Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 294



126 III 294

52. Auszug aus dem Urteil der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer vom 21.
Juni 2000 i.S. X. GmbH (Beschwerde) Regeste

    Betreibung für Masseverbindlichkeiten im Nachlassvertrag mit
Vermögensabtretung (Art. 297, 310 Abs. 2 und 319 Abs. 2 SchKG).

    Die Mehrwertsteuer für Arbeiten, die der Schuldner während der
Nachlassstundung mit Zustimmung des Sachwalters ausgeführt hat, ist eine
Masseverbindlichkeit, die nicht vom Nachlassvertrag betroffen ist. Für
solche Forderungen kann der Gläubiger gegen die Masse die Betreibung auf
Pfändung anheben (E. 1b).

Sachverhalt

    Y. wurde Nachlassstundung ab dem 21. April 1998 für 6 Monate bewilligt,
später bis zum 21. April 1999 und dann nochmals bis zum 21. April 2000
verlängert. Als Sachwalterin wurde die X. GmbH eingesetzt.

    Das Betreibungsamt Villmergen kündigte Y. am 27. Oktober 1999 in
der Betreibung Nr. ... eine Pfändung an und stellte ihm am 30. November
1999 sowie am 10. Februar 2000 insgesamt drei Zahlungsbefehle zu. In
allen vier Betreibungsverfahren ist die Schweizerische Eidgenossenschaft
Gläubigerin und verlangt die Zwangsvollstreckung für während der Dauer
der Nachlassstundung abgerechnete Mehrwertsteuerbeiträge.

    Die von der X. GmbH am 15. Dezember 1999 und 21. Februar 2000 dagegen
eingereichten Beschwerden hatten weder vor der unteren noch vor der oberen
Aufsichtsbehörde Erfolg.

    Die X. GmbH hat mit Beschwerde vom 2. Juni 2000 den Entscheid vom
6. April 2000 des Obergerichts des Kantons Aargau (Schuldbetreibungs-
und Konkurskommission) als oberer Aufsichtsbehörde in Schuldbetreibungs-
und Konkurssachen an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts weitergezogen. Sie beantragt Gutheissung des eingelegten
Rechtsmittels.

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die Beschwerdeführerin rügt im Wesentlichen, das
Obergericht habe gegen Art. 297 SchKG verstossen, da gegenüber einem in
Nachlassstundung befindlichen Schuldner ein striktes Betreibungsverbot
bestehe. Auch Verpflichtungen, die mit Einwilligung des Sachwalters
entstanden seien, dürften während der Nachlassstundung nicht in Betreibung
gesetzt werden.

    b) Verpflichtungen, die der Schuldner bzw. der Sachwalter während der
Stundung im Rahmen der ihm zustehenden Verfügungs- bzw. Vertretungsbefugnis
eingeht, werden nach Abschluss eines Liquidationsvergleichs (oder in
einem späteren Konkurs) als Masseverbindlichkeiten anerkannt (Art. 310
Abs. 2 SchKG). Weil diese nicht unter den Nachlassvertrag fallen,
dürfen sie vorab und voll bezahlt werden (AMONN/GASSER, Grundriss des
Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 6. Auflage 1997, § 54 Rz. 45,
S. 455). Aufgabe des Sachwalters ist es, dafür besorgt zu sein,
dass während der Stundung das Haftungssubstrat für die Gläubiger
nicht vermindert wird. Er wird deshalb nur dann der Eingehung neuer
Verpflichtungen zustimmen, wenn dies im Interesse der Gläubiger liegt und
damit zu rechnen ist, dass diesen ein entsprechender Gegenwert zukommt
(HANS ULRICH HARDMEIER, Basler Kommentar zum SchKG, Band III, N. 20 zu
Art. 310).

    Die Beschwerdeführerin wendet dagegen hauptsächlich ein, lediglich
AMONN/GASSER, jedoch nicht der zuletzt genannte Autor würden sich zu
einer Betreibung und Fortsetzung derselben während der Nachlassstundung
äussern. Der Einwand geht fehl. Vorab ist festzuhalten, dass auch
öffentlichrechtliche Verpflichtungen - entgegen der Meinung der
Beschwerdeführerin - den Charakter von Masseverbindlichkeiten haben
können. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie unmittelbar mit
einer Masseverbindlichkeit verknüpft sind. So hat das Bundesgericht in
BGE 96 I 244 ff. entschieden, die Warenumsatzsteuer für Lieferungen,
die der Schuldner während der Nachlassstundung mit Zustimmung des
Sachwalters ausgeführt hat, sei eine Verbindlichkeit der Masse. Das
hat auch die Vorinstanz zu Recht erwogen. Was für die vom Schuldner
geschuldete Umsatzsteuer gegolten hat, findet nun auch Anwendung auf die
Mehrwertsteuer (A. WINKELMANN/L. LÉVY/V. JEANNERET/O. MERKT/F. BIRCHLER,
Basler Kommentar zum SchKG, Band III, N. 14 zu Art. 319, S. 2896).

