Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 126 III 119



126 III 119

24. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 6. März 2000 i.S. O.
gegen S. (Berufung) Regeste

    Rückforderungsanspruch aufgrund zuviel bezahlter Akontozahlungen.

    Der Anspruch auf Rückerstattung zuviel bezahlter Akontozahlungen
ergibt sich entgegen der in BGE 107 II 220 geäusserten Ansicht nicht aus
Art. 62 ff. OR, sondern aus Vertrag (E. 2 und 3).

Sachverhalt

    S. war ab dem 1. Mai 1993 als Arbeitnehmer für O. tätig.  Gemäss
Arbeitsvertrag vom 5. März 1993 vereinbarten die Parteien in Bezug auf
die Entschädigung Folgendes:
      "Herr S. erhält ein festes Monatsgehalt von Fr. 4'500.-
      netto. Ausserdem

    wird ihm nach Abschluss des Geschäftsjahres ein Gewinnanteil von

    50% des Reingewinnes ausgerichtet. Die Gewinnbeteiligung wird nach
Beilage

    1 berechnet, die integrierender Bestandteil dieses Vertrages bildet und

    von den Parteien zu unterzeichnen ist.
      Die Abrechnung des Gewinnanteils erfolgt jährlich, erstmals per

    31.12.1993. (...)
      Dem Arbeitnehmer wird monatlich eine à cto Zahlung von Fr. 1'000.-

    als Gewinnbeteiligung ausbezahlt. Herr S. lässt die Fr. 12'000.-

    übersteigende Gewinnanteile bis 31.12.1994 als Darlehen stehen. (...)"

    Während der Dauer des Arbeitsverhältnisses wurde S. unter dem Titel
Gewinnbeteiligung ein Betrag von Fr. 30'200.- ausbezahlt. Eine jährliche
Abrechnung des Gewinnanteils fand nicht statt. In der Folge kam es zum
Zerwürfnis unter den Parteien, weshalb das Arbeitsverhältnis im November
1995 aufgelöst wurde.

    Mit Klage vom 9. Dezember 1996 forderte O. die an S. akonto
ausbezahlte Gewinnbeteiligung zurück, weil aus seinem Geschäft nie ein
Gewinn resultiert habe. Überdies machte er Schadenersatzansprüche wegen
Schlechterfüllung des Arbeitsvertrages geltend, welche vor Bundesgericht
jedoch nicht mehr streitig sind.

    Erstinstanzlich wurde die Klage im Umfang von Fr.  36'028.90
gutgeheissen. Auf Appellation des Beklagten reduzierte das Obergericht des
Kantons Aargau den dem Kläger zugesprochenen Betrag auf Fr. 15'749.55
nebst Zins.

    Das Bundesgericht heisst die vom Kläger eingelegte Berufung gut.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Es ist unbestritten, dass der Kläger dem Beklagten akonto
Gewinnbeteiligung einen Betrag von Fr. 30'200.- ausgerichtet hat und dass
ein Gewinn nicht erwirtschaftet worden ist. Unter den Parteien ist jedoch
streitig, ob der Beklagte bei einem Geschäftsverlust zur Rückzahlung
dieser Akontozahlungen verpflichtet ist. Der Beklagte macht in der
Berufungsantwort geltend, eine solche Rückzahlungspflicht sei gemäss der
vertraglichen Abrede der Parteien nicht vereinbart gewesen.

    a) Die Vorinstanz hat bezüglich der Rückzahlung der Gewinnbeteiligung
bei einem Geschäftsverlust keinen übereinstimmenden wirklichen Parteiwillen
festgestellt. Für die Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen
Vertrages ist deshalb das Vertrauensprinzip massgebend. Demnach ist die
Gewinnbeteiligungsklausel so auszulegen, wie sie nach ihrem Wortlaut und
Zusammenhang sowie den gesamten Umständen verstanden werden durfte und
musste (BGE 125 III 435 E. 2a/aa S. 436/7; 123 III 35 E. 2b S. 39/40;
121 III 118 E. 4b/aa S. 123).

    b) Gemäss der ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung war neben dem
festen Lohn von Fr. 4'500.- monatlich ein weiterer Betrag von Fr. 1'000.-
als "à cto Zahlung" geschuldet. Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen,
dass der Begriff "Akontozahlung" klar darauf hindeutet, dass es sich
bei den unter diesem Titel erbrachten monatlichen Leistungen bloss um
vorläufige Zahlungen handelte, bis aufgrund des Geschäftsabschlusses
der definitive Gewinnanteil ermittelt werden konnte. Die Parteien haben
denn auch ausdrücklich eine Abrechnungspflicht vereinbart. Eine solche
macht aber nur dann Sinn, wenn die Aktontozahlungen und der ausgewiesene
Gewinnanspruch gegeneinander aufgerechnet werden. Die Vereinbarung
der Akontozahlung und der Abrechnungspflicht muss deshalb nach Treu
und Glauben dahingehend ausgelegt werden, dass die Differenz zwischen
geleisteten Akontozahlungen und dem durch die Abrechnung festgestellten
effektiven vertraglichen Anspruch auszugleichen ist.

