Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 IV 231



125 IV 231

36. Auszug aus dem Urteil des Kassationshofes vom 16. November 1999 i.S. K.
gegen Staatsanwaltschaft des Kantons Solothurn (Nichtigkeitsbeschwerde)
Regeste

    Art. 49 Ziff. 3 Abs. 1 und 2 StGB, Art. 376 f. StGB; Umwandlung der
Busse in Haft, schuldlose Nichtbezahlung, Verdienstanteil.

    Ist dem Strafgefangenen die Zahlung der Busse aus dem frei verfügbaren
Teil des Pekuliums möglich und zumutbar, ist die Nichtbezahlung schuldhaft
und verletzt die Umwandlung der Busse in Haft kein Bundesrecht (E. 3).

Sachverhalt

    Am 6. Februar 1998 verurteilte das Untersuchungsrichteramt des Kantons
Solothurn K. wegen Tätlichkeiten zu Fr. 180.-- Busse.

    Da K. die Busse nicht bezahlte, leitete das Oberamt Olten-Gösgen
die Betreibung ein, welche erfolglos blieb. Am 14. August 1998 ersuchte
das Oberamt das Untersuchungsrichteramt um Umwandlung der Busse in
Haft. Mit Schreiben vom 24. August 1998 gab das Untersuchungsrichteramt
K. Gelegenheit, sich innert 14 Tagen schriftlich zum Umwandlungsbegehren
zu äussern, die Busse zu bezahlen, Zahlungsvorschläge zu unterbreiten
oder einen Vorschlag betreffend Abarbeitung zu machen. Da das
Untersuchungsrichteramt keine Antwort erhielt, wandelte es die Busse mit
Verfügung vom 23. September 1998 in 6 Tage Haft um.

    Die von K. dagegen erhobene Beschwerde wies das Obergericht des
Kantons Solothurn am 12. April 1999 ab.

    K. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an
dieses zurückzuweisen.

Auszug aus den Erwägungen:

                          Erwägungen:

Erwägung 1

    1.- a) Der Umwandlungsentscheid ist kein Vollzugs-, sondern ein
materieller Entscheid, der mit Nichtigkeitsbeschwerde angefochten werden
kann (BGE 105 IV 14 E. 2, S. 17 mit Hinweis). Die Beschwerde ist insoweit
zulässig.

    b) Im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde ist das
Bundesgericht an die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Behörde
gebunden (Art. 277bis Abs. 1 BStP [SR 312.0]). Soweit der Beschwerdeführer
von einem anderen Sachverhalt ausgeht als die Vorinstanz, kann auf die
Beschwerde nicht eingetreten werden.

Erwägung 2

    2.- a) Der Beschwerdeführer befindet sich in der Strafanstalt Lenzburg
im Strafvollzug.

    Die Vorinstanz führt aus, als die Busse ausgesprochen worden sei,
sei der Beschwerdeführer bereits inhaftiert gewesen. Der nachträgliche
Ausschluss der Umwandlung der Busse in Haft setze schuldloses Ausbleiben
der Zahlung voraus. Der Verdienstanteil (sog. Pekulium) werde dem
Häftling während des Strafvollzuges teilweise bar und zur freien Verfügung
ausbezahlt. Der andere Teil werde einem Sperrkonto gutgeschrieben und
stehe dem Häftling erst nach der Entlassung zur Verfügung. Der gesamte
Geldbetrag sei privilegiert und vor Massnahmen der Zwangsvollstreckung
auch während des Vollzuges geschützt. Daraus könne aber nicht abgeleitet
werden, dass der Häftling grundsätzlich schuldlos ausserstande sei,
rechtskräftig verfügte Bussen zu bezahlen. Er sei, wenn er nur wolle, in
der Lage, Zahlungen aus dem ihm zur freien Verfügung stehenden Pekulium
zu tätigen. Dadurch verminderten sich die Verbindlichkeiten, denen sich
der Inhaftierte in der Regel nach der Haftentlassung gegenübersehe. Nach
Auskunft der Strafanstalt Lenzburg könne der Beschwerdeführer monatlich
über einen Betrag von Fr. 250.-- bis 300.-- frei verfügen. Es sei ihm
zuzumuten, davon die Busse im Betrag von lediglich Fr. 180.- ratenweise
zu bezahlen.

