Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 I 127



125 I 127

15. Auszug aus dem Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 2.
Dezember 1998 i.S. Demokratische JuristInnen der Schweiz (DJS) und
Mitbeteiligte gegen Kanton Basel-Landschaft (staatsrechtliche Beschwerde)
Regeste

    Anonymität von V-Personen im Strafverfahren, Revision der
Strafprozessordnung des Kantons Basel-Landschaft, Art. 4 BV und Art. 6
Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK.

    Befragung von Belastungszeugen und Verwertbarkeit anonymer Zeugnisse
im Lichte der Rechtsprechung zum Gebot eines fairen Verfahrens (E. 6).

    Allgemeine Hinweise zum Zeugenschutz (E. 7).

    Schwierigkeiten einer effektiven Verteidigung angesichts von
Aussagen anonymer Zeugen (E. 8). Ausgleich durch Verfahrensmassnahmen
(E. 9). Abwägung der entgegenstehenden Interessen; verfassungs- und
konventionskonforme Anwendung der Bestimmungen über die Aufrechterhaltung
der Anonymität von V-Personen (E. 10).

Sachverhalt

    A.- Der Regierungsrat des Kantons Basel-Landschaft unterbreitete dem
Landrat des Kantons Basel-Landschaft im Herbst 1995 eine Vorlage für ein
einheitliches neues Polizeigesetz. Diese enthielt einen Abschnitt über
den Einsatz von V-Personen, welcher in die Strafprozessordnung eingefügt
werden sollte. Der Landrat hat die Änderung der Strafprozessordnung formell
von der Vorlage des Polizei-gesetzes abgetrennt. Am 28. November 1996 hat
er die Bestimmungen über den Einsatz von V-Personen beschlossen und das
Gesetz betreffend die Strafprozessordnung (StPO) verabschiedet. Dieses
ist in der Volksabstimung vom 2. März 1997 angenommen worden.

    Das Gesetz betreffend die Strafprozessordnung hat folgenden Wortlaut:
      § 100e  Anordnung, Genehmigung des Einsatzes und
      Vertraulichkeitszusage 1Als V-Person im Sinne dieses Gesetzes
      gilt, wer: a. aufgrund eines besonderen Auftrages im Rahmen der
      Strafverfolgung zur

    Aufklärung einer schweren Straftat eingesetzt wird und
      b. konkretisierend auf das Handlungsgeschehen einwirkt, ohne
      gegenüber

    Dritten Identität und Funktion offen zu legen.
      2Der Statthalter oder die Statthalterin kann den Einsatz von
      V-Personen

    anordnen. Die Anordnung ist zu begründen und bedarf der Genehmigung
durch

    die präsidierende Person der Überweisungsbehörde.
      3Die Anordnung bleibt höchstens drei Monate in Kraft. Sie kann
      durch den

    Statthalter oder die Statthalterin in begründeten Fällen um jeweils

    höchstens drei Monate verlängert werden. Die Verlängerung bedarf der

    Genehmigung durch die präsidierende Person der Überweisungsbehörde.
      4Die Genehmigung kann auf begründeten Antrag des Statthalters
      oder der

    Statthalterin mit der Vertraulichkeitszusage verbunden werden. Die

    Vertraulichkeit wird zugesagt, wenn zureichende Gründe zur Befürchtung

    Anlass geben, dass der V-Person oder Dritten bei Bekanntwerden
der wahren

    Identität schwerwiegende Nachteile drohen.
      5Durch die Vertraulichkeitszusage wird die wahre Identität der
      V-Person

    auch nach Abschluss eines Einsatzes geheimgehalten, insbesondere im

    gerichtlichen Verfahren und in den Verfahrensakten.
      6Ungeachtet der Vertraulichkeitszusage teilt die präsidierende Person

    der Überweisungsbehörde die wahre Identität dem Präsidenten oder der

    Präsidentin des Strafgerichts beziehungsweise des Obergerichts
auf Anfrage

    hin mit. Diese sind ihrerseits gebunden an die Vertraulichkeitszusage

    gegenüber Dritten, eingeschlossen die Richterinnen und Richter.
      § 100f  Voraussetzungen des Einsatzes 1Der Einsatz von V-Personen
      ist zulässig, wenn: a. die Schwere der Straftat, für die Tatverdacht
      besteht, diese Massnahme

    rechtfertigt, und
      b. andere Untersuchungshandlungen erfolglos geblieben sind oder
      weniger

    eingreifende Massnahmen wahrscheinlich nicht ausreichen.
      2Die Straftat wiegt insbesondere schwer, wenn es sich um ein
      Verbrechen

    handelt und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie Bezüge zur
organisierten

    Kriminalität aufweist.
      § 100g  Instruktion, Begleitung und Überwachung des Einsatzes von

    V-Personen
      1Das Statthalteramt instruiert, begleitet und überwacht die
      V-Personen.  2Die V-Personen berichten dem Statthalteramt regelmässig
      über ihren

    Einsatz

    und über ihre Feststellungen.
      3Den V-Personen dürfen keine Erfolgsprämien ausgerichtet
      werden.  4Der Einsatz der V-Personen, insbesondere Instruktion,
      Berichterstattung

    und Überwachung werden aktenmässig festgehalten.
      5Die Akten über nichtbeschuldigte Personen werden vernichtet,
      wenn sie

    für

    das Verfahren nicht mehr benötigt werden, spätestens jedoch mit

    rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens.
      § 100h  Unzulässiges Verhalten der V-Personen 1Die V-Personen
      dürfen keine Aktivitäten entfalten, die geeignet sind: a. den
      Tatentschluss der verdächtigten Person hervorzurufen; b. den
      bestehenden Tatentschluss zu erweitern.  2Überschreiten die
      V-Personen die Schranken des zulässigen Verhaltens, so

    dürfen die dadurch unmittelbar gewonnenen Erkenntnisse nicht zum
Nachteil

    der angeschuldigten Person verwendet werden.
      § 100i  Abbruch des Einsatzes der V-Personen Der Statthalter oder
      die Statthalterin bricht den Einsatz von V-Personen

    unverzüglich ab, wenn
      a. die Voraussetzungen des Einsatzes nicht mehr erfüllt sind,
      b die V-Personen die Grenzen des zulässigen Einsatzes überschritten

    haben,
      c. die V-Personen in schwerwiegender Weise von den Instruktionen

    abgewichen

    sind.
      § 100k  Mitteilungspflicht 1Spätestens nach Abschluss der
      Strafuntersuchung ist den betroffenen

    Personen mitzuteilen, dass die Massnahme des Einsatzes von V-Personen
gegen

    sie ergriffen worden ist.
      2Die Mitteilung kann jedoch mit Zustimmung des Präsidenten oder der

    Präsidentin der Überweisungsbehörde unterbleiben, wenn für ein
laufendes

    oder für ein unmittelbar bevorstehendes Strafverfahren schwere
Nachteile,

    die den Verzicht auf die Mitteilung überwiegen, zu befürchten wären.
      3Der Statthalter oder die Statthalterin informiert die präsidierende

    Person

    der Überweisungsbehörde über den Abschluss des Einsatzes der V-Person.
      § 100l  Zufallsfunde Werden den V-Personen bei der ordnungsgemässen
      Auftragserfüllung andere

    Straftaten als die in der Anordnung aufgeführten bekannt, so können
diese

    mit nachträglicher Genehmigung der präsidierenden Person der

    Überweisungsbehörde verfolgt werden, wenn auch bezüglich dieser
Straftaten

    die Voraussetzungen des Einsatzes von V-Personen gemäss § 100f erfüllt

    waren.
      § 100m  Einvernahme als Zeuge oder als Zeugin 1Die angeschuldigte
      Person hat das Recht, die V-Personen vor Gericht als

    Zeugen oder als Zeuginnen befragen zu lassen.
      2Das Gericht trifft die für den Schutz der V-Personen und für die

    Einhaltung der Vertraulichkeitszusage erforderlichen Massnahmen. Es
kann zu

    diesem Zweck:
      a. auf die Bekanntgabe der Personalien der V-Personen verzichten,
      b. die Öffentlichkeit für die Befragung der V-Personen ausschliessen,
      c. durch geeignete Massnahmen wie optische Abschirmung oder

    Stimmenverzerrung die Identität der V-Personen verbergen.
      3Bei Vorliegen der Vertraulichkeitszusage ist in jedem Fall auf die

    Bekanntgabe der Personalien der V-Personen zu verzichten.
      4In den Fällen von Absatz 2 vergewissert sich der Präsident oder die

    Präsidentin des Strafgerichts beziehungsweise des Obergerichts,
dass die

    V-Person glaubwürdig ist.
      § 100n  Akteneinsichtsrecht 1Die angeschuldigte Person hat das Recht,
      in die Akten über den Einsatz

    der V-Personen Einsicht zu nehmen.
      2Die Akteneinsicht wird verweigert oder eingeschränkt, soweit dies

    aufgrund

    der Vertraulichkeitszusage, eines überwiegenden öffentlichen Interesses

    oder eines überwiegenden Interesses einer Drittperson oder der

    V-Person erforderlich erscheint.
      3Der Statthalter oder die Statthalterin ist für die Gewährung der

    Akteneinsicht zuständig.

    Die Regionalgruppe Basel des Vereins Demokratische JuristInnen
der Schweiz (DJS) und weitere Mitbeteiligte fechten die Änderung der
Strafprozessordnung mit staatsrechtlicher Beschwerde beim Bundesgericht an.
Sie machen hinsichtlich der Anonymität von V-Personen eine Verletzung
der Grundsätze eines fairen Verfahrens und der Verteidigungsrechte im
Strafverfahren geltend und verlangen die Aufhebung von § 100e Abs. 5 und
Abs. 6 und § 100m Abs. 4 StPO.

    Das Bundesgericht weist die staatsrechtliche Beschwerde ab.

Auszug aus den Erwägungen:

                       Aus den Erwägungen:

Erwägung 3

    3.- Die angefochtene Revision der Strafprozessordnung enthält
Regeln über den Einsatz von V-Personen. Die Bestimmungen umschreiben
allgemein die Anordnung, die Voraussetzungen, die Art, die Instruktion
und Überwachung und den Abbruch von V-Personen-Einsätzen. Im Speziellen
sind die Vertraulichkeitszusage an V-Personen und ihr Auftreten vor
Gericht geregelt.

    Die Beschwerdeführer fechten nicht die ganze StPO-Revision
an. Insbesondere machen sie nicht geltend, der Einsatz von V-Personen
als solcher und die Voraussetzungen hierfür hielten vor Verfassung und
Konvention nicht stand. Trotz ihrer Zweifel am Ausnahmecharakter der
Vertraulichkeitszusage, an der Wirksamkeit der richterlichen Genehmigung
und an den Schutzmassnahmen anlässlich der gerichtlichen Einvernahmen
machen sie daraus keine eigenständigen Beschwerdepunkte.

    Zur Hauptsache konzentrieren die Beschwerdeführer ihre Rügen auf die
Frage der Vertraulichkeitszusage und die Garantie der Anonymität. Sie
sind der Auffassung, die Ordnung der Vertraulichkeitszusage sei mit den
Verteidigungsrechten, wie sie sich aus Art. 4 BV sowie Art. 6 Ziff. 1 und
Ziff. 3 lit. d EMRK ergeben, nicht vereinbar, weil der Beschuldigte in
Anbetracht der Anonymität die Glaubwürdigkeit der V-Person nicht wirksam
in Frage stellen könne. (...)

Erwägung 6

    6.- a) Die Beschwerdeführer berufen sich zur Hauptsache auf Art. 6
Ziff. 1 und Ziff. 3 lit. d EMRK. Danach hat jedermann allgemein Anspruch
auf ein faires Verfahren; der Angeschuldigte hat im Speziellen das Recht,
Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die
Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen
wie die der Belastungszeugen zu erwirken.

