Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 219



126 III 219

38. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 7. April 2000
i.S. V.T. gegen M.T. (Berufung) Regeste

    Errichtung einer Beistandschaft (Art. 308 ZGB).

    Wenn ein Besuchsrecht wegen Gefährdung des Kindeswohls gestützt auf
Art. 274 Abs. 2 ZGB verweigert wird und auch die Voraussetzungen für ein
begleitetes Besuchsrecht nicht erfüllt sind, besteht kein Raum für die
Anordnung einer Beistandschaft gemäss Art. 308 ZGB, die eine künftige
Annäherung zwischen den Kindern und dem betreffenden Elternteil fördern
soll.

Sachverhalt

    A.- Mit Urteil vom 9. November 1998 schied das Amtsgericht Hochdorf die
am 15. Dezember 1981 zwischen V.T. und M.T. geschlossene Ehe und stellte
die vier Kinder A. (geb. 7. Oktober 1982), B. (geb. 19. August 1983),
C. (geb. 4. Juli 1985) und D. (geb. 23. Mai 1988) unter die elterliche
Gewalt von V.T. Das Amtsgericht lehnte es ab, M.T. ein Besuchsrecht
einzuräumen, ordnete aber für die vier Kinder eine Beistandschaft nach
Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB an und verfügte diesbezüglich: "Die mit der
Beistandschaft betraute Person wird angewiesen und ermächtigt, alle
Vorkehren im Hinblick auf eine Wiederannäherung zwischen dem Beklagten
und den Kindern der Parteien, nötigenfalls unter Beizug von Fachpersonen
(KJPD), zu treffen" (Ziff. 3 des Dispositivs).

    B.- Gegen dieses Urteil erhob V.T. Appellation beim Obergericht
des Kantons Luzern und verlangte die Aufhebung der von der Vorinstanz
errichteten Beistandschaft über die Kinder. Mit Urteil vom 15. November
1999 wies das Obergericht des Kantons Luzern die Appellation ab.

    C.- Mit Berufung vom 19. Januar 2000 beantragt V.T. dem Bundesgericht,
dass das Urteil des Obergerichtes des Kantons Luzern vom 15. November
1999 aufzuheben und von der Anordnung einer Beistandschaft über die vier
Kinder abzusehen sei. M.T. beantragt die Abweisung der Berufung.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Wie bereits das Amtsgericht Hochdorf ist auch das Obergericht des
Kantons Luzern davon ausgegangen, dass dem Beklagten bezüglich seiner
vier Kinder kein Besuchsrecht gewährt werden könne. Angesichts der
massiven Probleme im Vater-Kind-Verhältnis und unter Berücksichtigung
der Wünsche der Kinder sei entsprechend der Meinung des Gutachters von
einem Besuchsrecht abzusehen. Der Kontakt zwischen dem Vater und seinen
Kindern sei aber von grundsätzlicher Bedeutung. Da nicht ausgeschlossen
sei, dass die ablehnende Haltung der Kinder zu einem Besuchsrecht auch auf
das bewusste oder unbewusste Verhalten der Klägerin zurückzuführen sei,
und da sich die Einstellung der Kinder auch ändern könne, rechtfertige es
sich, eine Beistandschaft mit der Aufgabe zu errichten, die "dem Postulat
der Annäherung zwischen Vater und Kindern auf kindergerechte Weise dienen"
könne. Die Meinung der Kinder, die sie sowohl im Rahmen der Begutachtung
als auch in einem Schreiben vom 4. Februar 1999 ans Obergericht geäussert
hätten, sei durch den Verzicht auf die Anordnung eines Besuchsrechtes
Rechnung getragen worden. Die Äusserungen der Kinder dürften auch nicht
unbesehen übernommen werden, weil sie unter dem Einfluss der Klägerin
stünden, der zumindest unbewusst seine Wirkung zeige.

    Die Klägerin kritisiert die Anordnung einer Beistandschaft als
bundesrechtswidrig, da die Voraussetzungen dafür nicht erfüllt seien.

Erwägung 2

    2.- Beide kantonalen Instanzen haben es unter Hinweis auf
massive Probleme im Vater-Kind-Verhältnis abgelehnt, dem Beklagten
ein Besuchsrecht bzw. ein begleitetes Besuchsrecht einzuräumen. Die
Verweigerung des Besuchsrechtes ist vom Beklagten nicht angefochten
worden. Demgegenüber wehrt sich die Klägerin gegen die vom Obergericht
angeordnete Beistandschaft mit welcher "alle Vorkehren im Hinblick auf
eine Wiederannäherung zwischen dem Beklagten und den Kindern der Parteien"
getroffen werden sollen.