    b) Der Beschwerdeführer macht geltend, der  angefochtene Entscheid
verletze Art. 49 Ziff. 3 StGB. Die Umwandlung der Busse in Haft sei schon
deshalb ausgeschlossen, weil er sich im Strafvollzug befinde. Das Pekulium
diene nicht dazu, allfällige Bussen zu bezahlen.

    c) Die Beschwerdegegnerin bemerkt, die Bussenumwandlung gegenüber
einem Häftling sei nicht absolut ausgeschlossen. Die Tatsache, dass sich
der Gebüsste im Strafvollzug befinde, dürfe nicht zu seiner Privilegierung
gegenüber den Rechtsgenossen in Freiheit führen. Vielmehr sei im Einzelfall
aufgrund aller Umstände (Höhe der Busse, Dauer des Strafvollzugs, Höhe
des monatlichen Freibetrages usw.) zu prüfen, ob die Bezahlung der Busse
schuldlos unterblieben sei. Indem der Beschwerdeführer auf den Brief des
Untersuchungsrichteramtes vom 24. August 1998 nicht reagiert habe, habe
er zu verstehen gegeben, dass er zum vornherein nicht bereit gewesen sei,
die (bescheidene) Busse zu bezahlen, obwohl ihm dies - wie die Auskünfte
der Strafanstalt Lenzburg gezeigt hätten - zumutbar gewesen wäre.

Erwägung 3

    3.- a) Bezahlt der Verurteilte die Busse nicht und verdient er sie
auch nicht ab, so wird sie durch den Richter in Haft umgewandelt (Art.
49 Ziff. 3 Abs. 1 StGB). Der Richter kann im Urteil selbst oder durch
nachträglichen Beschluss die Umwandlung ausschliessen, wenn ihm der
Verurteilte nachweist, dass er schuldlos ausserstande ist, die Busse zu
bezahlen (Art. 49 Ziff. 3 Abs. 2 StGB).

    Schuldlosigkeit ist dann anzunehmen, wenn der Verurteilte auch
bei gutem Willen keine Möglichkeit hat, sich die erforderlichen Mittel
zu verschaffen oder die Busse durch Arbeitsleistung zu tilgen (GÜNTER
STRATENWERTH, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil II, § 5 N. 36;
vgl. auch STEFAN TRECHSEL, Schweizerisches Strafgesetzbuch, Kurzkommentar,
2. Aufl., Art. 49 N. 7).

    Nach BGE 77 IV 80 ist dem Mittellosen die Nichtbezahlung infolge
Verbüssung einer Freiheitsstrafe, die ihn hindert, dem Verdienste
nachzugehen, nicht zum Verschulden anzurechnen (E. 1 S. 82).

    Wie in der kantonalen Rechtsprechung entschieden wurde, ist das
Pekulium nicht zur Bussenzahlung heranzuziehen, da es der Deckung der
persönlichen Bedürfnisse des Gefangenen nach seiner Entlassung dienen und
ihm so die Wiedereingliederung in das bürgerliche Leben erleichtern soll
(Entscheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 7. Oktober 1976 in
Sachen L., zitiert bei RETO BERNHARD, Der Bussenvollzug gemäss Art. 49
StGB, Diss. Zürich 1982, S. 126).

    Im Schrifttum wird die Auffassung vertreten, in der Regel sei der
im Vollzug sitzende Verurteilte schuldlos ausserstande, eine Busse zu
bezahlen (TRECHSEL, aaO); der Strafgefangene sei daran gehindert, dem
Erwerb nachzugehen (vgl. STRATENWERTH, aaO; BERNHARD, aaO).

    b) Art. 376 ff. StGB enthalten Minimalvorschriften über den
Verdienstanteil, der den Gefangenen für die während des Freiheitsentzuges
geleistete Arbeit zu entrichten ist. Das sog. Pekulium dient nebst der
Deckung von Auslagen, die während des Vollzuges einer Strafe oder Massnahme
entstehen, hauptsächlich dem Ziel, dem Häftling den Wiedereintritt in
das bürgerliche Leben zu erleichtern, namentlich die Mittel für den
Lebensunterhalt während der ersten Wochen nach der Entlassung zu sichern
(BGE 106 IV 378 E. 2; 103 Ia 414 E. 2; 102 Ib 254 E. 1).