    Die Garantien von Art. 6 Ziff. 3 EMRK stellen besondere Aspekte des
Rechts auf ein faires Verfahren gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK dar (Urteil
Kostovski gegen Niederlande, Serie A Nr. 166, Ziff. 39; Urteil Lüdi gegen
die Schweiz, Serie A Nr. 238 = EuGRZ 1992 S. 300, Ziff. 43; Urteil Doorson
gegen Niederlande, Recueil 1996 S. 446, Ziff. 66; Urteil van Mechelen gegen
Niederlande, Recueil 1997 S. 691, Ziff. 49). Der Gerichtshof betrachtete
Beschwerden betreffend die Befragung von Belastungs- und Entlastungszeugen
bzw. von anonymen Zeugen unter dem kombinierten Gesichtswinkel von Ziff. 1
und Ziff. 3 des Art. 6 EMRK (vgl. die vorgenannten Urteile). Auch für den
vorliegenden Fall sind die spezifischen Aspekte der Befragung von Zeugen
am allgemeinen Prinzip des fairen Verfahrens zu messen.

    Dabei ist der Begriff des Zeugen entsprechend der Rechtsprechung
des Gerichtshofs autonom und ohne formelle Bindung an das nationale
Recht auszulegen. Als Aussagen von Zeugen werden all jene betrachtet,
die formell zugelassen sind, dem Gericht zur Kenntnis kommen und von ihm
verwendet werden können; auch in der Voruntersuchung gemachte Aussagen vor
Polizeiorganen werden als Zeugenaussagen betrachtet (Urteil Unterpertinger
gegen Österreich, Serie A Nr. 110 = EuGRZ 1987 S. 147, Ziff. 31; Urteil
Windisch gegen Österreich, Serie A Nr. 186, Ziff. 23; Urteil Delta gegen
Frankreich, Serie A Nr. 191-A, Ziff. 34; Urteil Lüdi, aaO, Ziff. 44;
Urteil Artner gegen Österreich, Serie A Nr. 242-A = EuGRZ 1992 S. 476,
Ziff. 19; Urteil Asch gegen Österreich, Serie A Nr. 203 = EuGRZ 1992 S.
474, Ziff. 25; Urteil Vidal gegen Belgien, Serie A Nr. 235-B = EuGRZ 1992
S. 440, Ziff. 33; Urteil Pullar gegen Grossbritannien, Recueil 1996 S. 783,
Ziff. 45).

    b) Allgemein spricht der Gerichtshof davon, dass alle Beweise
normalerweise in Anwesenheit des Angeklagten in einer öffentlichen
Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung vorgebracht
werden müssen. Das bedeutet indessen nicht, dass ein Zeuge stets vor
Gericht und öffentlich auszusagen hätte. Daher ist die Verwendung von
Aussagen, die im Vorverfahren gemacht worden sind, als solche nicht
unvereinbar mit den Garantien von Art. 6 EMRK, sofern die Rechte der
Verteidigung respektiert worden sind. In der Regel erfordern diese
Rechte, dass der Angeklagte eine angemessene und ausreichende Gelegenheit
zur Widerlegung und Befragung eines Belastungszeugen entweder zu dem
Zeitpunkt, zu dem dieser seine Aussage macht, oder in einem späteren
Verfahrensstadium erhält (Urteil Unterpertinger, aaO, Ziff. 31; Urteil
Kos-tovski, aaO, Ziff. 41; Urteil Windisch, aaO, Ziff. 26; Urteil Asch,
aaO, Ziff. 27; Urteil Lüdi, aaO, Ziff. 47; Urteil Isgrò gegen Italien,
Serie A Nr. 194-A, Ziff. 34; Urteil Ferrantelli gegen Italien, Recueil
1996 S. 937, Ziff. 51; Urteil van Mechelen, aaO, Ziff. 51).

    Das Bundesgericht hat sich in seiner Rechtsprechung verschiedentlich
zur Garantie von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK ausgesprochen (BGE 124 I 274
E. 5 S. 284; 116 Ia 289 E. 3 S. 291; 118 Ia 327; 118 Ia 457 E. 2 S. 458;
118 Ia 462 E. 5 S. 468; 120 Ia 48 E. 2b/aa S. 50 und E. 2e S. 54; 121 I
306 E. 1 S. 307). Es hat in Anlehnung an die Urteile des Gerichtshofes
ausgeführt, dass Beweise im Hinblick auf ein kontradiktorisches
Verfahren grundsätzlich in Anwesenheit des Beschuldigten zu erheben
seien, indessen auch ein Abstellen auf Aussagen aus der Voruntersuchung
zulässig sei. Voraussetzung für ein rechtsstaatliches Verfahren sei,
dass der Beschuldigte belastende Aussagen bestreiten und den Zeugen in
kontradiktorischer Weise Fragen stellen kann. Eine einmalige Gelegenheit
hierfür genüge. Erforderlich sei dabei, dass die Befragung tatsächlich
wirksam ausgeübt werden kann.

    In gleicher Weise wie der Gerichtshof stellt auch das Bundesgericht
den Anspruch auf Befragung von Belastungszeugen in den Zusammenhang mit dem
Anspruch auf ein faires Verfahren und der Wahrung der Verteidigungsrechte
(BGE 116 Ia 289 S. 292; 114 Ia 179 E. a S. 180). Es soll ausgeschlossen
werden, dass ein Strafurteil auf Aussagen von Zeugen abgestützt wird, ohne
dass dem Beschuldigten wenigstens einmal angemessene und hinreichende
Gelegenheit gegeben wird, das Zeugnis in Zweifel zu ziehen und Fragen an
den Zeugen zu stellen (BGE 104 Ia 314 E. 4c S. 318; 116 Ia 289 E. 3a S.
291; 118 Ia 462 E. 5c/bb S. 472). Dieser Anspruch wird heute auch als
Teilgehalt aus Art. 4 BV abgeleitet (BGE 114 Ia 179 E. a S. 180; 103 Ia
490 S. 491; 120 Ia 48 E. b/aa S. 50; die frühere Rechtsprechung hielt
dafür, dass der Anspruch aus Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK über den Gehalt
von Art. 4 BV hinausgehe, BGE 104 Ia 314 E. 4c S. 317; 105 Ia 396 E. 3b
S. 396; ARTHUR HAEFLIGER, Alle Schweizer sind vor dem Gesetze gleich,
Bern 1985, S. 141 und 246).

    c) Diese allgemeinen Ausführungen von Gerichtshof und Bundesgericht zu
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK sind im Folgenden auf ihre einzelnen Elemente
(E. c) und die Problematik der Anonymität (E. d) hin zu analysieren,
um hernach die angefochtenen Bestimmungen daran messen zu können.

    aa) Gerichtshof und Bundesgericht führen aus, dass Beweise in
öffentlicher Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung
vor dem Richter vorzubringen seien, das Abstellen auf Aussagen aus der
Voruntersuchung aber mit Konvention und Bundesverfassung unter Vorbehalt
der Wahrung der Verteidigungsrechte vereinbar sei (vgl. die obenstehenden
Hinweise in E. 6b). Das Bundesgericht hat ausdrücklich festgehalten, dass
weder Bundesverfassung noch Menschenrechtskonvention einen Anspruch auf
schrankenlose Geltung des Unmittelbarkeitsprinzips im Beweisverfahren
einräumten und daher kein Anspruch auf Einvernahme von Zeugen vor dem
Richter in der Hauptverhandlung bestehe (BGE 113 Ia 412 S. 419 f.;
116 Ia 289 E. 3a S. 291; 115 II 129 E. 6a S. 133; ARTHUR HAEFLIGER, Die
Europäische Menschenrechtskonvention und die Schweiz, Bern 1993, S. 153 und
195). Die Unmittelbarkeit ist kein eigenständiger Verfassungsgrundsatz,
wird im Einzelnen durch das Verfahrensrecht umschrieben (BGE 119 Ib
311 E. 7a S. 331; 113 Ia 412 E. 2c S. 417) und steht mit dem Anspruch
des Beschuldigten auf Zeugenbefragung nicht in direktem Zusammenhang.
Wesentlich im vorliegenden Zusammenhang ist einzig die Wahrung der
Verteidigungsrechte und die Möglichkeit des Beschuldigten, in angemessener
und tatsächlich wirksamer Weise Fragen an die Zeugen zu stellen.

    bb) Nach konstanter Rechtsprechung des Bundesgerichts untersteht das
Recht, Belastungs- und Entlastungszeugen zu befragen, dem (kantonalen)
Verfahrensrecht. Entsprechende Gesuche um Zeugenbefragungen sind
daher den Behörden formgerecht einzureichen. Der Beschuldigte kann
den Behörden grundsätzlich keinen Vorwurf machen, gewisse Zeugen nicht
vorgeladen zu haben, wenn er es unterlässt, rechtzeitig und formgerecht
die entsprechenden Beweisanträge zu stellen (BGE 121 I 306 E. 1b S. 309;
120 Ia 48 E. 2e/aa S. 54; 118 Ia 462 E. 5b S. 470; 105 Ia 396 E. 3b S. 397;
104 Ia 314 E. 4c S. 319). In ähnlicher Weise verneinte der Gerichtshof
trotz Fehlens der Anhörung eines Zeugen durch das Gericht eine Verletzung
der Konvention, weil der Rechtsvertreter die erforderlichen Schritte
nicht unternommen und insbesondere die Anhörung nicht verlangt hatte
(Urteil Bricmont gegen Belgien, Serie A Nr. 158, Ziff. 87 f.; Urteil
Pullar, aaO, Ziff. 46; vgl. zusätzlich Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2.
Auflage 1996, Rz. 99 zu Art. 6 a.E. mit Fn. 444).

    cc) Die Bestimmung von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK nennt die Befragung
sowohl von Belastungs- als auch von Entlastungszeugen in einem Zuge
und hebt die Verbindung durch den Hinweis auf «dieselben Bedingungen»
speziell hervor. Dennoch sind Ladung und Befragung von Belastungszeugen
und von Entlastungszeugen voneinander zu trennen.

    Dem Anspruch, den Belastungszeugen Fragen zu stellen, kommt
ein absoluter Charakter zu. Es soll garantiert werden, dass keine
Verurteilung sich auf Aussagen stützt, zu denen sich der Beschuldigte
nicht hat äussern und deren Urheber er nicht hat befragen können. Dies
gehört zu den Grundzügen des fair trial und des rechtsstaatlichen
Verfahrens nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK und Art. 4 BV. Die Bestimmung von
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK wurde daher mangels Gelegenheit zur Befragung
von Belastungszeugen in verschiedenen Urteilen als verletzt erachtet
(Urteil Delta, aaO, Ziff. 32-37; Urteil Vidal, aaO, Ziff. 34; Urteil
Bricmont, aaO, Ziff. 78-85; Urteil Unterpertinger, aaO, Ziff. 28 ff.;
BGE 118 Ia 327; 118 Ia 457; 121 I 306).

