Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 V 351



125 V 351

55. Auszug aus dem Urteil vom 14. Juni 1999 i.S. B. gegen "Winterthur"
Schweizerische Versicherungs-Gesellschaft und Sozialversicherungsgericht
des Kantons Zürich Regeste

    Art. 4 BV; Art. 108 Abs. 1 lit. b UVG; Art. 40 BZP in Verbindung
mit Art. 19 VwVG; Art. 95 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 113 und 132 OG:
Beweiswürdigung, Parteigutachten. Ein Parteigutachten besitzt nicht den
gleichen Rang wie ein vom Gericht oder von einem Unfallversicherer nach
dem vorgegebenen Verfahrensrecht eingeholtes Gutachten. Es verpflichtet
indessen den Richter, den von der Rechtsprechung aufgestellten Richtlinien
für die Beweiswürdigung folgend, zu prüfen, ob es in rechtserheblichen
Fragen die Auffassung und Schlussfolgerungen des vom Gericht oder vom
Unfallversicherer förmlich bestellten Gutachters derart zu erschüttern
vermag, dass davon abzuweichen ist.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 2

    2.- Es stellt sich die Frage, ob die Beschwerdeführerin nach dem
31. Juli 1995 noch an Versicherungsleistungen auslösenden somatischen
Beschwerden leidet, die auf den Unfall vom 22. Februar 1992 zurückzuführen
sind. Die Vorinstanz verneinte diese Frage in Bestätigung des
Einspracheentscheids im Wesentlichen mit der Begründung, das Gutachten des
Dr. med. K. vom 28. Juni 1995 sei wie ein Gerichtsgutachten zu behandeln,
weshalb grundsätzlich darauf abzustellen und nicht ohne zwingende Gründe
davon abzuweichen sei. Die Beschwerdeführerin macht demgegenüber unter
Berufung auf die von ihr eingeholten und im vorinstanzlichen Verfahren
aufgelegten Gutachten der Dres. med. H. und M. vom 28. März 1996
bzw. 17. Mai 1996 geltend, das erwähnte Gutachten, welches das kantonale
Gericht unbesehen übernehme, weise massive Widersprüche und Mängel auf, die
aktenkundig belegt seien, sodass seine Unzuverlässigkeit augenfällig sei.

Erwägung 3

    3.- a) Das Bundesrecht schreibt nicht vor, wie die einzelnen
Beweismittel zu würdigen sind. Für das gesamte Verwaltungs- und
Verwaltungsgerichtsbeschwerdeverfahren gilt der Grundsatz der freien
Beweiswürdigung (Art. 40 BZP in Verbindung mit Art. 19 VwVG; Art. 95 Abs. 2
OG in Verbindung mit Art. 113 und 132 OG). Danach haben Versicherungsträger
und Sozialversicherungsrichter die Beweise frei, d.h. ohne Bindung an
förmliche Beweisregeln, sowie umfassend und pflichtgemäss zu würdigen. Für
das Beschwerdeverfahren bedeutet dies, dass der Sozialversicherungsrichter
alle Beweismittel, unabhängig davon, von wem sie stammen, objektiv zu
prüfen und danach zu entscheiden hat, ob die verfügbaren Unterlagen
eine zuverlässige Beurteilung des streitigen Rechtsanspruches gestatten.
Insbesondere darf er bei einander widersprechenden medizinischen Berichten
den Prozess nicht erledigen, ohne das gesamte Beweismaterial zu würdigen
und die Gründe anzugeben, warum er auf die eine und nicht auf die
andere medizinische These abstellt. Hinsichtlich des Beweiswertes eines
Arztberichtes ist also entscheidend, ob der Bericht für die streitigen
Belange umfassend ist, auf allseitigen Untersuchungen beruht, auch die
geklagten Beschwerden berücksichtigt, in Kenntnis der Vorakten (Anamnese)
abgegeben worden ist, in der Beurteilung der medizinischen Zusammenhänge
und in der Beurteilung der medizinischen Situation einleuchtet und ob
die Schlussfolgerungen des Experten begründet sind. Ausschlaggebend
für den Beweiswert ist grundsätzlich somit weder die Herkunft eines
Beweismittels noch die Bezeichnung der eingereichten oder in Auftrag
gegebenen Stellungnahme als Bericht oder Gutachten (BGE 122 V 160
f. Erw. 1c mit Hinweisen).

    b) Dennoch hat es die Rechtsprechung mit dem Grundsatz der freien
Beweiswürdigung als vereinbar erachtet, in Bezug auf bestimmte Formen
medizinischer Berichte und Gutachten Richtlinien für die Beweiswürdigung
aufzustellen.

