Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 177



126 III 177

30. Auszug aus dem Urteil der II. Zivilabteilung vom 14. März 2000 i.S. K.
gegen Stockwerkeigentümergemeinschaft X. (Berufung) Regeste

    Gerichtliche Abberufung der Verwaltung einer
Stockwerkeigentümergemeinschaft (Art. 712r Abs. 2 ZGB).

    Ein wichtiger Grund für die gerichtliche Abberufung der
Verwaltung liegt vor, wenn wegen ihres Verhaltens das Vertrauen der
Stockwerkeigentümer in sie zerstört worden ist (E. 2a). Dies kann der
Fall sein, wenn die Verwaltung gegen ihre Pflicht verstösst, korrekte
Abrechnungen zu erstellen (Art. 712s Abs. 2 ZGB). Pflichtverletzungen,
die für sich allein genommen keinen wichtigen Grund für eine Absetzung
darstellen, können bei der Gesamtwürdigung des Verhaltens der Verwaltung
berücksichtigt werden (E. 2b und c).

Auszug aus den Erwägungen:

                     Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Wenn die Stockwerkeigentümergemeinschaft die Abberufung des
Verwalters unter Missachtung wichtiger Gründe ablehnt, kann jeder
Stockwerkeigentümer binnen Monatsfrist die gerichtliche Abberufung
verlangen (Art. 712r Abs. 2 ZGB). Im vorliegenden Fall sind die
formellen Voraussetzungen für eine Abberufungsklage gegeben, da die
Stockwerkeigentümerversammlung die Absetzung der Verwaltung abgelehnt und
der Kläger rechtzeitig die entsprechende Klage eingereicht hat. Umstritten
ist, ob die Stockwerkeigentümerversammlung durch die Ablehnung der
Abberufung der Verwaltung wichtige Gründe verletzt hat.

    a) Wenn das Gesetz das Gericht auf wichtige Gründe verweist, hat
der Richter in Anwendung von Art. 4 ZGB seine Entscheidung nach Recht und
Billigkeit zu treffen. Dies bedeutet, dass alle wesentlichen Besonderheiten
des konkreten Falles beachtet werden müssen (BGE 109 II 389 E. 3). Unter
welchen Umständen wichtige Gründe, welche die gerichtliche Abberufung
einer Verwaltung rechtfertigen, vorliegen, hatte das Bundesgericht
bislang noch nicht zu beurteilen. In der Literatur wird das Vorliegen
von wichtigen Gründen für die Absetzung der Verwaltung dann bejaht, wenn
einem Stockwerkeigentümer die Fortsetzung des Verwaltungsverhältnisses
nach Treu und Glauben nicht mehr zugemutet werden kann, weil das diesem
Rechtsverhältnis immanente Vertrauensverhältnis fehlt bzw. zerstört worden
ist (MEIER-HAYOZ/REY, Berner Kommentar, N. 18 zu Art. 712r ZGB).

    b) Das Obergericht geht im angefochtenen Entscheid davon aus, dass die
gegen die Verwaltung erhobenen Vorwürfe keine wichtigen Gründe darstellten,
welche deren Absetzung rechtfertige. Der Kläger hält die Auffassung der
Vorinstanz in verschiedener Hinsicht für bundesrechtswidrig.

    aa) Zunächst wird geltend gemacht, dass die Verwaltung im Zusammenhang
mit der Versammlung vom 10. März 1998 wesentliche Grundsätze der
demokratischen Willensbildung verletzt habe. Soweit der Kläger rügt,
dass die Traktandenliste von der Verwaltung nicht um einen vorgängig
eingereichten Antrag ergänzt worden sei, geht die Vorinstanz zu Recht
davon aus, dass sich eine Abberufung der Verwaltung aus diesem Grund
nicht rechtfertige; wenn alle Stockwerkeigentümer an der Versammlung
anwesend bzw. vertreten waren - was vom Kläger nicht bestritten wird -,
können die Ungereimtheiten bei der Traktandierung nicht als Verletzung
wesentlicher Grundsätze der demokratischen Willensbildung gelten.