    Demgegenüber ist das Recht, Entlastungszeugen zu laden und zu befragen,
nur von relativer Natur. Der Richter hat nur solche Beweisbegehren,
Zeugenladungen und Fragen zu berücksichtigen und zuzulassen, die
nach seiner Würdigung rechts- und entscheidungserheblich sind. Der
Gerichtshof verlangt gestützt auf Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK nicht die
Befragung jedes Entlastungszeugen; die Bestimmung bezweckt, wie der
Hinweis auf «dieselben Bedingungen» zeigt, die Herstellung der vollen
Waffengleichheit auch im Bereiche der Entlastungszeugen (Urteil Engel
gegen Niederlande, Serie Nr. 22, Ziff. 91 = EuGRZ 1976 S. 221; Urteil
Vidal, aaO, Ziff. 33; Urteil Doorson, aaO, Ziff. 82; vgl. auch Sondervotum
Trechsel zum Bericht der Kommission i.S. Unterpertinger, EuGRZ 1987 S. 153;
FROWEIN/PEUKERT, aaO, Rz. 99 und 202 zu Art. 6). In diesem Sinne lässt auch
das Bundesgericht die Abweisung von Beweisbegehren und Zeugenbefragungen
wegen Untauglichkeit oder in antizipierter Beweiswürdigung zu (ohne dies
explizit auf Entlastungszeugen zu beschränken, BGE 121 I 306 E. 2b S. 308;
103 Ia 490 S. 491; vgl. aus der nicht publizierten Rechtsprechung Urteil
i.S. O. vom 24. November 1997; vgl. HAEFLIGER, Die EMRK und die Schweiz,
aaO, S. 150 und 196).

    dd) Das strenge Erfordernis des Anspruchs auf Befragung von
Belastungszeugen erfährt in der Praxis eine gewisse Abschwächung: Es
gilt uneingeschränkt nur in all jenen Fällen, in denen dem streitigen
Zeugnis ausschlaggebende Bedeutung zukommt, das Zeugnis also den einzigen
oder einen wesentlichen Beweis darstellt (vgl. Urteil Unterpertinger,
aaO, Ziff. 33; Urteil Vidal, aaO, Ziff. 34; Urteil Delta, aaO, Ziff. 37;
Urteil Bricmont, aaO, Ziff. 83 f.). In diesem Sinne hat der Gerichtshof
trotz der absoluten Natur des Rechts des Beschuldigten auf Befragung von
Belastungszeugen Konventionsverletzungen in verschiedenen Konstellationen
verneint. Er führte aus, es sei nicht in allen Fällen möglich, dem
Anspruch auf Konfrontation praktisch gerecht zu werden. Wenn der Zeuge
aus äusseren Umständen, die die Behörden nicht zu vertreten haben,
nicht einvernommen und dem Beschuldigten nicht gegenübergestellt werden
konnte, hat der Gerichtshof unter den besondern Umständen des Einzelfalles
eine Konventionsverletzung verneint: Im Fall Ferrantelli war der Zeuge
verstorben (aaO, Ziff. 52), im Fall Artner und Doorson war ein Zeuge
trotz angemessener Nachforschungen unauffindbar (Urteil Artner, aaO,
Ziff. 21 f.; Urteil Doorson, aaO, Ziff. 79) und im Fall Asch berief sich
die Anzeigerin und Zeugin auf ihr Aussageverweigerungsrecht (aaO, Ziff.
30 f.; vgl. immerhin das Urteil Unterpertinger, in dem die Berufung
auf das Zeugnisverweigerungsrecht nicht vor der Feststellung einer
Konventionsverletzung bewahrte, weil das Zeugnis ausschlaggebend war, aaO,
Ziff. 30 ff.). In all diesen Fällen war von Bedeutung, dass das belastende
Zeugnis nicht den einzigen oder den ausschlaggebenden Beweis darstellte.

    Im gleichen Sinne führte auch das Bundesgericht aus, unter besondern
Umständen wie dem Tod eines Zeugen oder dessen vorübergehenden oder
dauernden Einvernahmeunfähigkeit müsse vom Grundsatz der direkten Befragung
abgewichen werden können und dürfe auf ein früheres Zeugnis abgestellt
werden. Denn es könne nicht dem Sinn der Konvention entsprechen, den
Angeklagten in einem Mordprozess freizusprechen und eine Zeugenaussage
unberücksichtigt zu lassen, wenn der Tatzeuge vor der Konfrontation, aber
nach der polizeilichen Befragung stirbt. Ferner könne unter Umständen von
einer direkten Konfrontation abgesehen werden, wenn sich der Zeuge vor
dem Beschuldigten fürchtet, wenn sich der Zeuge in erheblicher Entfernung
befindet oder bei Sexualdelikten; diesfalls könne es bei schriftlichen
Ergänzungsfragen sein Bewenden haben (BGE 105 Ia 396 S. 397 f.).

    ee) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des Bundesgerichts
genügt grundsätzlich eine einmalige Gelegenheit des Beschuldigten, einen
Belastungszeugen zu befragen; es besteht grundsätzlich kein Anspruch
auf eine weitere Befragung (vgl. oben E. 6b). Die Befragung kann im
Zeitpunkt des Zeugnisses selbst (etwa dadurch, dass der Beschuldigte der
Zeugenbefragung direkt beiwohnt) oder später erfolgen. Erforderlich zur
Wahrung der Verteidigungsrechte ist, dass die Gelegenheit der Befragung
angemessen und ausreichend ist und die Befragung tatsächlich wirksam
ausgeübt werden kann. Diesen Anforderungen genügte in einem konkreten Fall
die Befragung eines ausschlaggebenden Belastungszeugen ohne Beisein des
Rechtsvertreters nicht; der Beschuldigte hatte seine Verteidigungsrechte
im Ermittlungsverfahren nicht gleich wirksam ausüben können, wie dies bei
Anwesenheit eines Rechtsbeistandes der Fall gewesen wäre (BGE 116 Ia 289 E.
3c S. 293, mit Verweis auf den Kommissionsbericht im Fall Isgrò, in dem
der Gerichtshof in der Folge eine Verletzung verneinte). Sachliche Gründe,
welche eine persönliche Konfrontation mit dem Belastungszeugen zumindest
erschweren können, liegen vor, wenn die Einvernahme von Personen im
Ausland kommissarisch vorgenommen werden muss. Der Beschuldigte hat
diesfalls Anspruch darauf, Einsicht in das Protokoll zu nehmen und
nachträglich schriftliche Ergänzungsfragen zu stellen, auch wenn er im
konkreten Fall Gelegenheit zum Erstellen eines Fragenkataloges hatte und
sein Rechtsvertreter bei der Einvernahme im Ausland zugegen war (BGE 118
Ia 462 E. 5b S. 470).

    ff) Zur Wahrung der Verteidigungsrechte ist erforderlich, dass die
Gelegenheit der Befragung eines Belastungszeugen angemessen und ausreichend
ist und die Befragung tatsächlich wirksam ausgeübt werden kann. Der
Beschuldigte muss in der Lage sein, die Glaubhaftigkeit einer Aussage
prüfen und den Beweiswert auf die Probe und in Frage stellen zu können.
Grundsätzlich muss es ihm auch möglich sein, die Identität eines Zeugen
zu erfahren, um dessen persönliche Glaubwürdigkeit sowie allfällige
Zeugenausschluss- und Ablehnungsgründe (Verwandtschaftsverhältnisse,
persönliche Beziehungen) überprüfen zu können (BGE 118 Ia 457 E. 3b-c
S. 461). Dies führt zur Problematik der Aussagen von anonymen Zeugen.

    d) In diesem Sinne stellt sich die Frage nach der Verwertbarkeit von
Aussagen, die von Personen stammen, die anonym bleiben wollen. Solche
Personen können zufällig oder im Rahmen eines V-Personen-Einsatzes Zeugen
von Ereignissen geworden sein und aus verschiedenen Gründen ihre Anonymität
bewahren wollen.

    aa) Wie oben dargelegt (E. 6c/aa), ist das Abstellen auf Aussagen
aus der Voruntersuchung nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes und
des Bundesgerichts mit Konvention und Bundesverfassung unter Vorbehalt
der Wahrung der Verteidigungsrechte vereinbar. Dies verhält sich
grundsätzlich nicht anders, wenn es sich um anonyme Aussagen aus der
Voruntersuchung handelt; ihre Verwendung steht nicht in jedem Falle
mit der Konvention im Widerspruch (Urteil Kostovski, aaO, Ziff. 44;
Urteil Windisch, aaO, Ziff. 30; Urteil Doorson, aaO, Ziff. 69; Urteil
van Mechelen, aaO, Ziff. 52). Ihre Verwendung zur Begründung eines
Schuldspruches wirft indessen besondere Probleme in Bezug auf die
Wahrung der Verteidigungsrechte auf (Urteil Kostovski, aaO, Ziff. 44;
Urteil Windisch, aaO, Ziff. 30; Urteil Doorson, aaO, Ziff. 69; Urteil
van Mechelen, aaO, Ziff. 52 ff.).

    bb) Gegenüber anonymen Aussagen ist die Verteidigung mit besondern und
unüblichen Problemen konfrontiert (Urteil van Mechelen, aaO, Ziff. 54;
Urteil Kostovski, aaO, Ziff. 42). Diese werden in der Strassburger
Rechtsprechung als «handicap presque insurmontable» bezeichnet (Urteil
Windisch, aaO, Ziff. 28). Der Beschuldigte ist nach der Auffassung des
Gerichtshofes durch die Aufrechterhaltung der Anonymität des Anzeigers
oder Zeugen in seinem Befragungsrecht beschränkt. Er verfügt nicht über
die notwendigen Kenntnisse, um die Glaubwürdigkeit des Zeugen in Zweifel
zu ziehen, dessen Befangenheit oder feindliche Einstellung darzulegen
oder eigentliche Verwechslungen oder gar falsche Anschuldigungen
aufzudecken (Urteil Kostovski, aaO, Ziff. 42; Urteil Windisch, aaO,
Ziff. 28). Nur in Kenntnis der Identität des Zeugen können persönliche
Glaubwürdigkeit sowie allfällige Zeugenausschluss- und Ablehnungsgründe
(wie Verwandtschaftsverhältnisse oder persönliche Beziehungen) überprüft
werden (BGE 118 Ia 457 E. 3c S. 461).

    cc) Die Rechtsprechung anerkennt die Interessen für die Geheimhaltung
der Identität von Zeugen. Zum einen können diese in ihrer persönlichen
Freiheit gefährdet werden, wenn sie selbst oder ihre Familien bedroht
werden oder entsprechende Repressalien befürchten müssen. Gleichen
Befürchtungen können Opfer von Straftaten aus dem Umfeld des organisierten
Verbrechens und des Terrorismus bzw. im Bereiche von Sittlichkeitsdelikten
ausgesetzt werden. Es handelt sich dabei um Interessen, die sowohl durch
die Konvention als auch durch die Verfassung geschützt werden. Ebenso
ist ein Schutzbedürfnis von V-Personen anerkannt, damit sie auch nach
abgeschlossenem Verfahren noch weiterhin im Dienste der Polizei eingesetzt
werden können (Urteil Lüdi, aaO, Ziff. 49; Urteil Doorson, aaO, Ziff. 70;
Urteil van Mechelen, aaO, Ziff. 53 und 57; BGE 118 Ia 457 E. 3b S. 461;
116 Ia 85 S. 89; 112 Ia 18 E. 5 S. 24; 103 Ia 490 E. 8 S. 493; Urteil
i.S. E. vom 21. März 1995, in: EuGRZ 1995 S. 250 E. 3d S. 253 f. und
Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4.
März 1998, VPB 1998 Nr. 107; vgl. auch 105 Ia 396 S. 397 f.). Ganz
allgemein hat der Gerichtshof hervorgehoben, dass die Mitarbeit der
Bevölkerung beim Kampf gegen die (organisierte) Kriminalität von grosser
Bedeutung sei (Urteil Windisch, aaO, Ziff. 30; Urteil Kostovski, aaO,
Ziff. 44).

    dd) Der Zeugenschutz darf nicht zu einer untragbaren Schmälerung
elementarer Verteidigungsrechte führen (BGE 118 Ia 457 E. 3b S. 461). Die
gegenläufigen Interessen der Verteidigung und der anonymen Zeugen sind im
Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Die Schwierigkeiten der Verteidigung
müssen gewissermassen durch das Verfahren und dessen Ausgestaltung im
Einzelfall kompensiert werden (Urteil Doorson, aaO, Ziff. 70 und 72;
Urteil van Mechelen, aaO, Ziff. 54). Dabei stellt sich insbesondere die
Frage, ob die Umstände aus der Sicht der Verteidigung eine hinreichend
effektive Befragung erlauben und daher die Beeinträchtigung in den
Verteidigungsrechten auszugleichen vermögen.

    Von einer Kompensation in diesem Sinne kann zum Vornherein nicht
gesprochen werden, wenn überhaupt keine direkte Befragung durchgeführt
wird. In der Sache Windisch konnte der Beschuldigte unmittelbar
nur die Untersuchungsbeamten und diejenigen Polizeibeamten befragen,
welche die Anzeige von zwei Frauen entgegengenommen hatten; angesichts
dieser Umstände wurden dem Beschuldigten seine Verteidigungsrechte
übermässig beschränkt (Urteil Windisch, aaO, Ziff. 27 f.; BGE 118 Ia 327
E. 2b/aa S. 330; ähnliche Umstände führten im Fall Kostovski zu einer
Konventionsverletzung, aaO, Ziff. 42). Das Bundesgericht hat Verfassungs-
und Konventionsverletzungen festgestellt, wenn eine blosse Befragung
derjenigen Person, welche eine Anzeige entgegennahm, bzw. lediglich eine
schriftliche Befragung des anonymen Zeugen gewährt wurde (BGE 118 Ia 327
E. 2b/aa S. 330; 118 Ia 457 E. 3c S. 462) und keine Befragung stattfand
(BGE 121 I 306 E. 1 S. 307).