    aa) So weicht der Richter bei Gerichtsgutachten nach der Praxis nicht
ohne zwingende Gründe von der Einschätzung des medizinischen Experten
ab, dessen Aufgabe es ist, seine Fachkenntnisse der Gerichtsbarkeit
zur Verfügung zu stellen, um einen bestimmten Sachverhalt medizinisch
zu erfassen. Ein Grund zum Abweichen kann vorliegen, wenn die
Gerichtsexpertise widersprüchlich ist oder wenn ein vom Gericht eingeholtes
Obergutachten in überzeugender Weise zu andern Schlussfolgerungen
gelangt. Abweichende Beurteilung kann ferner gerechtfertigt sein, wenn
gegensätzliche Meinungsäusserungen anderer Fachexperten dem Richter als
triftig genug erscheinen, die Schlüssigkeit des Gerichtsgutachtens in
Frage zu stellen, sei es, dass er die Überprüfung durch einen Oberexperten
für angezeigt hält, sei es, dass er ohne Oberexpertise vom Ergebnis des
Gerichtsgutachtens abweichende Schlussfolgerungen zieht (BGE 118 V 290
Erw. 1b, 112 V 32 f. mit Hinweisen).

    bb) Den im Rahmen des Verwaltungsverfahrens durch die Schweizerische
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) und durch UVG-Privatversicherer
eingeholten Gutachten von externen Spezialärzten, welche auf Grund
eingehender Beobachtungen und Untersuchungen sowie nach Einsicht in die
Akten Bericht erstatten und bei der Erörterung der Befunde zu schlüssigen
Ergebnissen gelangen, ist bei der Beweiswürdigung volle Beweiskraft
zuzuerkennen, solange nicht konkrete Indizien gegen die Zuverlässigkeit
der Expertise sprechen (BGE 104 V 212 Erw. c; RKUV 1993 Nr. U 167 S. 96
Erw. 5a mit weiteren Hinweisen). Zu beachten ist, dass die SUVA bei
der Einholung von solchen Gutachten sinngemäss nach den Bestimmungen des
Bundeszivilprozesses zu verfahren und insbesondere die in Art. 57 ff. BZP
genannten Mitwirkungsrechte der Verfahrensbeteiligten zu beachten hat (RKUV
1993 Nr. U 167 S. 96 Erw. 5b), was sinngemäss auch für die nach Art. 68
Abs. 1 UVG zugelassenen Privatversicherer gilt (BGE 120 V 361 f. Erw. 1c).

    cc) In Bezug auf Berichte von Hausärzten darf und soll der Richter der
Erfahrungstatsache Rechnung tragen, dass Hausärzte mitunter im Hinblick
auf ihre auftragsrechtliche Vertrauensstellung in Zweifelsfällen eher zu
Gunsten ihrer Patienten aussagen (unveröffentlichte Urteile B. vom 11. Juni
1997, B. vom 22. Februar 1994 und P. vom 22. Oktober 1984; Plädoyer
6/94 S. 67; MEYER-BLASER, Die Rechtspflege in der Sozialversicherung,
in: BJM 1989 S. 31).

    dd) Was Parteigutachten anbelangt, rechtfertigt der Umstand allein,
dass eine ärztliche Stellungnahme von einer Partei eingeholt und in das
Verfahren eingebracht wird, nicht Zweifel an ihrem Beweiswert (ZAK 1986
S. 189 Erw. 2a in fine).

    ee) Auch den Berichten und Gutachten versicherungsinterner Ärzte
kommt schliesslich Beweiswert zu, sofern sie als schlüssig erscheinen,
nachvollziehbar begründet sowie in sich widerspruchsfrei sind und keine
Indizien gegen ihre Zuverlässigkeit bestehen. Die Tatsache allein, dass
der befragte Arzt in einem Anstellungsverhältnis zum Versicherungsträger
steht, lässt nicht schon auf mangelnde Objektivität und auf Befangenheit
schliessen. Es bedarf vielmehr besonderer Umstände, welche das Misstrauen
in die Unparteilichkeit der Beurteilung objektiv als begründet erscheinen
lassen. Im Hinblick auf die erhebliche Bedeutung, welche den Arztberichten
im Sozialversicherungsrecht zukommt, ist an die Unparteilichkeit des
Gutachters allerdings ein strenger Massstab anzulegen (BGE 122 V 161
f. Erw. 1c).

    c) Wie bereits erwähnt (Erw. 3b/dd), enthält auch ein Parteigutachten
Äusserungen eines Sachverständigen, welche zur Feststellung eines
medizinischen Sachverhalts beweismässig beitragen können. Daraus folgt
indessen nicht, dass ein solches Gutachten den gleichen Rang wie ein
vom Gericht oder von einem Unfallversicherer nach dem vorgegebenen
Verfahrensrecht eingeholtes Gutachten besitzt. Es verpflichtet indessen -
wie jede substanziiert vorgetragene Einwendung gegen ein solches Gutachten
- den Richter, den von der Rechtsprechung aufgestellten Richtlinien
für die Beweiswürdigung folgend, zu prüfen, ob es in rechtserheblichen
Fragen die Auffassungen und Schlussfolgerungen des vom Gericht oder vom
Unfallversicherer förmlich bestellten Gutachters derart zu erschüttern
vermag, dass davon abzuweichen ist.