Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 I 492



125 I 492

45. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 11.
November 1999 i.S. G. gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich,
Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Winterthur, Obergericht und
Kassationsgericht des Kantons Zürich (staatsrechtliche Beschwerde) Regeste

    Art. 86 OG und Art. 87 OG, Art. 90 Abs. 1 lit. b OG.  Staatsrechtliche
Beschwerde gegen das Urteil einer letzten kantonalen Rechtsmittelinstanz
mit beschränkter Überprüfungsbefugnis.

    Auch wenn das unterinstanzliche kantonale Urteil nach der
"Dorénaz-Praxis" formell nicht mitangefochten werden kann, darf und
muss sich der Beschwerdeführer in der Begründung der staatsrechtlichen
Beschwerde materiell gegen dessen Beweiswürdigung, die die letzte -
mit beschränkter Prüfungsbefugnis ausgestattete - kantonale Instanz als
nicht willkürlich befand, wenden. Er hat sich allerdings gleichzeitig mit
der Begründung des allein Anfechtungsobjekt bildenden letztinstanzlichen
kantonalen Urteils auseinander zu setzen und aufzuzeigen, dass und weshalb
darin eine willkürliche Beweiswürdigung der unteren Instanz zu Unrecht
verneint wurde. Diese Frage prüft das Bundesgericht frei.

Sachverhalt

    Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Winterthur sprach G. am
22. Dezember 1994 der Gewalt und Drohung gegen Beamte im Sinne von Art. 285
Ziff. 1 StGB schuldig.

    Hiergegen gelangte G. mit Berufung an das Obergericht des Kantons
Zürich.

    Dieses bestätigte am 9. Oktober 1997 den Schuldspruch.

    Eine hiergegen erhobene kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wies das
Kassationsgericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom 3. Mai 1999 ab,
soweit es darauf eintrat.

    Gegen diesen Beschluss sowie gegen das Urteil des Obergerichts vom
9. Oktober 1997 erhob G. staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung
des Willkürverbots, des Grundsatzes der Unschuldsvermutung und des
Beschleunigungsgebots.

    Das Bundesgericht tritt auf die Beschwerde teilweise nicht ein.

Auszug aus den Erwägungen:

                      Aus den Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Die staatsrechtliche Beschwerde ist grundsätzlich nur gegen
letztinstanzliche Entscheide zulässig (Art. 86 und 87 OG).

    aa) Der Beschwerdeführer beantragt ausser der Aufhebung des Urteils des
Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 3. Mai 1999 auch die Aufhebung
des Urteils des Obergerichts vom 9. Oktober 1997. Er stützt sich dabei auf
die in BGE 94 I 459 ff. begründete sogenannte "Dorénaz-Praxis", wonach das
Urteil einer unteren In-stanz mitangefochten werden kann, wenn die letzte
kantonale Instanz dieses nur mit beschränkter Kognition hat überprüfen
dürfen. Das Bundesgericht hat diese Ausnahmeregel indessen in einer seit
BGE 111 Ia 353 E. 1b gefestigten Rechtsprechung eingeschränkt. Sie gilt
danach nur, wenn die Möglichkeit der Aufhebung des unterinstanzlichen
kantonalen Urteils zur Wahrung des vollen Rechtsschutzes erforderlich
ist. Dies ist der Fall, wenn entweder der letzten kantonalen Instanz
nicht sämtliche vor Bundesgericht erhobenen Rügen unterbreitet werden
konnten, oder wenn solche Rügen zwar von der letzten kantonalen Instanz
zu beurteilen waren, jedoch mit einer engeren Prüfungsbefugnis, als sie
dem Bundesgericht zusteht (BGE 118 Ia 165 E. 2b S. 169; 117 Ia 412 E. 1b
S. 414; vgl. auch BGE 120 Ia 19 E. 2b S. 23).

    bb) Der Beschwerdeführer rügt hauptsächlich, die Beweiswürdigung der
kantonalen Instanzen sei willkürlich, und macht geltend, die Nichtabnahme
von beantragten Zeugenbeweisen laufe auf eine Verweigerung des rechtlichen
Gehörs hinaus. Ausser auf Art. 4 BV beruft sich der Beschwerdeführer auch
auf den Grundsatz der Unschuldsvermutung gemäss Art. 6 Ziff. 2 EMRK sowie
das Beschleunigungsgebot im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 EMRK.

    Damit werden keine Rügen vorgebracht, die vom Zürcher Kassationsgericht
im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde gemäss § 430 Abs. 1 Ziff. 4 und 5 der
Strafprozessordnung des Kantons Zürich vom 4. Mai 1919 (StPO/ZH) nicht
oder nur mit einer eingeschränk-teren Überprüfungsbefugnis beurteilt
werden konnten als vom Bundesgericht im Rahmen der staatsrechtlichen
Beschwerde (vgl. hierzu Donatsch/Schmid, Kommentar zur StPO des Kantons
Zürich, Zürich 1998, Rz. 20 f. zu § 430 StPO/ZH; vgl. auch BGE 106 IV 85
E. 2a). Soweit mit der vorliegenden Beschwerde auch das obergerichtliche
Urteil formell angefochten, d.h. dessen Aufhebung verlangt wird, kann
deshalb darauf nicht eingetreten werden.