    Im Fall Doorson erblickte der Gerichtshof eine hinreichende
Kompensation in folgenden Umständen: Die beiden anonymen Zeugen
wurden zwar in Abwesenheit des Beschuldigten, hingegen in Anwesenheit
des Rechtsvertreters von einem Instruktionsrichter der urteilenden
Appellationsinstanz befragt, welcher die Identität der Zeugen kannte; der
Rechtsvertreter konnte jegliche Fragen stellen. Der Instruktionsrichter
gab einen Bericht zur Glaubwürdigkeit der Zeugen zuhanden des Gerichts
ab. Es bestanden keine Zweifel darüber, dass sich die Zeugen in der
Person des Beschuldigten nicht irrten. Das Gericht würdigte die Aussagen
der Zeugen mit grosser Sorgfalt. Unter diesen Umständen erschienen die
Interessen der Verteidigung hinreichend gewahrt (Urteil Doorson, aaO,
Ziff. 72-76).

    Das Bundesgericht verneinte eine Verfassungs- und Konventionsverletzung
in einem Fall betreffend ein Drogendelikt. Der Beschuldigte wurde in der
Untersuchung mit dem maskierten V-Mann «Markus» konfrontiert. Anlässlich
der Hauptverhandlung wurde «Markus» ohne Bekanntgabe seiner Personalien in
einem Nebenzimmer in der Weise einvernommen, dass ihn der Beschuldigte,
sein Rechtsvertreter, die Geschworenen und das Publikum nicht sahen,
die Richter hingegen Sichtkontakt hatten. Die akustische Übertragung
erfolgte mit technischen Mitteln ohne Stimmveränderung. Der anonyme
V-Mann wurde von seinen Vorgesetzten identifiziert und auf Grund der über
ihn geführten Kontrolle beurteilt. Ein Polizeibeamter stellte sicher,
dass «Markus» allein im Nebenraum war. Der V-Mann konnte auf Grund von
Stimmenvergleichen und Tonbändern in seiner dienstlichen Identität klar
identifiziert werden. Bei dieser Sachlage konnte er den V-Mann hinreichend
befragen und die Überzeugungskraft von dessen Aussagen erschüttern,
sodass die Verteidigungsrechte nicht verletzt waren (Urteil vom 21. März
1995 i.S. E., in: EuGRZ 1995 S. 250 und Nichtzulassungsentscheid der
Europäischen Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107).

    Demgegenüber genügten im Fall van Mechelen die folgenden Massnahmen
zur hinreichenden Wahrung der Verteidigungsrechte nicht: Die anonymen
Zeugen wurden von einem Instruktionsrichter einvernommen; der Beschuldigte
und sein Rechtsvertreter konnten der Einvernahme nur mittels technischer
Übertragung beiwohnen; der Instruktionsrichter überprüfte die Identität
der Zeugen und gab in einem ausführlichen Bericht seine Beurteilung zur
Zuverlässigkeit der Aussagen und zur Glaubwürdigkeit der Zeugen sowie
über die Gründe der gewünschten Anonymität ab (Urteil van Mechelen, aaO,
Ziff. 59-62).

    Bisweilen stellt der Gerichtshof auch darauf ab, ob das urteilende
Gericht die unmittelbaren Reaktionen der Zeugen wahrnehmen und sich
damit ein Bild über die Glaubwürdigkeit machen kann (Urteil Windisch,
aaO, Ziff. 29; Urteil Kostovski, aaO, Ziff. 43). Diesem Gesichtspunkt
kommt allerdings keine ausschlaggebende Bedeutung zu, da das Abstellen auf
Aussagen und auf Konfrontationen aus der Untersuchung zulässig sein kann.

    ee) Allgemein hält der Gerichtshof dafür, dass auch dort, wo
Verfahrensumstände die Schwierigkeiten der Verteidigung kompensieren
können, eine Verurteilung nicht ausschliesslich auf anonyme Aussagen
abgestellt werden könne (Urteil Doorson, aaO, Ziff. 76; Urteil van
Mechelen, aaO, Ziff. 55). Die Anonymität scheint damit zu einer absoluten
Grenze zu werden wie das oben (E. 6c/dd) beschriebene Erfordernis der
Befragung von Belastungszeugen überhaupt. Damit steht allerdings das
Urteil des Gerichtshofes i.S. Lüdi in einem gewissen Gegensatz. Danach
hätten eine Befragung und Konfrontation mit entsprechender optischer
Abschirmung oder unter Einsatz technischer Mittel durchgeführt werden
können, welche den Verteidigungsrechten gerecht geworden wären und
insbesondere erlaubt hätten, das Zeugnis des V-Mannes ohne Aufdeckung
der Identität in Zweifel zu ziehen (Urteil Lüdi, aaO, Ziff. 49; im
gleichen Sinne BGE 118 Ia 327 S. 331). Desgleichen hat der Gerichtshof
im Urteil Doorson die Aufrechterhaltung der Anonymität der beiden
(aus der Drogenszene stammenden) Zeugen Y.15 und Y.16 gebilligt
(Urteil Doorson, aaO, Ziff. 68-76). Im gleichen Sinn entschied das
Bundesgericht in einer Angelegenheit, in der der V-Mann «Markus» vor
dem Geschwornengericht Bern ausgesagt hatte; der V-Mann wurde in seiner
Funktion identifiziert und brauchte daher seine private Identität nicht
preiszugeben (Urteil vom 21. März 1995 i.S. E., in: EuGRZ 1995 S. 250
und Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission
vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107). Allgemein hat das Bundesgericht
festgehalten, es müsse grundsätzlich möglich sein, die Anonymität von
Zeugen, Auskunftspersonen, Anzeigern und andern Gewährspersonen im Falle
von überwiegenden schutzwürdigen Interessen zu wahren (BGE 118 Ia 457
E. 3b S. 461).

Erwägung 7

    7.- a) Die Frage nach dem Schutz von Zeugen - unter gleichzeitiger
Wahrung der berechtigten Interessen an einer wirksamen Verteidigung
- hat in neuerer Zeit grössere Aufmerksamkeit gefunden. Sie steht
u.a. im Zusammenhang mit den Schwierigkeiten der Strafverfolgung und
Verbrechensbekämpfung im Bereiche des organisierten Verbrechens
und des Terrorismus. Diese Schwierigkeiten veranlassen die
Strafverfolgungsbehörden, zu ungewöhnlichen Methoden Zuflucht zu
nehmen. Sie erfordern auch ein vermehrtes Abstützen auf Aussagen
von Opfern, Personen aus der entsprechenden Umgebung und von
Gewährspersonen. Mit deren zunehmender Gefährdung steigt das Bedürfnis
nach einem wirksamen Schutz (vgl. KLAUS ZACHARIAS, Der gefährdete Zeuge im
Strafverfahren, Berlin 1997, S. 87 ff.; REINHARD BÖTTCHER, Der gefährdete
Zeuge im Strafverfahren, in: Festschrift für Horst Schüler-Springorum,
Köln etc. 1993, S. 543 f.; RAINER GRIESBAUM, Der gefährdete Zeuge -
Überlegungen zur aktuellen Lage des Zeugenschutzes im Strafverfahren,
NStZ 1998 S. 434; KURT REBMANN/HEINZ SCHNARR, Der Schutz des gefährdeten
Zeugen im Strafverfahren, NJW 1989 S. 1187). Es gilt, diese Personen - als
Korrelat zu der als Bürgerpflicht bezeichneten Zeugnispflicht - allgemein
in ihrer Persönlichkeit und speziell vor Belästigung, Einschüchterung,
Repressalien, Bedrohungen und langfristigen Nachteilen zu schützen.
Gleichermassen soll mit einem derartigen Schutz die zuverlässige
Wahrheitsfindung im Strafverfahren - entsprechend der grossen Bedeutung des
Zeugenbeweises - sichergestellt werden. Schliesslich ist dem Beschuldigten
unter Wahrung der Verteidigungsrechte ein faires Verfahren zu garantieren
(vgl. GÜNTER HEINE, Der Schutz des gefährdeten Zeugen im schweizerischen
Strafprozess, ZStrR 109/1992 S. 53 ff.; THOMAS HUG, Zeugenschutz im
Spannungsfeld unterschiedlicher Interessen der Verfahrensbeteiligten,
ZStrR 116/1998 S. 404 ff.; ROBERT ROTH, Protection procédurale de la
victime et du témoin: enjeux et perspectives, ZStrR 116/1998 S. 384 f.;
Expertenkommission «Vereinheitlichung des Strafprozessrechts», «Aus 29
mach 1», Bern 1997, S. 61 ff.; STEFAN WEHRENBERG, Schutz von Zeugen und
Opfern im Militärstrafverfahren, Gutachten für den Oberauditor 1996,
S. 5 f. und 7; THOMAS WEIGEND, Empfehlen sich gesetzliche Änderungen, um
Zeugen und andere nicht beschuldigte Personen im Strafprozessrecht besser
vor Nachteilen zu bewahren? Gutachten für den 62. Deutschen Juristentag,
Teil C, München 1998, S. 13 ff; ZACHARIAS, aaO, S. 35 ff., 44 ff., 103 ff.
und 111 ff.; GRIESBAUM, aaO, S. 433 ff; BÖTTCHER, aaO, S. 541 ff.; HEIKE
JUNG, Zeugenschutz, GA 1998 S. 313; speziell zum V-Personen-Einsatz Hans
Baumgartner, Zum V-Mann-Einsatz unter besonderer Berücksichtigung des
Scheinkaufs im Betäubungsmittelverfahren und des Zürcher Strafprozesses,
Diss. Zürich 1990; ERNST ROLAND GNÄGI, Materiellstrafrechtliche und
strafprozessuale Fragen des Betäubungsmittelscheinkaufs - Ein Beitrag zur
V-Mann-Problematik, Diss. Bern 1991; EUGEN THOMANN, Verdeckte Fahndung
aus der Sicht der Polizei, ZStrR 111/1993 S. 285; PIERRE JOSET/NIKLAUS
RUCKSTUHL, V-Mann-Problematik aus der Sicht der Verteidigung, ZStrR
111/1993 S. 355).

    Beim Problemkreis des Zeugenschutzes können verschiedene
Kategorien von Zeugen unterschieden werden (vgl. Expertenkommission,
aaO, S. 61 f.; kritisch dazu JUNG, aaO, S. 317; Wehrenberg, aaO,
S. 9 ff.; REBMANN/SCHNARR, aaO, S. 1186). Berufsmässige Zeugen wie
z.B. V-Personen, tatbeteiligte Zeugen wie Kronzeugen, Opferzeugen
und schliesslich Zufallszeugen. Das Schutzbedürfnis unterscheidet
sich entsprechend den einzelnen Kategorien von Zeugen (vgl. ROTH,
aaO, S. 397 ff). Als Zeugenschutzmassnahmen werden etwa genannt:
Zeugnisverweigerungsrechte (u.a. zum Schutz vor Selbstbezichtigung und vor
Eingriffen in Privatsphäre), polizeilicher Personenschutz vor, während und
nach dem Verfahren, prozessuale Schutzmassnahmen wie Anonymitätsgarantie
und optische oder akustische Abschirmung, Ausschluss der Öffentlichkeit,
Schutzmassnahmen zu Gunsten von Opfern (vgl. Art. 5 und 7 OHG), rechtliche
Beratung und schliesslich ausserprozessuale Zeugenschutzprogramme bei
hochgradig gefährdeten Zeugen durch Verhelfen einer neuen Identität in
einem örtlich und sozial veränderten Umfeld (vgl. allgemein WEIGEND, aaO;
ZACHARIAS, aaO, S. 117 ff., 217 ff., 284 ff., 354 ff.; GRIESBAUM, aaO,
S. 436 ff.; WEHRENBERG, aaO, S. 62 ff.).

