Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 V 253



125 V 253

39. Urteil vom 15. Oktober 1999 i.S. B. gegen IV-Stelle des Kantons Zürich
und Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich Regeste

    Art. 6 Abs. 2, Art. 36 Abs. 1 und 2 IVG; Art. 3 Abs. 3, Art. 29 Abs. 1,
Art. 29ter Abs. 2 AHVG; Art. 50 AHVV in Verbindung mit Art. 32 Abs. 1 IVV:
Mindestbeitragsdauer. Im Gegensatz zur Rechtslage vor Inkrafttreten der 10.
AHV-Revision ist nach neuem Recht bei der Ermittlung der einjährigen
Mindestbeitragsdauer für den ordentlichen Rentenanspruch gemäss AHVG und
IVG eine persönliche Beitragsentrichtung nicht mehr erforderlich.

Sachverhalt

    A.- Die brasilianische Staatsangehörige B., geboren 1962, reiste
im November 1995 in die Schweiz ein, wo sie sich am 27. Dezember 1995
verheiratete. Wegen der Folgen einer seit 1995 bekannten HIV-Infektion
meldete sie sich im März 1998 bei der Invalidenversicherung zum Rentenbezug
an. Mit Verfügung vom 19. Oktober 1998 stellte die IV-Stelle des Kantons
Zürich fest, der Versicherungsfall sei mit Ablauf der einjährigen Wartezeit
am 1. Oktober 1997 eingetreten; der Anspruch auf eine Invalidenrente
müsse indessen mangels Erfüllung der einjährigen Mindestbeitragsdauer im
genannten Zeitpunkt verneint werden.

    B.- Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die hiegegen
erhobene Beschwerde mit Entscheid vom 30. März 1999 ab.

    C.- B. führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag auf
Zusprechung einer Invalidenrente ab 1. Oktober 1997. Überdies verlangt
sie eine Parteientschädigung zu Lasten der IV-Stelle.

    Während diese ausdrücklich auf eine Stellungnahme zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde verzichtet, beantragt das Bundesamt
für Sozialversicherung (BSV) deren Gutheissung in dem Sinne, dass die
Streitsache zur erneuten Prüfung der versicherungsmässigen Voraussetzungen
an die Verwaltung zurückzuweisen sei.

Auszug aus den Erwägungen:

        Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Der vorliegende Rechtsstreit dreht sich um die Frage, ob am
1. Oktober 1997 ein Invalidenrentenanspruch entstanden ist. Es gelangen
deshalb die im Rahmen der 10. AHV-Revision am 1. Januar 1997 in Kraft
getretenen neuen Bestimmungen zur Anwendung (lit. c Abs. 1 Satz 1 der
Übergangsbestimmungen zur Änderung des AHVG vom 7. Oktober 1994 in
Verbindung mit Ziff. 2 Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung
des IVG).

    a) Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 IVG sind ausländische Staatsangehörige,
vorbehältlich eines hier nicht gegebenen Ausnahmetatbestandes oder
abweichender zwischenstaatlicher Vereinbarungen, nur anspruchsberechtigt,
solange sie ihren Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz
haben und sofern sie bei Eintritt der Invalidität während mindestens
eines vollen Jahres Beiträge geleistet oder sich ununterbrochen während
zehn Jahren in der Schweiz aufgehalten haben.

    Die im Zuge der 10. AHV-Revision erfolgte Neufassung von Art. 6 Abs. 2
IVG bedeutet insofern eine erhebliche Milderung gegenüber dem alten
Recht, als dieses, nebst dem zivilrechtlichen Wohnsitz in der Schweiz,
eine Beitragsleistung während mindestens zehn vollen Jahren oder eine
ununterbrochene Karenzzeit eines 15-jährigen schweizerischen Wohnsitzes
verlangte. Was allein die Mindestbeitragsdauer für den Anspruch auf eine
ordentliche Invalidenrente anbelangt, führte die dargelegte Neuregelung
in jedem Fall zu einer Gleichstellung der Ausländer mit den Schweizer
Bürgern, indem nämlich Art. 36 Abs. 1 IVG seit jeher voraussetzt, dass
die rentenberechtigten Versicherten bei Eintritt der Invalidität während
mindestens eines vollen Jahres Beiträge geleistet haben (vgl. BGE 121 V
247 f. Erw. 1b).