    cc) Das Bundesgericht prüft frei, ob das Kassationsgericht auf
eine in einer kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde gegen ein Urteil des
Obergerichts vorgebrachte Rüge der willkürlichen Beweiswürdigung hin zu
Unrecht Willkür verneint und diese Verfassungsverletzung nicht behoben
hat (BGE 111 Ia 353 E. 1b S. 355 mit Hinweis). Diese Prüfung läuft aber
regelmässig darauf hinaus zu beurteilen, ob das Obergericht die Beweise
willkürlich gewürdigt habe; trifft dies zu, hätte das Kassationsgericht
Willkür bejahen müssen, und im gegenteiligen Fall hat es zu Recht Willkür
verneint. Bei der Begründung der Rüge, das Kassationsgericht habe Willkür
zu Unrecht verneint, darf und muss sich der Beschwerdeführer daher auch
entsprechend mit den Erwägungen des Obergerichts auseinandersetzen. Mit
anderen Worten kann er zwar, wie angeführt, nicht formell die Aufhebung
des obergerichtlichen Urteils verlangen, darf und muss sich aber
materiell gegen dessen durch das Kassationsgericht überprüfte und
als nicht willkürlich befundene Beweiswürdigung wenden. Da allein das
Urteil des Kassationsgerichts Anfechtungsobjekt der staatsrechtlichen
Beschwerde sein kann, muss dies jedoch über die Anfechtung dieses Urteils
und dessen Begründung erfolgen; d.h. es muss dabei immer darum gehen,
aufzuzeigen, dass und weshalb das Kassationsgericht entgegen seinen
Erwägungen eine Verletzung des Willkürverbots zu Unrecht verneint hat. Der
Beschwerdeführer darf sich deshalb nicht auf eine reine Wiederholung
der vor Kassationsgericht gegen das obergerichtliche Urteil erhobenen
Rügen beschränken, sondern hat sich zugleich mit der Begründung des
Kassationsgerichts auseinander zu setzen; andernfalls genügt seine
staatsrechtliche Beschwerde den Begründungsanforderungen (nachfolgend
E. 1b) nicht. Das Gebot, den kantonalen Instanzenzug auszuschöpfen,
hätte wenig Sinn, wenn das Bundesgericht die selben Rügen, die bereits im
kantonalen Rechtsmittelverfahren geprüft worden sind, einfach nochmals
behandeln würde (BGE 111 Ia 353 E. 1b S. 354), das will heissen, ohne
dass die Begründung des letztinstanzlichen kantonalen Entscheides in der
Beschwerde substanziiert gerügt werden und entsprechende Berücksichtigung
finden müsste.

    b) Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss eine staatsrechtliche Beschwerde
die wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber
enthalten, welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze
und inwiefern sie durch den angefochtenen Entscheid verletzt worden
sind. Im staatsrechtlichen Beschwerdeverfahren prüft das Bundesgericht
nur klar und detailliert erhobene Rügen. Auf ungenügend begründete
Rügen und rein appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt
es nicht ein (vgl. BGE 125 I 71 E. 1c; 122 I 70 E. 1c; 117 Ia 10 E. 4b;
107 Ia 186 E. b, je mit Hinweisen). Es genügt namentlich nicht, wenn der
Beschwerdeführer mit pauschalen Vorbringen behauptet, der Entscheid des
Obergerichts sei willkürlich und damit auch jener des Kassationsgerichts,
der dies verneint. Er hat vielmehr im Einzelnen zu zeigen, inwiefern das
Kassationsgericht zu Unrecht verneint haben soll, dass die Beweiswürdigung
des Obergerichts offensichtlich unhaltbar sei, mit der tatsächlichen
Situation in krassem und offensichtlichem Wider-spruch stehe, eine
Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletze oder in
stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufe (vgl. BGE 120
Ia 31 E. 4b; ferner 124 I 247 E. 5; 123 I 1 E. 4a; 110 Ia 1 E. 2a, je
mit Hinweisen). Auch soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung des
Grundsatzes "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel geltend macht,
muss er im Einzelnen aufzeigen, inwiefern das Kassationsgericht zu Unrecht
verneint haben soll, dass das Obergericht im Ergebnis eine willkürliche
Beweiswürdigung vornahm, d.h. den Beschwerdeführer verurteilte, obgleich
bei objektiver Betrachtung des ganzen Beweisergebnisses offensichtlich
erhebliche bzw. schlechterdings nicht zu unterdrü-ckende Zweifel an
seiner Schuld fortbestanden (vgl. BGE 120 Ia 31 E. 2d S. 38 und E. 4b;
ferner BGE 124 IV 86 E. 2a, je mit Hinweisen).

    Diesen Anforderungen vermag die Eingabe vom 28. Juni 1999 in weiten
Teilen nicht zu genügen. Der Beschwerdeführer begnügt sich namentlich
über weite Strecken damit, in teils wortwörtlicher Wiederholung von
bereits vor Kassationsgericht vorgetragenen Rügen die obergerichtliche
Beweiswürdigung zu kritisieren, ohne sich in rechtsgenügender Weise mit
den dazu angestellten Erwägungen des Kassationsgerichts auseinander
zu setzen. Verschiedene Teile der Beschwerdeschrift lassen damit im
dargelegten Sinn ausreichend substanziierte Verfassungsrügen gegen den
Entscheid des Kassationsgerichts vermissen, wie in den nachfolgenden
Erwägungen aufzuzeigen ist. Insofern kann auf die Beschwerde nicht
eingetreten werden.