    In der Schweiz wird dem allgemeinen Zeugenschutz in den
Strafprozessordnungen nur geringe Bedeutung beigemessen; immerhin kennen
einzelne Verfahrensordnungen entsprechende Bestimmungen (vgl. Art. 124
Abs. 3 StrV/BE, § 47 StPO/BS, Art. 81 f. und 90 StPO/FR). Mit dem
Opferhilfegesetz sind gewisse Schutzmechanismen vorgesehen, die das
Opfer auch in seiner Eigenschaft als Zeuge betreffen (vgl. Art. 5 und
7 OHG). Im Übrigen richtet sich das Augenmerk in erster Linie auf den
Schutz von V-Personen und die Aufrechterhaltung von deren Anonymität (vgl.
Expertenkommission, aaO, S. 61 ff.). In diesem Sinne hat der Bundesrat eine
Botschaft zu einem Bundesgesetz über die verdeckte Ermittlung verabschiedet
und im Entwurf die Anonymitätsgarantie gegenüber V-Personen umschrieben
(BBl 1998 4241 sowie Art. 20 des Entwurfs). Ähnlich haben der Kanton
Wallis (Art. 103k StPO/VS) und der Kanton Bern (Art. 124 StrV/BE)
Bestimmungen über den Einsatz und Schutz von V-Personen erlassen.
Deutschland hat im Jahre 1992 (Gesetz zur Bekämpfung des illegalen
Rauschgifthandels und anderer Formen der organisierten Kriminalität)
allgemeine Zeugenschutzmassnahmen und insbesondere eine Regelung des
Einsatzes von Verdeckten Ermittlern mit der Möglichkeit von deren
Identitätsgeheimhaltung in die Strafprozessordnung aufgenommen (§
110a-110e StPO/D; vgl. Volker Krey, Rechtsprobleme des strafprozessualen
Einsatzes Verdeckter Ermittler, Bundeskriminalamt Wiesbaden, 1993);
neuestens ist diese durch das Zeugenschutzgesetz ergänzt worden (BGBl
1998 I 820; vgl. GRIESBAUM, aaO, S. 438; BERND SCHÜNEMANN, Der deutsche
Strafprozess im Spannungsfeld von Zeugenschutz und materieller Wahrheit,
StV 1998 S. 391 ff.).

    b) Das Ministerkomitee des Europarats hat im Jahre 1997 die Empfehlung
«La protection des témoins contre toute manoeuvre d'intimidation et les
droits de la défense» verabschiedet (Recommandation no R(97)13 du 10
septembre 1997, avec Exposé des motifs, veröffentlicht in: RUDH 1997
S. 298). Diese geht davon aus, dass Zeugen vermehrt eingeschüchtert
würden und deshalb nicht mehr bereit seien, wahrheitsgemäss und
vollständig auszusagen. Zeugenaussagen gehörten aber zur Bürgerpflicht
und unterstützten die Strafverfolgungsbehörden bei der wirksamen
Strafverfolgung. Aus diesen Gründen sollen die Staaten effiziente
Massnahmen zum Schutze von Zeugen treffen, gleichzeitig die unverzichtbaren
Rechte auf wirksame Strafverteidigung, wie sie sich aus der EMRK und der
Rechtsprechung ergeben, wahren.

    Im Einzelnen werden allgemeine gesetzgeberische Massnahmen gefordert,
welche einerseits der Wahrung der Verteidigungsrechte gerecht werden
und andererseits durch den Schutz von Zeugen vor Beeinträchtigungen
die Strafverfolgung unterstützen. Das eine Kapitel bezieht sich auf
besonders schutzbedürftige Zeugen aus dem Familienkreis wie Kinder,
Frauen und ältere Leute (Ziff. 17 ff.). Das andere hat die Massnahmen im
Bereiche des organisierten Verbrechens zum Gegenstand: Aussagen aus der
Untersuchung sollen vermehrt mit technischen Mitteln aufgenommen und auch
vor dem Gericht als (formelles) Zeugnis anerkannt werden (Ziff. 9). Die
Zusage der Anonymität an Zeugen soll nur als ausserordentliche Massnahme
im Falle wichtiger Zeugnisse bei ernstlicher Gefährdung von Leib und
Leben verwendet werden; ein Verfahren der Überprüfung des entsprechenden
Zeugen (procédure de vérification) soll dem Beschuldigten ermöglichen,
die Gründe für die Geheimhaltung, die Glaubwürdigkeit und den Ursprung
der Kenntnisse des Zeugen in Zweifel zu ziehen (Ziff. 10 f.). Allenfalls
fällt die Veränderung von Bild und Stimme bei technischen Übertragungen
in Betracht (Ziff. 12). Verurteilungen sollen nicht ausschliesslich oder
in der Hauptsache auf anonymen Zeugenaussagen beruhen (Ziff. 13). Dies
hat beim Festhalten an der Anonymität des Zeugen schliesslich zur
Konsequenz, dass unter Umständen auf eine Anklage verzichtet werden oder
ein Angeklagter mangels anderwertiger Beweise freigesprochen werden muss
(Ziff. 79 der Motive). Spezielle Programme wie etwa Polizeischutz oder
Hilfen zur Veränderung der Identität und des Lebens- und Arbeitsfeldes
bei sog. Kronzeugen («collaborateur de justice») können den Zeugenschutz
ergänzen (Ziff. 14-16).

    Diese Richtlinien des Ministerkomitees beziehen sich in erster Linie
auf Zufallszeugen, Opferzeugen und tatbeteiligte Zeugen, die oftmals als
Einzige Zeugnis von einem Ereignis ablegen können und wegen ihrer schwachen
Position und ihrer ausgesetzten Stellung eines besondern Schutzes bedürfen.
Sie umfassen auch V-Personen, deren Schutzbedürfnis durch ihren Dienst
für die Strafverfolgungsbehörden und die Exponiertheit ihrer Tätigkeit
nicht geringer ist. Hinsichtlich einzelner Schutzmassnahmen gilt es
den spezifischen Schutzbedürfnissen der Zeugen Rechnung zu tragen (vgl.
WEHRENBERG, aaO, S. 10 f.).

    c) Empfehlungen des Ministerkomitees stellen keine bindenden
Regeln dar, deren Missachtung für sich allein als Verstoss gegen
verfassungsmässige Rechte oder als Verletzung eines Staatsvertrages
angefochten werden könnte. Sie haben vielmehr den Charakter
von Richtlinien. Da sie aber die gemeinsame Rechtsüberzeugung der
Mitgliedstaaten des Europarates zum Ausdruck bringen, werden sie vom
Bundesgericht bei der Konkretisierung der Grundrechtsgewährleistungen von
Bundesverfassung und Menschenrechtskonvention gleichwohl mitberücksichtigt
(BGE 124 I 231 E. 2b/aa S. 236; 123 I 112 E. 4d/bb S. 121; 123 I 221
E. II/2b S. 236; 122 I 222 E. 2a/aa S. 226; 118 Ia 64 E. 2a S. 70; 111 Ia
341 E. 3a 345; 109 Ia 146 S. 151, mit Hinweisen). In diesem Sinne sind
die Empfehlungen auch für die Beurteilung der vorliegenden Beschwerde
zu beachten.

Erwägung 8

    8.- Im Folgenden ist nunmehr mit Bezug auf die
Vertraulichkeitszusicherung die Frage der Verletzung von Art. 4 BV und
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK sowie allgemein der Verteidigungsrechte und
des fair trial zu prüfen. Dabei ist von der obigen Analyse und von den
erwähnten Empfehlungen auszugehen: Erforderlich ist die Gelegenheit der
Befragung von Belastungszeugen (vorbehältlich ganz besonderer Umstände);
diese Gelegenheit muss hinreichend und effektiv sein; bei Gewährung von
Anonymität stellen sich besonders heikle Probleme, hinsichtlich derer zu
prüfen ist, ob sie durch das Verfahren genügend kompensiert werden.

    Hierfür sind als Erstes die Ausgestaltung der Vertraulichkeitszusage
und die Art und das Ausmass der Schwierigkeiten, die sich der Verteidigung
in Folge der Anonymität stellen, aufzuzeigen (E. 8 a-e). Hernach ist zu
prüfen, inwiefern diese Schwierigkeiten durch das Verfahren ausgeglichen
werden (E. 9). Dies wird die Gesamtbeurteilung der Beschwerde erlauben
(E. 10).

    a) § 100e Abs. 4 und 5 StPO umschreiben die
Vertraulichkeitszusage. Diese bedeutet, dass die «wahre Identität» der
V-Person (in den Akten sowie gegenüber der Verteidigung und den Richtern)
geheimgehalten wird. Nach § 100m Abs. 2 und 3 StPO werden die «Personalien»
nicht bekanntgegeben.

    Zweck der Vertraulichkeitszusage ist die Geheimhaltung der Identität
der V-Personen. Alle Angaben und Hinweise über die Personalien (Name und
Adresse), die Familie und das Privatleben, welche entsprechende Schlüsse
auf die Person zulassen könnten, sollen vertraulich behandelt werden.
Ebenso sind all jene Angaben, welche Aufschluss über dienstliche Stellung
und Funktion der V-Person geben, entsprechend geheim zu halten.

    Mit dem Institut der Vertraulichkeitszusage bejaht der Gesetz-geber
das öffentliche Interesse am Schutz von V-Personen. Dieses Interesse
wird mit der Beschwerde nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Allgemein
wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichts und des Gerichtshofes
sowie in den genannten Empfehlungen des Ministerkomitees anerkannt,
dass Zeugen in einem veränderten Umfeld der Kriminalität und der
staatlichen Strafverfolgungsmassnahmen eines vermehrten Schutzes vor
Repressalien aller Art bedürfen und dieser Umstand einschränkende
Massnahmen rechtfertigen kann. Der Zeugenschutz steht im Dienste der
Wahrheitsfindung und ist Korrelat zur Zeugnispflicht (oben E. 6d/cc
und 7). Dies betrifft die Zeugen im Allgemeinen und die V-Personen im
Dienste der Polizei im Speziellen. Für Letztere steht als Schutzmassnahme
die Anonymitätsgarantie im Vordergrund. Die V-Personen sollen in ihrem
privaten Bereich vor Repressalien und Druckausübung ebenso geschützt werden
wie ein späterer Einsatz im Dienste der Strafverfolgungsbehörden nicht
gefährdet oder verunmöglicht werden soll. In diesem Sinne ist für die
Beurteilung der angefochtenen Strafprozess-Revision vom Bestehen eines
hinreichenden öffentlichen Interesses am Schutz von V-Personen und an
der Aufrechterhaltung der Anonymität im Falle der Vertraulichkeitszusage
auszugehen (vgl. die in E. 6d/cc zitierten Urteile).

    b) Für die Beurteilung der StPO-Revision ist ferner davon
auszugehen, dass sie die Einvernahme und Befragung von V-Personen
vor dem urteilenden Gericht in der Hauptverhandlung tatsächlich
vorsieht. Es ist geradezu der Zweck der Vorlage, die V-Personen im
Sinne des Unmittelbarkeitsprinzips in Anwesenheit des Beschuldigten
und seines Rechtsvertreters einvernehmen zu lassen, auch wenn gewisse
Schutzmassnahmen getroffen werden. Der Gesetzgeber verzichtet insofern auf
ein blosses Abstellen auf Beweisergebnisse aus der Voruntersuchung. Die
Strafprozessordnung verpflichtet die beamteten V-Personen (im Rahmen der
Vertraulichkeitszusage) direkt zur Aussage vor dem Gericht (vgl. Art. 320
Ziff. 2 StGB); auch wenn die V-Person nicht Beamter ist, wird sie
unmittelbar zur Aussage angehalten (vgl. JOSET/RUCKSTUHL, aaO, S. 372). Der
Beschuldigte und sein Vertreter haben damit im Sinne von Art. 4 BV und
Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK die Möglichkeit, der belastenden V-Person
direkt vor dem Gericht im Rahmen der Vertraulichkeitszusage Fragen zu
stellen bzw. stellen zu lassen. Damit unterscheidet sich die angefochtene
Regelung zum Vornherein von jenen Fällen aus der Rechtsprechung, wo eine
solche Fragemöglichkeit gerade nicht gegeben war (vgl. oben E. 6c/cc mit
Hinweisen auf die Urteile Delta, Vidal, Bricmont und Unterpertinger sowie
BGE 118 Ia 327, 457 und 121 I 306).

    c) Die Anonymität des zu befragenden Zeugen stellt die Verteidigung
vor besondere Probleme und bedeutet für diese, wie sich der Gerichtshof
ausdrückt, ein «handicap presque insurmontable» (oben E. 6d/bb mit
Hinweisen auf die Urteile Windisch, van Mechelen und Kostovski). Diese
Aussage ist allerdings zu differenzieren. Besondere Schwierigkeiten bietet
die Anonymität nur im Hinblick auf die Person des Zeugen selber und die
Überprüfung von dessen Glaubwürdigkeit. Hingegen erfährt das Fragerecht
wegen der Anonymität keine (wesentlichen) Einschränkungen in Bezug auf
den Tathergang selber und die Frage, wie sich die einzelnen Ereignisse
abgespielt haben und ob die V-Person über ihren Auftrag hinaus anstiftend
aufgetreten ist. Die Glaubhaftigkeit der belastenden Aussagen der V-Person
kann trotz Aufrechterhaltung der Anonymität wirksam in Zweifel gezogen
werden. Der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter können jegliche Fragen
zum Tathergang stellen bzw. stellen lassen, auf Antworten reagieren und
auf allfällige Widersprüche hinweisen, auch wenn der Beschuldigte den
V-Mann nur unter dessen Pseudonym kennt.

