Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 V 171



125 V 171

25. Auszug aus dem Urteil vom 21. April 1999 i.S. X gegen
Personalvorsorgekasse der Stadt Bern und Verwaltungsgericht des Kantons
Bern Regeste

    Art. 331a Abs. 2 OR. Die Vorsorgeeinrichtungen dürfen den während des
Vorsorgeverhältnisses gewährten überobligatorischen Vorsorgeschutz gegen
Tod und Invalidität für die Dauer der einmonatigen Nachdeckung nicht auf
die Mindestleistungen gemäss BVG herabsetzen.

Sachverhalt

    A.- Y war vom 1. November 1995 an bei der Personalvorsorgekasse
der Stadt Bern (nachfolgend: Kasse) berufsvorsorgeversichert. Ihr
Arbeitsverhältnis wurde auf den 30. Juni 1996 aufgelöst, ohne dass Y in
der Folge ein neues Arbeits- bzw. Vorsorgeverhältnis einging. Die Kasse
überwies den Freizügigkeitsanspruch im Betrag von Fr. 36'159.60 zuzüglich
Verzugszins auf ein Freizügigkeitssparkonto. Y verstarb am 20. Juli 1996
und hinterliess ihren Ehemann X sowie zwei Söhne.

    X beantragte bei der Kasse die Ausrichtung der gesetzlichen und
reglementarischen Leistungen, insbesondere einer Witwerrente sowie
der Waisenrenten. Mit der Begründung, dass nach der Auflösung des
Arbeitsverhältnisses lediglich noch die Minimalleistungen gemäss BVG
versichert seien, verweigerte die Kasse die Ausrichtung einer Witwerrente
und der das gesetzliche Minimum übersteigenden Waisenrenten. Da
nicht gleichzeitig Anspruch auf die Freizügigkeitsleistung und
Hinterlassenenleistungen bestehe und die gesetzlichen Waisenrenten
sich jährlich lediglich auf je Fr. 643.85 belaufen und den Betrag der
Austrittsleistung auch bei Ausrichtung bis zum 25. Altersjahr beider
Söhne nicht erreichen würden, erklärte sich die Kasse bereit, von der
Zusprechung der (gesamthaft niedrigeren) Waisenrenten abzusehen und den
Hinterbliebenen die (höhere) Freizügigkeitsleistung zu belassen.

    B.- Klageweise beantragte X beim Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
die Kasse sei zur Ausrichtung der reglementarischen Witwerrente im Betrag
von Fr. 8'051.40 jährlich zu verpflichten. Die Kasse anerkannte den
Witwerrentenanspruch im Betrag der gesetzlichen Witwenrente (jährlich
Fr. 1'925.55), beantragte aber die Rückerstattung der ausgerichteten
Freizügigkeitsleistung.

    In teilweiser Gutheissung der Klage verpflichtete das Gericht die Kasse
zur Ausrichtung einer jährlichen Ehegattenrente von Fr. 1'925.55, da X die
reglementarischen Anspruchsvoraussetzungen erfülle, und verpflichtete ihn
anderseits zur Rückerstattung der Freizügigkeitsleistung (Entscheid vom 10.
September 1997). Hinsichtlich der Höhe der Witwerrente ging das Gericht
davon aus, dass es einer Vorsorgeeinrichtung, die überobligatorische
Leistungen erbringe, unbenommen sei, für den Fall des Risikoeintritts nach
Auflösung des Arbeitsverhältnisses, d.h. während der Nachdeckungszeit, eine
Reduktion des Vorsorgeschutzes auf das gesetzliche Minimum vorzusehen. Die
gesetzlichen Bestimmungen betreffend die Nachdeckung im obligatorischen
und überobligatorischen Bereich beschränkten sich auf die zeitliche
Festsetzung der Weiterdauer des Vorsorgeschutzes, gewährleisteten aber
nicht eine bestimmte Leistungshöhe.

    C.- Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde erneuert X den beim kantonalen
Gericht gestellten Antrag.

    Die Kasse und das Bundesamt für Sozialversicherung schliessen je auf
Abweisung der Beschwerde.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- a) Die Vorsorgeeinrichtungen sind im Rahmen des BVG (Art. 6
ff., Art. 49 Abs. 1 BVG), der Vorschriften des Obligationenrechts über
die Personalvorsorge (Art. 331-331e in Verbindung mit Art. 361/62 OR)
und der allgemeinen Rechtsgrundsätze in der Gestaltung ihrer Leistungen
frei. Anzumerken gilt, dass die Bestimmungen der Art. 331a-e OR auch
bei öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen anwendbar sind (Art. 342
Abs. 1 lit. a OR).

