. 688 ZGB der Gesetzgebung der Kantone vorbehalten seien (PIOTET,
aaO, N. 56 ff. [für Bauten] und N. 61 ff. [für Pflanzungen]; LIVER,
aaO, S. 226, insbes. S. 228; ders., Berner Kommentar, N. 23 f. und
30 ff. zu Art. 5 ZGB; GRÉGORY BOVEY, L'expropriation des droits de
voisinage, Diss. Lausanne 1999, S. 22); zum gleichen Ergebnis führte
auch die - bereits verworfene - Begründung, dass negative Immissionen
grundsätzlich von Art. 684 ZGB nicht erfasst würden (vgl. oben,
E. 2). Von anderen Autoren wird demgegenüber die alleinige Kompetenz der
Kantone namentlich hinsichtlich der von Pflanzen ausgehenden negativen
Immissionen verneint (MEIER-HAYOZ, aaO, N. 58 und 79 zu Art. 684 ZGB und
N. 75 f. zu Art. 678/688 ZGB; ALFRED LINDENMANN, Bäume und Sträucher im
Nachbarrecht, 4. Auflage, Baden 1988, S. 29 f.; SCHMID-TSCHIRREN, aaO,
S. 192 ff., insbes. S. 212/213; im Ergebnis ebenfalls SIMONIUS/SUTTER,
aaO, S. 431, § 13 N. 38; STEINAUER, aaO, S. 259 ff. insbes. 263). Andere
Autoren wiederum beziehen zum Verhältnis des Vorbehalts von Art. 688
ZGB zu Art. 684 ZGB nicht explizit Stellung (TUOR/SCHNYDER/SCHMID, aaO,
S. 729; REY, aaO, S. 256, N. 1188 und S. 459, N. 2151).

    c) Das Bundesrecht sieht für die von Pflanzungen einzuhaltenden
Abstände keine Regelung vor, sondern hat diese Befugnis in Art. 688
ZGB den Kantonen übertragen. Demnach ist es ausschliesslich Sache der
Kantone, Abstandsvorschriften für Pflanzen festzulegen. Diese Regelung
findet ihre Berechtigung darin, dass das Mass an Einschränkung in diesem
Bereich in hohem Grade von der Kultur des Bodens und den überlieferten
Gewohnheiten abhängig ist, so dass sich eine Rechtsvereinheitlichung
im Sinn einheitlicher eidgenössischer Abstandsvorschriften nicht
rechtfertigt würde (Eugen Huber, Erläuterungen zum Vorentwurf, aaO,
S. 98 f.). Der Umstand, dass der Vorbehalt zugunsten des kantonalen
Rechtes bundesrechtliche Abstandsvorschriften ausschliesst, bedeutet
freilich nicht, dass im Zusammenhang mit Pflanzungen das bundesrechtliche
Nachbarrecht generell ausgeschlossen ist.

    aa) Den Materialien können verschiedene Hinweise dafür entnommen
werden, dass den Art. 679/684 ZGB auch im Bereich des den Kantonen
vorbehaltenen Pflanzenrechtes eine eigenständige Bedeutung verbleibt. So
wird in der Botschaft festgehalten, dass das Bundesrecht "das Nachbarrecht
in den Grundzügen (ordne), ohne dass hierin der lokalen Übung und dem
überlieferten kantonalen Recht, wie namentlich in bezug auf die Abstände,
die bei Pflanzungen und Bauten zu beobachten sind, ... alle weitere
Geltung entzogen werden (dürfe)" (BBl 1904 IV, S. 67). Ähnlich wird in
den Erläuterungen zum Vorentwurf festgehalten, dass hinsichtlich Graben,
Bauten und Pflanzen das Bundesrecht nur den Grundsatz festzulegen habe,
dass keine Schädigung stattfinden könne, dass aber die Regelung des
Masses an Einschränkung in hohem Grade von der Kultur des Bodens und den
überlieferten Gewohnheiten abhängig sei (Eugen Huber, Erläuterungen zum
Vorentwurf, aaO, S. 98 f.). Die parlamentarische Beratung weist in die
gleiche Richtung. Im Nationalrat - dem Erstrat - führte Berichterstatter
Huber aus, dass der Inhalt der nachbarlichen Beschränkungen sehr von den
lokalen Anschauungen und Bedürfnissen abhängig sei, weshalb hinsichlich
der von Pflanzungen einzuhaltenden Distanzen auf das kantonale Recht
zu verweisen sei. Das Bundesrecht könne sich darauf beschränken, einige
wenige Grundsätze aufzustellen. Von dieser Überlegung aus habe der Entwurf
sich darauf beschränkt, in Bezug auf das Nachbarrecht die wesentlichsten
Fälle anzugeben. So werde einmal in Art. 675 [entspricht Art. 684 ZGB]
der Grundsatz angeführt, dass jedermann verpflichtet sein soll, bei der
Ausübung seines Eigentums sich aller schädlichen Ausschreitung gegenüber
dem Eigentum des Nachbarn zu enthalten (Sten. Bull 1906, S. 544). Rossel,
Berichterstatter französischer Zunge, legte zunächst die Bedeutung von
Art. 675 [entspricht Art. 684 ZGB] dar, um fortzufahren: "la législation
cantonale pourra édicter des prescriptions complémentaires sur ce point et
sur d'autres points analogues... Relativement aux plantations, nous avons
les art. 677 et 678 [entsprechen Art. 687 und 688 ZGB], au texte desquels
je puis renvoyer" (Sten. Bull. 1906, S. 546). Nichts anderes ergibt
sich aus den Beratungen im Ständerat (Sten. Bull. 1906, S. 1281). Diese
Darlegungen und insbesondere der Umstand, dass die Berichterstatter im
Nationalrat Art. 675 ZGB [heute Art. 684 ZGB] eigens in diesem Kontext
hervorgehoben haben, machen deutlich, dass der bundesrechtliche Grundsatz,
wonach jedermann sich aller schädlichen Einwirkungen auf das Eigentum des
Nachbarn zu enthalten hat, als übergeordneter Mindestgrundsatz in jedem
Fall Geltung beansprucht.

    bb) Abgesehen von den Gesetzesmaterialien sprechen aber auch praktische
Gründe dafür, dass bei negativen Immissionen, die von Pflanzen ausgehen,
die Anwendbarkeit der Art. 679/684 ZGB nicht generell ausgeschlossen
ist. So wird in der Literatur zu Recht darauf hingewiesen, dass durch
das Wachstum von Pflanzen die von ihnen ausgehenden Einwirkungen von
Jahr zu Jahr zunehmen und kantonale Abstandsvorschriften unter Umständen
keinen genügenden Schutz der Nachbarn gewährleisten könnten (LINDENMANN,
aaO, S. 30 f.; SCHMID-TSCHIRREN, aaO, S. 197 f.). Diese Problematik wird
besonders aktuell, wenn ein kantonalrechtlicher Beseitigungsanspruch wie
im vorliegenden Fall wegen einer verhältnismässig kurzen Verjährungsfrist
nicht durchgesetzt werden kann. Auch die Befürworter einer exklusiven
Rechtssetzungskompetenz der Kantone müssen einräumen, dass das kantonale
Pflanzenrecht lückenhaft sein kann (PIOTET, aaO, S. 91 f.). Es ist nicht
einzusehen, weshalb in einer solchen Situation nicht der bundesrechtliche
Immissionsschutz als Mindestgrundsatz Platz greifen soll, zumal die
Gesetzesmaterialien für ein solches Vorgehen Raum lassen und der kantonale
Autonomiebereich dadurch nicht verletzt wird. Ohnehin vermag der in
der Literatur teilweise geltend gemachte Einwand nicht zu überzeugen,
die Anwendbarkeit der Art. 679/684 ZGB im Bereich des nachbarlichen
Pflanzenrechtes stelle die Geltung des kantonalen Rechtes grundsätzlich
in Frage (so PIOTET, aaO, S. 88, N. 59 [in Bezug auf Bauten]; BOVEY,
aaO, S. 22). Halten Pflanzungen kantonalrechtliche Abstände nicht ein,
kann ihre Beseitigung vorbehaltlos, d.h. ohne Nachweis übermässiger
Einwirkungen verlangt werden; werden hingegen die Abstände eingehalten,
dürften von ihnen nur in den seltensten Fällen übermässige Immissionen
gemäss Art. 684 ZGB ausgehen (siehe auch STEINAUER, aaO, S. 262). Es
rechtfertigt sich deshalb, dem bundesrechtlichen Immissionsschutz die
Bedeutung einer Mindestgarantie zuzuerkennen, wenn der kantonalrechtliche
Immissionsschutz trotz Nichteinhaltung der Abstandsvorschriften versagt,
weil der Beseitigungsanspruch beispielsweise wie im vorliegenden Fall
verjährt ist.

    cc) Der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass diese Erwägungen,
die sich auf das Verhältnis zwischen dem kantonalen Pflanzenrecht und
dem bundesrechtlichen Immissionsschutz beziehen, nicht ohne Weiteres auf
negative Immissionen übertragen werden können, die von Bauten verursacht
werden. Im Unterschied zum kantonalen Pflanzenrecht stellt heute das
kantonale Baurecht in der Regel ein umfassendes Regelwerk dar, so dass
für die Anwendung der Art. 679/684 ZGB kaum mehr Raum bestehen dürfte. Dem
berechtigten Immissionsschutz der Nachbarn wird im Baubewilligungsverfahren
Rechnung getragen. Ohnehin wäre kaum denkbar, dass bei einer rechtmässig
erstellten Baute Immissionen, die durch deren blosses Vorhandensein
verursacht werden, derart schwer wiegen, dass sich ein bundesrechtlicher
Beseitigungsanspruch rechtfertigen würde.

    d) Zusammenfassend kann damit festgehalten werden, dass das
nachbarliche Pflanzenrecht grundsätzlich vom kantonalen Recht beherrscht
wird, dass es sich aber nicht um eine exklusive Rechtssetzungskompetenz
handelt. Vielmehr umschreiben die Art. 679/684 ZGB das landesweit geltende
Minimum dessen, was Nachbarn einander schulden.

Erwägung 4

    4.- Für den Fall, dass Art. 684 ZGB anwendbar sein sollte, rügt der
Beklagte im Eventualstandpunkt, dass die Vorinstanz in Bezug auf zwei
Lärchen, deren Beseitigung angeordnet worden sei, eine unzutreffende
Abwägung der Interessen der Parteien vorgenommen habe.

    a) Das Obergericht begründet die Beseitigung der beiden Lärchen damit,
dass es sich um 26,3 bzw. 24,4 m hohe Bäume mit Stammdurchmessern von 46
bzw. 32 cm und Kronen von 6 bzw. 5 m Durchmessern handle. Die eine Lärche
werfe viel, die andere einen mittleren Schatten. Zwar sei der Schatten
wegen des im späten Herbst einsetzenden Nadelverlusts im Winter fast
vernachlässigbar. Doch gehe von den Bäumen im Frühjahr und Herbst ein
"ganz massgeblicher" Schattenwurf auf die klägerische Liegenschaft aus;
sie seien daher in entscheidendem Masse für den störenden Schattenwurf
verantwortlich.

    b) Der beklagtische Einwand, dass die Bäume in den Sommermonaten
grundsätzlich keine nennswerten Immissionen verursachten und dass
auch im Winter von den beiden Lärchen wegen des Nadelverlusts keine
wesentlichen Beeinträchtigungen ausgingen, geht insoweit an der Sache
vorbei, als für das Obergericht die Situation im Frühjahr und Herbst
entscheidend war. Unbehelflich ist auch der Hinweis des Beklagten, dass
das Obergericht die Feststellung des Gutachters als nachvollziehbar
bezeichnet habe, für die Monate März und September sei (bloss) von
einer mittleren Beeinträchtigung auszugehen. An anderer Stelle hat die
Vorinstanz nämlich festgehalten, in den Frühjahrs- und Herbstmonaten werde
ab dem frühen Nachmittag die Lebensqualität durch den Schattenwurf ganz
wesentlich beeinträchtigt, und es sprach mit Bezug auf die beiden Lärchen
von einem im Frühjahr und Herbst "ganz massgebenden Schattenwurf". Wenn
das Obergericht bei dieser Sachlage verlangte, vom gesamten Baumbestand
nicht nur drei Fichten, sondern auch die beiden Lärchen zu fällen, so hat
es Art. 684 ZGB und namentlich das solchen Entscheidungen innewohnende
Ermessen im Sinn einer Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen der
Parteien nicht verletzt. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass
die Verfügung, die fünf Bäume zu fällen, Ergebnis einer differenzierten
Würdigung der gesamten Situation ist. Selbst wenn man hinsichtlich der
beiden Lärchen der beklagtischen Argumentation zuneigen und von einem
Grenzfall ausgehen wollte, wäre in Betracht zu ziehen, dass den die
Lebensqualität berührenden Interessen des Klägers solche finanzieller Art
des Beklagten gegenüberstehen, von denen dieser nicht einmal behauptet,
sie würden ins Gewicht fallen.

    c) Aus diesen Gründen ist das Urteil des Obergerichtes auch insoweit
nicht zu beanstanden, als die Beseitigung der beiden Lärchen angeordnet
wurde.