    a) Gemäss Art. 308 Abs. 1 ZGB ernennt die Vormundschaftsbehörde dem
Kind einen Beistand, der die Eltern in ihrer Sorge um das Kind mit Rat
und Tat unterstützt, wenn es die Verhältnisse erfordern. Art. 308 Abs. 2
ZGB bestimmt sodann, dass dem Beistand besondere Befugnisse übertragen
werden können, namentlich die Überwachung des persönlichen Verkehrs. Im
vorliegenden Fall wird die Beistandschaft von den Vorinstanzen nicht
mit mangelhaften erzieherischen Fähigkeiten der Klägerin begründet. Im
Gegenteil stellte das Amtsgericht fest, dass die Klägerin die vier
Kinder seit dem Sommer 1995 alleine betreue; gestützt auf das umfassende
Gutachten bestehe kein Anlass, an der Erziehungsfähigkeit der Klägerin
zu zweifeln, und auch von Seiten des Beklagten werde nichts vorgebracht,
was gegen deren Erziehungsfähigkeit sprechen würde. Insofern lässt sich
die Anordnung einer Erziehungsbeistandschaft im Sinn von Art. 308 Abs. 1
ZGB nicht begründen.

    b) Da kein Besuchsrecht eingeräumt wurde, kann die Aufgabe des
Beistandes selbstredend auch nicht in der Überwachung des persönlichen
Verkehrs gemäss Art. 308 Abs. 2 ZGB bestehen. Sowohl das Amts- als auch
das Obergericht begründen die Anordnung einer Beistandschaft damit,
dass die Wiederannäherung zwischen dem Beklagten und den Kindern zu
fördern sei. Das Obergericht geht an sich zutreffend davon aus, dass
die Beziehung der Kinder zu beiden Eltern von hohem Wert sei und bei der
Identitätsfindung des Kindes eine bedeutende Rolle spiele (vgl. BGE 122
III 404 E. 3a S. 407). Doch hat es auch festgehalten, dass die Kinder
Gewalttätigkeiten ihres Vaters ausgesetzt gewesen seien und deshalb den
Kontakt zu ihm ablehnten. Unter diesen Umständen ist nicht zu sehen,
inwiefern die Anbahnung von Kontakten zwischen dem Vater und den Kindern
dem Kindeswohl dienen soll. Lehnen die vier Kinder im Alter von 12 bis
fast 18 Jahren aufgrund ihrer Erfahrungen den persönlichen Verkehr mit
ihrem Vater ab, ist dies zu respektieren (BGE 124 III 90 E. 3c S. 93 mit
Hinweisen); insbesondere was die beiden ältern, demnächst mündigen Kinder
betrifft, dürfte es geradezu sinnlos sein, gegen deren klar geäusserten
Willen zu versuchen, einen Kontakt zu ihrem Vater anzubahnen. Es muss
ihnen überlassen bleiben, ob und gegebenenfalls wann sie bereit sind,
einen Kontakt wieder aufzunehmen. Wenn der Beklagte die Beistandschaft
damit rechtfertigt, dass der persönliche Verkehr Schutz und Pflege der
inneren Verbundenheit der Eltern mit dem Kind bezwecke und das Besuchsrecht
dem nicht obhutsberechtigten Elternteil ermöglichen solle, am Leben des
Kindes und an dessen Entwicklung teilzunehmen und die gefühlsmässige
Bindung zu ihm zu erhalten, so will er nicht wahrnehmen, dass ihm der
persönliche Verkehr selbst in der eingeschränkten Form eines begleiteten
Besuchsrechts verweigert wurde und hier nicht zur Diskussion steht.

    c) Auch die Argumentation des Beklagten, die Beistandschaft sei
notwendig, weil die Klägerin nicht fähig sei, Schritte für ein Besuchsrecht
und einen angemessenen Kontakt zuzulassen, ist unbehelflich. Wenn Gründe
des Kindeswohls dem persönlichen Verkehr entgegenstehen, sind darauf
abzielende Kontakte auch nicht durch die Errichtung einer Beistandschaft
anzubahnen. Mit der Anordnung einer Beistandschaft wären zudem Konflikte
mit dem Inhaber der elterlichen Gewalt geradezu vorprogrammiert, wenn es
dem Beistand ohne Zustimmung bzw. sogar ohne Konsultation des für den
persönlichen Verkehr ausschliesslich zuständigen Elternteils möglich wäre,
auf Kontakte der Kinder mit dem anderen Elternteil hinzuarbeiten. Für
behördliche Interventionen - z.B. in Form der Errichtung einer
Beistandschaft - besteht daher kein Raum, wenn das Kindeswohls die
Anordnung eines unbegleiteten Besuchsrechts verbietet (Art. 274 Abs. 2
ZGB) und auch die Voraussetzungen für ein begleitetes Besuchsrecht nicht
erfüllt sind (vgl. BGE 122 III 404 E. 3b S. 407 mit Hinweisen). Trotz der
Verweigerung eines Besuchsrechtes steht es dem Beklagten indessen frei, mit
seinen Kindern brieflichen Kontakt zu pflegen. In diesem Zusammenhang ist
auch nichts einzuwenden, wenn die Vormundschaftsbehörde zur Weiterleitung
der Post ihre Dienste anbietet, damit der Aufenthaltsort der Klägerin
und der Kinder zu deren Schutz weiterhin geheim gehalten werden kann.

    d) Die Berufung ist daher gutzuheissen und das Urteil des Obergerichtes
des Kantons Luzern vom 15. November 1999 aufzuheben. Ziff. 3 des
Urteils des Amtsgerichtes Hochdorf vom 9. November 1998 ist ersatzlos
aufzuheben. Zur Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen für das
kantonale Verfahren ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.