Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

BGE 125 IV 161



125 IV 161

25. Urteil des Kassationshofes vom 25. Juni 1999 i.S. K. gegen G.
(Nichtigkeitsbeschwerde) Regeste

    Art. 270 Abs. 1 BStP; Legitimation des Geschädigten zur eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde; Zivilforderung.

    Ein Geschädigter, dem ausschliesslich öffentlich-rechtliche Ansprüche
aus Haftungsrecht gegen den Kanton zustehen, und der keine Zivilforderungen
gegen den angeblich fehlbaren Beamten geltend machen kann, ist zur Erhebung
der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht legitimiert (E. 3).

    Art. 152 Abs. 1 und 2 OG; unentgeltliche Rechtspflege,
Substanziierungs- pflicht des Gesuchstellers.

    Die zur Begründung des Gesuchs um Bewilligung der unentgeltlichen
Rechtspflege eingereichten Belege haben über die Einkommens- und
Vermögensverhältnisse des Gesuchstellers, über sämtliche finanziellen
Verpflichtungen sowie über den aktuellen Grundbedarf Aufschluss zu geben.
Kommt der Gesuchsteller diesen Obliegenheiten nicht nach, ist das Gesuch
abzuweisen (E. 4).

Sachverhalt

    Der Polizeibeamte G. beteiligte sich am 22. April 1994 an
einer Verhaftungsaktion der Kantonspolizei Zürich gegen mutmassliche
Drogenhändler im Bezirk Andelfingen. Im Verlaufe dieses Einsatzes löste
sich aus seiner Dienstwaffe ein Schuss, wodurch der Verdächtigte K.
Verletzungen im Bereich der Brustwirbelsäule und des Rückenmarks erlitt,
die zu einer Lähmung beider Beine führten.

    Der Einzelrichter in Strafsachen des Bezirkes Andelfingen verurteilte
G. am 30. August 1996 wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung
gemäss Art. 125 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 125 Abs. 2 StGB zu
einer Busse von Fr. 500.--. Die Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche
des Geschädigten verwies er auf das Verfahren gemäss Haftungsgesetz des
Kantons Zürich.

    Das Obergericht des Kantons Zürich sprach den Verurteilten am
6. November 1997 auf Berufung hin frei. Auf die Schadenersatzansprüche
des Geschädigten trat es nicht ein.

    Das Kassationsgericht des Kantons Zürich wies am 12. April 1999 die
gegen diesen Entscheid gerichtete kantonale Nichtigkeitsbeschwerde von
K. ab, soweit es darauf eintrat.

    K. führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Hauptantrag,
das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich aufzuheben. Zudem ersucht
er um Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege.

    Das Bundesgericht ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten,
hat aber das Gesuch um unentgeltiche Rechtspflege gutgeheissen.

Auszug aus den Erwägungen:

              Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

Erwägung 1

    1.- Nach Art. 270 Abs. 1 BStP steht die eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde auch dem Geschädigten zu, wenn er sich bereits
vorher am Verfahren beteiligt hat und soweit sich der Entscheid auf die
Beurteilung seiner Zivilforderung auswirken kann.

    Der Beschwerdeführer ist durch den Schusswaffeneinsatz, der allenfalls
als Straftat zu qualifizieren ist, in seiner physischen Integrität
unmittelbar beeinträchtigt worden. Er gilt damit als Opfer im Sinne des
Opferhilfegesetzes (Art. 2 Abs. 1 OHG; SR 312.5). Zugleich ist er auch
Geschädigter nach Art. 270 Abs. 1 BStP (BGE 122 IV 79 E. 1; 120 IV 44
E. I 2a). Indem er eine Einstellungsverfügung der Bezirksanwaltschaft
Andelfingen angefochten und gegen den erstinstanzlichen Entscheid
Berufung erhoben hat, beteiligte er sich am kantonalen Verfahren. Ebenso
hat er in der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde in genügender Weise
dargetan, warum er seine Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche bisher
nicht hat beziffern können und weshalb die angestrebte Verurteilung des
Polizeibeamten insbesondere die Bemessung einer allfälligen Genugtuung
beeinflussen könne (BGE 124 IV 188 E. 1; 123 IV 78 E. 2b). Er wäre aus
dieser Sicht somit zur eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde berechtigt.

Erwägung 2

    2.- a) Das Opferhilfegesetz ist unter anderm darauf ausgerichtet, dem
Opfer die Durchsetzung seiner Zivilansprüche zu erleichtern (Botschaft des
Bundesrates zum Opferhilfegesetz, BBl 1990 II 987 f.). So kann das Opfer
im Rahmen des Strafverfahrens seine Zivilansprüche adhäsionsweise geltend
machen, wobei diese grundsätzlich vom Strafrichter zu beurteilen und nicht
auf den Zivilweg zu verweisen sind. Schliesslich ist das Opfer berechtigt,
den Gerichtsentscheid mit den gleichen Rechtsmitteln anzufechten wie
der Beschuldigte, soweit der Entscheid seine Zivilansprüche betrifft
(Art. 8 Abs. 1 lit. a und c, Art. 11 OHG).

    b) Zivilansprüche im Sinne des OHG sind solche, die ihren Grund im
Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht
durchgesetzt werden müssen. Primär handelt es sich um Ansprüche auf
Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR. Unter Zivilansprüchen
sind jedoch auch Forderungen nach Art. 9 Abs. 1 und 2 UWG zu verstehen (BGE
120 IV 154 E. 3c/aa). Nicht in diese Kategorie gehören hingegen Ansprüche,
welche sich aus öffentlichem Recht ergeben, beispielsweise die subsidiären
Forderungen an den Staat gemäss Art. 11 OHG oder Ansprüche des Staates
gegen fehlbare Beamte (DONATSCH/SCHMID, Kommentar zur Strafprozessordnung
des Kantons Zürich, § 192, N. 22; WEISHAUPT EVA, Die verfahrensrechtlichen
Bestimmungen des Opferhilfegesetzes, Diss. Zürich 1998, S. 226 f. mit
Verweisen; STRÄULI BERNHARD, Pourvoi en nullité et recours de droit public
au Tribunal fédéral, S. 91 N. 226).