    b) Beim Tod von Mitgliedern oder Rentenberechtigten der
Personalvorsorgekasse der Stadt Bern haben die überlebenden Ehegatten
Anspruch auf eine Ehegattenrente, wenn sie für den Unterhalt eines oder
mehrerer Kinder aufkommen müssen (Art. 39 Abs. 1 lit. a Reglement). Diese
[nach Art. 40 des Reglements berechnete] Rente beläuft sich auf einen
höheren Betrag als die Witwenrente gemäss den Bestimmungen des BVG. Die
Mitgliedschaft endet, wenn das Dienst- oder Arbeitsverhältnis aufgelöst
wird (Art. 8 Abs. 2 Reglement). Gemäss Art. 8 Abs. 3 des Reglements bleiben
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Risiken Tod oder Invalidität
während 30 Tagen nach der Auflösung ihres Dienst- und Arbeitsverhältnisses
bei der Pensionskasse für die Minimalleistungen gemäss BVG versichert,
sofern sie nicht vorher ein neues Dienst- oder Arbeitsverhältnis
begonnen haben, für das sie der obligatorischen Versicherung gemäss BVG
unterstehen. Im Hinblick auf die Inkraftsetzung des Freizügigkeitsgesetzes
auf den 1. Januar 1995 beschloss die Verwaltungskommission der Kasse
am 2. Dezember 1994 - vorerst ohne das Reglement formell anzupassen
(vgl. Art. 27 Abs. 2 FZG) -, dass die Bestimmungen des neuen Gesetzes für
die von seinem Inkrafttreten an erfolgenden Austritte gültig und anders
lautende Bestimmungen des Personalvorsorgereglements von diesem Datum an
nicht mehr gültig seien.

Erwägung 4

    4.- Vorliegend steht fest, dass die Ehefrau des Beschwerdeführers laut
den reglementarischen Bestimmungen im Zeitpunkt ihres Todes nicht mehr
Mitglied der Kasse war, da ihr Arbeitsverhältnis - wenn auch weniger als 30
Tage - vorher aufgelöst worden war, sodass gemäss Reglement lediglich noch
für die Minimalleistungen in der Höhe der Hinterlassenenleistungen nach
BVG Deckung bestand. Mit der Zusprechung einer Ehegattenrente im Betrag
der gesetzlichen Mindestrente für Witwen hat die Vorinstanz nicht nur den
Mindestanspruch gemäss BVG, sondern auch den dem Beschwerdeführer nach
Art. 8 Abs. 3 Reglement zustehenden Anspruch auf Ehegattenrente bejaht.

    Der Beschwerdeführer beansprucht aber darüber hinaus eine
Ehegattenrente im Betrag, der ausgerichtet worden wäre, wenn seine Ehefrau
während der Dauer ihrer Mitgliedschaft gestorben wäre. Es ist deshalb
zu prüfen, ob die Einschränkung der Versicherungsdeckung für die Dauer
der Nachfrist auf den Betrag der gesetzlichen Mindestleistungen gemäss
Art. 8 Abs. 3 Reglement rechtmässig ist.

Erwägung 5

    5.- a) Art. 331a OR bestimmt, dass der Vorsorgeschutz an dem Tag
endet, an welchem der Arbeitnehmer die Vorsorgeeinrichtung verlässt
(Abs. 1). Der Arbeitnehmer geniesst jedoch einen Vorsorgeschutz gegen Tod
und Invalidität, bis er in ein neues Vorsorgeverhältnis eingetreten ist,
längstens aber während eines Monats (Abs. 2). Für den nach Beendigung des
Vorsorgeverhältnisses gewährten Vorsorgeschutz kann die Vorsorgeeinrichtung
vom Arbeitnehmer Risikobeiträge verlangen (Abs. 3). Von diesen Vorschriften
darf zu Ungunsten des Arbeitnehmers nicht abgewichen werden (Art. 362
Abs. 1 OR). Sie stimmen inhaltlich mit dem für den Obligatoriumsbereich
geltenden Art. 10 Abs. 3 BVG überein.

    b) Art. 331a OR wurde - wie Art. 10 Abs. 3 BVG - mit dem Inkrafttreten
des Freizügigkeitsgesetzes (FZG) am 1. Januar 1995 abgeändert. Bis dahin
hatten in der überobligatorischen Vorsorge gesetzliche Bestimmungen
über das Ende des Vorsorgeschutzes gefehlt. Durch die neue Vorschrift
sollte der Übergang des Vorsorgeschutzes für Tod und Invalidität bis zum
Eintritt in ein neues Vorsorgeverhältnis möglichst lückenlos gewährleistet
werden. Indem sie dem für das Obligatorium geltenden Art. 10 Abs. 3 BVG
entspricht, bedeutet diese Regelung nach Auffassung des Bundesrates eine
Vereinfachung für Vorsorgeeinrichtungen, deren Leistungen diejenigen der
BVG-Minimalvorschriften übersteigen (Botschaft zum Freizügigkeitsgesetz
vom 26. Februar 1992, BBl 1992 III 603). Die Änderung wurde in den Räten
diskussionslos angenommen (Amtl.Bull. 1992 N 2460, 1993 S 571 f.).

