Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 305



126 III 305

54. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. Juli 2000 i.S. A.
gegen Verlag Ringier AG u. Mitb. (Berufung) Regeste

    Persönlichkeitsschutz; Ausschluss der Widerrechtlichkeit der
Persönlichkeitsverletzung; Verletzung der Persönlichkeit durch die Presse
(Art. 28 ZGB; Art. 28a Abs. 1 Ziff. 3 ZGB).

    Zum Ausschluss der Widerrechtlichkeit der Persönlichkeitsverletzung
(E. 4a).

    Zur Persönlichkeitsverletzung durch die Presse bei Veröffentlichung
von wahren bzw. unwahren Tatsachen, von Meinungsäusserungen, Kommentaren
und Werturteilen (E. 4b).

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird,
kann gemäss Art. 28 Abs. 1 ZGB zu seinem Schutz gegen jeden, der an
der Verletzung mitwirkt, den Richter anrufen. Das Obergericht ist -
wie erwähnt - davon ausgegangen, dass der Kläger durch verschiedene
Zeitungsbeiträge in seinem beruflichen und gesellschaftlichen Ansehen
empfindlich herabgesetzt worden ist. Damit hat das Obergericht das
verletzte Persönlichkeitsgut bezeichnet.

    a) Die Verletzung fremder Persönlichkeitsrechte wie der Ehre ist
grundsätzlich stets widerrechtlich (Art. 28 Abs. 2 ZGB). Einer Klage
auf Feststellung der Persönlichkeitsverletzung (Art. 28a Abs. 1 Ziff. 3
ZGB) darf jedoch dann nicht entsprochen werden, wenn es dem Urheber
gelingt, nachzuweisen, dass Rechtfertigungsgründe bestehen, welche die
an sich gegebene Widerrechtlichkeit zu beseitigen vermögen. Die drei in
Art. 28 Abs. 2 ZGB aufgezählten Gründe haben generellen Charakter, sind
nicht endgültig im Gesetz definiert und überschneiden sich teilweise
(Botschaft über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches
[Persönlichkeitsschutz: Art. 28 ZGB und 49 OR] vom 5. Mai 1982, BBl 1982
II 660). Rechtmässig handelt derjenige, der ein Interesse nachweisen kann,
das dem grundsätzlich schutzwürdigen Interesse des Verletzten mindestens
gleichwertig ist. Das bedingt eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden
Interessen durch den Richter (BGE 122 III 449 E. 3b und c S. 456 f.; 120
II 225 E. 3 S. 227; BUCHER, Natürliche Personen und Persönlichkeitsschutz,
3. Aufl., Basel 1999, N. 534; DESCHENAUX/STEINAUER, Personnes physiques
et tutelle, 3. Aufl., Bern 1995, N. 589). Dieser hat zu prüfen, ob sowohl
die Ziele, die der Urheber verfolgt, als auch die Mittel, derer er sich
bedient, schutzwürdig sind. Damit verbunden ist ein gewisses Ermessen
(Art. 4 ZGB; BGE 122 III 449 E. 3c; 95 II 481 E. 7 S. 494).

    In diesen Ermessensentscheid greift das Bundesgericht nur ein,
wenn den von Lehre und Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen grundlos
nicht Rechnung getragen worden ist, wenn Tatsachen berücksichtigt worden
sind, die keine Rolle hätten spielen dürfen, oder wenn umgekehrt Umstände
ausser Betracht geblieben sind, die zwingend hätten beachtet werden müssen
(BGE 123 III 10 E. 4c/aa S. 13; 119 II 157 E. 2a S. 160).

    b) Die Presse kann auf zwei Arten in die Persönlichkeit eingreifen,
einerseits durch die Mitteilung von Tatsachen und andererseits durch
deren Würdigung (BGE 71 II 191 S. 193; 95 II 481 E. 8 S. 494).

    aa) Die Verbreitung wahrer Tatsachen ist grundsätzlich durch den
Informationsauftrag der Presse gedeckt, es sei denn, es handle sich
um Tatsachen aus dem Geheim- oder Privatbereich oder die betroffene
Person werde in unzulässiger Weise herabgesetzt, weil die Form der
Darstellung unnötig verletzt (BGE 122 III 449 E. 3a S. 456). Handelt es
sich bloss um den Verdacht einer Straftat oder eine Vermutung, gilt nur
eine Formulierung als zulässig, die hinreichend deutlich macht, dass
einstweilen nur ein Verdacht oder eine Vermutung besteht und - bei einer
Straftat - eine abweichende Entscheidung des zuständigen Strafgerichts
noch offen ist (BGE 116 IV 31 E. 5b S. 42). Massgebend ist stets der beim
Durchschnittsleser erweckte Eindruck (BGE 111 II 209 E. 2 S. 211). Ist eine
sogenannte Person der Zeitgeschichte betroffen, d.h. eine Persönlichkeit
des öffentlichen Interesses, worunter auch relativ prominente Personen
fallen können, so kann sich je nach der konkreten Interessenlage auch
eine Berichterstattung unter Namensnennung rechtfertigen (BUCHER, aaO,
N. 545; MEILI, Basler Kommentar, N. 52 und 54 zu Art. 28 ZGB). Dies
selbst dann, wenn es bloss um den Verdacht einer Straftat geht, wobei
- wie erwähnt - mit Rücksicht auf die Unschuldsvermutung ausdrücklich
auf den Verdacht hinzuweisen ist. In jedem Fall gilt aber der Grundsatz
der Verhältnismässigkeit: Auch die in der Öffentlichkeit stehende Person
braucht sich nicht gefallen zu lassen, dass die Massenmedien mehr über sie
berichten, als durch ein legitimes Informationsbedürfnis gerechtfertigt
ist; ihrem Schutzbedürfnis ist nach Möglichkeit ebenfalls Rechnung zu
tragen (vgl. BGE 97 II 97 E. 4b S. 105 f.). Von der Veröffentlichung
eines blossen Verdachts oder einer Vermutung ist zudem abzusehen, wenn die
Quelle der Information Zurückhaltung gebieten muss, und zwar umso eher,
je schwerwiegender sich die daraus resultierende Beeinträchtigung in den
persönlichen Verhältnissen des Verletzten erweisen könnte, sofern sich
der strafrechtliche Verdacht oder die Vermutung später nicht bestätigen
bzw. zu keiner Verurteilung führen sollte.