    Masseverbindlichkeiten dürfen sofort bezahlt werden, denn sie werden
vom Nachlassvertrag nicht erfasst. Anders liesse sich die Weiterführung
des Geschäftes während der Stundung häufig gar nicht durchführen, würden
doch die Geschäftspartner des Nachlassschuldners nur dann zu weiteren
Lieferungen bereit sein, wenn ihnen sofortige Bezahlung zugesichert
wird. Das hat das Bundesgericht - noch unter dem alten Recht - befunden
und weiter ausgeführt, die Massegläubiger könnten den Schuldner trotz
der Stundung sogar betreiben, allerdings nur auf Pfändung (Art. 316d
Abs. 2 aSchKG). Denn das Zwangsvollstreckungsverbot in Art. 297 und 316a
Abs. 2 aSchKG beziehe sich nur auf diejenigen Forderungen, die unter den
Nachlassvertrag fielen, was bei den Masseverbindlichkeiten nicht der Fall
sei. Die sofortige Bezahlung von Masseschulden könne sich daher auch
dann aufdrängen, wenn drohende Betreibungen abzuwenden seien (BGE 100
III 30 E. 2 S. 32/33; vgl. dazu auch AMONN/GASSER, aaO, § 54 Rz. 45/46,
S. 455). Daran hat sich grundsätzlich mit der am 1. Januar 1997 in Kraft
getretenen Revision des SchKG nichts geändert, denn in materieller Hinsicht
sind keine wesentlichen Änderungen des Nachlassvertragsrechtes vorgenommen
worden (HARDMEIER, Neuerungen im Nachlassvertragsrecht, in: Das revidierte
Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz [SchKG], SAV, Bd. 13, Bern 1995,
S. 148). Das gegenüber dem Schuldner bestehende Betreibungsverbot wird
nach wie vor in Art. 297 Abs. 1 SchKG festgehalten; es wird jedoch in
Art. 317 SchKG, welcher Art. 316a aSchKG ersetzt (Botschaft, BBl. 1991 III
S. 191), nicht mehr erwähnt. Das ist wohl darauf zurückzuführen, dass das
Nachlassvertragsrecht durch die Revision vor allem eine übersichtlichere
Gliederung erfahren hat (HARDMEIER, aaO, SAV, S. 148). Es ist somit
folgerichtig, dass das Betreibungsverbot nur noch in Art. 297 SchKG mit dem
Marginale "Wirkungen der Stundung" verankert worden ist, erstrecken sich
doch die Wirkungen der Nachlassstundung grundsätzlich über die eingeräumte
Dauer hinaus bis zur Publikation der Bestätigung des Nachlassvertrages
durch das Nachlassgericht (AMONN/GASSER, aaO, § 54 Rz. 30, S. 451).

    Die während der Stundung mit Zustimmung des Sachwalters eingegangenen
Verbindlichkeiten verpflichten auch nach neuem Recht in einem
Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung oder in einem nachfolgenden Konkurs
die Masse (Art. 310 Abs. 2 SchKG). Gemäss Art. 319 Abs. 2 Satz 2 SchKG kann
die Masse für nicht vom Nachlassvertrag betroffene Verbindlichkeiten, also
für Masseschulden, betrieben werden. Die Massegläubiger müssen auch nach
dem revidierten Gesetz die Beendigung der Liquidation nicht abwarten,
um bezahlt zu werden, und sie können Zwangsvollstreckungsverfahren
gegen die Masse einleiten. Die Betreibung erfolgt auf Pfändung
(A. WINKELMANN/L. LÉVY/V. JEANNERET/O. MERKT/F. BIRCHLER, aaO, N. 21 zu
Art. 319 SchKG, S. 2897), was das Bundesgericht - wie erwähnt - in BGE
100 III 30 E. 2 S. 33 zum alten Recht befunden hat.

    c) Die Aufsichtsbehörde hat nach dem Gesagten kein Bundesrecht
verletzt, indem sie erkannt hat, dass die von der Schweizerischen
Eidgenossenschaft veranlassten Betreibungen nicht unter das
Betreibungsverbot des Art. 297 Abs. 1 SchKG fallen.