    c) Ob die Vorsorgeeinrichtungen befugt sind, den Vorsorgeschutz während
der Dauer der Nachdeckung gegenüber demjenigen während des bestehenden
Vorsorgeverhältnisses zu reduzieren, wurde vom Eidg. Versicherungsgericht
bisher nicht entschieden. In der Literatur findet sich, soweit
ersichtlich, lediglich im Handbuch der Personalvorsorge-Aufsicht
des Amtes für berufliche Vorsorge des Kantons Zürich (Separatum
Freizügigkeit/Wohneigentumsförderung, Zürich 1994, S. 42) der Hinweis,
dass infolge der Neufassung von Art. 331a Abs. 2 OR eine Beschränkung
der Nachdeckung auf die obligatorischen Mindestleistungen nicht mehr
zulässig sei.

    d) aa) Vorinstanz, Kasse und Bundesamt machen geltend, gemäss
Art. 49 Abs. 1 BVG müssten die Vorsorgeeinrichtungen nur die
gesetzlichen Mindestleistungen erbringen, sodass eine Reduktion auf das
gesetzliche Minimum zulässig sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass die
Vorsorgeeinrichtungen zwar nicht verpflichtet sind, reglementarisch
überobligatorische Leistungen zu gewähren, dass dadurch aber nicht
entschieden ist, unter welchen Voraussetzungen eine Rücknahme der einmal
zugesagten Deckung zulässig ist. Vorliegend fällt entscheidend ins Gewicht,
dass der für den überobligatorischen Bereich geltende Art. 331a Abs. 2 OR
die Weiterdauer des Vorsorgeschutzes für die Risiken Tod und Invalidität
während eines Monats über das Ende des Vorsorgeverhältnisses hinaus
vorschreibt. Hätte die Gesetzgebung eine Fortdauer des Vorsorgeschutzes
auf dem Niveau der gesetzlichen Mindestleistungen genügen lassen wollen,
hätte sie es bei der Revision von Art. 10 Abs. 3 BVG bewenden lassen
können. Die zur Neuformulierung von Art. 331a Abs. 2 OR angegebenen
Gründe können nur dahin gehend verstanden werden, dass der während der
Dauer des Vorsorgeverhältnisses bestehende Schutz für die Risiken Tod und
Invalitität während der Nachdeckung auch betraglich im bisherigen Rahmen
weiter bestehen soll. Ein Absinken auf das gesetzliche Minimum würde zwar
nicht eine vollständige, aber doch eine teilweise Lücke im Vorsorgeschutz
bedeuten. Indem die neue Bestimmung für die Vorsorgeeinrichtungen eine
Vereinfachung bringen sollte, ging die Gesetzgebung offensichtlich davon
aus, dass für die Dauer der Nachdeckung keine Sonderregelungen getroffen
werden können, sondern der Vorsorgeschutz - wie im Obligatoriumsbereich -
für die genannten beiden Risiken unverändert fortgeführt wird. Entgegen
der Auffassung der Vorinstanz hat Art. 331a OR nicht nur eine zeitliche,
sondern auch eine massliche Bedeutung.

    bb) Es kann der Kasse auch keineswegs darin beigepflichtet werden,
dass der Vorsorgeschutz nach Art. 331a Abs. 2 OR nur dann ungeschmälert zu
bejahen ist, wenn die Vorsorgeeinrichtung nichts Abweichendes statuiert
hat. Wie bereits erwähnt, darf diese Bestimmung gemäss Art. 362 Abs. 1
OR nicht zu Ungunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abgeändert
werden. Es kann deshalb offen bleiben, ob die abweichende Regelung der
Kasse in Art. 8 Abs. 3 Reglement nicht auch im Hinblick auf den erwähnten
(Erw. 3b hievor) Beschluss der Verwaltungskommission vom 2. Dezember 1994
nach Inkrafttreten von Art. 331a OR nicht mehr anwendbar war.

    Schliesslich ist dem deutschen (sowie dem diesbezüglich
übereinstimmenden französischen) Wortlaut von Art. 331a Abs. 2 OR, wonach
der Arbeitnehmer "einen Vorsorgeschutz" geniesst ("bénéficie toutefois
d'une protection de prévoyance"), - entgegen der Auffassung der Kasse -
nicht schlüssig zu entnehmen, dass es im Belieben der Vorsorgeeinrichtung
stehe, in welchem Umfang sie Vorsorgeschutz gewähren will, ja, dass
sie den bisherigen überobligatorischen Schutz gänzlich aufheben dürfe
(vgl. immerhin die italienische Fassung dieser Bestimmung: "beneficia
della protezione di previdenza"). Als für die Auslegung aufschlussreicher
erweist sich Abs. 3 von Art. 331a OR, namentlich in der französischen
und italienischen Version: "... la prévoyance maintenue ..." und "... la
previdenza mantenuta ...", was klar auf den bisherigen Versicherungsumfang
für die Risiken Tod und Invalidität hinweist.

    e) Zusammenfassend ist der Anspruch des Beschwerdeführers auf eine
nach Art. 40 des Reglements berechnete Ehegattenrente zu bejahen.