    Es ist nicht umstritten, dass der Kläger zu Nachleistungen
verpflichtet gewesen wäre, wenn der dem Beklagten zustehende Gewinnanteil
die Akontozahlungen überschritten hätte. Dies ergibt sich auch aus der
Vertragsklausel, wonach der Beklagte den Fr. 12'000.- übersteigenden
Gewinnanteil bis am 31.12.1994 als Darlehen stehen lässt. Korrelat dieser
Nachzahlungsverpflichtung des Klägers ist aufgrund des provisorischen
Charakters der Akontozahlung eine Rückzahlungspflicht des Beklagten,
soweit die Akontozahlungen die Höhe seines Anspruchs überstiegen.
Die Partei, welche die Akontozahlungen entgegennimmt, übernimmt durch
stillschweigende vertragliche Nebenabrede nämlich vermutungsweise die
Pflicht, einen allfälligen Überschuss herauszugeben (vgl. EUGEN BUCHER,
Hundert Jahre schweizerisches Obligationenrecht: Wo stehen wir heute im
Vertragsrecht?, ZSR 102/1983 II S. 331).

    c) Der Ansicht des Beklagten, eine Rückleistung bei einem
Verlust sei nicht fixiert worden, kann nicht gefolgt werden. Dies
würde bedeuten, dass der Beklagte Anspruch auf einen Mindestlohn von
Fr. 5'500.- gehabt hätte. Dann aber wäre nicht einzusehen, weshalb die
Parteien überhaupt einen festen Lohn von nur Fr. 4'500.- und nicht zum
Vornherein einen solchen von Fr. 5'500.- und allenfalls darüberhinaus
ein Gewinnbeteiligungsrecht vereinbart haben sollten. Weil im Rahmen
der objektivierten Auslegung nicht anzunehmen ist, dass die Parteien
eine unangemessene Lösung gewollt haben (BGE 122 III 420 E. 3a S. 424
mit Hinweisen), ist die vom Beklagten vertretene Auffassung abzulehnen.

Erwägung 3

    3.- a) Die Vorinstanz erwog, die dem Beklagten monatlich bezahlten
Beträge akonto Gewinnbeteiligung seien im Hinblick auf den zukünftig
erwarteten Gewinn ausbezahlt worden. Da ein solcher jedoch nicht erzielt
worden sei, habe sich der Grund für die geleisteten Zahlungen nicht
verwirklicht. Die Rückforderung richte sich deshalb grundsätzlich
nach Bereicherungs- und nicht nach Vertragsrecht (condictio ob
causam futuram). Für die Verjährung der Rückforderung des zuviel
ausbezahlten Gewinnanteils sei daher Art. 67 OR massgebend, weshalb
der Rückforderungsanspruch für die in den Jahren 1993 und 1994 zuviel
ausbezahlte Gewinnbeteiligung verjährt und ein durchsetzbarer Anspruch des
Klägers unter diesem Titel nur für die 1995 ausbezahlten Akontozahlungen
in der Höhe von Fr. 10'000.- gegeben sei.

    b) Nach herrschender Lehre und Praxis schliesst ein vertraglicher
Anspruch einen Bereicherungsanspruch aus (BGE 114 II 152 E. 2c/aa
S. 156 und E. 2d S. 159; 107 II 220; SCHWENZER, Schweizerisches
Obligationenrecht Allgemeiner Teil, Rz. 59.11; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID,
Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 7. Aufl. 1998,
Rz. 1507; ENGEL, Traité des obligations en droit suisse, 2e édition 1997,
S. 583; SCHULIN, Basler Kommentar, N. 38 zu Art. 62 OR; GUHL/MERZ/KOLLER,
Das Schweizerische Obligationenrecht, 8. Aufl. 1991, S. 204; EUGEN BUCHER,
Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 661;
VON TUHR/PETER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts
Band I, 3. Aufl. 1979, S. 520). Solange ein vertraglicher Anspruch besteht,
hat weder der Gläubiger eine wirtschaftliche Einbusse noch der Schuldner
eine Vermögensvermehrung erfahren. Wird eine vertraglich geschuldete
Leistung erbracht, so stellt der gültige Vertrag zudem einen Rechtsgrund
dar, weshalb der Leistungsempfänger nicht in ungerechtfertigter Weise
bereichert sein kann.

    c) In der neueren Lehre und Rechtsprechung ist eine generelle
Tendenz ersichtlich, Ansprüche vermehrt auf vertragliche denn auf
bereicherungsrechtliche Grundlage zu stützen (vgl. GUHL/MERZ/KOLLER,
aaO, S. 240). Das Bundesgericht hat in BGE 114 II 152 in Abweichung
von BGE 60 II 27 erkannt, bei einem Vertragsrücktritt gemäss Art. 109 OR
werde das Vertragsverhältnis in ein Liquidationsverhältnis umgewandelt,
so dass namentlich die Rückleistungspflichten gemäss Art. 109 Abs. 1
OR als vertragliche zu qualifizieren seien. In der Lehre wurde diese
Entwicklung mehrheitlich begrüsst (vgl. etwa GAUCH, Wirkung des Rücktritts
und Verjährung des Rückforderungsanspruchs bei Schuldnerverzug, recht
4/1989 S. 126; WIEGAND, Basler Kommentar, N. 4 zu Art. 109 OR; SCHWENZER,
aaO, Rz. 66.33; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID, aaO, Rz. 1572 ff. mit Hinweisen
auf ablehnende Auffassungen). Ein Teil der Autoren geht sogar noch weiter
und möchte im Gegensatz zur bundesgerichtlichen Rechtsprechung (BGE 114
II 131 E. 3 S. 141) auch irrtumsbehaftete Verträge nach vertraglichen
Grundsätzen rückabwickeln (WIEGAND, Bemerkungen zum Picasso-Entscheid,
recht 3/1989 S. 111; SCHMIDLIN, Berner Kommentar, N. 14 ff. zu Art. 31 OR).

    Die aufgezeigte Tendenz schränkt den Anwendungsbereich des
Bereicherungsrechts generell ein. Sie bekräftigt die Auffassung, dass
ein Kondiktionsanspruch solange ausgeschlossen ist, als ein Anspruch auf
Vertrag gestützt werden kann, sei es durch Auslegung oder Lückenfüllung.

    d) Die Parteien haben ausdrücklich Akontozahlungen und
eine Abrechnungspflicht vereinbart. Wie dargelegt, muss daraus
nach Treu und Glauben geschlossen werden, dass der Beklagte zur
Rückleistung von zuviel erhaltenen Akontozahlungen verpflichtet ist
(E. 2). Der Rückforderungsanspruch des Klägers aufgrund zuviel
bezahlter Akontozahlungen ergibt sich demnach aus dem Vertrag.
Ein Bereicherungsanspruch ist somit ausgeschlossen.

    e) Soweit aus BGE 107 II 220, welcher in einem staatsrechtlichen
Beschwerdeverfahren unter dem beschränkten Gesichtswinkel der Willkür
ergangen ist, etwas anderes abgeleitet werden könnte, kann daran nicht
festgehalten werden. In der Lehre ist dieser Entscheid auch auf Kritik
gestossen (BUCHER, aaO in ZSR 102/1983 II S. 331/2; GAUCH, BR 1982 S. 58;
derselbe, Der Werkvertrag, 4. Aufl. 1996, N. 1270; GAUCH/SCHLUEP/SCHMID,
aaO, N. 1508).

    Die übrigen von der Vorinstanz zur Begründung der
bereicherungsrechtlichen Natur des klägerischen Anspruchs angeführten
Präjudizien sind für den vorliegenden Fall nicht einschlägig: In
BGE 42 II 674 stand die Rückleistung von zu Unrecht erbrachten
Versicherungsleistungen in Frage; in BGE 52 II 228 ging es um
die Rückerstattung von pränumerando bezahlten Zinsen, nachdem das
Darlehensverhältnis vorzeitig beendet wurde; BGE 64 II 132 betraf einen
Fall, in dem ein Pächter aufgrund eines irrtumsbehafteten Vertrages zuviel
Pachtzins bezahlte; in BGE 110 II 335 wurden Leistungen, welche aufgrund
eines nichtigen Rechtsgeschäftes erbracht wurden, zurückgefordert; BGE 119
II 20 schliesslich betraf eine Leistung im Hinblick auf einen künftigen
Vertragsschluss, welcher nicht zustandekam. Diese Fälle unterscheiden
sich vom vorliegenden alle dadurch, dass ein Rechtsgrund für die Zahlung
entweder gänzlich fehlte oder nachträglich wegfiel. Daraus kann für den
zu beurteilenden Fall, in dem die Akontozahlungen vertraglich geschuldet
und eine Abrechnungs- und Ausgleichungspflicht vereinbart war, nichts
abgeleitet werden.