    bb) Weiter hält der Kläger einen wichtigen Grund für die Absetzung
der Verwaltung für gegeben, weil diese zunächst ohne Diskussion über das
Traktandum "Abberufung der Verwaltung" habe abstimmen lassen wollen. Das
Obergericht hält dazu fest, dass die Verwaltung nach der Intervention eines
Stockwerkeigentümers eine Diskussion doch noch zugelassen habe, nachdem
sie zunächst ohne Diskussion zur Abstimmung habe schreiten wollen. Der
Umstand, dass die Verwaltung über einen unliebsamen - ihr eigenes Schicksal
betreffenden - Antrag ohne Diskussion sogleich abstimmen lassen wollte
und die betreffende Abstimmung selber leitete, ist zwar geeignet, das
Vertrauen in die Neutralität und Unabhängigkeit des Versammlungsleiters
(MEIER-HAYOZ/REY, aaO, N. 29 zu Art. 712n ZGB) zu erschüttern. Wenn
das Obergericht dieses Vorgehen nun aber - isoliert betrachtet - nicht
als wichtigen Grund für eine Absetzung der Verwaltung einstufte, weil
schliesslich eine Diskussion stattfinden konnte, mag dies angesichts des
dem Richter bei Billigkeitsentscheiden zustehenden Ermessens noch hingehen;
doch wird darauf in anderem Zusammenhang zurückzukommen sein (E. 2c/dd).

    cc) Der Kläger macht weiter geltend, dass sich eine Absetzung der
Verwaltung auch deshalb rechtfertige, weil die Versammlungsbeschlüsse nicht
richtig protokolliert worden seien. Das Obergericht hat dazu festgehalten,
dass die Protokollierung in der Tat zu wünschen übrig lasse, doch seien die
von der Stockwerkeigentümergemeinschaft gefällten Beschlüsse zumindest
"im Ergebnis" nicht falsch protokolliert worden. Wenn wenigstens im
Ergebnis von einer richtigen Protokollierung auszugehen ist - was vom
Kläger nicht bestritten wird -, ist nicht ersichtlich, weshalb die im
Übrigen tatsächlich mangelhafte Protokollführung ein wichtiger Grund für
die Absetzung der Verwaltung darstellen soll.

    c) Abgesehen von diesen Beanstandungen macht der Kläger weiter
geltend, dass insofern ein wichtiger Grund für die Absetzung der
Verwaltung vorliege, als diese wiederholt und trotz Beanstandungen der
Stockwerkeigentümer mangelhafte Heizkostenabrechnungen erstellt habe.

    aa) Das Obergericht hat unter Hinweis auf die erstinstanzlichen
Erwägungen festgehalten, dass die Verwaltung hinsichtlich der
Heizkostenabrechnungen 1995 bis 1997 ihre Pflichten verletzt habe, doch
seien die Verletzungen angesichts der konkreten Umstände nicht derart
schwerwiegend, dass das Vertrauensverhältnis zerstört worden wäre. Im
Einzelnen wurde in der erstinstanzlichen Verfügung festgehalten, dass der
Kläger der Jahresabrechnung 1996 zugestimmt habe, was ein starkes Indiz
sei, dass im damaligen Zeitpunkt das Vertrauen in die Verwaltung noch nicht
zerstört gewesen sei. Für die Frage des Vorliegens eines wichtigen Grundes
für die Abberufung sei somit nur die Heizkostenabrechnung 1997 massgebend,
die an der Stockwerkeigentümerversammlung vom 10. März 1998 nicht genehmigt
worden sei. Nicht von Bedeutung sei der Umstand, dass die Verwaltung
im Anschluss an die erwähnte Versammlung am 11. März 1998 und am 5. Mai
1998 zwei weitere Abrechnungen erstellt habe, die wiederum beanstandet
worden seien, bevor die vierte Abrechnung vom 27. Mai 1998 habe akzeptiert
werden können. Ob an der Versammlung vom 10. März 1998 die Verwaltung
hätte abberufen werden müssen, sei nur aufgrund der damals bekannten
Umstände zu prüfen. Es sei daher davon auszugehen, dass die einmalige
Nichtgenehmigung der Heizkostenabrechnung durch die Stockwerkeigentümer
kein wichtiger Grund für die Abberufung der Verwaltung darstelle.