    Der Verdienstanteil hat sich, auch wenn man die Geldentwertung
berücksichtigt, im Laufe der Zeit deutlich erhöht. MICHAEL HEISING (Die
Entlohnung der Gefangenenarbeit, Basel 1968, S. 43) geht für das Jahr 1968
von einer durchschnittlichen monatlichen Arbeitsbelohnung von insgesamt
Fr. 25.-- bis Fr. 35.-- aus. Im Jahr 1973 betrug das durchschnittliche
Pekulium Fr. 6.-- bis 7.-- pro Arbeitstag. Das ergibt, bei Annahme von
22 Arbeitstagen, ein monatliches Pekulium von Fr. 132.-- bis 154.--
(GÜNTER STRATENWERTH/ANDREAS BERNOULLI, Der Schweizerische Strafvollzug,
Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, Aarau 1983, S. 93). Mit Wirkung
ab 1. Januar 1993 wurde für die Ostschweizer Konkordatsanstalten das
Pekulium bei durchschnittlichen bis guten Leistungen auf Fr. 24.50 pro
Arbeitstag festgelegt; bei aussergewöhnlichen Leistungen kann es bis zu
Fr. 33.-- betragen (JÖRG REHBERG, Strafrecht II, 6. Aufl., S. 50). Das
entspricht, bei Annahme von 22 Arbeitstagen, einem monatlichen Pekulium
von Fr. 539.-- bzw. 726.--. In dieser Grössenordnung bewegt sich auch
das Pekulium des Beschwerdeführers, der seine Strafe in einer Anstalt des
Konkordats der Kantone der Nordwest- und Innerschweiz verbüsst. Wie sich
aus den Akten ergibt, beträgt sein Pekulium monatlich durchschnittlich ca.
Fr. 600.-.

    Gemäss Art. 377 StGB wird der Verdienstanteil den Insassen der Anstalt
während der Dauer der Freiheitsentziehung gutgeschrieben (Abs. 1). Das
Anstaltsreglement bestimmt darüber, ob und wie weit während der Dauer
der Freiheitsentziehung aus diesem Verdienstanteil Ausgaben zugunsten
des Insassen oder dessen Familie gemacht werden dürfen (Abs. 2).

    Nach Ziff. 8 der Hausordnung der Strafanstalt Lenzburg vom
26. September 1994, in Kraft seit 1. Januar 1995, wird das Pekulium den
Gefangenen bezahlt zu einem Teil bar auf die Hand, zu einem weiteren Teil
auf das Freikonto und der Rest auf das Sperrkonto. Die Barauszahlung dient
für den Einkauf persönlicher Sachen am Kiosk, für Briefmarken, Urlaubsgeld
etc. Aus dem Freikonto bestreitet der Gefangene sein Urlaubsgeld, die
TV-Miete, den Einkauf am Technischen Kiosk, den Zeitschrifteneinkauf, den
Einkauf von Kleidung, Kursmaterial und seine Telefonate. Ebenfalls vom
Freikonto kann der Gefangene ihm nahestehenden Drittpersonen ausserhalb
der Anstalt Zuwendungen machen. Das Sperrkonto ist für die persönliche
Entlassungsvorbereitung des Gefangenen sowie für seinen Start draussen
bestimmt. Über Auszahlungen vom Sperrkonto bestimmt der Direktor und bei
dessen Abwesenheit der Verwalter. Vom Sperrkonto werden nur glaubhaft
gemachte Rechnungen bezahlt, und es wird vom Sperrkonto kein Bargeld an
Gefangene oder Drittpersonen ausbezahlt.

    Über den bar ausbezahlten und dem Freikonto gutgeschriebenen Teil
des Pekuliums kann der Gefangene frei verfügen.