    Anders verhält es sich mit der Glaubwürdigkeit der Person des Zeugen.
Soweit der Beschuldigte die Identität der belastenden V-Person nicht
kennt bzw. auf entsprechende Fragen keine Antworten erhält, ist er kaum
in der Lage, deren Glaubwürdigkeit unter allen möglichen Aspekten wirksam
in Zweifel zu ziehen. Hierfür bedürfte er unter Umständen Kenntnisse über
Familienverhältnisse, Werdegang und Ausbildung, allgemeine Persönlichkeit
(mit Neigungen, Schwächen und krankhaften Seiten), Lebensverhältnisse oder
Beziehungen in privater und beruflicher Hinsicht. Nur in Kenntnis solcher
Umstände kann der Angeschuldigte Unglaubwürdigkeitsgründe ableiten,
auf Beziehungen zu bestimmten Personen oder Kreisen und entsprechende
Interessenkonstellationen hinweisen oder Ablehnungsgründe vorbringen. Von
Interesse könnte die Motivation sein, weshalb sich die (auch nicht
beamtete) V-Person als verdeckter Ermittler zur Verfügung stellt. Die
Verteidigung kann nicht selbst Erkundigungen über die Person des Zeugen
einziehen (vgl. WEHRENBERG, aaO, S. 51; BAUMGARTNER, aaO, S. 324 f.;
WEIGEND, aaO, S. 39 Fn. 103). Eine Verwechslung, weil die V-Person zu
einem bestimmten Zeitpunkt andernorts war, kann nicht nachgewiesen werden.
Speziell im Hinblick auf den Einsatz von V-Personen können auch funktionale
und berufsspezifische Angaben (Laufbahn, Qualifikationen, Disziplinierungen
etc.) für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Bedeutung sein, etwa
bei Behauptung eines provozierenden, anstiftenden Verhaltens des V-Mannes
(vgl. zum Ganzen oben E. 6d/bb mit Hinweisen auf die Urteile Kostovski,
Windisch und van Mechelen; BGE 118 Ia 457 E. 3c S. 461; vgl. Empfehlungen
des Ministerkomitees, aaO, Ziff. 36 der Motive; BERNARD CORBOZ, L'agent
infiltré, in ZStrR 111/1993, S. 332 und Fn 138; GNÄGI, aaO, S. 135 ff).

    Dies alles zeigt, dass der Beschuldigte - trotz eines weitgehenden
Befragungsrechts - in seinen Verteidigungsrechten hinsichtlich der
Bestreitung von belastenden V-Personen-Aussagen wesentlich eingeschränkt
sein kann.

    d) Nach § 100m Abs. 2 StPO trifft das Gericht bei der
Einvernahme von V-Personen die für ihren Schutz und die Einhaltung der
Vertraulichkeitszusage erforderlichen Massnahmen. Die Einvernahme kann
insbesondere unter Ausschluss der Öffentlichkeit oder unter optischer
und akustischer Abschirmung erfolgen.

    Der Ausschluss der Öffentlichkeit vom Strafverfahren betrifft zwar die
allgemeine Garantie von Art. 6 Ziff. 1 EMRK (vgl. hierzu BGE 121 I 30 E. 5d
S. 35; 119 Ia 99 E. 4a S. 104, mit Hinweisen). Er steht indessen nicht in
unmittelbarem Zusammenhang mit den spezifischen Verteidigungsinteressen
des Beschuldigten. Der Ausschluss der Öffentlichkeit für die Dauer der
Einvernahme der V-Person wirkt sich für die Verteidigung nicht negativ aus
- vermag aber auch nur einen beschränkten Schutz der V-Person zu bieten
(GNÄGI, aaO, S. 133 ff.).

    Heikler ist die optische Abschirmung, bei der der Zeuge in einem
Nebenzimmer sitzt und entweder mittels technischer Übertragung (vgl.
Urteile Doorson und van Mechelen sowie Lüdi) oder gewissermassen durch
die offene Türe (vgl. Urteil vom 21. März 1995 in: EuGRZ 1995 S. 250 und
Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission vom 4.
März 1998, VPB 1998 Nr. 107) einvernommen wird (vgl. WEHRENBERG, aaO, S.
67 f.). Sie kann etwa angezeigt sein, wenn sich Beschuldigter und V-Person
nur vom Telefon oder von weit zurückliegenden Begegnungen kennen (anders
JOSET/RUCKSTUHL, aaO, S. 372 f.), fällt indessen weniger in Betracht,
wenn sich Beschuldigter und V-Person auf Grund enger Kontakte gut kennen
und die Begegnungen nicht weit zurückliegen. Die optische Abschirmung kann
auch auf einzelne Personen beschränkt werden (vgl. Urteil vom 21. März
1995 in: EuGRZ 1995 S. 250, wo die Richter die einvernommene V-Person
beobachten konnten, und den Nichtzulassungsentscheid der Europäischen
Menschenrechtskommission vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107; Urteil
Doorson, wo der anonyme Zeuge mit dem Rechtsvertreter ohne Beisein des
Beschuldigten konfrontiert wurde).

    Die optische Abschirmung erschwert die unmittelbare Wahrnehmung
von Reaktionen des einvernommenen Zeugen (BGE 92 I 259 E. 3c S. 262).
Insbesondere können Gesichtsausdruck und Körpersprache nicht nachvollzogen
werden; es kann nicht bemerkt werden, ob der Zeuge «einen roten Kopf
bekommt» oder «ins Schwitzen gerät» (vgl. Urteil van Mechelen, aaO,
Ziff. 59; JOSET/RUCKSTUHL, aaO, S. 373). Unmittelbar wahrgenommen werden
können immerhin etwa Räuspern, Zögern, Pausen vor Beantwortung einer Frage,
Unsicherheit und Nervosität in der Stimme sowie allgemein der Ausdruck
der Stimme. Mit einer Video-Übertragung ist es unter Umständen möglich,
lediglich das Gesichtsfeld unkenntlich zu machen, aber die Körperhaltung
doch erkennbar zu lassen. Bei der technischen Übertragung verhält es sich
nicht wesentlich anders als bei Telefongesprächen oder einer Radiosendung,
die es durchaus erlauben, den Ausdruck des Gegenübers wahrzunehmen. Trotz
der Erschwerung bildet daher der Umstand der optischen Abschirmung - je
nach den konkreten Umständen - über die Anonymität der einvernommenen
V-Person hinaus für den Angeschuldigten keine wesentliche zusätzliche
Schwierigkeit bei der Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte.

    Die akustische Abschirmung besteht darin, dass der Zeuge in einem
andern Raum einvernommen wird und die Übertragung der Stimme technisch so
verändert und verzerrt wird, dass ein Erkennen des Sprechers erschwert bzw.
verunmöglicht wird. Sie dürfte nur selten, meist in Kombination mit der
optischen Abschirmung zum Einsatz kommen. Denkbar ist sie bei Zeugen mit
ganz besondern Spracheigenschaften oder -fehlern und in speziellen Fällen
wie der eigentlichen Änderung der Identität des Zeugen (vgl. WEHRENBERG,
aaO, S. 68 f.). Eine derartige akustische Abschirmung erschwert die
Wahrnehmung des Zeugen und seiner Reaktionen zusätzlich. Doch auch bei
dieser Methode sind gewisse durchaus typische Verhaltensweisen wie Zögern,
Räuspern, Nervosität und Verhaspeln durchaus noch erkennbar.

    Gesamthaft gesehen bringen optische und akustische Abschirmung
des Zeugen für die Verteidigung über die Anonymität hinaus
zusätzliche Erschwernisse. Diese sind in die Gesamtbeurteilung der
Vertraulichkeitszusage einzubeziehen und mögen zu entsprechender
Zurückhaltung mahnen. Sie stellen indessen keine Einschränkungen von
grossem Gewicht dar. Auch solche Abschirmungen ermöglichen noch immer
eine Zeugenbefragung mit den Vorteilen der unmittelbaren Beweisabnahme.

    e) Die Beschwerdeführer bringen unter dem Titel der Erschwernisse
der Verteidigung weitere Rügen vor.

    aa) Sie machen geltend, dass die Vertraulichkeitszusage nicht die
Ausnahme bilden werde, in der Praxis vielmehr meist gewährt würde. Denn
die Voraussetzung von § 100.f Abs. 1 lit. a StPO, wonach die Schwere
der Straftat den V-Personen-Einsatz überhaupt erst rechtfertigen
muss, deute bereits auf die besonders gefährlichen Umstände hin, die
ihrerseits nach § 100e Abs. 4 StPO die Vertraulichkeitszusage begründen
könnten; überdies sei die gerichtliche Prüfung durch das Präsidium der
Überweisungsbehörde mit Bezug auf V-Personen-Einsätze im Allgemeinen und
auf die Vertraulichkeitszusage im Speziellen nur eine sehr summarische
Kontrolle (vgl. GNÄGI, aaO, S. 84 f.).

    Diese Einwände sind insofern nachvollziehbar, als der genehmigende
Richter meist nur wenig Unterlagen zur Verfügung hat und rasch
entscheiden muss. Wesentlich ist indessen, dass die Beschwerdeführer die
Möglichkeit von V-Personen-Einsätzen und deren formelle und materielle
Voraussetzungen nicht anfechten (oben E. 3). Für die Frage der Verletzung
der Verteidigungsrechte im gerichtlichen Verfahren ist nicht entscheidend,
ob statistisch gesehen die Vertraulichkeit zu häufig zugesichert wird
und ob die genehmigende Überweisungsbehörde eine unzureichende Prüfung
vornimmt. Von Bedeutung im Verfahren der abstrakten Normkontrolle ist
allein, dass auf Grund der angefochtenen Bestimmungen die Anonymität im
Einzelfall zugesichert werden kann, was auf die Verteidigungsrechte hin
zu prüfen ist.

    bb) Die Beschwerdeführer beanstanden ferner, dass ausser dem
Gerichtsvorsitzenden keiner der übrigen Richter Kenntnis von der
Identität der V-Person erlangen (§ 100e Abs. 5 und 6 StPO) und sich
daher kein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit des Zeugen machen
kann. Dieser Einwand ist unter dem Gesichtswinkel der Verteidigungsrechte
unbeachtlich. Der Umstand, dass die Richter die V-Person nicht kennen,
führt zu keiner Verletzung von Art. 58 BV (E. 5). Entgegen der Auffassung
der Beschwerdeführer können sich die Richter auf Grund der Einvernahme
der V-Person vor den Schranken ein eigenes Bild von der Glaubwürdigkeit
machen. Der Richter hat angesichts einer unvollständigen Beweislage nach
pflichtgemässem Ermessen zu entscheiden. Diese wirkt sich nicht einseitig
zu Gunsten oder zu Lasten des Beschuldigten aus (vgl. Urteil van Mechelen,
aaO, Ziff. 56 sowie abweichende Meinung von Richter van Dijk, Ziff. 7).
Vielmehr gilt der Grundsatz «in dubio pro reo» und die Unschuldsvermutung
im Sinne von Art. 4 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK (BGE 120 Ia 31 E. 2 S. 33
ff.). Der Beschuldigte erfährt daher durch die Regelung keinen Nachteil
in der Wahrung der Verteidigung.