    Die Veröffentlichung unwahrer Tatsachen ist demgegenüber an
sich widerrechtlich; an der Verbreitung von Unwahrheiten kann nur
in seltenen, speziell gelagerten Ausnahmefällen ein hinreichendes
Interesse bestehen (vgl. BGE 126 III 209). Indessen lässt noch nicht
jede journalistische Unkorrektheit, Ungenauigkeit, Verallgemeinerung oder
Verkürzung eine Berichterstattung insgesamt als unwahr erscheinen. Nach
der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erscheint eine in diesem
Sinne unzutreffende Presseäusserung nur dann als insgesamt unwahr
und persönlichkeitsverletzend, wenn sie in wesentlichen Punkten nicht
zutrifft und die betroffene Person dergestalt in einem falschen Licht zeigt
bzw. ein spürbar verfälschtes Bild von ihr zeichnet, das sie im Ansehen
der Mitmenschen - verglichen mit dem tatsächlich gegebenen Sachverhalt -
empfindlich herabsetzt (BGE 105 II 161 E. 3b; 107 II 1 E. 4b; vgl. auch 111
II 209 E. 4e S. 222; 119 II 97 E. 4a/bb S. 101; 123 III 354 E. 2a S. 363).

    Problematisch ist die Publikation von Unwahrheiten mit dem Hinweis,
diese seien dem Presseorgan zugetragen worden. Das Presseunternehmen
kann sich der Verantwortung für seine Berichterstattung nicht dadurch
entziehen, dass es sich darauf beruft, es habe lediglich die Behauptung
eines Dritten originalgetreu wiedergegeben; denn Schutzansprüche des
Verletzten richten sich gegen jeden, der an der Verletzung mitgewirkt hat
(BGE 123 III 354 E. 2a S. 363; 126 III 161 E. 5a). Eine Unwahrheit wird
durch das Dazwischenschalten eines Dritten deshalb nicht zur Wahrheit, nur
weil der Dritte die Unwahrheit tatsächlich verbreitet hat (vgl. GEISER,
Persönlichkeitsschutz: Pressezensur oder Schutz vor Medienmacht?, in SJZ
92/1996 S. 73 ff., S. 77). Es gelten daher auch in solchen Fällen die
oben dargelegten Grundsätze.

    bb) Meinungsäusserungen, Kommentare und Werturteile sind zulässig,
sofern sie auf Grund des Sachverhalts, auf den sie sich beziehen,
als vertretbar erscheinen. Sie sind einer Wahrheitsprüfung nicht
zugänglich. Soweit sie allerdings zugleich auch Tatsachenbehauptungen
darstellen, wie es z.B. in einem sogenannten gemischten Werturteil der Fall
ist, gelten für den Sachbehauptungskern der Aussage die gleichen Grundsätze
wie für Tatsachenbehauptungen. Zudem können Werturteile und persönliche
Meinungsäusserungen - selbst wenn sie auf wahrer Tatsachenbehauptung
beruhen - ehrverletzend sein, sofern sie von der Form her eine unnötige
Herabsetzung bedeuten (BGE 106 II 92 E. 2c S. 99; TERCIER, Le nouveau droit
de la personnalité, Zürich 1984, N. 483 f. u. 730; PEDRAZZINI/OBERHOLZER,
Grundriss des Personenrechts, 4. Aufl., Bern 1993, S. 138). Da die
Veröffentlichung einer Wertung unter die Meinungsäusserungsfreiheit fällt,
ist diesbezüglich aber eine gewisse Zurückhaltung am Platz, wenn für das
Publikum erkennbar ist, auf welche Fakten sich das Werturteil stützt. Eine
pointierte Meinung ist hinzunehmen. Ehrverletzend ist eine Wertung nur,
wenn sie den Rahmen des Haltbaren sprengt bzw. auf einen tatsächlich nicht
gegebenen Sachverhalt schliessen lässt (BGE 71 II 191 S. 194; TERCIER,
aaO, N. 742) oder der betroffenen Person jede Menschen- oder Personenehre
streitig macht.