    Dem entspricht im Wesentlichen der Entwurf zur Änderung der Allgemeinen
Bestimmungen des Strafgesetzbuches. Nach Art. 83 Abs. 2 des Entwurfs kann
der Gefangene während des Vollzugs über einen Teil seines Arbeitsentgeltes
frei verfügen. Aus dem anderen Teil wird für die Zeit nach der Entlassung
eine Rücklage gebildet (BBl 1999 S. 2326).

    c) Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen
Urteil (Art. 277bis Abs. 1 BStP) beträgt der frei verfügbare Teil des
Pekuliums des Beschwerdeführers monatlich Fr. 250.-- bis 300.-. Mit Blick
darauf verletzt die Auffassung der Vorinstanz Bundesrecht nicht. Dem
Beschwerdeführer war es möglich und zumutbar, den im Verhältnis zum
monatlich wiederkehrenden frei verfügbaren Teil des Pekuliums nicht
übermässig hohen Bussenbetrag jedenfalls ratenweise zu bezahlen. Hätte er
z.B. monatlich Fr. 20.- abgezweigt, wäre die Busse in 9 Monaten bezahlt
gewesen. Die Funktion des Pekuliums, dem Gefangenen eine Starthilfe für
die Zeit nach der Entlassung zu bieten, konnte durch die Zahlung nicht
beeinträchtigt werden. Denn jener Funktion dient der dem Sperrkonto
gutgeschriebene Teil des Pekuliums.

    Es geht nicht an und wäre zu schematisch, jeden Strafgefangenen
zum Vornherein als schuldlos ausserstande anzusehen, eine Busse zu
bezahlen. Zu berücksichtigen ist zunächst ein allfälliges Vermögen des
Gefangenen. Rechnung zu tragen ist sodann dem frei verfügbaren Teil des
Pekuliums. Je höher dieser ist und je geringer im Verhältnis dazu die
Busse, desto eher ist ihre Bezahlung zumutbar. Die Bemerkung in BGE
77 IV 80, die Freiheitsstrafe hindere den Mittellosen, dem Verdienst
nachzugehen, ist zu sehen vor dem Hintergrund des damals - im Jahre 1951 -
wesentlich tieferen Betrages des Pekuliums. Die Verhältnisse haben sich,
wie dargelegt, geändert. Dem ist bei der Anwendung von Art. 49 Ziff. 3
Abs. 2 StGB Rechnung zu tragen.

    Diese Lösung ist auch geboten mit Blick auf den Gleichheitssatz. Die
Busse stellt einen Eingriff in das Vermögen dar, der in der Regel dazu
führt, dass der Betroffene auf Dinge verzichten muss, die er sich sonst mit
dem entsprechenden Betrag hätte leisten können. Es ist nicht einzusehen,
weshalb ein solcher Verzicht nur dem in Freiheit Lebenden abverlangt
werden können sollte, nicht aber dem Gefangenen.

    Die Zahlung der Busse in einem Fall wie hier dient im Übrigen auch
dem Ziel, den Gefangenen möglichst schuldenfrei zu entlassen, was im
Interesse der Resozialisierung liegt.

    Zu betonen ist allerdings, dass vom Gefangenen nicht die Bezahlung
eines Betrages verlangt werden darf, der ihn allzu stark einschränkt
und es ihm verunmöglicht, für seine persönlichen Bedürfnisse während des
Vollzuges noch ausreichend aufzukommen.

    d) Der Beschwerdeführer war nach dem Gesagten nicht schuldlos
ausserstande, die Busse zu bezahlen. Die Beschwerde wird abgewiesen,
soweit darauf eingetreten werden kann.

    e) Anzumerken bleibt Folgendes: Nach der Rechtsprechung entfällt der
Vollzug der Umwandlungsstrafe, wenn die Busse nachträglich noch bezahlt
wird (BGE 105 IV 14 E. 2 mit Hinweisen). Nach Mitteilung der Strafanstalt
Lenzburg vom 29. Oktober 1999 verfügte der Beschwerdeführer an diesem Tag
auf seinem Freikonto über einen Betrag von Fr. 675.--. Sofern er damit
die Busse jetzt noch bezahlt, kann er den Vollzug der Umwandlungsstrafe
abwenden.