    bb) Gemäss Art. 712s Abs. 2 ZGB verteilt der Verwalter
die gemeinschaftlichen Kosten und Lasten auf die einzelnen
Stockwerkeigentümer, stellt ihnen Rechnung, zieht ihre Beiträge ein und
besorgt die Verwaltung und bestimmungsgemässe Verwendung der vorhandenen
Geldmittel. Die Aufgaben der Verwaltung im Bereich der finanziellen
Angelegenheiten - mithin auch die korrekte Erstellung der Heiz- und
Warmwasserabrechnung - haben ganz besondere Bedeutung (MEIER-HAYOZ/REY,
aaO, N. 22 sowie N. 43 ff. zu Art. 712s ZGB; KURT MÜLLER, Der Verwalter
von Liegenschaften mit Stockwerkeigentum, Bern 1965, S. 122 ff.).
Vor diesem Hintergrund wird in der Literatur die Meinung vertreten,
als wichtiger Grund für eine gerichtliche Abberufung der Verwaltung
gelte u.a. auch das Erstellen unkorrekter Abrechnungen (ROLF H. WEBER,
Die Stockwerkeigentümergemeinschaft, S. 453 bei Fn. 188, unter Hinweis
auf deutsche Entscheidungen).

    cc) Im vorliegenden Fall ist zunächst zu berücksichtigen, dass es sich
bei der mangelhaften Rechnungslegung nicht um einen Einzelfall handelte,
sondern dass die Verwaltung nebst der Abrechnung für das Jahr 1997 auch
diejenige für 1995 und 1996 nicht korrekt vorgenommen hatte. Zusätzlich
ins Gewicht fällt sodann, dass nach den Feststellungen der Vorinstanz
gegen die vorangegangenen Abrechnungen verschiedentlich interveniert
worden war; trotz der von den Revisoren an der Abrechnung 1995 geübten
Kritik, die an der darauffolgenden Abrechnung 1996 erneuert werden musste
und die auch an der Versammlung 1997 zur Sprache gekommen war, war die
Verwaltung wiederum nicht in der Lage, der Versammlung vom 10. März 1998
eine korrekte Abrechnung für das Jahr 1997 vorzulegen, obschon der Kläger
und ein anderer Stockwerkeigentümer schon im Vorfeld der Versammlung Kritik
an der Rechnungslegung geübt hatten. Schliesslich ist zu berücksichtigen,
dass die Abrechnungen der vergangenen Jahre gegen gesetzliche Bestimmungen
verstiessen, weil trotz Vorhandenseins der nötigen Erfassungsgeräte
keine verbrauchsabhängige Heiz- und Warmwasserkostenabrechnung erstellt
wurde (vgl. Art. 4 Energienutzungsbeschluss [AS 1990 1018], aufgehoben am
31. Dezember 1998 [Art. 29 Energiegesetz, SR 730.0]). Wenn die Verwaltung
trotz verschiedener Interventionen drei Jahre hintereinander nicht in
der Lage war, eine korrekte Abrechnung vorzulegen, war sie entweder
damit überfordert oder setzte sie sich einfach über die berechtigte
Kritik hinweg. So oder anders ist aufgrund der geschilderten Umstände
davon auszugehen, dass das Vertrauen in die Verwaltung nachhaltig gestört
wurde. Daran ändert nichts, dass die Versammlung und mit ihr der Kläger
die Abrechnung für das Jahr 1996 noch genehmigt hatten.

    dd) Angesichts der besonderen Bedeutung der korrekten Regelung
der finanziellen Angelegenheiten handelt es sich bei der wiederholt
mangelhaften Rechnungslegung um einen wichtigen Grund im Sinn von Art. 712r
Abs. 2 ZGB für eine gerichtliche Abberufung der Verwaltung. Dabei
ist nun die Kritik insbesondere im Zusammenhang mit der Durchführung
der Versammlung vom 10. März 1998 durchaus beachtlich. Wenn auch die
unvollständige Traktandenliste (E. 2 b/aa), der Versuch, ohne vorgängige
Diskussion über einen Antrag abstimmen zu lassen (E. 2 b/bb) oder die
unrichtige Protokollierung (E. 2b/cc) für sich allein die Abberufung
nicht rechtfertigten, so zeichnen gerade diese einzelnen Vorkommnisse
das Bild einer Verwaltung, die bei verschiedensten Gelegenheiten immer
wieder Mühe bekundete, ihren Funktionen so nachzukommen, wie es von ihr
erwartet werden darf, insbesondere aber auch, sich der erforderlichen
Neutralität zu befleissigen. Insgesamt ist das erforderliche Vertrauen in
die Verwaltung zerstört worden, weshalb sich deren Abberufung rechtfertigt.