    Im Übrigen bestehen gute Gründe für die vom Gesetzgeber getroffene
Regel. Die Vertraulichkeit kann - entsprechend einem allgemeinen
Erfahrungssatz - umso besser gewahrt werden, je enger der Kreis der
Eingeweihten gezogen wird. Umso geringer ist auch die Gefahr, dass auf die
(vollamtlichen oder nicht vollamtlichen) Richter von aussen Druck ausgeübt
wird und sie gar Repressalien ausgesetzt werden.

Erwägung 9

    9.- Nunmehr ist zu prüfen, ob einzelne Massnahmen die beschriebenen
Erschwernisse bei der Wahrung der Verteidigungsrechte ausgleichen können.

    a) Anonyme V-Personen sind bei ihrer Einvernahme im Rahmen der
Vertraulichkeitszusage als Zeugen zu identifizieren. Insbesondere ist zu
prüfen, ob sie gegen den Beschuldigten im Einsatz waren, um Verwechslungen
auszuschliessen. Hierfür kann mit dem Beizug von Telefonabhörungen und
Stimmenvergleichen ein eigentliches Beweisverfahren durchgeführt werden
(vgl. Urteil vom 21. März 1995 E. 3c, in: EuGRZ 1995 S. 251 f. und
Nichtzulassungsentscheid der Europäischen Menschenrechtskommission
vom 4. März 1998, VPB 1998 Nr. 107). Gleichermassen ist es möglich,
für die Identifizierung des Zeugen von Seiten der Einsatzbehörden eine
verantwortliche Person anzuhören. Schliesslich könnte auch der Präsident
oder die Präsidentin des Gerichts, welche über die V-Personen Bescheid
wissen, eine Identifizierung vornehmen.

    Gleichermassen können die V-Personen bei einer Befragung mit optischer
Abschirmung identifiziert werden. Zusätzlich ist sicher zu stellen, dass
der Zeuge allein im entsprechenden Nebenraum ist, selber auf die Fragen
antwortet und von niemandem beeinflusst wird. Auch dies ist im Einzelfall
zu bewerkstelligen.

    Daraus ergibt sich die Möglichkeit, dass die V-Personen identifiziert
und Verwechslungen ausgeschlossen werden. Das ist für die Verteidigung
und die Beweiswürdigung durch das Gericht von entscheidender Bedeutung. Es
ist die Voraussetzung, damit eine Verwertung von entsprechenden Aussagen
überhaupt in Betracht fällt. Solche Massnahmen der Identifizierung stellen
indessen keine Kompensation der Probleme dar, die sich aus dem Umstand der
Anonymität ergeben. Der Angeschuldigte sieht sich trotz dieser Massnahmen
der Schwierigkeit gegenüber, die Glaubwürdigkeit der V-Person wirksam in
Zweifel zu ziehen.

    b) Nach § 100g StPO instruiert, begleitet und überwacht das
Statthalteramt die V-Person und erstattet diese regelmässig über
ihren Einsatz und ihre Feststellungen Bericht. Beides ist aktenmässig
festzuhalten. Vorbehältlich der Vertraulichkeitszusage und überwiegender
öffentlicher oder privater Interessen kann der Beschuldigte nach § 100n
StPO in diese Akten Einsicht nehmen. Nach Abschluss der Strafuntersuchung
ist dem Beschuldigten (und weitern betroffenen Personen) vom Einsatz
einer V-Person Kenntnis zu geben (§ 100k Abs. 1 StPO).

    Dieser Zugang zum Dossier über den V-Personen-Einsatz gibt dem
Angeschuldigten wertvolle Aufschlüsse. Er erhält Kenntnisse über
Instruktionen und über Planung und Durchführung des Einsatzes. Das
ermöglicht dem Beschuldigten, unter Hinweis auf allfällige Widersprüche die
Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen und die Glaubwürdigkeit der V-Person
wirksam anzuzweifeln oder zu bestreiten. Die Einsicht vermag daher die
Schwierigkeiten, die sich der Verteidigung aus dem Umstand der Anonymität
stellen, teilweise auszugleichen.

    Das Ausmass der Kompensation hängt allerdings stark von den Umständen
ab. Zum einen enthält das Dossier den Standpunkt der Polizei und muss
entsprechend sorgfältig gewürdigt werden (vgl. zur Aktenführung GNÄGI,
aaO, S. 82 ff; BAUMGARTNER, aaO, S. 234). Zum andern ist das Dossier
tatsächlich gemäss § 100g Abs. 1, 2 und 4 StPO zu führen. Es bedarf einer
hinreichenden Ausführlichkeit, damit es wirklich aussagekräftig ist. Die
vertraulich zu behandelnden Elemente wie die Personalien der V-Person
sind so von den Berichten über den Einsatz und die Ergebnisse zu trennen,
dass dem Beschuldigten tatsächlich eine repräsentative Einsicht gewährt
werden kann. Es wäre nicht angängig, die Einsicht in allen Fällen erfolgter
Vertraulichkeitszusagen grundsätzlich zu verweigern. Auch wenn gewisse
Angaben im Rahmen der Vertraulichkeitszusage abgedeckt werden, stellt die
Einsicht in das Einsatz-Dossier für den Beschuldigten eine Massnahme dar,
welche das «handicap presque insurmontable» teilweise ausgleicht.

    c) Die Identität der V-Person wird dem Präsidenten und der Präsidentin
der befassten Gerichte nach § 100e Abs. 6 StPO (auf Verlangen) mitgeteilt.
Diese haben damit volle Kenntnisse von den Personalien und können volle
Einsicht in das Einsatz-Dossier im Sinne von § 100n StPO nehmen. Ferner
ist nicht ausgeschlossen, dass der Gerichtsvorsitzende die V-Person ohne
Zuzug von weiteren Personen einvernimmt. Es ist insbesondere möglich,
die V-Personen auf diese Weise über alle Punkte zu befragen, welche für
die Beurteilung der Glaubwürdigkeit relevant sein können, insbesondere
über persönliche und familiäre Verhältnisse, über Bekanntschaften und
persönliche Beziehungen, über den beruflichen Werdegang und die aktuelle
Berufsausübung, über die Motivation des V-Personen-Einsatzes und weiteres
mehr. Auf Grund dieser Informationen vermag sich der Vorsitzende selber
ein Bild von der Glaubwürdigkeit der V-Personen zu machen. Er kann dies
zusätzlich in einem (schriftlichen oder mündlichen) Bericht zu Handen des
Gerichts (Richter, Verteidigung und allfällige andere Parteien) festhalten,
seine Beurteilung abgeben und die Gründe hierfür im Einzelnen - unter
Respektierung der Vertraulichkeitszusage - darlegen, etwa durch eine
verall-gemeinernde Beschreibung der privaten und beruflichen Verhältnisse.

    Die Materialien zeigen, dass die Gerichtspräsidenten die Identität und
die Glaubwürdigkeit der einzuvernehmenden V-Personen sollen überprüfen
können (Bericht der Justiz- und Polizeikommission an den Landrat vom
26. August 1996, Landrat 95/180 S. 6). Sie verfügen über eine volle
Einsicht in die Einsatz-Akten, da sie von der Vertraulichkeitszusage
ausdrücklich ausgenommen sind (§ 100n i.V.m. § 100e Abs. 6 StPO). Eine
eigentliche Einvernahme der V-Personen durch die Präsidenten der
Gerichte ist zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, wird indessen auch
nicht ausgeschlossen und entspricht der zu Grunde liegenden Idee
der Glaubwürdigkeitsüberprüfung. Die Präsidenten bedürfen für eine
derartige Einvernahme keiner Zustimmung der vorgesetzten Behörde; die
V-Personen sind ohne Gefahr der Amtsgeheimnisverletzung tatsächlich zur
vollständigen Auskunft verpflichtet (vgl. Art. 320 Ziff. 2 StGB). Ein
solches Vorgehen entspricht den Empfehlungen des Ministerkomitees, in
denen in ähnlichem Sinne eine «procédure de vérification» verlangt wird,
um ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der V-Personen an ihrem
Schutz und denjenigen des Beschuldigten an einer wirksamen Verteidigung
im Sinne von Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK zu schaffen (EMPFEHLUNGEN, aaO,
Ziff. 10 und 76). In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes
sind solche Berichte zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit von anonymen
Zeugen tatsächlich verwendet worden. Im Urteil Doorson kam dem Protokoll
des einvernehmenden Instruktionsrichters, in dem er seine Beurteilung der
Glaubwürdigkeit der ihm bekannten Zeugen festhielt, Bedeutung zu (aaO,
Ziff. 73). Umgekehrt hat ein analoges Vorgehen eines Instruktionsrichters
in der Angelegenheit van Mechelen zur Kompensation der Beeinträchtigung
in den Verteidigungsrechten nicht ausgereicht (aaO, Ziff. 62).

    Derartige Abklärungen und Berichte vermitteln dem Beschuldigten
wesentliche Informationen, um die Glaubwürdigkeit der einvernommenen
V-Personen in Zweifel zu ziehen. Auch wenn es sich lediglich um eine
indirekte Beweisführung handelt, vermag ein solches Vorgehen gewisse
Probleme der Anonymität auszugleichen und die Verteidigungsmöglichkeiten
des Beschuldigten zu verbessern. Erforderlich für eine wirksame
Kompensation ist allerdings, dass die Gerichtspräsidenten einen hinreichend
aussagekräftigen Bericht über die Person des verdeckten Ermittlers abgibt.

    d) Schliesslich ist als Kompensationsmassnahme denkbar, dass der
Einsatzleiter vom Gericht einvernommen und unter Wahrung der Anonymität
zur V-Person befragt wird. Dieser Einsatzleiter kennt die Identität
des verdeckten Ermittlers sowie dessen persönlichen und beruflichen
Hintergrund. Er ist in der Lage, Hinweise zum beruflichen Umfeld und
zur Ausübung des Berufes (inkl. des beruflichen Leumunds) abzugeben
und insbesondere bei nicht beamteten Personen über die Umstände der
Auftragserteilung Aufschluss zu geben. Darüber hinaus kann er über den
eigentlichen Einsatz der V-Person befragt werden.

    Eine solche Anhörung des unmittelbaren Einsatzleiters ver-spricht
wertvolle Hinweise zur Glaubwürdigkeit der V-Person und zur Glaubhaftigkeit
von deren Aussagen. Sie ist nicht ver-gleichbar mit den vom Europäischen
Gerichtshof beurteilten Fällen Windisch und Kostovski: Dort haben Zeugen,
die anonym bleiben wollten, den Polizeibeamten Anzeigen erstattet;
die Einvernahme dieser Polizeibeamten als Gewährsleute vermochte
die Hindernisse für die Verteidigung nicht zu kompensieren, da diese
keinerlei eigene Kenntnisse vom Tatgeschehen und von den Anzeigern hatten
(Urteil Windisch, aaO, Ziff. 28; Urteil Kostovski, aaO, Ziff. 42). Der
Einsatzleiter verfügt indessen über detaillierte Kenntnisse über die
V-Person und den Ablauf des Einsatzes. Seine Befragung ist indessen
abhängig von der Kooperation der Polizeiorgane. Der Einsatzleiter muss im
Sinne von Art. 320 Ziff. 2 StGB von der vorgesetzten Stelle zur Aussage
ermächtigt werden. Die Verweigerung einer solchen Ermächtigung kann von
Seiten des Gerichts oder des Beschuldigten kaum rechtzeitig und wirksam
angefochten werden (vgl. hierzu Urteil vom 21. März 1995 in: EuGRZ 1995
S. 250 E. 3c/cc S. 253; GNÄGI, aaO, S. 121 ff.; CORBOZ, aaO, S. 325 f.).

    Die Anhörung des unmittelbaren Einsatzleiters verspricht wegen seiner
detaillierten Kenntnisse wertvolle Aufschlüsse. Sie kann dazu beitragen,
das Handicap der Anonymität zu einem Teil auszugleichen. Die Verteidigung
erhält Informationen, die es ihr ermöglicht, die Glaubwürdigkeit der
V-Person wirksam in Zweifel zu ziehen - auch wenn nicht zu verkennen ist,
dass es sich dabei lediglich um eine indirekte Beweisführung handelt.