    Der Kanton Zürich hat gestützt auf den Vorbehalt in Art. 61 OR
das Gesetz über die Haftung des Staates und der Gemeinden sowie
ihrer Behörden und Beamten (Haftungsgesetz/ZH) erlassen. Demnach
stehen dem Geschädigten für den Schaden, den ihm ein Beamter in
Ausübung einer amtlichen Verrichtung zufügte, ausschliesslich
Ansprüche gegen den Staat zu. Der Beschwerdeführer hat somit keine
Möglichkeit, den seiner Ansicht nach fehlbaren Polizeibeamten ins
Recht zu fassen (§ 6 Abs. 4 Haftungsgesetz/ZH). Diese steht einzig dem
vorleistungspflichtigen Gemeinwesen im Rahmen der Rückgriffsregelung zu
(§ 14 ff. Haftungsgesetz/ZH). Die Voraussetzungen der Staatshaftung,
der Umfang der Entschädigung, die Geltendmachung sowie die Verwirkung
und Verjährung von Ansprüchen werden vom kantonalen Recht abschliessend
geregelt. Es handelt sich dabei um öffentliches Recht (BGE 122 III 101
E. 1; 111 II 149 E. 3b).

Erwägung 3

    3.- Dies hat zur Folge, dass ein Opfer von Bundesrechts wegen im
Strafverfahren keine Ansprüche gemäss kantonalem Verantwortlichkeitsrecht
geltend machen kann, da sie in öffentlichem Recht gründen. Sie würden sich
im Übrigen gegen das Gemeinwesen richten, welches in einem Strafverfahren
nur nach Massgabe des kantonalen Rechts beteiligt ist. Als Zivilforderungen
im Sinne von Art. 270 Abs. 1 BStP können jedoch nur solche Ansprüche
betrachtet werden, die überhaupt adhäsionsweise im Strafverfahren geltend
gemacht werden können (BGE 123 IV 254 E. 1; 122 IV 139 E. 3b). Im konkreten
Fall stehen keine zivilrechtlichen, sondern einzig öffentlich-rechtliche
Ansprüche des Opfers gegen den Kanton Zürich in Frage (§ 9 und § 10
Haftungsgesetz/ZH). Der Beschwerdeführer ist daher vorliegend zur Erhebung
der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht berechtigt.

Erwägung 4

    4.- a) Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer
an sich kostenpflichtig (Art. 278 Abs. 1 BStP). Er hat indessen ein
Gesuch um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege gestellt. Gemäss
Art. 152 OG gewährt das Bundesgericht einer bedürftigen Partei, deren
Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint, die Befreiung von der
Zahlung der Gerichtskosten. Bedürftig ist ein Gesuchsteller, der die
Leistung der erforderlichen Prozess- und Parteikosten nur erbringen kann,
wenn er die Mittel angreift, die er zur Deckung des Grundbedarfs für sich
und seine Familie benötigt (BGE 124 I 1 E. 2a). Grundsätzlich obliegt es
dem Gesuchsteller, seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse umfassend
darzulegen und soweit wie möglich zu belegen. Dabei dürfen umso höhere
Anforderungen an eine umfassende und klare Darstellung der finanziellen
Situation gestellt werden, je komplexer die finanziellen Verhältnisse sind
(BGE 120 Ia 179 E. 3a). Aus den eingereichten Belegen muss auf jeden Fall
der aktuelle Grundbedarf des Gesuchstellers hervorgehen. Die Belege haben
zudem über sämtliche finanzielle Verpflichtungen des Gesuchstellers sowie
über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse Aufschluss zu geben. Wenn
der Gesuchsteller seinen Obliegenheiten nicht nachkommt, ist das Gesuch
um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege abzuweisen.

    b) Die Anträge des Beschwerdeführers waren nicht von vornherein
aussichtslos. Mit Schreiben vom 27. April 1999 wurde er zur Einreichung von
Belegen bezüglich der Nachweisung der Bedürftigkeit und seiner Lebenskosten
aufgefordert, worauf er zwar lediglich den Unterstützungsbescheid der
Fürsorgebehörde und das Berechnungsblatt zur Bemessung der Sozialhilfe
des Monats März 1999 einreichte. Aufgrund dieser Angaben kann aber von der
Bedürftigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen werden. Allerdings kann die
unentgeltliche Rechtspflege wegen der Unvollständigkeit der eingereichten
Belege nur mit Bedenken bewilligt werden. Auf eine Kostenauflage ist
demnach zu verzichten, und dem Vertreter des Beschwerdeführers ist für das
bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse eine angemessene
Entschädigung auszurichten.