Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 449



126 III 449

77. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 2. Oktober 2000
i.S. K.H. gegen M.H. (Berufung) Regeste

    Art. 7b Abs. 1 und 3 SchlTZGB; anwendbares Recht bei Aufhebung eines
Scheidungsurteils durch das Bundesgericht.

    Hat das Bundesgericht unter der Geltung des bisherigen Rechts ein
kantonales Scheidungsurteil aufgehoben, gelangt beim neuen Entscheid des
kantonalen Richters nach Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechts gestützt
auf Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB das neue Recht zur Anwendung. Es liegt kein
Anwendungsfall von Art. 7b Abs. 3 Satz 2 SchlTZGB vor (E. 2b/bb).

Sachverhalt

    Am 14. Mai 1994 klagte K.H. (Klägerin) gegen M.H.  (Beklagter)
auf Trennung der Ehe, worauf der Beklagte widerklageweise die Scheidung
verlangte. Mit Urteil vom 13. Februar 1995 sprach das Bezirksgericht
St. Gallen die Trennung der Ehe auf unbestimmte Zeit aus, wies die
Scheidungsklage ab und regelte die Nebenfolgen der Trennung. Dagegen
führte der Beklagte Berufung ans Kantonsgericht St. Gallen, worauf das
Kantonsgericht mit Urteil vom 5. November 1996 die Ehe der Parteien schied
und die Nebenfolgen der Scheidung regelte. Eine von der Klägerin dagegen
erhobene staatsrechtliche Beschwerde hiess das Bundesgericht mit Urteil
vom 4. August 1997 gut, soweit es darauf eintrat.

    Mit Entscheid vom 29. Mai 2000 hiess das Kantonsgericht die
Scheidungsklage des Beklagten erneut gut. Mit Berufung vom 6. Juli 2000
beantragt die Klägerin dem Bundesgericht, das Scheidungsurteil aufzuheben
und die Ehe gemäss aArt. 147 Abs. 1 ZGB auf unbestimmte Zeit zu trennen.

    Das Bundesgericht weist die Berufung ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Ein erstes Scheidungsurteil der Vorinstanz hat das Bundesgericht
mit Urteil vom 4. August 1997 aufgehoben. In der Folge hat das
Kantonsgericht die Scheidung mit Urteil vom 29. Mai 2000 erneut
ausgesprochen und zur Begründung ausgeführt, dass die Scheidungsklage
sowohl nach bisherigem als auch nach neuem Scheidungsrecht gutzuheissen
sei. Nach bisherigem Recht sei davon auszugehen, dass die Ehe der Parteien
tief zerrüttet und das klägerische Verschulden nicht überwiegend sei,
so dass die Scheidungsklage des Beklagten nach Art. 142 aZGB gutzuheissen
sei. Auch nach neuem Scheidungsrecht sei die Klage gestützt auf Art. 114
nZGB gutzuheissen, weil die Parteien schon mehr als vier Jahre getrennt
gelebt hätten. Für unzutreffend hält das Kantonsgericht den Einwand der
Klägerin, dass das neue Scheidungsrecht übergangsrechtlich gar nicht
anwendbar sei. Im Verfahren vor Bundesgericht macht die Klägerin unter
anderem wiederum geltend, dass das neue Scheidungsrecht nicht anwendbar
sei.

    a) Gemäss Art. 7b Abs. 1 SchlTZGB findet das neue Recht auf
Scheidungsprozesse Anwendung, die bei dessen Inkrafttreten rechtshängig
und von einer kantonalen Instanz zu beurteilen sind. Da das angefochtene
Scheidungsurteil am 29. Mai 2000 gefällt wurde und das Scheidungsverfahren
beim Inkrafttreten des neuen Rechtes am 1. Januar 2000 somit bei einer
kantonalen Instanz hängig war, hat die Vorinstanz insoweit zutreffend
das neue Scheidungsrecht angewendet. Umstritten ist indessen, ob an der
grundsätzlichen Anwendbarkeit des neuen Scheidungsrechtes der Umstand
etwas ändert, dass das erste Scheidungsurteil des Kantonsgerichtes vom 5.
November 1996 durch das Bundesgericht mit Urteil vom 4. August 1997
aufgehoben und die Sache zur Neuentscheidung zurückgewiesen wurde.

    b) Art. 7 Abs. 3 SchlTZGB bestimmt, dass das Bundesgericht nach
bisherigem Recht entscheidet, wenn das angefochtene Urteil vor dem
Inkrafttreten des neuen Scheidungsrechtes ergangen ist (erste Satzhälfte),
welche Regelung ausdrücklich auch bei einer allfälligen Rückweisung an die
kantonale Instanz gilt (zweite Satzhälfte). Bezüglich dieser Bestimmung
sind zwei Fälle zu unterscheiden.

    aa) Entscheidet das Bundesgericht nach bisherigem Recht, weil der
angefochtene Entscheid unter altem Recht ergangen ist, urteilt bei einer
allfälligen Rückweisung auch die kantonale Instanz wiederum nach bisherigem
Recht - dessen ungeachtet, dass der Entscheid nach dem Inkrafttreten
des neuen Rechtes gefällt wird (SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen
Scheidungsrecht, Zürich 1999, N. 24 zu Art. 7b SchlTZGB; AUDREY LEUBA,
Loi sur le divorce: Les dispositions transitoires, Plädoyer 1999 4 S. 61
f.). Eine andere Lösung liefe darauf hinaus, dass ein Scheidungsprozess
bisherigem Recht unterstünde, wenn das Bundesgericht ein Rechtsmittel
abweist bzw. eine Berufung gutheisst und in der Sache selbst entscheidet,
neuem Recht jedoch, wenn ein kantonales Urteil aufgehoben wird und von
der Vorinstanz neu zu beurteilen ist.

    bb) Hat hingegen das Bundesgericht - wie vorliegend in seinem
Rückweisungsurteil vom 4. August 1997 - nach "bisherigem" Recht
entschieden, und zwar nicht weil dies übergangsrechtlich geboten gewesen
wäre, sondern weil das Urteil vor Inkrafttreten des neuen Rechts erging,
stand das Verfahren nach der Rückweisung wie jedes andere Verfahren
unter der allgemeinen übergangsrechtlichen Regel von Art. 7b Abs. 1
SchlTZGB. Da der Scheidungsprozess bei Inkrafttreten des neuen Rechtes noch
rechtshängig und von einer kantonalen Instanz zu beurteilen war, fand auf
ihn das neue Recht Anwendung. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann
aus Art. 7b Abs. 3 zweite Satzhälfte SchlTZGB nicht abgeleitet werden,
dass das Kantonsgericht St. Gallen zufolge der Rückweisung durch das
Urteil des Bundesgerichtes vom 4. August 1997 nach bisherigem Recht hätte
entscheiden müssen. Aus diesen Gründen hat die Vorinstanz zutreffend das
neue Scheidungsrecht angewendet.