    b) Gemäss Art. 36 Abs. 2 IVG sind für die Berechnung der ordentlichen
Invalidenrenten - vorbehältlich Abs. 3 - die Bestimmungen des AHVG
sinngemäss anwendbar (vgl. hiezu BGE 124 V 159); der Bundesrat kann
ergänzende Vorschriften erlassen. Laut Art. 32 Abs. 1 IVV in Verbindung
mit Art. 50 AHVV und Art. 29ter Abs. 2 AHVG liegt ein volles Beitragsjahr
vor, wenn eine Person insgesamt länger als elf Monate im Sinne von
Art. 1 oder 2 AHVG versichert war und während dieser Zeit entweder den
Mindestbeitrag bezahlt hat (Variante 1) oder aber Beitragszeiten aufweist,
in welchen der Ehegatte gemäss Art. 3 Abs. 3 AHVG mindestens den doppelten
Mindestbeitrag entrichtet hat (Variante 2), oder für welche Erziehungs-
oder Betreuungsgutschriften angerechnet werden können (Variante 3).

    Im Gegensatz zur Rechtslage vor Inkrafttreten der 10. AHV-Revision
(altArt. 29 Abs. 1 AHVG bzw. Art. 36 Abs. 1 IVG, je unter dem Blickwinkel
von altArt. 3 Abs. 2 lit. b und altArt. 29bis Abs. 2 AHVG; BGE 111
V 106 Erw. 1b, 110 V 280 Erw. 1a, je mit Hinweisen) ist somit nach
neuem Recht bei der Ermittlung der einjährigen Mindestbeitragsdauer
für den ordentlichen Rentenanspruch gemäss AHVG und IVG eine persönliche
Beitragsentrichtung nicht mehr erforderlich. Abgesehen von der Möglichkeit
der Anrechnung von Erziehungs- oder Betreuungsgutschriften im Sinne der
Art. 29sexies und 29septies AHVG kann eine nie erwerbstätig gewesene
Person das gesetzliche Erfordernis des Mindestbeitragsjahres nach Art. 36
Abs. 1 IVG (und Art. 6 Abs. 2 IVG; Erw. 1a hievor in fine) auch dadurch
erfüllen, dass sie insgesamt länger als elf Monate (obligatorisch oder
freiwillig) versichert und während dieser Zeit mit einem erwerbstätigen
Ehegatten verheiratet war, der Beiträge von mindestens der doppelten Höhe
des Mindestbeitrages bezahlt hat (Art. 32 Abs. 1 IVV in Verbindung mit
Art. 50 AHVV sowie Art. 3 Abs. 3 lit. a und Art. 29ter Abs. 2 lit. b AHVG).

Erwägung 2

    2.- Die seit November 1995 (Einreise in die Schweiz) gemäss
Art. 1 Abs. 1 lit. a AHVG (in Verbindung mit Art. 1 IVG) obligatorisch
versicherte Beschwerdeführerin hat unbestrittenermassen vor Eintritt der
Invalidität am 1. Oktober 1997 persönlich keine Beiträge bezahlt, weil sie
nach der am 27. Dezember 1995 erfolgten Heirat bis zur Aufnahme einer
Teilzeitarbeit anfangs Mai 1998 ausschliesslich den ehelichen Haushalt
führte. Mit Blick auf das hievor Gesagte stellt sich hingegen die Frage,
inwieweit ihr Ehemann während des in Frage stehenden Zeitraums (Dezember
1995 bis September 1997) als Erwerbstätiger mindestens den doppelten
Mindestbeitrag entrichtet hat. Da sich darauf den vorliegenden Akten
keine abschliessende Antwort entnehmen lässt, ist die Streitsache - in
Übereinstimmung mit der vom BSV vertretenen Auffassung - an die Verwaltung
zurückzuweisen, welche die erforderlichen Abklärungen vorzunehmen und
alsdann über die versicherungsmässigen Voraussetzungen und den Anspruch
der Beschwerdeführerin auf eine ordentliche Invalidenrente neu zu verfügen
haben wird.

Erwägung 3

    3.- (Parteientschädigung)