Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 V 410



125 V 410

67. Auszug aus dem Urteil vom 8. November 1999 i.S. Bundesamt für
Sozialversicherung gegen P. und Verwaltungsgericht des Kantons Bern Regeste

    Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV: Neuanmeldung nach befristeter
Leistungsgewährung. Die Rechtsprechung zu Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV
bezieht sich stets auf Fälle mit vorausgegangener Leistungsverweigerung
und ist nicht anwendbar, wenn zuvor eine Leistung zugesprochen, aber
befristet wurde.

Sachverhalt

    A.- Mit Verfügung vom 10. September 1996 sprach die IV-Stelle Bern
der 1982 geborenen P. einen Kostgeldbeitrag für auswärtige Verpflegung
und Unterkunft zur Gewährleistung des Übertritts von der Sonder- in die
Volksschule für die Dauer von einem Jahr zu. Zugleich wies die IV-Stelle
darauf hin, dass eine Verlängerung dieser Kostengutsprache nicht möglich
sei. Die Verfügung erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

    Am 25. Oktober 1997 ersuchten die Eltern von P. um Verlängerung der
Kostengutsprache. Mit Verfügung vom 9. April 1998 trat die IV-Stelle
darauf nicht ein.

    B.- Die dagegen erhobene Beschwerde hiess das Verwaltungsgericht des
Kantons Bern mit Entscheid vom 3. Dezember 1998 gut. Es wies die Sache
zur materiellen Beurteilung an die IV-Stelle zurück.

    C.- Das Bundesamt für Sozialversicherung führt
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der kantonale Entscheid
sei aufzuheben.

    Während die IV-Stelle dem Bundesamt beipflichtet, lassen die Eltern
von P. auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- Mit der in Rechtskraft erwachsenen Verfügung vom 10. September
1996 befristete die IV-Stelle den Kostgeldbeitrag für auswärtige
Unterkunft und Verpflegung zur Gewährleistung des Übertritts von der
Sonder- in die Volksschule gemäss Art. 11 Abs. 3 IVV (in der bis Ende
1996 gültig gewesenen Fassung) auf ein Jahr und wies darauf hin, dass
keine Verlängerung möglich sei. Ist für einen solchen Übertritt von der
Sonder- in die Volksschule neben dem Volksschulbesuch ein Aufenthalt
in einem Sonderschulheim erforderlich, besteht nach der erwähnten
Vorschrift Anspruch auf ein Kostgeld nach Art. 10 lit. b IVV (in der
bis Ende 1996 gültig gewesenen Fassung), jedoch höchstens für die Dauer
eines Jahres. Dieses einjährige Kostgeld hat die IV-Stelle vorliegend
erbracht. Am 1. Januar 1997 wurde Art. 11 Abs. 3 IVV durch den neuen
Art. 9ter Abs. 2 IVV ersetzt, welcher ebenfalls eine Befristung auf
höchstens ein Jahr kennt. Die IV-Stelle trat auf das am 25. Oktober
1997 gestellte Verlängerungsgesuch nicht ein, da auf Grund der geltenden
Verordnungsbestimmungen keine Verlängerung möglich sei. Ausserdem hätten
sich die tatsächlichen Verhältnisse seit 1996 nicht verändert, weshalb
die Voraussetzungen für eine erneute Prüfung nicht erfüllt seien. (...).

Erwägung 2

    2.- Vorliegend stellt sich die Frage, ob die IV-Stelle zu Recht nicht
auf das Verlängerungsgesuch eingetreten ist. (...).

    a) Das Beschwerde führende Bundesamt vertritt die Meinung, die
Praxis gemäss Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV sei auf Fälle von befristeten
Leistungszusprechungen analog anzuwenden. Da sich vorliegend seit dem
mit Verfügung vom 10. September 1996 erledigten ersten Gesuch an den
tatsächlichen Verhältnissen nichts Wesentliches geändert habe, sei die
IV-Stelle zu Recht nicht auf das zweite Gesuch vom 25. Oktober 1997
eingetreten.

    b) Dem kann nicht beigepflichtet werden. Die Rechtsprechung zu Art. 87
Abs. 3 und 4 IVV bezog sich stets nur auf Fälle mit vorausgegangener
Leistungsverweigerung. Sie soll verhindern, dass sich die Verwaltung
immer wieder mit gleich lautenden und nicht näher begründeten, d.h. keine
Veränderung des Sachverhalts darlegenden Rentengesuchen befassen muss (BGE
109 V 264 Erw. 3). Mit BGE 109 V 122 Erw. 3a wurde diese Praxis analog
auf Neuanmeldungen für Eingliederungsleistungen ausgedehnt. Dabei ging
aber erneut ein abgelehntes erstes Leistungsgesuch voraus. Es besteht
kein Anlass, die Rechtsprechung zu Art. 87 Abs. 3 und 4 IVV auch dann
analog anzuwenden, wenn eine Leistung zwar zugesprochen, aber befristet
worden ist.

    c) Praxisgemäss ist es grundsätzlich nicht zulässig, zukünftige
Dauerleistungen nur für eine begrenzte Zeitspanne zuzusprechen
(BGE 109 V 261 Erw. 4; ZAK 1989 S. 173 Erw. 3a mit Hinweis). Dem
Bedürfnis, die Anspruchsvoraussetzungen insbesondere in Renten- und
Hilflosenentschädigungsfällen periodisch zu überprüfen, wird bei solchen
Dauerleistungen dadurch Rechnung getragen, dass verwaltungsintern ein
Revisionstermin vorgemerkt wird (BGE 109 V 261 Erw. 4).

    Ausnahmen von diesem Grundsatz mögen dort in Betracht kommen, wo
Gesetz oder Verordnung eine bestimmte Leistung altersmässig begrenzen
(beispielsweise beim Pflegebeitrag nach Art. 20 IVG, der nur Minderjährigen
bis zur Vollendung des 18. Altersjahrs gewährt und hernach gegebenenfalls
durch eine Hilflosenentschädigung nach Art. 42 IVG abgelöst wird) oder
wo eine maximale Leistungsdauer normativ festgelegt ist, wie in den
erwähnten altArt. 11 Abs. 3 IVV bzw. neuArt. 9ter Abs. 2 IVV. Vorbehalten
bleiben ferner jene Fälle, in denen eine (unter Umständen vorläufige)
Befristung von der Sache her gerechtfertigt ist, wie beispielsweise bei
schulischen oder beruflichen Eingliederungsmassnahmen (BGE 109 V 262
Erw. 4 in fine; ZAK 1989 S. 173 Erw. 3a). Dabei bedeutet eine in die
leistungszusprechende Verfügung aufgenommene Befristung jedoch nicht,
dass damit die Leistungsgewährung über den festgesetzten Endtermin
hinaus als abgelehnt oder verweigert gilt. Sie ist vielmehr bloss in dem
Sinne zu verstehen, dass nach Ablauf der Leistungsdauer auf Gesuch hin
erneut geprüft wird, ob die Voraussetzungen für eine Verlängerung der
Leistungsgewährung erfüllt sind. Insofern kommt dem zeitlichen Element
der Befristung keine selbstständige Bedeutung zu. Insbesondere ist
daraus nicht abzuleiten, dass nach vorausgegangener rechtskräftiger
Verfügung mit Befristung einer Leistung ein neues Gesuch erschwerten
Eintretensvoraussetzungen zu genügen hätte.

    d) Vorliegend hat die IV-Stelle die ursprüngliche Leistungsgewährung
befristet, weil alt Art. 11 Abs. 3 IVV die Kostgeldzusprechung für
höchstens ein Jahr erlaubt hat. War die IV-Stelle der Auffassung, dass
diese normative Ausgangslage einer Beitragsverlängerung entgegenstehe,
hätte sie das neue Gesuch vom 25. Oktober 1997 materiell behandeln und
ablehnen müssen, nicht jedoch durch Nichteintreten erledigen dürfen. Dieser
formelle Fehler ändert jedoch nichts daran, dass sich die Ablehnung eines
weiteren Kostgeldbeitrags auf Grund von neuArt. 9ter Abs. 2 IVV im Ergebnis
als richtig erweist, da diese Vorschrift die Dauer der Kostgeldgewährung
ebenfalls auf höchstens ein Jahr beschränkt.