Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 257



126 III 257

43. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 29. Mai 2000 i.S. M.S.
gegen A.A. und Obergericht des Kantons Luzern (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Vorsorgliche Massnahmen nach Art. 137 ZGB bei umstrittener
internationaler Zuständigkeit (Art. 62 Abs. 1 IPRG); Einfluss von im
Ausland erwirkten und im Zivilstandsregister eingetragenen Statusänderungen
(Art. 9 ZGB i.V.m. Art. 27 f. ZStV).

    Ist glaubhaft gemacht, dass ein im Ausland ergangenes Scheidungsurteil
in der Schweiz möglicherweise nicht anerkannt werden kann, und ist
somit zweifelhaft, ob die internationale Zuständigkeit gegeben ist,
darf der schweizerische Scheidungsrichter ohne Verletzung der Verfassung
vorsorgliche Massnahmen treffen. Daran vermögen im Ausland erwirkte
Statusänderungen, die bereits im schweizerischen Zivilstandsregister
eingetragen sind, nichts zu ändern, weil der Scheidungsrichter die Einträge
nach Art. 42 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 51 und 55 ZStV nötigenfalls berichtigen
kann (E. 4b).

Sachverhalt

    Mit Urteil des Amtsgerichts H. vom 15. September 1999 wurden
A.A. (Klägerin) und M.S. (Beklagter), die sich 1995 in Jordanien
verheiratet hatten, geschieden. Zwischen den Parteien ist zur Zeit das
Appellationsverfahren vor dem Obergericht des Kantons Luzern hängig,
in dem über die internationale Zuständigkeit der Luzerner Gerichte
gestritten wird. Der Präsident des Amtsgerichts H. hatte mit Entscheid
vom 27. Februar 1998 im Verfahren nach Art. 145 aZGB die 1996 geborene
Tochter der Parteien unter die Obhut der Klägerin gestellt und dem
Beklagten ein Besuchsrecht gewährt. Schliesslich wurde der Beklagte
verpflichtet, der Klägerin monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 1'600.-
für diese selbst und von Fr. 700.- zuzüglich Kinderzulage für das Kind
zu entrichten (Dispositiv-Ziff. 4). Auf Rekurs des Beklagten bestätigte
das Obergericht des Kantons Luzern mit Entscheid vom 4. Mai 1998 die
erstinstanzlich festgesetzten Unterhaltsbeiträge.

    Der beklagte M.S. ersuchte das Obergericht, Dispositiv-Ziff. 4
des amtsgerichtlichen Entscheids vom 27. Februar 1998 aufzuheben,
A.A. persönlich keinen Unterhaltsbeitrag zuzusprechen und denjenigen für
die Tochter auf Fr. 300.- im Monat herabzusetzen. Mit Entscheid vom
6. März 2000 wies die Instruktionsrichterin des Obergerichts des Kantons
Luzern das Gesuch ab.

    Die staatsrechtliche Beschwerde von M.S., mit der er hauptsächlich die
Aufhebung des obergerichtlichen Renten- und Kostenentscheids beantragt hat,
bleibt erfolglos u. a.

Auszug aus den Erwägungen:

                   aus folgenden Erwägungen:

Erwägung 4

    4.- b) Weiter hält der Beschwerdeführer dem angefochtenen Entscheid
entgegen, es sei willkürlich nicht auf die verbindlichen Eintragungen im
Zivilstandsregister der Wohnsitzgemeinde abgestellt worden. Aus den Beweis
im Sinne von Art. 9 ZGB schaffenden Registereinträgen gehe nämlich hervor,
dass er von der Beschwerdegegnerin 1998 in Jordanien geschieden worden
sei und sich dort 1999 erneut mit einer Jordanierin verheiratet habe.