Erwägung 10

    10.- a) Aufgrund der beiden vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass
der Beschuldigte durch die Aufrechterhaltung der Anonymität der V-Person
und durch die besondern Schutzmassnahmen bei der Einvernahme in seinem
Befragungsrecht nach Art. 4 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK eingeschränkt
wird. Dem stehen gewisse ausgleichende Massnahmen gegenüber. Diese beiden
Seiten sind gegeneinander abzuwägen.

    Für eine Gesamtbeurteilung der Zulässigkeit der Anonymitätszusicherung
ist vom Grundsatz der Strafprozessordnung auszugehen, dass die V-Personen
tatsächlich vor dem urteilenden Gericht einvernommen werden. Der
Beschuldigte kann demnach direkt Fragen stellen oder Fragen stellen lassen.
Er ist grundsätzlich in der Lage, sich ein Bild von der V-Person zu machen
und deren Aussagen und Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Erschwerend
wirken sich für die Verteidigung allerdings die besondern Schutzmassnahmen
der allfälligen optischen und akustischen Abschirmung aus. Dennoch
erlaubt die Einvernahme - anders als eine nur schriftliche Befragung -
die unmittelbare Wahrnehmung von Reaktionen und trägt damit dazu bei,
den Zeugen zu beurteilen.

    Die Anonymität des als Zeuge einvernommenen verdeckten Ermittlers
behindert und beschränkt den Beschuldigten in seinem Befragungsrecht. Sie
hat zur Folge, dass sich der Beschuldigte kein vollständiges Bild von der
Persönlichkeit der V-Person machen und auch nicht danach fragen kann. Es
ist ihm daher zum Vornherein erschwert, die Glaubwürdigkeit der V-Person
allgemein in Zweifel zu ziehen. Seine Verteidigung muss sich daher im
Wesentlichen darauf beschränken, die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussagen
zur Sache selber zu bestreiten. Dies stellt eine wesentliche Beschränkung
der Verteidigungsrechte dar.

    Dem stehen Massnahmen gegenüber, die diese Schwierigkeiten teilweise
ausgleichen. Die Einsicht des Beschuldigten in die Akten betreffend
den V-Personen-Einsatz vermag Aufschluss über die Instruktion und
den Ablauf und damit auch wichtige Hinweise über das Verhalten des
verdeckten Ermittlers und allfällige Widersprüche zu geben; das wiederum
kann Hinweise zur Glaubwürdigkeit ergeben. Von Bedeutung ist ferner,
dass der Gerichtsvorsitzende die Person des verdeckten Ermittlers
kennt, volle Einsicht in die Spezialakten hat und die V-Person auch
einvernehmen kann. Diese Kenntnisse und die in einem Bericht für
die Verteidigung festgehaltene Schilderung und Prüfung erlauben eine
weitergehende Beurteilung der Glaubwürdigkeit der V-Person und ermöglichen
dem Angeschuldigten in zusätzlichem Masse, sich ein eigenes Bild von der
Person des verdeckten Ermittlers zu machen. Schliesslich vermag auch die
Befragung des Einsatzleiters vor dem Gericht weitere Aufschlüsse zu geben.

    Alle diese Massnahmen können einen Ausgleich zur Aufrechterhaltung der
Anonymität schaffen. Sie sind für den Beschuldigten von unterschiedlichem
Gewicht. Die Einsicht in das Einsatzdossier der V-Person ist wegen
der Vertraulichkeitszusage keine vollständige; zudem sind diese Akten
sorgfältig zu prüfen. Die Kundgabe der Gerichtspräsidenten auf Grund
ihrer eigenen Kenntnisse und die Befragung von Einsatzleitern stellen
indirekte Beweise oder so genannte Beweissurogate dar. Diese können nicht
grundsätzlich und abstrakt abgelehnt oder aus dem Verfahren ausgeschlossen
werden. Sie erfordern indessen eine sorgfältige Würdigung durch das Gericht
und eine Prüfung darauf hin, was im Einzelfall tatsächlich bezeugt werden
kann und was subjektive Beurteilung ist (vgl. im Einzelnen dazu GNÄGI, aaO,
S. 153 ff.; vgl. auch Urteil des BVerfG in: EuGRZ 1981 S. 402 E. III).

    Wie sehr diese Massnahmen im Einzelfall tatsächlich eine ausreichende
Kompensation darstellen und eine hinreichend wirksame Befragung im Sinne
von Art. 4 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK erlauben, hängt stark von
den gesamten Umständen und von der Beweislage ab und lässt sich letztlich
abstrakt nicht schlüssig beantworten. Auf der einen Seite lassen sich
Konstellationen denken, in denen die Aufrechterhaltung der Anonymität durch
die Umstände klar aufgewogen wird und demnach von einem fairen Verfahren
gesprochen werden kann. Auf der andern Seite gibt es Fälle, die unter dem
Gesichtswinkel des fairen Verfahrens nicht mehr toleriert werden können.
Auf zwei solche Konstellationen soll im Folgenden beispielhaft eingegangen
werden.

    Es ist denkbar, dass die belastenden Aussagen der V-Person die einzigen
oder überwiegend ausschlaggebenden Beweise darstellen. Diesfalls stösst
man an eine fast absolute Grenze, bei der auch die genannten Massnahmen
keine hinreichende Kompensation bieten können (oben E. 6d/ee). In einer
derartigen Situation ist die Konsequenz zu ziehen, dass auf das Zeugnis
der anonym bleibenden V-Personen nicht abgestellt werden darf und der
Angeschuldigte in Respektierung des Grundsatzes «in dubio pro reo»
allenfalls freizusprechen ist.

    Weiter kann sich die Aufrechterhaltung der Anonymität als
unverhältnismässig erweisen, wenn beim Einsatz der V-Person und der
Zusicherung der Vertraulichkeit von einer gewichtigen und gefährlichen
Angelegenheit ausgegangen werden durfte, sich diese im Nachhinein
aber als harmlos entpuppt. Auch in einer solchen Situation mag es
gute Gründe dafür geben, die Anonymität weiterhin zu bewahren: Die
V-Person darf grundsätzlich auf die Zusicherung vertrauen. Und es
kann darum gehen, weitere Einsätze nicht zu gefährden und allfällige
Pressionen von dritter Seite auf die Eingeweihten zu verhindern. Da
die materiellen Voraussetzungen für den V-Personen-Einsatz und für die
Vertraulichkeitszusage im Sinne von § 100f und § 100e Abs. 4 StPO nicht
(mehr) erfüllt sind, darf auf ein entsprechendes Zeugnis jedenfalls nicht
abgestellt werden. Die anonyme Aussage darf nicht verwertet werden (vgl.
zur Frage des Beweisverwertungsverbotes im Falle des V-Mann-Exzesses etwa
GNÄGI, aaO, S. 106 ff.; ROTH, aaO, S. 400 f.).

    Gesamthaft gesehen bildet das Abstellen auf Aussagen von ano-nymen
V-Personen eine heikle Gratwanderung. Häufig dürfte die Anonymität
durch die erwähnten Massnahmen ausgeglichen werden, sodass die
Berücksichtigung entsprechender Aussagen mit dem Gebot eines fairen
Verfahrens und dem Anspruch auf Befragung belastender Zeugen vereinbar
ist. Die Verteidigungsrechte des Beschuldigten ernst nehmen, bedeutet
indessen auch, die Grenzen der Verwertung von solchen Aussagen klar
anzuerkennen. Gleichermassen gibt es daher Konstellationen, in denen bei
Aufrechterhaltung der Anonymität die Garantien auf ein faires Verfahren
und ein Fragerecht verletzt werden und deshalb die entsprechenden
Aussagen nicht verwertet werden dürfen und der Angeschuldigte allenfalls
freizusprechen ist. Diese Konsequenz sehen denn auch die Empfehlungen
des Ministerkomitees vor (aaO, Ziff. 79). Es ist letztlich Sache der
Strafverfolgungs- und Anklagebehörden, solche Situationen zu vermeiden
(vgl. BGE 109 Ia 273 E. 12a S. 299). Diese werden auch verhindern können,
eine Anklage ausschliesslich oder hauptsächlich auf eine einzige belastende
Aussage einer V-Person abzustützen.

    b) Gestützt auf diese materiellen Ergebnisse ist nunmehr darüber
zu befinden, wie die vorliegende Beschwerde letztlich zu beurteilen
ist. Das Bundesgericht hebt im abstrakten Normkontrollverfahren eine
kantonale Vorschrift nur auf, wenn sie sich jeder verfassungs- und
konventionskonformen Auslegung entzieht. Für die Frage, ob eine kantonale
Norm aufzuheben oder verfassungskonform auszulegen ist, wird auf die
Tragweite des Grundrechtseingriffs, die Möglichkeit, bei einer späteren
konkreten Normenkontrolle einen hinreichenden verfassungsrechtlichen Schutz
zu erhalten, die konkreten Umstände, unter denen die Norm zur Anwendung
kommt, sowie die Möglichkeit einer Korrektur und die Auswirkungen auf
die Rechtssicherheit abgestellt (BGE 109 Ia 273 E. 12c S. 302; 123 I 112
E. 2a S. 116; 124 I 193 E. 3c S. 196, mit Hinweisen).

    Die Frage der Gewährung eines fairen Verfahrens und des Anspruchs
auf hinreichende Befragung von Belastungszeugen bei Aufrechterhaltung der
Anonymität hängt stark von den besondern Umständen ab. Von Bedeutung ist
die tatsächliche Befragung vor dem Gericht selber mit all den Umständen
im Einzelfall. Einzelne Massnahmen können die Schwierigkeiten der
Verteidigung, wie aufgezeigt, ausgleichen. Hierfür ist erforderlich,
dass die Strafprozessordnung in Bezug auf das Akteneinsichtsrecht des
Gerichtspräsidenten und die Befragung des verdeckten Ermittlers durch den
Gerichtspräsidenten im dargelegten Sinne ausgelegt wird. Von Seiten der
Polizei bedarf es einer gewissen Kooperationsbereitschaft hinsichtlich
des Führens des Einsatzdossiers und der Ermächtigung zur Aussage des
Einsatzleiters. Diese darf angenommen werden, da es im Interesse der
Polizei liegt, dass die Aussagen der V-Personen tatsächlich verwendet
werden können. Ferner bedarf es einer sorgfältigen Beweiswürdigung durch
das Gericht. Wo eine Kompensation zu den Hindernissen der Anonymität
nicht möglich ist, darf auf ein anonymes Zeugnis nicht abgestellt werden
und ist ein Angeschuldigter in letzter Konsequenz freizusprechen.

    Diesen schwierigen Weg zu gehen, kann den Gerichten durchaus zugetraut
werden. Bei diesen handelt es sich nicht um juristisch wenig geschulte
Beamte, die auf eine ausdrückliche und klare Regelung angewiesen sind (BGE
106 Ia 136 E. 3b S. 138). Sie sind vielmehr in der Lage, die angefochtenen
Bestimmungen der Strafprozessordnung im oben dargelegten Sinne auszulegen
und anzuwenden, damit der Garantie auf ein faires Verfahren und eine
hinreichende Befragung von Belastungszeugen zum Durchbruch zu verhelfen
und letztlich im Einzelfall auch von einer Verurteilung abzusehen. Im
Bewusstsein um die heikle Abwägung darf daher auch davon ausgegangen
werden, dass die Gerichte nicht der Gefahr erliegen, nicht verwertbare
Beweisergebnisse nur halbherzig bei Seite zu lassen und ein bestimmtes
Resultat schliesslich mit anderen, mängelfreien Elementen zu begründen
(BGE 118 Ia 462 E. 5c/bb S. 472).

    Aus diesen Gründen lassen sich die angefochtenen Bestimmungen der
Strafprozessordnung über die Vertraulichkeit der V-Personen im Lichte von
Art. 4 BV und Art. 6 Ziff. 3 lit. d EMRK verfassungs- und konventionsgemäss
auslegen und anwenden. Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet.