Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 V 430



125 V 430

70. Urteil vom 20. Dezember 1999 i.S. A. gegen Visana und
Verwaltungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 25 Abs. 1, Art. 41 und 42 Abs. 1 KVG; Art. 163 Abs. 1 ZGB:
ärztliche Behandlung durch den Ehegatten. Die Leistungspflicht der
obligatorischen Krankenpflegeversicherung erstreckt sich auch auf ärztliche
Behandlungen durch den Ehepartner der versicherten Person.

Sachverhalt

    A.- Dr. med. A. ist praktizierender Arzt und liess sich in der
Zeit vom 31. Dezember 1997 bis 31. Mai 1998 von seiner Ehefrau und
Praxispartnerin, Dr. med. B., wegen Infektionen, Krankheiten des
Bewegungsapparates und Venenleiden behandeln. Von den dafür insgesamt von
der Ehefrau in Rechnung gestellten Fr. 4'670.25 anerkannte die Visana, bei
welcher A. krankenpflegeversichert war, die Kosten für Labor, Röntgen,
Material und Medikamente als kostenpflichtig und erstattete den Betrag
von Fr. 2'627.75 zurück. Mit Verfügung vom 21. September 1998 lehnte sie
die Übernahme weiterer Kosten für diese Behandlung ab. Daran hielt sie
mit Einspracheentscheid vom 20. November 1998 fest.

    B.- Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern mit Entscheid vom 11. Mai 1999 ab.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde hält A. an seinem Begehren um
Vergütung des ganzen in Rechnung gestellten Betrages durch die Visana fest.
(...).

    Die Visana beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Stellungnahme.

Auszug aus den Erwägungen:

        Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Streitig und zu prüfen ist, ob und bejahendenfalls inwieweit die
Krankenversicherung die medizinischen Leistungen, die eine Ärztin oder ein
Arzt ihrem Ehepartner oder ihrer Ehepartnerin erbringt, zu übernehmen hat.

Erwägung 2

    2.- a) Die Visana hat die Kosten für Labor, Röntgen, Material und
Medikamente zurückerstattet und darauf hingewiesen, dass die Behandlung an
sich, da sie nicht über eine normale Routineangelegenheit hinausgegangen
sei, im Rahmen der familienrechtlichen Beistands- und Unterhaltspflicht
erfolgt sei.

    b) Die Vorinstanz hat die Auffassung der Krankenkasse im Ergebnis
bestätigt und festgehalten, dass im vorliegenden Fall die Rückerstattung
der Kassenleistung nach dem System des Tiers garant erfolge und nur in
Frage komme, wenn der Ehegattin als Leistungserbringerin des Versicherten
ein Honoraranspruch entstanden sei. Gesundheitskosten für geläufige
Krankheiten, zahnärztliche Behandlung, Kontrollen, Operationen, mit denen
man rechnen müsste, gehörten grundsätzlich zum Familienbudget. Solche durch
die obligatorische Krankenpflegeversicherung gedeckte Behandlungskosten
seien zum gebührenden Familienunterhalt nach Art. 163 ZGB zu zählen. Die
Ehegattin des Versicherten habe vorliegend solche Leistungen erbracht,
weshalb ihr mit Ausnahme der Kosten für Labor, Röntgen, Medikamente
und Kompressionsstrümpfe gegenüber dem Ehemann kein Honoraranspruch
entstanden sei.

    c) Der Beschwerdeführer macht geltend, auf Grund des Rechts
zur freien Arztwahl habe er sich durch seine Ehepartnerin behandeln
lassen. Die intravenöse Infusionsbehandlung stelle keinesfalls eine normale
Routineangelegenheit dar. Deren Durchführung habe jeweils einen Zeitaufwand
von gut einer Stunde beansprucht. Damit kein Arbeitsausfall entstehe,
seien die ärztlichen Leistungen abends nach Praxisschluss erbracht
worden, wobei die in dieser Zeit sonst anfallenden administrativen und
organisatorischen Arbeiten nicht hätten erledigt werden können. Vor
der Einführung des neuen Krankenversicherungsgesetzes habe er bei der
Kollektivversicherung für Ärzte einen Passus eingebaut gehabt, wonach
die Behandlung von Familienangehörigen nicht leistungspflichtig sei.
Diese Einschränkung sei mit einer Prämienreduktion verbunden gewesen. Heute
könnten für die Grundversicherung keine Rabatte mehr gewährt werden. Es sei
auch aus diesem Grund nicht einzusehen, weshalb die ärztliche Behandlung
von Familienangehörigen leistungsmässig schlechter gestellt werden
sollte. Die Auffassung, wonach eine Behandlung, die aus der obligatorischen
Grundversicherung gedeckt sei, zum gebührenden Familienunterhalt gehören
sollte, sei aus der Luft gegriffen.

Erwägung 3

    3.- a) Wie die Vorinstanz erwogen hat, übernimmt die obligatorische
Krankenpflegeversicherung die Kosten für die Leistungen, die der Diagnose
oder Behandlung einer Krankheit und ihrer Folgen dienen (Art. 25 Abs. 1
KVG). Haben Versicherer und Leistungserbringer nichts anderes vereinbart,
so schulden gemäss Art. 42 KVG die Versicherten den Leistungserbringern
die Vergütung der Leistung, wobei sie gegenüber dem Versicherer einen
Anspruch auf Rückerstattung (im Sinne der Erstattung oder Vergütung) haben
(System des Tiers garant). Ein Anspruch auf Erstattung des Honorars eines
freipraktizierenden Leistungserbringers durch den Versicherer besteht
jedoch nur, wenn eine solche Honorarforderung nach den zivilrechtlichen
Voraussetzungen gegeben ist (vgl. EUGSTER, Krankenversicherung, in:
Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Rz. 327 Fn. 787). Das
kantonale Gericht hat daher zu Recht geprüft, ob der Leistungserbringerin
vorliegend gegenüber dem Beschwerdeführer ein Honoraranspruch entstanden
ist.

    b) Zutreffend ist, dass gemäss Art. 163 Abs. 1 ZGB die Ehegatten
gemeinsam, ein jeder nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt der
Familie sorgen. Die Bezahlung von Beiträgen an die Sozialversicherungen
gehört zu diesem gebührenden Unterhalt (BRÄM/HASENBÖHLER, Zürcher
Kommentar, N. 34 zu Art. 163 ZGB). Mit der Argumentation, wonach die durch
die obligatorische Krankenpflegeversicherung gedeckten Behandlungskosten
zum gebührenden Familienunterhalt gemäss Art. 163 ZGB zu zählen seien,
verkennt die Vorinstanz, dass dieser Unterhalt in einer Rechtsordnung
mit dem System der obligatorischen Krankenpflegeversicherung, welche die
fraglichen Leistungen abdeckt, durch die Bezahlung der Versicherungsprämien
und der Kosten des Selbstbehaltes sowie der Franchise geleistet
wird. Dafür, dass die Bezahlung der Prämien und der andern erwähnten Kosten
durch den Versicherten und seine Ehefrau zu irgendwelchen Schwierigkeiten
geführt hätte, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Von der Ehegattin kann
deshalb unter dem Gesichtswinkel der familienrechtlichen Unterhaltspflicht
nicht gefordert werden, dass sie die ärztliche Behandlung für ihren Ehemann
neben der gemeinsamen Tragung der Prämien und übrigen Kosten leiste. Zum
Unterhalt nach Art. 163 ZGB gehören zwar auch die Gesundheitskosten; mit
dem Versicherungsobligatorium ist aber die Frage, inwieweit medizinische
Behandlungen zum Unterhalt zu zählen sind, weitgehend hinfällig geworden
(HAUSHEER/REUSSER/GEISER, Berner Kommentar, N. 16a zu Art. 163 ZGB). Soweit
somit als Beitragsart die ärztliche Behandlung des einen Ehegatten durch
den andern genannt wird (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, aaO, N. 34 zu Art. 163
ZGB), können folglich diejenigen Behandlungen, die von der obligatorischen
Krankenpflegeversicherung zu übernehmen sind, nicht gemeint sein. Abgesehen
davon wäre kein Grund ersichtlich, der Ehefrau nur ihre Dienstleistungen
unter dem Titel der Unterhaltspflicht zuzumuten, nicht aber die Bezahlung
der Kosten für Labor, Röntgen und die andern erwähnten Kosten, wie es
der Auffassung der Krankenkasse und der Vorinstanz entspricht. Hätte
sie nämlich für die Gesundheitspflege ihres Ehemannes im Rahmen der
Unterhaltspflicht aufzukommen, so wäre nicht einzusehen, weshalb sie nur
ärztliche Dienstleistungen zu erbringen, nicht aber für die erwähnten
Kosten aufzukommen hätte.

    Anders wäre es zu halten, wenn kein Versicherungsobligatorium
bestünde und die Eheleute es vorgezogen hätten, statt eine
Krankenversicherung abzuschliessen die ärztliche Versorgung gegenseitig
sicherzustellen. Dieser Frage ist indessen, da sie sich nicht stellt,
nicht weiter nachzugehen. Nicht stichhaltig ist schliesslich der
Hinweis der Vorinstanz auf die bundesgerichtliche Rechtsprechung,
wonach dem Ehemann, der als Anwalt seine Ehefrau im Prozess vertritt,
grundsätzlich kein Anspruch auf Parteientschädigung zuzuerkennen sei
(nicht publizierte Erw. 6 des Urteils BGE 118 V 35 mit Hinweis auf ZAK
1985 S. 472 Erw. 4). Die Kosten einer Rechtsvertretung sind in vielen
Fällen nicht versichert, sodass im Rahmen der Unterhaltspflicht die
Vertretung entweder durch Naturalleistung in Form der Vertretung durch
den Ehemann oder durch Finanzierung der Kosten der Vertretung durch einen
andern Anwalt zu gewährleisten ist.

Erwägung 4

    4.- Zu prüfen ist des Weiteren, ob sich der Versicherte statt von
einem andern Arzt von seiner Ehefrau zu Lasten der Krankenversicherung
behandeln lassen kann.

    a) Nach Art. 168 ZGB kann jeder Ehegatte mit dem andern Ehegatten
oder mit Dritten Rechtsgeschäfte abschliessen, sofern das Gesetz nichts
anderes bestimmt. Diese Bestimmung gewährt den Ehegatten privatautonome
Gestaltungsfreiheit. Nur deshalb, weil jemand verheiratet ist, soll ihm
nicht der Zugang zu Rechtsgeschäften verwehrt sein, die an sich jede Person
abschliessen kann (BRÄM/HASENBÖHLER, aaO, N. 1 zu Art. 168 ZGB). Weder,
wie dargelegt, im Eherecht noch sonstwo finden sich Bestimmungen, die
es verbieten würden, dass sich ein Ehegatte rechtsgeschäftlich statt
von einem andern Arzt vom eigenen Ehegatten behandeln lassen kann. Dass
die dafür gewöhnlich gewählte Form des Auftrages in Art. 165 Abs. 3
ZGB nicht erwähnt ist, ist ohne Belang, weil die Aufzählung nicht
abschliessend ist (BRÄM/HASENBÖHLER, aaO, N. 65 und 81 zu Art. 165
ZGB). Liegt aber den ärztlichen Bemühungen der Ehegattin des Versicherten
ein Rechtsverhältnis zu Grunde, so ist nicht weiter danach zu suchen,
ob ihr ein Entschädigungsanspruch nach Art. 165 ZGB zukommt, weil diese
Regelung nur subsidiär anzuwenden ist (HAUSHEER/REUSSER/GEISER, aaO,
N. 38 zu Art. 165 ZGB).

    b) Art. 41 KVG garantiert den Versicherten freie Arztwahl. Diese
Bestimmung sieht in keiner Weise eine Einschränkung dahingehend vor,
dass ein Ehegatte als Arzt nicht den eigenen Ehegatten bezeichnen könnte.

Erwägung 5

    5.- Es ist nicht zu verkennen, dass jemand, der sich zu Lasten der
Krankenversicherung durch seinen Ehegatten behandeln lassen kann, eventuell
eher geneigt ist, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, als wenn er einen
andern Arzt aufsuchen müsste. Es mag für die Ehegatten auch ein gewisser
Anreiz gegeben sein, die Behandlung über das notwendige Mass auszudehnen,
weil der behandelnde Ehegatte damit einen Erwerb erzielt, der beiden
Ehegatten zugute kommen kann. Dem Krankenversicherer bleibt es indessen
unbenommen, die Kontrollmöglichkeiten in solchen Fällen zu intensivieren.

Erwägung 6

    6.- Zusammengefasst steht es dem Beschwerdeführer frei, sich von seiner
Ehefrau ärztlich versorgen zu lassen. Da den entsprechenden medizinischen
Leistungen ein Rechtsverhältnis zu Grunde liegt und in einer Rechtsordnung
mit dem System der obligatorischen Krankenpflegeversicherung nicht
verlangt werden kann, dass unter dem Gesichtswinkel der familienrechtlichen
Unterhaltspflicht die ärztliche Behandlung neben der gemeinsamen Tragung
der Prämien und übrigen Kosten geleistet wird, ist der Leistungserbringerin
gegenüber dem Beschwerdeführer auch für die Kosten der Behandlung an sich
ein Honoraranspruch entstanden, wobei dem Versicherten grundsätzlich
ein Anspruch auf Rückerstattung gegenüber dem Versicherer zusteht. Dem
Krankenversicherer obliegt die massliche Überprüfung der Forderung.