    Die Anerkennung eines ausländischen Urteils kann unter anderem von
der Frage abhängen, ob das ausländische Verfahren vor dem in der Sache
identischen schweizerischen rechtshängig gemacht worden ist. Denn danach
richtet sich die Zuständigkeit im internationalen Verhältnis (Art. 9 und
25 lit. a IPRG (SR 291); BGE 124 III 83 E. 5a und 5b; 123 III 414 E. 6c
und 6d; 118 II 188 E. 3b). Art. 29 Abs. 3 IPRG sieht vor, dass über die
Anerkennung die angerufene inländische Behörde vorfrageweise befinden
kann, wobei sich das Gesetz nicht dazu äussert, in welchem Stadium
des schweizerischen Verfahrens diese Frage beurteilt werden muss. In
der Literatur wird mehr oder weniger deutlich die Auffassung vertreten,
dafür stehe primär das Verfahren über die Hauptsache, vorliegendenfalls das
Scheidungsverfahren zur Verfügung (VOLKEN, in: IPRG-Kommentar, N. 37 und 39
zu Art. 25 IPRG sowie N. 7 und 9 zu Art. 29 IPRG; BERTI/SCHNYDER, Basler
Kommentar, Internationales Privatrecht, N. 14 f. zu Art. 29 IPRG; SIEHR,
Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, N. 14 zu Art. 65 IPRG;
DUTOIT, Droit international privé suisse, Commentaire de loi fédérale du 18
décembre 1987, 2. Auflage 1997, N. 1 zu Art. 29 IPRG und N. 2 zu Art. 65
IPRG). Vor diesem Hintergrund ist denn auch Art. 62 Abs. 1 IPRG zu sehen,
wonach in der Schweiz Massnahmen so lange angeordnet werden dürfen, als
die Unzuständigkeit des schweizerischen Richters nicht offensichtlich oder
nicht rechtskräftig festgestellt ist; der Inhalt der Massnahmen richtet
sich nach Art. 137 ZGB, bzw. vor dessen Inkrafttreten nach Art. 145 aZGB
(Art. 62 Abs. 2 IPRG; BGE 116 II 97 E. 5; DUTOIT, aaO N. 1 f. zu Art. 62
IPRG; VOLKEN, aaO N. 3 bis 6 und 8 zu Art. 62 IPRG; SIEHR, aaO N. 5
f. und 9 zu Art. 62 IPRG). Zweifel an der schweizerischen Zuständigkeit
genügen nach dem Gesagten nicht, die Kompetenz des Massnahmerichters
hinfällig werden zu lassen (unveröffentlichtes Urteil des Bundesgerichts
vom 21. September 1993 i.S. C., E. 4b; vgl. BGE 122 III 213 E. 3 f. und
BGE 116 II 97 E. 4b). Somit hilft dem Beschwerdeführer der Hinweis, dass
die 1998 in Jordanien vollzogene Scheidung und die dort 1999 geschlossene
Ehe im Zivilstandsregister bereits eingetragen sind (vgl. BGE 122 III
344 zu Art. 32 IPRG), im Massnahmeverfahren nicht weiter. Denn das
Zivilstandsregister schafft keinen unumstösslichen Beweis (Art. 9 ZGB
i.V.m. Art. 27 f. der Zivilstandsverordnung vom 1. Juni 1953 [ZStV,
SR 211.112.1]). Wie dem erstinstanzlichen Scheidungsurteil entnommen
werden kann, hat die Beschwerdegegnerin hinreichend glaubhaft gemacht
(SUTTER/FREIBURGHAUS, Kommentar zum neuen Scheidungsrecht, N. 1 und
N. 23 zu Art. 137 ZGB; LEUENBERGER, Praxiskommentar Scheidungsrecht,
herausg. von I. Schwenzer, N. 55 zu Art. 137 ZGB; vgl. allgemein
BGE 118 II 376 E. 3 und 118 II 378 E. 3b S. 381 zu Art. 145 aZGB und
zum innerstaatlichen Zuständigkeitsstreit BGE 83 II 491 E. 1), dass
das jordanische Scheidungsurteil, das in der Schweiz wohl gemäss Art.
133 und 137 ZStV eingetragen worden ist, möglicherweise nicht anerkannt
werden kann. Diesfalls müsste die vom schweizerischen Richter bislang
noch nicht ausgesprochene Scheidung eingetragen bzw. müssten die
bestehenden Einträge berichtigt werden, weil die von den Registerbehörden
vorgenommenen Eintragungen den richterlichen Entscheid in der Hauptsache
nicht zu präjudizieren vermögen (Art. 42 Abs. 1 ZGB und Art. 45
Abs. 1 aZGB; Art. 51 und 55 ZStV; BGE 117 II 11 E. 4, 91 I 364 E. 5
S. 373). Der Beschwerdeführer meint, es sei auf die bestehenden Einträge
abzustellen, und will das ihm genehme Resultat vorweggenommen wissen,
was offensichtlich nicht angeht. Er verkennt weiter, dass ein in der
Schweiz gefälltes Scheidungsurteil erst eingetragen werden kann, wenn
es rechtskräftig geworden ist (Art. 130 Abs. 1 Ziff. 4 und Abs. 2 ZStV)
mit der Folge, dass Scheidungen aus Ländern, die ein einfaches oder gar
kein eigentliches Scheidungsverfahren kennen, durch die Registerbehörden
regelmässig früher eingetragen werden können als die vom schweizerischen
Richter ausgesprochenen.

    Im Übrigen begründet der Beschwerdeführer nicht rechtsgenüglich
(Art. 90 Abs. 1 lit. b OG), weshalb nicht glaubhaft gemacht sein
soll, dass das ausländische Scheidungsurteil möglicherweise nicht
anerkannt werden kann, und weshalb diese Frage uneingeschränkt im
Massnahmeverfahren und nicht entsprechend den kantonalen Instanzen im
Sachverfahren geprüft werden soll. Schliesslich behauptet er nicht einmal,
die Beschwerdegegnerin sei von der Aufsichtsbehörde angehört worden,
bevor diese die Eintragungen verfügt habe, oder in Jordanien seien die
Parteirechte der Beschwerdegegnerin gewahrt worden (Art. 32 Abs. 1 und
3 IPRG; Art. 137 ZStV).